Unterwegs auf der Great Ocean Road

Stopp. Was war das? Hat sich da nicht gerade eine meiner Taschen bewegt? Hm, alles ruhig, werd mich wohl nur verguckt haben. Ich sitze im Zelt, irgendwo mitten im Wald. Draußen ist es lange schon dunkel und es regnet in Strömen. Die Great Ocean Road hab ich am frühen Nachmittag verlassen, um auf einem abgelegenen Rastplatz im Otway-Nationalpark zu übernachten. Ich bin umgeben von Bergen und Wald und in ein paar Metern Entfernung kann man das Rauschen eines über die Ufer getretenen Baches hören. Außer mir keine Menschenseele hier. Könnt richtig idyllisch sein, wenn das Wetter besser wäre. In den letzten Tagen hat es allerdings oft geregnet. Die Luft ist schwer und nasskalt und der Boden ziemlich aufgeweicht. Aufgrund dessen ist es momentan gar nicht so einfach einen guten Platz fürs Zelt zu finden.

Aber was das betrifft, hatte ich heute Glück. Hab mir ja extra auch eine Unterlegplane besorgt. Daher ist mein Zelt zumindest von unten immer noch schön trocken. Trotz der Nässe draußen ist es irgendwie gemütlich im Zelt. Vor mir brennt mein kleiner Gaskocher vor sich hin und ich sitze dick eingepackt mit Mütze, Schal und Jacke auf meiner Isomatte und rühre im Schein meiner Kopflampe die im Topf dampfenden Nudeln und das Gemüse um. Noch drei Esslöffel Tomatenmark dazu, ein bisschen Salz und Pfeffer und dann kurz ziehen lassen. Hab schon richtig Hunger. Das Abendessen ist immer einer der Höhepunkte des Tages für mich. Und da können dann auch unglaubliche Mengen weggehen. Mein 1,5-Liter-Topf reicht oftmals gerade so aus und ist meist randvoll gefüllt. Radfahrer haben halt immer viel Hunger.

Da! Jetzt hab ichs wieder gesehen. Meine Tasche. Schon wieder hat sie gewackelt. Jetzt muss ich aber mal nachschauen. Vorsichtig gehe ich in die Hocke und beuge mich langsam nach vorne – bloß nicht den Topf mit dem Essen umschmeißen, (wäre nicht das erste Mal). Und tatsächlich…ich hab Besuch. Hinter einer meiner Taschen sitzt eine dicke Ratte und schaut mich aus großen schwarzen Augen an. Wahrscheinlich kann sie mich wegen des grellen Lampenlichts nicht sehen, denn sie schaut vollkommen unbeeindruckt zu mir herauf. Als ich mich bewege, verschwindet sie allerdings sofort nach draußen. Ich muss an Thomas und Jeremy und unsere vier Tage am See denken. Die beiden hatten damals auch eine Ratte im Zelt gehabt. Nachts, als sie mal kurz die Augen aufgemacht haben, haben sie sie entdeckt, wie sie auf der Spitze ihres Innenzeltes saß. So etwas sorgt sicher für bleibende Erinnerungen. Ich habs da ja noch richtig gut erwischt. Und meine Ratte ist ja auch gleich wieder verschwunden.

Die Freude währt allerdings nicht lang – ich bin gerade am essen – da kommt sie schon wieder unter dem Außenzelt durchgekrabbelt. Ganz schön frech. Meine Anwesenheit kümmert sie scheinbar nicht im geringsten. Sie rennt ums Innenzelt herum, verschwindet unter der Unterlegplane, taucht an anderer Stelle wieder und versteckt sich dann zwischen meinen Taschen. Oder ist sie jetzt da irgendwo reingekrabbelt? Oh man… Ich schau nach, kann aber nichts finden. Aber mein gepflegten Abendesssen kann ich für heute wohl vergessen. Ich ess schnell fertig, verstaue das, was ich heute Nacht nicht zwingend brauchen werde in meinen Taschen, schlepp alles raus aufs Plumsklo, wo ich schon mein Fahrrad untergestellt habe und befestige die Taschen an den Gepäckträgern. Sicher sind die dort besser aufgehoben als am Zelt.

Wie erwartet, wird die Nacht unruhig. Um mich herum raschelt es in unregelmäßigen Abständen. Dazu nehme ich immer wieder Nagegeräusche wahr. Mal links, mal rechts, mal dicht neben mir und mal ein paar Meter weiter weg. Ich hör die Ratte unter der Plane verschwinden und merke dann irgendwann auch, wie sie aufs Innenzelt hopst und herunterpurzelt. Ich verzieh mich in die Innenzeltmitte, was bei einem Einmannzelt bedeutet, sich ganz schmal zu machen und zusammengerollt mit angezogenen Beinen zu schlafen. Hab nämlich keine Lust mit einer Ratte auf meinem Gesicht oder auf den Füßen aufzuwachen. Das würde dann bei mir für bleibende Erinnerungen sorgen. Gegen vier oder fünf ist mein Besuch dann endlich verschwunden und ich finde noch ein paar verdiente Stunden Schlaf.

Am nächsten Morgen ein kurzer Zeltcheck. Zum Glück ist nichts angenagt oder dergleichen. Aber ich hab vier kleine Geschenke vor meiner Zelttür liegen. Naja, ich habs ja überlebt.
Nach einem Müslifrühstück geht es über Waldwege und kleine Landstraßen wieder zurück auf die Great Ocean Road. Neben Sydney war die sie ja der Grund, warum ich mich bei meiner Routenplanung für die Ostküste Australiens entschieden haben. Aber selbst wenn ich nicht schon vor meiner Reise von der Great Ocean Road gelesen hätte, so wäre ich doch spätestens hier darauf aufmerksam geworden. Immer wieder wurde nämlich in den vielen Touristen-Informationscentern auf meinem Weg nach Süden von der Great Ocean Road geschwärmt. Die dürfe ich auf gar keinen Fall verpassen. Eher sollte ich weniger Pausen machen, aber Australien ohne die Great Ocean Road geht nicht. Wie oft hab ich das gehört. Und nicht nur in den Infocentern. Oft auch auf der Straße. Es war also klar, dass da kein Weg dran vorbeiführen kann.

Die Great Ocean Road beginnt in der Nähe von Melbourne und ist vor allem erstmal eine ganz normale Landstraße. Sie wurde nach dem Ersten Weltkrieg hauptsächlich von Kriegsheimkehrern als eine Art Arbeitsbeschaffungs- und Wiedereingliederungsmaßnahme errichtet, um die vielen, teilweise nur per Boot zu erreichenden Küstenorte zu verbinden, aber auch um ein Denkmal für die im Krieg gefallenen Kameraden zu schaffen. Die Great Ocean Road gilt daher auch als eines der größten Kriegsdenkmäler der Welt. Was sie so besonders macht, ist zum einen eben dieser Fakt, zum anderen ist es aber ihr Verlauf und ihre Umgebung. Sie beginnt in Torquay, einem kleinen Ort direkt an der Südküste und verläuft dann zum Teil äußerst spektakulär, direkt an der zerklüfteten Meeresküste entlang Richtung Westen. Unglaublich beeindruckend. Sie führt vorbei an Stränden, die wegen ihrer hohen Wellen gerade bei Surfern sehr beliebt sind, über Berge und durch die Regenwälder des Great-Otway-Nationalparks, vorbei an kleinen Ortschaften, Farmen und am Ende dann auch mal an einer eher unbesonderen Agrarlandschaft. Landschaftlich ist die Strecke also sehr abwechslungsreich.

Mit Sicherheit ist die Great Ocean Road eines der touristischen Highlights in Victoria. Man kommt von Melbourne recht einfach hin und kann sie sich selbst dann auch ganz individuell in kleinere Tagesetappen einteilen und abfahren. Kleine Etappen reichen auch vollkommen aus, denn es gibt wieder so viele schöne Ecken, dass man eigentlich alle paar Meter anhalten muss. Vielerorts kann man aber auch Tagestouren buchen und die 241 Kilometer im Minibus an einem Tag abfahren. Ich lass mir aber Zeit. Insgesamt neun Tage brauche im vom Anfang bis zum Ende.

Sie war nochmal ein schöner Abschluss meiner Zeit in Australien, die Great Ocean Road. Nach 3756 Kilometern und fast drei Monaten im Land – die mir im Rückblick aber eher wie zwei kurze Wochen vorkommen – bin ich jetzt zum zweiten Mal in Melbourne angekommen. Die nächsten beiden Tage wird es für mich nochmal einiges zu organisieren geben. Am Donnerstag geht nämlich mein Flug nach Neuseeland. Bis dahin muss ich mir noch einen Karton für mein Fahrrad besorgen, mein Zelt, die Heringe und mein Rad wegen der Quarantänebestimmungen in Neuseeland gründlich putzen, das Rad dann auseinanderbauen und abreisefertig verpacken und mich auch schon um einem Rückflug nach Deutschland kümmern. Ein Rück- oder Weiterflugticket ist nämlich für die Einreise nach Neuseeland zwingend erforderlich. Es gibt also noch einiges zu tun.

Rückblickend kann ich sagen, dass Australien ein absoluter Traum gewesen ist. Sowohl landschaftlich, als auch was die Menschen betrifft, die ich hier getroffen habe, Australier wie Nichtaustralier. Vor allem die freundlich-lockere und unkomplizierte Mentalität der Australier hat es mir irgendwie angetan. Ganz besonders mochte ich immer das euphorische „No worries.“, als Antwort darauf, wenn man sich irgendwo bedankt hat und das „How is it goin‘ mate?“ zur Begrüßung, das immer gleich eine total entspannte Atmosphäre geschaffen hat. Egal ob an einem Rastplatz, an der Kasse oder irgendwo am Strand. Geschwärmt wurde hier in Australien hingegen sehr oft von Neuseeland. Daher bin ich jetzt schon ganz gespannt, was mich da wohl erwarten wird.

Das letzte Land auf meiner Reise. Übermorgen gehts los…..

 

 

 

Fiese Hügel und freundliche Menschen

In einer langgezogenen Kurve führt die Straße den Hügel hinauf. Schon von der Talsohle aus lässt sich das etwa einen Kilometer entfernte Ende der Steigung erkennen. Der vor mir liegende Höhenunterschied kann eigentlich kaum mehr als 30 Meter betragen, aber wegen des sehr flachen Anstiegs wird es jetzt erstmal wieder eine gefühlte Ewigkeit bergauf gehen, so dass ich erneut ordentlich in die Pedale treten muss. Mit dem ganzen Gepäck reicht schon eine geringe Steigung von wenigen Prozent aus, dass ich ein paar Gänge hochschalten muss und bald nur noch im Schritttempo vorankomme. Oben angekommen bleibt dann aber nicht wirklich viel Zeit, um sich auf die Schulter zu klopfen und durchzuatmen. Ziemlich schnell geht es auf der anderen Hügelseite nämlich wieder bergab, nur um dann bald schon dem nächsten Anstieg entgegenzuradeln. Dreißig Höhenmeter bergauf, zwanzig bergab, vierzig bergauf, fünfzig bergab….so geht das in einer Tour. Im Prinzip schon seit den letzten 2300 Kilometern bzw. fast seit Brisbane. Es gab bestimmt auch mal flache Abschnitte zwischendrin. Aber das können nicht wirklich viele gewesen sein.

Die Ostküste Australiens strengt mich ganz schön an. Sowohl körperlich als auch mental. Auf jeden Fall mit der Zeit. Die Anstiege sind eigentlich nie viel länger als zwei, drei Kilometer, aber die Tatsache, dass hinter dem nächsten Berg immer noch ein weiterer und dann noch ein weiterer kommt, ohne dass das irgendwann mal ein Ende zu haben scheint, zehrt ganz schön an der Substanz. Im Auto merkt man das überhaupt gar nicht. Ein, zwei Prozent erscheinen da immer noch total flach. Man schaut einfach aus dem Fenster und kann völlig entspannt die schöne Landschaft genießen. Ganz anders auf dem Fahrrad. Da bemerkt man selbst flache Anstiege sofort und muss sich die nächste Hügelkuppe dann manchmal auch ganz schön hart erkämpfen. Gerade am Abend, wenn es langsam dunkel wird, man endlich am nächsten Rastplatz ankommen möchte – der ja laut Karte auch gar nicht mehr weit entfernt ist –die Fahrtzeit sich durch die ganzen Hügel aber noch eine Stunde in die Länge ziehen wird, kann das ganz schön an die Nerven gehen. Was hab ich da schon umhergeflucht…

Und dennoch: trotz aller Anstrengungen würde ich Australien schon jetzt zu den schönsten Abschnitten meiner Reise zählen. Landschaftlich ist die Ostküste ein absoluter Traum. Tiefe Wälder, ein Nationalpark nach dem anderen, einsame, oft kilometerlange Strände, Felder, Wiesen, Weiden und beschauliche Ortschaften wechseln einander ab. Und überall ist es schön. Anstrengend zu fahren zwar, aber schön. Jeden Tag komm ich mehrmals an Ecken vorbei, wo ich einfach anhalten und eine Pause machen muss. Deswegen wirds dann abends manchmal ganz schön knapp von der Zeit. Oft erreiche ich meinen Lagerplatz erst nach Einbruch der Dunkelheit. Gekocht und gegessen wird daher meist im Schein meiner kleinen Stirnlampe.

Die Tage sind kurz in Australien. Gerade jetzt, wo der Winter begonnen hat. Sonnenaufgang ist erst kurz nach sieben. Die Dämmerung setzt allerdings schon gegen 16:45 Uhr ein. Um sechs ist es bereits stockdunkle Nacht. Und genauso fühlt sich das dann auch an. Als wär es schon zehn oder elf Uhr abends. Im Dunkeln gibts am Zelt dann nicht mehr viel zu tun. Daher lieg ich abends nach dem Essen und dem Abwasch oft schon gegen sieben im Schlafsack, les und schreib manchmal noch ein bissel – so wie jetzt –  hör ein Hörbuch oder dämmer einfach langsam weg. Je nach Anzahl der abgefahrenen Berge. Morgens steh ich, wenn nicht gerade eine längere Etappe ansteht, oft erst gegen sieben auf, frühstücke gemütlich und fahr dann gegen neun, halb zehn los. Morgens Zeit zu vertrödeln, hab ich mir irgendwie nie abgewöhnen können. Aber das macht ja eigentlich auch gar nichts. Es gibt keine Termine und keinen wirklichen Zeitdruck. Höchstens vielleicht die einbrechende Dunkelheit. Unglaublich entspannend, den Tagesablauf nach der Sonne auszurichten. Besonders am Abend, wo man dann eben schon um sieben einfach ungestraft ins Bett gehen kann.

Es ist aber nicht nur die Umgebung und die Natur, wegen der Australien zu einem der Highlights meiner Tour geworden ist. Vor allem sind es die Menschen hier. Es ist immer wieder ganz unglaublich, wie aufgeschlossen die Australier mir begegnen. Hätt ich so nie erwartet. In Asien hab ich mir nämlich auch schon sagen lassen, dass ich hier wieder auf eine eher westlich-reservierte Mentalität treffen werde. Ich erleb das aber ganz anders. Wirklich jeden Tag treffe ich Menschen, die so freundlich und hilfsbereit sind, dass ich das manchmal selbst kaum glauben kann. Es erinnert mich sehr an den Iran.

Australier unterhalten sich unglaublich gerne und sind dazu auch unglaublich offen. Und so passiert es häufig, eigentlich täglich, dass ich, wenn ich bspw. irgendwo sitze und eine Pause mache, mein Zelt trockne oder am Straßenrand einen kurzen Blick auf die Karte werfe, von irgendwem angesprochen werde. Oft sind das dann total interessante Begegnungen mit Menschen, die zum Teil richtig spannende Lebensläufe haben. So lern ich z. B. Peter kennen, einen 82jährigen Waliser, der mit 76 Jahren Haus und Hof in Wales verkauft hat und nach Australien ausgewandert ist, weil sein Sohn hier mit seiner Familie lebt. Jetzt hat er hier ein kleines Häuschen in Strandnähe, ab und zu kommt sein Sohn mit der Familie vorbei und wenn die mal nicht da sind, läuft Peter mit seinem Metalldetektor gerne die Strände ab, um vielleicht eines Tages mal den ganz großen Fang zu machen. Das Meer spült hier ja so einiges an, wie er sagt. Und Peter erzählt auch so einiges von früher, von seiner Zeit als Militärpolizist in West-Berlin, lange vor dem Mauerbau. Gerade für mich als Ossikind total interessant.

Aber auch so erfahre ich immer wieder eine große Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit. Eigentlich wo ich geh und steh. Auf Rastplätzen werd ich zum Abendessen, zum Kuchen und auch immer wieder zum Kaffee trinken eingeladen, bekomm auch schon mal Kohle für meinen kleinen Kocher mit auf den Weg, Schokoladensojamilch oder auch mal Kaffee (wenn die Australier und ich etwas gemeinsam haben, dann ist es eine gewisse Kaffeesucht), einen Polizisten im Ruhestand, der mir ganz stolz seine alte Polizeimarke zeigt, kann ich nicht davon abhalten, während ich einkaufe mein Fahrrad zu bewachen, ein Motorradfahrer, der auf dem Weg nach Norden ist, gibt mir seine Handschuhe für den kalten Süden mit und Billy, ein Rennpferdzüchter, der am Nachmittag mit seinem Pickup an mir vorbeigefahren und kurz gehalten hat, besucht mich abends ganz überraschend mit zwei Dosen Bier am Zelt – nur um zu schauen, ob alles ok ist. Und das sind nur die Beispiele, die mir jetzt gerade auf die Schnelle einfallen.

Und ähnlich wie im Iran, wo es häufig hieß: Welcome to Iran, bekomm ich hier zum Abschied oft ein „Enjoy Australia!“ mit auf den Weg. Und ich muss sagen, sich hier wohlzufühlen, wird einem auf jeden Fall richtig leicht gemacht. Und da ist es dann wirklich auch verschmerzbar sich am Abend noch ein paar Hügel hochzuschimpfen.

Und es ist ja nicht so, dass es kaum vorangeht. Mein zweites Etappenziel Melbourne hab ich jetzt nämlich bald erreicht. Nach nur etwas mehr als drei Wochen. Hätt ich nicht gedacht, dass das so schnell geht. Am Sonnabend müsste ich es eigentlich geschafft haben. Zwei, drei Tage Pause werd ich mir in Melbourne dann gönnen, bevor es mit der Great Ocean Road dann auf die letzte Etappe in Australien gehen wird. 

 

Sydney, ich komm wieder

Fünf Tage Sydney liegen hinter mir. Hab mal wieder leicht überzogen. Aber diesmal musste es wirklich sein. Und es war ja auch nur ein Tag. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten es aber ruhig noch mehr sein können. Bei dieser Stadt wundert das jedoch nicht wirklich. Gerade dann, wenn man zum ersten Mal hier ist. Ich habs ja schon bei der Einfahrt in den Hafen gewusst, dass Sydney mir gefallen wird, aber meine kühnsten Erwartungen wurden nochmal deutlich übertroffen. Sowohl was das Stadtbild selbst betrifft, als auch die nähere Umgebung, das kulturelle Angebot und die unglaublich interessante Geschichte.

1788 fing sie genau hier an, die Geschichte des heutigen Australiens – mit der Ankunft der Ersten Flotte. Die Erste Flotte war ein Schiffsverbund aus England, der Sträflinge, deren Aufseher, Militärangehörige und Verwaltungspersonal hierherbrachte. Anfangs als reine Sträflingskolonie geplant und geführt, siedelten sich aber auch bald freie Siedler hier an. Sydney wuchs und auch andere Landesteile zogen im Laufe der Zeit immer mehr Einwanderer an.

Aber der Ort an dem alles begann, war eben Sydney. Und diese geschichtsträchtige Bedeutung bemerkt man an ganz vielen Orten in der Stadt. Oft anhand von Kleinigkeiten: kleinen Schildern an Hauswänden, in Parks, die eine geschichtliche Besonderheit dieser Stelle beschreiben, Plaketten im Hafenbereich, die die Uferlinie von 1788 nachzeichnen und viele andere liebevolle Details, durch die man als Besucher quasi von selbst anfängt sich für die Stadtgeschichte zu interessieren. Aber natürlich gibt es auch viele Museen, die sich speziell auch diesem Kapitel australischer Geschichte widmen. In einem davon, den Hyde Park Barracks, war ich gleich an zwei Tagen hintereinander, weil es so interessant war und die Zeit am ersten Tag einfach nicht gereicht hat. Obwohl es ja ein recht kleines Museum ist. Sogar das Gebäude selbst ist als Museum gestaltet worden. Man sieht freigelegte Mauer-, Tapeten- und Deckenfragmente aus verschiedenen Epochen, kann Sträflingskleidung oder typische Kleidung aus den Anfangsjahren Sydneys anprobieren und sich in die Hängematten der Sträflinge oder die Betten der Immigrantinnen legen, die dieses Haus über die Jahre hinweg beherbergt hat. Ein Museum zum Anfassen und Mitmachen sozusagen.

Um einen allerersten Eindruck von der Stadt zu bekommen, nehm ich noch vor meinem Museumsbesuch an zwei verschiedenen Stadtrundgängen teil, sogenannte „Free Walking Tours“. Man trifft sich einfach zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Punkt und gibt am Ende das, was man möchte. Diese Touren werden von einer Gruppe ehemaliger Studenten angeboten, allesamt Original-Sydneyer, so dass man auf jeden Fall einen guten Überblick über die Stadt erhält, interessante Ecken und Anekdoten kennenlernt und viele Infos aus erster Hand bekommt. Nicht nur etwas zur Geschichte sondern zum Beispiel auch, wo es die Kneipen mit der größten Auswahl an australischem Bier gibt, wo man Pizzen mit Kängurufleisch bekommt und in welchem Gebäude man, wenn man die 29 $ Eintritt für den 293 Meter hohen Sydney Tower sparen will, kostenlos eine fast genauso gute Aussicht genießen kann. Dank dieser Touren kann man zumindest mal die Innenstadt etwas kennenlernen.

Und die gefällt mir richtig gut. Eine gelungene Mischung aus alter und neuer Architektur, dazu ist es schön grün, es gibt viele Bäume, einige Parks, in denen man sich erholen kann, außerdem viele Pubs und Bars, Märkte, einen Botanischen Garten, den Hafen und nicht zu vergessen das nahe Meer. Und dazu wirkt Sydney richtig idyllisch, obwohl es ja riesige Ausmaße hat und mit seinen knapp 400 Vororten flächenmäßig deutlich größer ist als Berlin oder Paris. Besonders „The Rocks“, das ehemalige Sträflingsviertel im Innenstadtbereich hats mir irgendwie besonders angetan. Direkt am Hafen gelegen findet man hier in den verwinkelten Gassen viele kleine, gemütliche Kneipen, Tante-Emma-Läden und einige, wieder nett hergerichtete Hotels aus Sydneys Anfangstagen.

Aber auch die Umgebung Sydneys hat wiegesagt einiges zu bieten. Zusammen mit Jia aus China und Tatsushi aus Japan, die ich beide im Hostel kennengelernt habe, mache ich eine Küstenwanderung vom Bondi-Beach, einem der bekanntesten Pazifikstrände Australiens, bis zum Coogee-Beach. Das sind zwar nur sechs Kilometer, aber da es dort so viele schöne Ecken gibt und man wieder überall anhalten muss, kann diese kleine Wanderung schon mal fast den ganzen Tag dauern. So wars zumindest bei uns.

Ach, ich bin ja richtig begeistert. Ich könnt mich hier noch seitenlang über Sydney auslassen. Aber wenn ich damit jetzt anfange, würde das vollkommen den Rahmen sprengen. Eigentlich wär ich ja gern noch geblieben, aber ganz am Ende meiner Etappe in Australien wartet ja noch die Great Ocean Road auf mich. Und da ich Richtung Melbourne auf dem etwas längeren Küstenabschnitt unterwegs sein werde, hab ich mich am Montag mal wieder auf den Weg gemacht. Will mich ja nicht abhetzen.

Aber…ganz tolle Stadt. Leider von Deutschland aus gesehen nicht gerade um die Ecke gelegen. Trotzdem aber auf jeden Fall eine Reise wert. Ich komm bestimmt nochmal wieder.

Eine unerwartete Begegnung in der Nacht

Eine einsame Schotterstraße im Wald. Vor mir seh ich schon seit einiger Zeit nur den Lichtkegel meiner Vorderlampe und schemenhaft die Umrisse von Baumwipfeln, die sich vom Nachthimmel abheben. Der letzte Ort liegt bereits ein paar Kilometer hinter mir und außer dem Wald, einer nahen Meeresbucht und vereinzelt ein paar Häusern auf der rechten Seite gibts hier eigentlich nicht mehr viel. Und es kommt auch nicht mehr viel, denn laut Karte hört der Weg in ein paar Hundert Metern mitten im Wald einfach auf. Hier in der Nähe soll es hier aber eine kleine Wiese geben auf der man zelten kann. Direkt am Wasser irgendwo. Und da will ich hin.

Dank Smartphone ist es in Australien nicht wirklich schwer Plätze dieser Art zu finden. So gut wie jeder, den ich hier getroffen habe und der in irgendeiner Form unterwegs ist, reist mit einer bestimmten App – WikiCamps heißt die. Und diese App ist so dermaßen praktisch, dass man nach ein paar Tagen gar nicht mehr drauf verzichten möchte. Auf einer Karte zeigt sie einem nämlich alles Mögliche an, was man als Reisender so brauchen kann: verschiedene Rast- und Zeltplätze und sonstige Unterkunftsmöglichkeiten, Parks, in denen man kochen und manchmal auch kostenlos duschen kann, in denen man Trinkwasser vorfindet, aufs Klo gehen kann und irgendwie an Strom kommt. Außerdem werden sog. Points of Interest aufgeführt, also bspw. Strände und Museen, aber auch Wäschereien, Obst- und Gemüsemärkte, der östlichste Punkt Australiens oder aber der höchste Baum von New South Wales. Dazu werden alle diese Punkte von Nutzern der App beschrieben und bewertet. Manchmal gibts auch Fotos. Und mit einem Tastendruck kann man sich dann sogar direkt zu seinem gewünschten Reiseziel navigieren lassen. Wirklich ungemein praktisch und hilfreich.

Gerade bei der Unterkunftssuchen nutze ich diese App oft, denn normale Unterkünfte – egal, ob Hostels, Campingplätze oder Caravanparks, sind in Australien im Allgemeinen ziemlich teuer und wildes Campen war zumindest auf meinem Streckenabschnitt bisher nur selten möglich, weil das Gelände abseits der Straßen meist direkt zu irgendwelchen Farmen gehört und daher fast alles eingezäunt ist. Ich versuch daher immer irgendwelche kostenlosen Plätze zu finden und hangele mich dabei quasi von einem Rastplatz zum nächsten. Und heute gehts eben zu einer kleinen Wiese am Wasser. Ziemlich abgelegen ist sie. Aber so weit kann es jetzt nicht mehr sein. Der nächste Weg, der links abgeht, sollte mich eigentlich dorthin bringen. Dann wird erstmal schön das Zelt aufgebaut und lecker gekocht. Freu mich schon auf einen Topf voll dampfender Nudeln, Gemüse und leckerer Tomatensoße.

Und wie ich so durch die Nacht fahre, werde ich plötzlich abrupt aus meinen Gedanken gerissen. Ich höre nur noch ein Bellen rechts von mir und dann seh ich auch schon einen Schatten über ein Grundstück huschen. Einen ziemlich großen Schatten. Den Bruchteil einer Sekunde wünsch ich mir noch, dass das Tor geschlossen ist, aber fast im gleichen Moment seh ich hinter mir auch schon einen Hund durch das geöffnete Tor auf mich zu preschen. Augenblicklich bremse ich mein Fahrrad ab und halte an. Normalerweise wäre der erste Reflex ja so schnell wie möglich davon zu fahren. Aber wenn es nicht gerade die nächsten Kilometer bergab geht, ist das mit einem Reiserad ein absolut aussichtsloses Unterfangen. Innerhalb kürzester Zeit würde man selbst von einem kleinen Hund eingeholt worden sein. Wenn man aber anhält, dann bleibt auch der Hund in einiger Entfernung stehen. Hat immer funktioniert bisher. „You stop, they stop.“  Das war einer der wichtigsten Ratschläge, die ich auf meiner Reise bekommen habe. Damals, noch in der Türkei, nach meiner Begegnung mit den Kangals. Vier einfache Worte, die sich schon bei den ersten zögerlichen Versuchen meinerseits als absolut praxistauglich erwiesen und mir seit dem unzählige nervenaufreibende Verfolgungsjagden erspart haben.

So auch diesmal. Kaum hab ich gebremst, stoppt auch der Hund und lässt immerhin einen Abstand von knapp vier, fünf Metern zwischen uns. Vom Erscheinungsbild einer Dogge ziemlich ähnlich und auch fast genauso groß, hüpft er bellend vor mir hin und her.
Bis an diese Stelle hab ich ähnliche Situationen wie gesagt schon oft erlebt und es lief immer fast genau gleich ab. Daher bin ich auch noch nicht allzu nervös. Normalerweise würde sich die Situation jetzt ziemlich schnell auflösen. Der Hund würde noch ein paar Mal bellen und man würde ihm sein Irritiert-sein über die neue Situation förmlich ansehen können. Und dann würde er ziemlich bald Kehrt machen und wieder verschwinden. Ich würde währenddessen auf mein Rad steigen, weiterfahren und die Sache wär erledigt. So lief das bisher jedes Mal ab. Egal, ob es nur ein einzelner Hund, ein Paar, oder ein ganzes Rudel gewesen ist.

Diesmal ist es jedoch anders: mein Hund will einfach nicht gehen. Sobald ich Anstalten mache auf mein Rad zu steigen, kommt er bedrohlich nahe, so dass ich wieder absteigen muss und er sich dann wieder ein Stück zurückzieht. Nach wie vor hüpft er außerdem bellend vor mir auf und ab und versucht auch immer wieder ums Fahrrad herumzulaufen, was ich bisher quasi als letzte Barriere zwischen uns gehalten habe. Aber letztlich bleibt er immer hinter meinem Fahrrad. Mit Leichtigkeit könnte er ja einfach darüber hinwegspringen oder anderweitig an mich herankommen. Aber das ist offensichtlich gar nicht sein Plan, was schon mal sehr beruhigend ist. Nach zwei, drei erfolglosen Versuchen von hier wegzukommen ist es trotzdem vollkommen klar: eine Weiterfahrt ist nur mit Hilfe des Besitzers möglich. Zum Glück brennt im nahegelegenen Haus Licht, so dass ich anfange nach den Besitzern zu rufen und zu pfeifen. Bei jedem Pfeifton zuckt der Hund zusammen und zieht sich ein paar Meter zurück, kommt dann aber gleich wieder ein paar Schritte auf mich zu. Eine ziemlich verfahrene Situation. Genauso abrupt, wie die ganze Sache begonnen hat, ist sie dann bald aber auch schon wieder vorbei. Nach kurzer Zeit erscheinen die Besitzer auf der Veranda und rufen ihren Hund zu sich.  Der bellt nochmal kurz, läuft dann zurück ins Haus und ich hab den Schotterweg wieder allein für mich.

Puh….erstmal durchschnaufen. Während der ganzen Aktion war ich eigentlich ziemlich ruhig gewesen, aber auf einmal ist sie dann da, die Aufregung. Aber gut, ist ja alles glimpflich ausgegangen und aufgeregt sein kann ich auch noch während der Fahrt oder später am Zelt. Jetzt muss ich erstmal meinen Zeltplatz finden. Und dann will ich ja auch noch etwas essen.

Wie auf der Karte angegeben geht links bald ein kleiner Weg ab. Fast um 180° gedreht und ziemlich steil und unwegsam führt er herunter bis an den schmalen Uferstreifen einer Meeresbucht. Ganz ruhig ist es hier. Keine Menschenseele weit und breit. Ab und an hört man ein paar Vögel umherflattern. Hier kann ich heute bestimmt gut einschlafen. In den Reviews  zu diesem Platz hab ich allerdings gelesen, dass man sein Zelt hier nur bis zu einem bestimmten Wasserpegel aufbauen sollte. Andernfalls könnte es passieren, dass man nachts vom Wasser überrascht wird und in einem nassen Zelt aufwacht. Da ich hier nirgends eine Pegellatte finden kann, an der sich der aktuelle Wasserstand ablesen lässt, bau ich mein Zelt ganz am Rand der Wiese auf, in der Nähe des Weges. Da ist es auf jeden Fall trocken, während die Erde des Uferbereichs tatsächlich ziemlich durchnässt ist. Außerdem lass auch alle Taschen am Rad hängen. Für den Fall der Fälle. Nur die Isomatte, den Schlafsack und mein Kissen hole ich raus. Und dann….dann gibts aber wirklich erstmal mein wohlverdientes Abendessen.

Die Nacht ist ruhig und trocken. Gegen 5:30 Uhr werde ich vom Gezwitscher der Vögel geweckt. Aber da es noch ganz dunkel, bleib ich einfach noch liegen. Um  kurz nach sechs steh ich dann aber auf, koch schnell Kaffee und schau mir den Sonnenaufgang an. Echt ein schöner Platz, wo ich hier gelandet bin. Besonders jetzt am Morgen mit den wärmenden Sonnenstrahlen. Die tun richtig gut. Nachts wird es nämlich immer schon ganz schön frisch. Es reicht auf alle Fälle nicht mehr aus, dass ich meinen Schlafsack nur als Decke verwende. Im Prinzip von einer Nacht zur nächsten, musste ich den Reißverschluss fast bis oben hin schließen. Oft sind es jetzt morgens nur noch vier, fünf Grad, während tagsüber aber durchaus noch spätsommerliche Werte um die 25 °C erreicht werden.  

Nach einem kurzen Frühstück bau ich mein Zelt ab und mach mich wieder auf den Rückweg zur Straße und weiter Richtung Süden. Es bleibt landschaftlich weiterhin sehr abwechslungsreich und geht sowohl am Meer entlang als auch wieder durch die Berge. Genau wie die letzten Wochen.
Nach etwas über 1500 Kilometern in Australien bin ich gestern in Sydney angekommen. Halbzeit kann man sagen. Hier mach ich jetzt erstmal ein paar Tage Pause. Freu mich schon drauf, die heimliche Hauptstadt Australiens zu erkunden und ein bisschen auszuspannen.

Lucy und Paul und eine Wahnsinnsveranda

Zusammen mit Lucy und Paul sitze ich bei ihnen zu Hause auf ihrer Veranda.  Ihrem Traum von einer Veranda sollte ich sagen. Sicher fünfzehn Meter lang und drei Meter breit zieht sie sich über die gesamte Ostseite ihres Hauses. An jedem Morgen direkt vom Frühstückstisch aus die Chance auf einen Sonnenaufgang. Und was für einen. Ihre Terrasse liegt direkt am Meer. Höchstens siebzig Meter bis zum Strand und zwischendrin nur das Grün der Dünen. Kaum vorstellbar, dass diesen Blick ein Fünf-Sterne-Hotel toppen kann.

Paul und ich haben uns heute Nachmittag ganz zufällig getroffen. Ich war gerade in einem der vielen kleinen Parks, die es hier überall gibt, hab mir an einem der elektrischen Barbecue-Kochfelder mein Mittagessen gekocht und mich mit zwei Tschechen unterhalten, die hier Urlaub machen. Die beiden haben mein schwer beladenes Fahrrad gesehen und nach dem Woher und Wohin gefragt. Und dann haben sie angefangen in Erinnerungen zu schwelgen und von ihren Rucksackreisen durch Europa und Asien Anfang der 70er Jahre erzählt. Damals, noch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Wir unterhielten uns eine ganze Weile über Dies und Das, schwärmten von den Bierpreisen in der Tschechei und dann kam auf einmal Paul um die Ecke gejoggt und unsere kleine Unterhaltung ging zu viert weiter.

Irgendwann ging dann jeder wieder seiner Wege und ich kochte weiter an meinem Mittagessen. Paul kam dann aber nochmal zurück. Er war schon zu Hause und hat seiner Frau erzählt, dass er einen Radfahrer aus Deutschland getroffen hat. Sie meinte daraufhin, dass er mich doch einladen könne. Sie würde etwas Leckeres kochen und wir könnten dann ein bisschen erzählen. Die beiden fliegen nämlich in zwei Wochen nach München und wollen von dort durch Südosteuropa und Nordafrika reisen. Und so ein paar Tipps aus erster Hand wären da doch gar nicht schlecht. Paul und ich verabreden uns für den Abend. So hab ich noch genug Zeit und kann später noch eine Runde im Meer schwimmen gehen. Und eine Dusche wär bei der Gelegenheit eigentlich auch nicht schlecht. Die letzte liegt nämlich schon ein paar Tage zurück. Und die sauberen Reservewechselklamotten zieh ich am besten auch gleich an. Wie aus dem Ei gepellt mach ich mich dann gegen halb sechs auf den Weg.

Und so sitzen wir jetzt zusammen auf dieser Wahnsinssveranda. Von Lucy wurde ich total herzlich empfangen, so als würden wir uns schon Ewigkeiten kennen. Sie hat Lamm, Gemüse und Kartoffeln gekocht. Dazu gibt es Wein und Bier. Da es vorhin einen Stromausfall gegeben hat, ist die Terrasse nur von ein paar Kerzen erleuchtet. Passend zum Ambiente. Im Hintergrund hört man das dumpfe Grollen der Wellen, die sich am Strand und an den Felsen brechen.
Ich muss echt sagen, vor so schöner Kulisse hab ich selten zu Abend gegessen. Bis spät in die Nacht hinein sitzen wir hier und unterhalten uns über tausend verschiedene Dinge. Über Musik, Politik, australische Geschichte, die DDR und vor allem auch übers Reisen. Speziell das Reisen in Asien und ganz besonders das in Vietnam, das es uns allen dreien irgendwie angetan hat. Lucy und Paul schwärmen außerdem von Frankreich, Spanien und Portugal, wo sie im vorletzten Jahr unterwegs waren und ich erzähl vom Iran und China und auch von meinen ersten Wochen in Australien. Von Brisbane und den Tagen mit Jeremie und Thomas am See und von den letzten beiden Wochen.

Sehr vielseitig waren sie gewesen. Vor allem landschaftlich. Selten war die Umgebung in der ich gefahren bin so abwechslungsreich, wie auf meiner ersten Etappe hier in Australien. Vom Stadtverkehr in Brisbane und dem zersiedelten Umland gings zunächst durch den hügeligen, südöstlichsten Teil von Queensland, dann durch die Bergregion von Canungra, von dort zurück an die Küste und immer an dieser entlang, weiter Richtung Süden, bis zum östlichsten Punkt Australiens bei Byron Bay. Es war nicht übermäßig lang dieses Stück an der Küste, aber schon auf diesem kurzen Abschnitt gab es einige richtig schöne Strände zu sehen. Also eigentlich die schönsten auf meiner ganzen Reise. Die Strände in Thailand könnten da vielleicht noch mithalten. Aber ansonsten hab ich bisher nichts Vergleichbares gesehen. Oft kilometerlang, meist ziemlich einsam, mit unterschiedlichster Vegetation und mit zum Teil richtig hohen Wellen. Mein Favorit bisher ist der Wategos Beach am östlichsten Punkt Australiens. Schön klein, mit einem so phantastischen Blick auf eine bis zum Horizont reichende Bergkette, dass ich gleich mal zwei Tage geblieben bin.

Nach meiner ersten Küstenetappe gings dann wieder in die Berge und nach ein paar Tagen schon wieder zurück ans Meer. Ziemlich kreuz und quer. Innerhalb weniger Stunden hat sich dabei das Landschaftsbild oftmals komplett geändert. Morgens noch am Meer, ist man selbst mit meinem 45 kg schweren Reiserad bereits mittags längst in den Bergen und kann sich wie im Schwarzwald fühlen. Da kommen dann sogar in Australien richtige Heimatgefühle auf. Verkehrstechnisch ist es auch relativ entspannt – wenn man nicht gerade auf dem Pacific Highway unterwegs ist. Manchmal lässt sich das aber nicht vermeiden, denn der Pacific Highway stellt die Hauptverkehrsachse zwischen Brisbane und Sydney dar. Man könnte natürlich nur auf Nebenstraßen fahren, aber dann würde die Strecke schnell doppelt oder drei Mal so lang werden. Von daher muss es eben auch ab und zu mal auf dem Pacific Highway vorangehen. An sich fand ichs verkehrstechnisch bisher aber wiegesagt  ganz ok. Kein Vergleich zu Asien.

Aber auch so unterscheidet sich das Fahren hier sehr von dem in Asien. Es ist deutlich ruhiger. Und es wird auch überhaupt nicht mehr gehupt. Außer, wenn ich mal wieder zu weit rechts fahre. In Asien war das Hupen ja Gang und Gäbe. Es wird auch nicht mehr gewunken oder vom Straßenrand gegrüßt. Was das betrifft sind die Australier (zumindest die, die ich bisher getroffen habe) viel reservierter. Ins Gespräch komme ich aber trotzdem täglich. Üblicherweise dann, wenn ich mein Fahrrad irgendwo abgestellt habe, einkaufen bin oder eine Pause mache. Oftmals sind es Leute, die selbst viel reisen. Eben, so wie Paul.

Der Abend bei Paul und Lucy geht schnell vorbei. Und die Nacht irgendwie auch. Am nächsten Morgen werde ich ziemlich früh von einem warmen Bäckereiduft, der durchs ganze Haus zieht, geweckt. Paul hat gebacken. Neben dem frischen Brot gibts zum Frühstück Butter und Honig, schwarzen Tee mit Milch und dann noch Kaffee. Lecker. Beim Frühstück meint Lucy, dass sie heute nach Newcastle fahren und dort für ein paar Tage ihre Tochter besuchen. Wenn ich will, könnt ich aber ruhig noch ein paar Tage hier bleiben. Es wär dann halt keiner da. Klingt verlockend, besonders bei dieser Veranda und den Wetteraussichten der nächsten Tage. Das Angebot will ich dann aber doch nicht annehmen.

Irgendwie hab ichs ja fast auch schon wieder etwas eilig. Denn wenn ich auf die Karte schaue, ist Brisbane noch immer erschreckend nahe und Melbourne noch ziemlich weit entfernt. Es ist aber auch wirklich schwer hier mal einen Tag durchzufahren.  Überall gibt es schöne Ecken und am liebsten würde ich auch überall anhalten, wo es schön ist. Obwohl, eigentlich mach ich das ja auch meistens. Letzte Woche hab ich daher meinen Negativ-Tageskilometerrekord aufgestellt. Auf ganze sieben Kilometer bin ich da gekommen. Das zieht den Wochenschnitt natürlich ganz schön runter. Daher muss ich die nächsten Tage mal wieder etwas schneller fahren. Sonst schaff ichs nicht mehr bis zur die Great Ocean Road. Die liegt nämlich noch hinter Melbourne und ist neben Sydney der Grund dafür gewesen, warum ich mich bei meiner Routenwahl für die Ostküste Australiens entschieden habe.

Jetzt bin ich aber erstmal nochmal in den Bergen unterwegs. Kurz hinter Bellingen. War ein Tipp von Lucy. Morgen werde ich hier eine kleine Extratour machen. Bei der Touristeninfo hab ich nämlich ein paar schöne Routenvorschläge bekommen und konnte, weil es ja wirklich nur um die Ecke liegt, einfach nicht wiederstehen. Aber ab übermorgen gehts dann im Sauseschritt weiter Richtung Süden….