Idylle am See

Nach drei Tagen in Brisbane mach ich mich letzten Sonntag voll gespannter Erwartung auf den Weg. Ich finds immer noch ganz ungaublich wirklich in Australien zu sein und hab mich bisher noch in keinster Weise an diesen Gedanken gewöhnen können. Der ganze Wechsel und die vielen Veränderungen. Selbst nach drei Tagen ist alles immer noch neu und total aufregend.

Mein Start in Australien hätte besser nicht sein können. Das kleine Hostel in Manly am Stadtrand von Brisbane war ein richtiger Glücksgriff. Hier bin ich nämlich Artur, Alex und Sonja aus Deutschland und Lora aus Australien begegnet. Irgendwie war das gleich eine richtig familiäre und entspannte Atmosphäre. Gerade für den Anfang natürlich optimal. Artur, Alex und Sonja reisen mit einem Work-and-Travel-Visum durch Australien und arbeiten zwischendrin immer mal wieder – momentan in Manly – genau wie Lora, die ebenfalls umher reist und zurzeit eben auch in Manly ist. Von den vieren werde ich gleich mal mit vielen nützlichen Infos zu Australien und Tipps für meine weitere Reise versorgt. Insbesondere was die Unterkunftssituation betrifft. Das Tolle in Australien ist nämlich, dass es an vielen Orten einfache Rastplätze gibt, auf denen man einfach sein Zelt oder seinen Wohnwagen aufstellen und ein paar Tage bleiben kann. In der Regel sind dieser Plätze sogar kostenlos nutzbar. Häufig verfügen sie über Toiletten und Trinkwasser, über Feuer-, Grillstellen oder andere Kochmöglichkeiten, so dass schon mal für einiges an Komfort gesorgt ist. Ansonsten gibt es aber auch viele Campingplätze, die recht preiswert sind. Klingt alles total gut, werd ich auf jeden Fall ausprobieren.

Neben diesen vielen Tipps von Sonja, Artur, Alex und Lora hat es aber natürlich auch einfach Spaß gemacht zusammen in der Küche oder draußen auf der Feuertreppe zu sitzen, Zeit zu vertrödeln und die Vorfreude auf Australien ein bisschen wirken zu lassen. Nach drei Tagen halt ichs aber nicht mehr aus und merke, dass ich unbedingt los muss. Und so starte ich am frühen Sonntagmittag. Trotz aller Euphorie aber ganz gemütlich. Ich will erstmal einfach nur raus aus Manly und Brisbane und den nächstgelegenen Rastplatz ansteuern.
Das Wetter ist traumhaft: Sonne, 26°C und kaum Wolken am Himmel. Da machts natürlich gleich doppelt Spaß zu starten. Zunächst gehts durch Manly und die Außenbezirke von Brisbane und dabei immer wieder durch weitläufige Parkanlagen. Alles wirkt sehr gepflegt. Nirgends liegt Müll, es gibt gut ausgeschilderte Radwege, viele Spielplätze und dazwischen am Wegesrand immer wieder Wasserspender sowie Tische und Bänke. Letztere werden ausgiebig genutzt. Viele Familien sind unterwegs und picknicken oder gehen einfach so spazieren. Man merkt wieder richtig, dass Sonntag ist. 

Fünfzig Kilometer sind es bis zum Rastplatz. Eigentlich keine große Sache. Für mich dann heute aber irgendwie schon. Vielleicht bin ich ja nach meiner Pause noch nicht so ganz fit. Auf jeden Fall komm ich nur im Schneckentempo voran. Hinzu kommt, dass ich trotz der Beschilderung ständig anhalten und mich neu orientieren muss. Aber gut, ich mach auch einige Pausen, sitz irgendwo an einem Bach, koch Kaffee oder ess an einem der vielen Tische mein restliches Abendessen von gestern. Es dauert daher ewig, bis ich die Stadt mal hinter mir gelassen habe. An sich wär das ja gar nicht so schlimm, wenn es nicht so früh dunkel werden würde. Schon um 17:30 Uhr geht hier die Sonne unter. Fast zwei Stunden eher als in Singapur. Um 18:30 Uhr ist es stockdunkel. Daran muss ich mich erst mal gewöhnen. Das heißt also entweder weniger Kilometer einplanen oder früher losfahren. Oder weniger Pausen machen. Obwohl, ich glaub dann lieber weniger Kilometer einplanen und schön gemütlich unterwegs sein. Ich hab ja insgesamt 90 Tage Zeit. Die 2000 Kilometer bis Melbourne wären theoretisch in einem Monat machbar, daher kann ichs ja eigentlich ziemlich locker angehen.

Am späten Nachmittag komm ich auf dem Rastplatz an. Es stehen einige Wohnwagen und Zelte hier. Fast eine Punktlandung. Ich schaffs nämlich gerade noch im Hellen mein Zelt aufzubauen und das Abendessen zu kochen. Alt werd ich aber nicht mehr, denn obwohl ich heut nicht wirklich weit gefahren bin, bin ich total erschöpft und geh noch vor neun Uhr schlafen. Am nächsten Morgen lern ich Jeremie und Thomas kennen. Die beiden zelten direkt neben mir. Sie kommen aus Frankreich und sind ebenfalls mit dem Work-and-Travel-Visum unterwegs. Ach, dreißig müsst man nochmal sein. Ich glaub, dann würd ich mir auch so ein Visum besorgen und einen längeren Zwischenstopp in Australien einlegen. Aber gut, 90 Tage sind ja auch nicht schlecht. Wir frühstücken gemütlich zusammen und unterhalten uns übers Arbeiten in Australien und übers Radreisen in Asien. Und weil es irgendwie ganz lustig ist, verabreden wir uns gleich mal für den nächsten Rastplatz. Der ist wieder knapp fünfzig Kilometer entfernt und laut Karte und Beschreibung der Campingplatz-App für Australien ganz idyllisch an einem See gelegen und sogar mit Trinkwasser und Kochmöglichkeiten ausgestattet. Klingt nicht schlecht. Und weit ists ja auch nicht.

Wie gestern auch brauche ich trotzdem wieder den halben Tag für diese Strecke. Aber heute muss ich auch ziemlich gegen den Wind ankämpfen. Dazu ist es ziemlich hügelig, so dass ich ganz schön in die Pedale treten muss. Aber die Umgebung entschädigt für alle Mühen. Es ist richtig schön. Sehr ländlich, grün, es gibt viele Farmen, kaum Verkehr und die Berge mag ich ja eh. Am späten Nachmittag komm ich am Rastplatz an. Aber ich hab noch genug Zeit, um das Zelt im Hellen aufzubauen und mein Abendessen zu kochen. Es gibt Reis, gekochten Kürbis und etwas Salz. Mehr geben meine Vorräte heut nicht her. Der Kürbis und ein Brot waren das einzige, was ich heute kaufen konnte, denn da heute ein Feiertag ist, waren fast alle Geschäfte geschlossen. Das Brot hab ich gleich komplett neben der Bäckerei verdrückt und den Kürbis, den gibts jetzt eben zum Abendessen. Daran muss ich mich auch erst wieder gewöhnen, dass es Feiertage gibt, an denen die Geschäfte geschlossen sind. Seit Serbien hab ich das nirgends mehr erlebt, dass Geschäfte mal nicht geöffnet haben.

Thomas und Jeremie kommen etwas später an als ich. Richtig abgelegen ist der See. Der nächste Ort ist sicher 15 Kilometer weit entfernt. Beim Einkaufen muss man also etwas aufpassen, dass man nichts vergisst. Aber dafür ist es total idyllisch. Man hört nur die Vögel zwitschern und den Wind durch die Bäume rauschen. Ab und an kommt mal ein Auto vorbei, das wars. Trotzdem kann man ganz schön viel machen: man kann baden gehen, angeln – Jeremie und Thomas haben sich nämlich extra eine Angel gekauft – oder man kann einfach in der Sonne liegen, lesen oder faulenzen. Ein Ort, um die Zeit vollkommen zu vergessen. Aus einem geplanten Tag sind daher gleich mal vier geworden. Erholsam waren sie, die vier Tage. Und mit Jeremie und Thomas auch sehr unterhaltsam und kurzweilig. Heut hab ich mich aber mal wieder auf den Weg gemacht. Jeremie und Thomas bleiben noch zwei Tage. Mich ziehts jetzt wieder Richtung Küste, die beiden ab Montag dann nach Süden. Aber mal sehen, vielleicht treffen wir uns ja bald wieder. Könnt gut sein. Mich würds auf jeden Fall freuen.

Ankunft in Australien

Im Anflug auf Australien. Es ist noch ganz früh am Morgen. Am Horizont lässt sich aber schon das allererste Tageslicht ausmachen. Ich sitze am Fenster, was ich die letzte Nacht natürlich ausgiebig genutzt habe. Immer wenn ich wach wurde, ging der Blick raus in die Dunkelheit, die Nase minutenlang ans Fenster gepresst und mit beiden Händen das abgedimmte Licht im Flugzeug von der Seite abschirmend, um so viel wie möglich zu sehen. Und am Himmel entdecken lässt sich so einiges in der Nacht: Sterne, die zum Greifen nahe scheinen, vom Mondlicht angestrahlte, weiß leuchtende Wolken oder kilometerlange Gewitterfronten zum Beispiel. Sehr beeindruckend, das mal von oben zu sehen. Und da ich so oft ja nun auch nicht fliege, versuche ich in den letzten Minuten des Fluges nochmal so viel wie möglich von der näheren Umgebung wahrzunehmen. Im Landeanflug kann ich unter den Wolken irgendwann ganz schwach die ersten Konturen des Meeres ausmachen, ich sehe große Schiffe und einige kleine Boote, die weiß schäumende Wellenberge hinter sich herziehen. Irgendwann taucht in der Ferne dann das Lichtermeer von Brisbane auf. Und fast genau zu den allerersten Sonnenstrahlen setzt das Flugzeug mit einem sanften Ruck auf dem Rollfeld auf. Ziemlich perfektes Timing.

Australien!! Ich grinse von einem Ohr zum anderen und kann gar nicht mehr aufhören. Ähnlich wie China war Australien für mich immer ein ganz großes Etappenziel auf meiner Reise gewesen. Lange Zeit unendlich weit entfernt und ganz unwirklich, so als würde ich hier nie ankommen können. Und dann ist es auf einmal aber soweit und man findet sich auf einem Rollfeld in Brisbane wieder. Ich bin total aufgewühlt und kanns gar nicht fassen, dass das hinter dem kleinen Flugzeugfenster wirklich Australien ist. Ich freu mich, wie ein kleines Kind zu Weihnachten. Ach Gott, was soll das erst in Akaroa werden? Beim Aussteigen lass ich mir alle Zeit der Welt und schlendere gemütlich vom Flugzeug in das Flughafengebäude. Natürlich nicht ohne mich immer wieder in alle Richtungen umzudrehen. Ich weiß gar nicht warum, aber ich fühle mich gleich richtig wohl.

Mein erster Gang – ich trau es mich ja fast gar nicht zu sagen – führt mich schnurstracks aufs Klo, wo ich unbedingt Wasser aus dem Wasserhahn trinken will. Man kann es sich vielleicht nur schwer vorstellen, aber nach zehn Monaten in Asien ist das zumindest jetzt erstmal etwas total Besonderes für mich. Über zehn Monate musste ich mein Wasser ja kaufen und konnte das Wasser aus dem Hahn allenfalls zum Zähneputzen oder für den Abwasch verwenden. Das ist irgendwann einfach so normal, dass man nicht mal mehr den kleinsten Gedanken daran verschwendet. Und jetzt – jetzt bin ich in Australien und kann auf einmal wieder einfach das Wasser aus der Wand trinken. Ich bin vollkommen fasziniert. Wie gesagt, sicher kann man sich das gar nicht so richtig vorstellen, wenn man in Mitteleuropa lebt, aber es ist eben doch nicht so selbstverständlich einfach Wasser aus dem Wasserhahn zu trinken. Klar, weiß man das alles irgendwie, aber dann selber mal so direkt zu erleben, wie toll das doch ist, einfach den Hahn aufzumachen und zu trinken, das ist schon ziemlich beeindruckend.

Frisch gestärkt gehts vom Klo in die kleine Flughafenhalle. Hier sammle ich meinen Fahrradkarton und die ganzen Taschen ein und gehe zur Pass- und Gepäckkontrolle. Die Grenzbeamten sind absolut tiefenentspannt, witzeln über das ganze Gepäck auf dem Wagen und erkundigen sich, wo denn die Reise hingehen soll. Bis Melbourne mit dem Fahrrad?! Ob ich denn wisse, wo Melbourne liegt? Ich kann doch auch einfach das nächste Flugzeug nehmen. Geht doch viel schneller. Diese Deutschen….

Nachdem die Formalitäten geklärt sind und ein weiterer Stempel in meinen Pass gedrückt wurde, schiebe ich den Karton und die in Folie verpackten Taschen an eine Straße vor das Flughafengebäude. Wie ruhig und sauber hier alles ist. Und so kühl. Schon beim Verlassen der Halle spüre ich die angenehme Morgenfrische und atme gleich ein paar Mal tief durch. 18°C – ein Traum nach über vier Monaten in den Tropen. Wasser aus dem Hahn, die Ruhe und das frische, kühle Wetter, das reicht erstmal für ein paar kleine Kulturschocks. Und sicher kommt da noch was – ich hab den Flughafen ja gerade erst verlassen.

Gerade jetzt merke ich, dass ich doch ganz schön lange in Asien unterwegs war und mich dabei unmerklich an so viele Alltäglichkeiten in den einzelnen Ländern dieses Riesenkontinents gewöhnt habe. An Positives, wie Negatives. Und so sind es bei meiner Ankunft in Australien eben das Wasser aus dem Hahn, die Ruhe und Sauberkeit auf der Straße und die Temperaturunterschiede, die mir auffallen. Es ist schon verrückt: das, was eigentlich so vertraut sein müsste, fühlt sich total ungewohnt und fremd an. Und doch ist es so, dass ich mich auf einmal fast wieder wie zu Hause fühle, obwohl ich ja jetzt quasi auf der anderen Seite der Erde bin. Ziemlich verwirrend gerade.

Draußen vor dem Flughafengebäude frage ich nach einem Platz, wo ich mein Rad zusammenbauen kann. Man zeigt mir ein ruhiges Eckchen, wo ich schalten und walten kann und wo es zwischenzeitlich auch ziemlich wüst aussieht; aber nach einer knappen Stunde ist alles zusammengebaut, verpackt, aufgeladen und festgezurrt und es kann losgehen. Erstmal ohne großes Ziel. Einfach Richtung Stadt.  Ich genieß es wieder richtig auf dem Rad zu sitzen. Fühlt sich ganz neu an mein Radl, nachdem alles mal wieder gefettet, geölt und neu eingestellt ist. Macht richtig Spaß zu fahren. Besonders nach der doch recht langen, krankheitsbedingten Pause.

Auf einem perfekt ausgebauten Radwegenetz geht es Richtung Brisbane. Unterwegs seh ich viele Radfahrer, die auf Rennrädern, Mountainbikes oder Liegerädern unterwegs sind. In Asien eine ziemliche Seltenheit. Zumindest die Fahrradnutzung als Sportgerät. Einige Radfahrer halten an und fragen, ob ich irgendwie Hilfe brauche oder aber wir kommen einfach so ins Gespräch. Total spannend, die ersten Meter in Australien.

Am frühen Nachmittag komme ich nach vielen Pausen und Extrarunden in und um Brisbane in einem Hostel etwas außerhalb der Stadt an. Hier gibts jetzt erstmal wieder einen Tag Pause. Oder auch zwei. Die nächsten Tage wollen geplant werden und außerdem brauch ich auf jeden Fall noch einen Tag, um so richtig in Australien anzukommen. So ein Flug von 6000 Kilometern ist dann doch nochmal etwas anderes als ein einfacher Grenzübertritt. Am Samstag oder Sonntag wirds dann von hier aus aber weiter gehen. Richtung Süden. So weit möglich immer in Küstennähe. Die Strände sollen hier ja zu den besten der Welt gehören. Hat mir heute ein Australier voller Stolz erzählt. Na da bin ich aber mal gespannt….