Ein nicht ganz leichter Abschied

Stickig und eng ist es. Die Luft riecht abgestanden und verbraucht und es geht nur hockend oder auf allen Vieren voran. Alle paar Meter eine kleine Lampe, die ihr gedämpftes Licht auf die braunen Sandwände wirft. Dazu dichtes Gedränge. Vor und hinter mir arbeitet man sich im Kriechgang voran. Hintereinander und in eine Richtung. Überholen geht nicht. Umkehren genauso wenig. Außer alle machen mit. Nicht gerade eine Traumumgebung, wenn man keine engen Räume mag. Immerhin gibt es aber nach 30 Metern einen Notausgang. Falls es einem dann doch zu viel werden sollte.

Ich bin in Cu-Chi, einem kleinen Ort nordwestlich von Saigon und schaue mir das Tunnelsystem der vietnamesischen Partisanen aus dem Vietnamkrieg an. Pflichtprogramm, wenn man in Saigon ist. Aber auch so stand Cu-Chi ganz oben auf meiner Liste. Es gibt wohl kaum einen Ort in Vietnam, an dem sich die jüngere Geschichte so praxisnah und eindrucksvoll erleben lässt. Und beeindruckend ist das Tunnelsystem in jedem Fall. Es wurde bereits in den 1940er Jahren im Krieg mit Frankreich angelegt und dann immer weiter ausgebaut. Allein in der Umgebung von Cu-Chi erstreckt es sich auf eine Länge von etwa 250 (!) Kilometern und verläuft zum Teil auf mehreren Ebenen. Im Vietnamkrieg reichte es sogar bis unter die amerikanischen Militärbasen. Mit einfachsten Mitteln wurden die Gänge in den harten Boden getrieben. Sie verbinden verschiedenste Räume miteinander: Konferenz- und Schlafräume, Lazarette, Bunker, Lager und Küchen. Um mit dem Rauch der Kochstellen nicht die Position der Gänge zu verraten, wurde nur morgens gekocht. Der Rauch wurde außerdem über ein spezielles Kaminsystem mit mehreren, größeren Zwischenräumen abgeführt. So konnte er langsam abziehen und sich unauffällig mit dem Morgennebel vermischen.

Die originalen Eingänge zum Tunnelsystem sind winzig klein. Wie auch die Gänge selbst. Nicht für westliche Touristen gemacht. Allerdings wurden einige Eingänge und Tunnel entsprechend angepasst, so dass man sich in diesen Gängen einigermaßen bewegen kann. Es ist allerdings schwer bis unmöglich die Eingänge zu den Tunneln zu finden. Bisher ist das wohl noch keinem Besucher geglückt. Sie sind extrem gut getarnt, wie uns ein Mitarbeiter der Museumsanlage eindrucksvoll demonstriert. Mit einigen Handbewegungen wischt er an irgendeiner Stelle auf dem Boden Blätter zur Seite und legt einen Eingang frei. Er öffnet den Deckel, verschwindet blitzschnell in dem Loch und ist kurze Zeit später nicht mehr zu sehen. Es ist wirklich beeindruckend diese Tunnel mal selbst zu erleben, die Enge zu spüren, in der die Partisanen hier zum Teil wochenlang ausharrten und zu sehen mit welch einfachen Mitteln eine so effektive und raffinierte Verteidigungsanlage geschaffen wurde, die trotz zahlreicher, z. T. recht aufwändiger Bemühungen der Amerikaner manchmal zwar entdeckt, jedoch nie komplett erobert oder zerstört werden konnte. Ein halber Tag. So viel Zeit bleibt in Cu-Chi. Und dann geht es per Bus zurück nach Saigon.

Saigon ist eine bunte und lebendige Stadt. Sie kann jedoch nicht gerade durch eigene Schönheit bestechen. Trotzdem zieht sie viele Menschen an. Die einen auf der Suche nach Arbeit und neuen Perspektiven, die anderen auf der Suche nach Erholung und Ausgleich. Vor allem im Stadtzentrum trifft man viele Touristen und eine auf sie ausgerichtete Infrastruktur: Bars, Restaurants und diverse Geschäfte reihen sich aneinander. Sogar Bäckereien findet man – in Asien eigentlich eine absolute Seltenheit. Dazu gibt es an jeder Ecke Unterkünfte für den kleinen und großen Geldbeutel und viele Reiseagenturen, die bei der weiteren Reiseplanung behilflich sind. Außerdem Museen, schöne Stadtparks sowie kleine und verwinkelte Gassen, die dazu einladen, einfach ziellos durch sie hindurchzuschlendern. Und so ist Saigon sicher einer der bedeutendsten Dreh- und Angelpunkte für Reisende in Südostasien. Es geht hektisch zu in Saigon. Aber es ist eine angenehme, eine ganz eigene  Hektik, die exotische Großstädte vor allem dann versprühen können, wenn man nur eine begrenzte Zeit bleiben muss. Insgesamt hält es mich drei Tage in der Stadt. Drei Tage, die mal wieder ziemlich schnell vorbei gehen. Eigentlich hätt ich ja wie immer noch länger bleiben können.

Am Sonnabend mach ich mich dann aber auf den Weg. In aller Frühe. Denn die Grenze zu Kambodscha schließt um 18 Uhr, so dass es, sollte ich zu spät ankommen, erst am nächsten Tag weiter gehen würde. Wenn ich mich beeile, könnt ichs allerdings innerhalb eines Tages schaffen. Am Morgen kann ich mir noch überhaupt nicht vorstellen, dass ich bald in Kambodscha sein werde. Ich hab mich so unglaublich an Vietnam gewöhnt, dass es auch gar nicht so einfach ist zu gehen. Aber irgendwann hat man eben auch mal so ein langes Land durchradelt und muss es eben weiter gehen. An der Grenze ein sich immer ähnelnder Ablauf: erstmal alle Fahrradtaschen abnehmen und durch den Röntgenscanner schieben, dann werden Pass und Visum kontrolliert ,bevor es im Anschluss durch die Transitzone zur nächsten Grenze geht. Neu ist diesmal, dass ich mein kambodschanisches Visum erst am Grenzschalter bekomme. Aber nachdem das in meinen Pass geklebt und abgestempelt ist, kann ich auch gleich weiterfahren.

Wieder ein neues Land und wieder ganz viel Unbekanntes. Ich finde es ja immer ziemlich aufregend eine neue Grenze zu passieren. Gerade, wenn ich zum ersten Mal in das jeweilige Land komme. Wenn man eine Weile in einem bestimmten Land unterwegs ist, richtet man sich irgendwie ein. Nach ein paar Tagen ist vieles vertraut. Man weiß, wie und wo man seine Unterkünfte finden kann, man kennt die gängigen Preise für Lebensmittel oder das Essen in Restaurants, die grundlegenden Höflichkeitsfloskeln und ein Stück weit auch die Mentalität der Einheimischen. Man weiß einfach, wie es im Reisealltag zugeht. Wenn es in ein neues Land geht, ist diese angenehme Routine naturgegebenermaßen erst einmal verflogen und man muss wieder von neuem ankommen.

Und so ist es auch in Kambodscha. Anderes Geld, andere Schrift, eine andere Sprache und irgendwie auch eine andere Mentalität. Obwohl man das nach zwei Tagen ja überhaupt noch nicht sagen kann. Es ist aber mein erster Eindruck. Generell erlebe ich die Menschen jetzt wieder reservierter. Das war allerdings auch schon vor der Grenze so. Es ist verrückt: in einem Reiseführer hab ich kürzlich gelesen, dass die Menschen in Nordvietnam viel verschlossener wären, als die Südvietnamesen. Ich hab das genau anders herum erlebt. Schon komisch. So unterschiedlich können individuelle Eindrücke sein.

Aber auch darüber hinaus ist Kambodscha schon auf den ersten Metern ganz anders als Vietnam. Gleich als erstes Fällt mir auf, dass in Kambodscha das Preisniveau z. T. deutlich höher ist. Trotzdem wirkt Kambodscha viel ärmer und ist auch deutlich vermüllter. Zumindest an den Straßenrändern und in den kleineren Ortschaften. Außerdem gibt es mehr Sicherheitspersonal. In Phnom Penh, aber z. B. auch in der Provinz, bspw. auf den Märkten. Gestern hab ich einen mit einer Kalaschnikow bewaffneten Sicherheitsmann gesehen, der sich auf einem Markt mit seinem Motorrad einen Weg durch die Menschenmenge  gebahnt hat. Fand ich etwas irritierend. Aber um jetzt keinen falschen Eindruck zu erwecken: vielerorts begegne ich noch immer und immer wieder lächelnden, fröhlichen Menschen, die mir einfach im Vorbeifahren zuwinken oder auch ganz interessiert den Kontakt suchen, so wie in Vietnam eben auch. Es gibt also keinen Grund zu meckern. Es ist eben einfach ein bisschen anders. Normaler, wenn man so will und nicht ganz so touristisch wie Vietnam. 

Mittlerweile bin ich in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh angekommen. Hier werd ich jetzt einen dreitägigen Zwischenstopp einlegen. Mitte dieser Woche wird es dann wieder weitergehen, Richtung Angkor Wat – dem größten sakralen Bauwerk der Welt und der Touristenmagnet in Kambodscha schlechthin.

 

Saigon zum Greifen nahe

Vietnam zieht sich ganz schön in die Länge. Auf der Landkarte oder einem Globus sieht das Land ja eigentlich winzig klein aus. Aber wenn man dann mal vor Ort ist, ist es doch ganz schön erstaunlich, wie anders sich Entfernungen darstellen können. Von Nord nach Süd bzw. von Hanoi nach Saigon sind es knappe 2000 Kilometer, also in etwa so weit wie von Berlin nach Moskau. Ist man auf der AH1, der Hauptverkehrsachse unterwegs, wird man durch die vielen kleinen Randsteine in regelmäßigen Abständen auf diese riesige Ausdehnung hingewiesen. Und das schon ab Nordvietnam. Das kann manchmal ganz schön ernüchternd sein, vor allem dann, wenn die Zahl auf dem Stein einfach nicht kleiner werden will. Aber bei Danang gibts dann einen ersten großen Lichtblick: auf einmal sind die Entfernungsangaben nur noch dreistellig. Irgendwie geht es also doch voran.

Und dank meiner neuen App vermehrt auch abseits befestigter Straßen. Da es ja außerhalb von Europa unglaublich schwierig ist an gutes Kartenmaterial zu kommen, hab ich auf der Suche nach Alternativen eine App entdeckt, die sich vorwiegend an Radfahrer, Wassersportler und Wanderer richtet und die sehr detailliertes Kartenmaterial der ganzen Welt zur Verfügung stellt, inklusive der Höhenlinien – zumindest solange eine Internetverbindung besteht. Das ist so unglaublich praktisch, denn jetzt kann ich gezielt Routenvorschläge für Radfahrer anzeigen lassen und werd somit manchmal über kleinste Feldwege und durch winzige Dörfer geführt, durch die ich sonst nie gefahren wäre. Ab und an gönn ich mir diesen Luxus und fahr dann quasi einen Tag lang durchs Hinterland.

Hier in Vietnam eine willkommene Abwechslung. Denn wenn man an der Küste entlang fährt, passiert man ja in regelmäßigen Abständen auch touristische Ballungszentren, sei es Halong, die Kaiserstadt Hue oder auch Hoi An. Und hier merk ich dann immer, wie schnell ich vom Radfahrer in die Rolle des zahlungskräftigen Touristen rutsche. Insbesondere dann, wenn ich ohne Fahrrad unterwegs bin. Wobei das natürlich nicht nur für Vietnam gilt sondern für auch für andere touristische Orte, die ich auf meiner Reise passiert habe. An sich ist das ja nichts Ungewöhnliches. Von irgendetwas müssen die Leute hier ja schließlich leben. Und in touristischen Orten, gerade in kleineren, sind es eben hauptsächlich die Besucher, die das Geld in die Kasse spülen. Aber gerade wenn man den Vergleich zu den ländlichen Gebieten oder kleineren, weniger touristischen Provinzstädten hat, kann diese Rolle ganz schön ungewohnt und anstrengend sein, insbesondere, wenn das Engagement von Händlern, Restaurantbesitzern, Taxifahrern und Tour-Verkäufern ein gewisses Maß übersteigt und deren Preisvorstellungen dann auch noch jenseits von Gut und Böse liegen.

Obwohl, mittlerweile macht mir sogar das Handeln richtigen Spaß, ganz anders, als z. B. noch vor neun Monaten. In der Regel seh ich die Touristenhochburgen daher auch recht entspannt und würd sicher keinen großen Bogen drum machen. Wenn ich ehrlich bin, reizt mich ja eigentlich auch die Möglichkeit verschiedene Seiten erleben zu können: mal Radreisender zu sein, der an den unterschiedlichsten Ecken eines Landes vorbeikommt – schönen und weniger schönen, bekannten und weniger bekannten, belebten und weniger belebten – und dann gleichzeitig aber auch mal normaler Urlauber zu sein, der eher nur die touristischen Hotspots mitmacht.

Aber es ist eben doch schon ein großer Unterschied, ob man auch über Land reist oder eben einfach nur in der Stadt oder am Strand ist. Gerade die Begegnungen mit den Menschen sind anders. Herzlicher und offener. Zumindest ist das mein Eindruck. Man kann ganz viel aus erster Hand erfahren – zumindest, wenns mit der Kommunikation halbwegs klappt. Und wenn man selbst auch offen ist. Abseits größerer Städte werd ich auch in Vietnam öfter angehalten und irgendwohin eingeladen, nach Hause oder in irgendein Lokal, auf ein Glas Wasser, einen Kaffee oder ein Bier. Oft sind das total schöne Begegnungen, die sich so in größeren Städten so einfach nicht erleben lassen. Oder zumindest nicht so auf einem Silbertablett serviert werden.

Danang ist vorerst die letzte Großstadt. Danach wird es erstmal wieder recht provinziell. In endlosen Kurbelumdrehungen ziehen Felder, Weideflächen und kleinere Ortschaften, die durch die AH1 zerschnitten werden, an mir vorbei. Ein immer ähnliches Bild. Die Flecken, die nicht bewohnt sind, werden meistens in irgendeiner Form landwirtschaftlich genutzt. Oft noch immer in Handarbeit. So wars ja auch schon in Nordvietnam. Hier und da gibt’ kleinere Wälder, dazu rechts die Berge und links das Meer, manchmal sogar in Hörweite. Trotz der vielen landwirtschaftlich genutzten Flächen find ich die Umgebung eigentlich ganz abwechslungsreich.

Zu Schade nur, dass sich nirgends halbwegs geschützte Zeltplätze finden lassen. Daher suche ich mir zum Einbruch der Dunkelheit immer ein kleines Zimmer in einem Hotel oder einer Pension. Die gibts hier in jedem kleinen Ort. Selbst mit guter Ausstattung sind die meist äußerst preiswert und kosten nur etwa 4 bis 7,- € pro Nacht. In den Hostels sind in diesem Preis manchmal sogar noch ein riesiges Frühstücksbüfett und abends zwei Stunden Freibier inbegriffen. Viel Geld für Essen und Unterkunft braucht man in Vietnam also nicht auszugeben. Von daher ist Vietnam gerade für Individualreisende das ideale Reiseland, wie ich finde. Insbesondere auch als Einstieg. Es ist exotisch, günstig, landschaftlich sehr abwechslungsreich, geschichtlich ziemlich interessant – es gibt also ganz viel zu entdecken – und dann ganz klar, die Menschen, die hier leben, mit ihrer offenen und herzlichen Art. Für mich auf jeden Fall eines der Favoriten auf meiner Reise.

Und die neigt sich zumindest in Vietnam so langsam ihrem Ende entgegen. Mittlerweile bin ich nämlich in Mui Ne angekommen, also schon ziemlich weit im Süden des Landes. Bis nach Saigon ist es jetzt nicht mehr allzu weit. Knapp 250 Kilometer werdens noch sein. Und dann kommt bald die kambodschanische Grenze. Die wollte ich am 15. Januar  erreicht haben. Das könnte also glattweg klappen. Da es sich in Mui Ne und besonders am Strand mit dem badewannenwarmen Meerwasser aber so schön aushalten lässt, werd ich hier sicher noch einen Extrapausentag einlegen. Vielleicht auch zwei, mal sehen. Spätestens Montag muss ich dann aber wieder weiter, auch wenns schwerfällt, denn sonst könnt es wieder hektisch werden….

 

Über den Wolkenpass in die Tropen

Ein Strand ganz für mich alleine. Keine Menschenseele weit und breit, Meeresrauschen, leichter Wind und ein paar einsame Fischerboote im Sand. In der Ferne kann ich die Lichter einer kleinen Stadt ausmachen, ansonsten ist es stockdunkel. Wo könnte es heute Abend schöner sein, als hier? Sogar der Regen hat aufgehört. Endlich mal wieder zelten. Nach den vielen Nächten in Hotels und Hostels hab ich das richtig vermisst. Aber es ist gar nicht so einfach im Norden Vietnams vernünftige Plätze zum Zelten zu finden. Ein Großteil des Landes wird landwirtschaftlich genutzt, der Rest ist mehr oder weniger dicht besiedelt. Aber heut Abend, da hatte ich mal wieder Glück. 

Mein Zelt ist schon aufgebaut und steht hinter mir, versteckt zwischen ein paar Büschen. Vor mir faucht mein kleiner Kocher leise vor sich hin. Im Topf irgendein Fertiggericht. Instantnudeln und eine scharfe Soße. Dazu gibt es Brot und zwei Bananen. Wie immer äußerst lecker. Nach einem Tag im Sattel schmeckt irgendwie alles gut. Auch wenns nur ein Fertiggericht ist. Ich sitze lange vor meinem Zelt an diesem Abend, höre Musik, schreibe Tagebuch, schau zu, wie sich die Wellen am Strand brechen. Es ist einfach viel zu schön, um schlafen zu gehen. Und es ist ja auch erst früher Abend. Irgendwann lichtet sich dann sogar die Wolkendecke, so dass der Mond denn Strand erhellen kann. Ein ziemlich ungewohnter Anblick. Man läuft am Strand entlang und sieht dabei seinen Mondschatten vor sich.  

Am nächsten Morgen werde ich kurz nach 6 von einem Stimmengewirr geweckt. Verschlafen öffne ich den Reißverschluss meines Zeltes. Direkt davor eine Gruppe Fischer, die mich genauso erstaunt anschauen, wie ich sie. Der Kocher wird begutachtet das Zeltmaterial geprüft, ein paar nette Worte werden gewechselt und dann verschwinden sie so schnell, wie sie gekommen sind. Die Arbeit ruft. Die Boote werden ins Meer geschoben und dann gehts raus aufs Wasser zum Fischfang. Ich muss erstmal langsam aufwachen und dann aufstehen. Ich freu mich schon auf meinen Morgenkaffee und das Frühstück. Aber daraus wird leider nichts. Kurze Zeit später stehen nämlich wieder ein paar Leute vor meinem Zelt. Einer von ihnen zieht ein Plastikkärtchen aus seiner Tasche, welches ihn als Mitarbeiter irgendeiner Behörde ausweist. Freundlich, fast schon verlegen, versucht man mir mitzuteilen, dass ich hier nicht zelten darf und zusammenpacken muss. Alles klar, ich bau ab und bin sofort weg signalisiere ich. Damit gibt man sich zufrieden. Und schon bin ich wieder allein am Strand. Doch ziemlich viel Action für so einen einsamen Strand. Schade, ich hätt hier gern noch gefrühstückt. Aber es hilft ja nichts. Ich beeil mich ein bisschen und knapp 20 Minuten später steh ich mit Sack und Pack an der Straße und bin abreisefertig.

Aber ein Morgen ohne Kaffee und Frühstück ist irgendwie ein schlechter Start in den Tag, denn der Weg heut ist ziemlich weit und eine kleine Stärkung vorher wär schon nicht schlecht. Nach ein paar Kilometern finde ich wieder eine kleine Abzweigung zum Strand. Schnell ist der Kocher aufgebaut und vorgeheizt. Ein Fischer gesellt sich zu mir und beobachtet sämtliche meiner Handgriffe. Und dann – ich will gerade die Flamme hochdrehen – zwei, drei kleine Verpuffungen und aus ist der Kocher. Nicht mehr genug Benzin im Tank. Und das gerade jetzt. Ein Vorführeffekt wie er im Buche steht. Ein bisschen peinlich ist mir das jetzt schon…..

Also wieder kein Kaffee und kein Frühstück. Der Fischer erkennt allerdings meine missliche Lage und bietet mir an, dass ich bei ihm zu Hause kochen kann. Gesagt, getan. Er schnappt sich meinen Topf und das Stativ und los gehts. Weit ist es ja nicht. Gerade auf der anderen Straßenseite. Er wohnt allein in einem kleinen Haus mit Garten, in dem er Obst und Gemüse für den Eigenbedarf anbaut. Die Küche befindet sich draußen, auf einer überdachten Terrasse. Während meine Nudeln vor sich hinkochen, sitzen wir in seinem kleinen Wohnzimmer. Der Fischer erzählt mir von seinen Kindern, die alle in Hanoi wohnen und er zeigt mir seinen Fang vom Vortag. Von dem packt er mir dann gleich auch reichlich auf meinen Teller mit den Istantnudeln und zeigt mir, wie ich mit Stäbchen die Fischhaut entfernen kann. Zu Fisch und Nudeln gibts ein paar Bananen aus seinem Garten und zur Feier des Tages auch noch ein Gläschen Schnaps. Was ein Frühstück…

Eine halbe Stunde später steh ich wieder an der Straße. Immer noch ohne Kaffee. Es ist immer noch recht früh, mittlerweile aber sehr sonnig und warm geworden. Keine drei Kilometer weiter die nächste Abzweigung zum Strand. Ich überlege kurz und will erst pflichtbewusst weiter fahren – schließlich ist es ja wie gesagt ziemlich weit heute – aber eigentlich…ach, was solls. Wer weiß, wann ich wieder an einem Strand bin. Keine drei Minuten später bin ich im Wasser und lass mich von den hohen Wellen hin und her tragen. Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr im Meer baden. Macht richtig Spass. Und dann ist sogar noch Zeit für meinen wohlverdienten Kaffee, denn zum Glück hab ich ja noch meinen kleinen Holzgaskocher im Gepäck. Gegen 11 Uhr steh ich wieder auf der Straße und kann los. Ich glaub, heute hab ich einen neuen Trödelrekord aufgestellt. Neun Kilometer in vier Stunden. Knapp 90 liegen also noch vor mir. Das heißt, jetzt muss ich mal ein bissel auf die Tube drücken, denn ich möchte heute Abend die alte Kaiserstadt Hue erreichen. Aber das sollte eigentlich trotz allem noch machbar ist. Es gibt ja keine Berge. Und zur Not hab ich ja auch Licht am Rad.

Der Weg nach Hue ist richtig schön. Es geht fast immer direkt am Meer entlang. Durch verschlafene Dörfer, auf kleinen, ruhigen Straßen ohne viel Verkehr. In den Dörfern und auch in den kleinen Städten ein immer ähnliches Bild. Vor allem Kinder grüßen mit einem langgezogenen „Helloooo“ und winken ganz euphorisch. Generell erlebe ich die Menschen hier als überaus herzlich und offen. Im Prinzip seit der Grenze zu China. Und vor allem auf dem Land. In China war das ganz anders. Dort waren die Menschen viel zurückhaltender. Schon auch freundlich, aber viel reservierter. Ich frag mich dann immer, warum das so ist. Wie kommt es, dass sich Mentalitäten auf so kurze Distanzen so stark unterscheiden können? Warum ist Vietnam so anders als China? Schon erstaunlich, was eine Grenze ausmachen kann. Auch wenn ich irgendwo Pausen mache, bleibe ich meist nicht lang alleine. Oft gesellen sich ein paar Leute zu mir oder winken mich zu sich her und versuchen eine Unterhaltung zu beginnen. Das ist meist zwar alles andere als leicht, da die wenigsten Englisch sprechen. Meist beschränkt sich die Kommunikation daher nur auf einige Gesten. Wobei man auch da trotzdem erstaunlich viel erfahren kann. Der Renner ist dann immer mein kleines Fotoalbum mit Bildern von zu  Hause. Durch wie viele Hände das schon gegangen ist….

Am späten Abend komm ich in Hue an. Hier werde ich Weihnachten verbringen. Die Vorweihnachtszeit ist in diesem Jahr ja ziemlich unbemerkt an mir vorbeigezogen. Dazu ist es in Vietnam einfach zu warm und zu exotisch. Es gibt zwar hier und da geschmückte Weihnachtsbäume, aber die machen auf mich eher einen skurrilen Anblick. So zwischen Palmen und bei 25 Grad. Es fühlt sich gerade eher nach Spätsommer an. Trotzdem ist natürlich klar, dass Weihnachten ist und es ist schon ein ziemlich komisches Gefühl nicht zu Hause zu sein. Ich quartiere mich daher wieder in einem Hostel ein. Da ist dann zumindest schon mal für etwas Gesellschaft gesorgt. In Hue selbst geht es ziemlich international zu. Ich treffe viele Europäer, vor allem Deutsche. Aber ich bin gar nicht traurig drum. Ein bisschen Heimat zu Weihnachten. Auf meinen geliebten Kartoffelsalat mit Würstchen muss ich in diesem Jahr aber leider verzichten. Aber dafür gibts später eine scharf gewürzte Suppe in einem kleinen Straßenlokal, die so gar nicht zu Weihnachten passen will. Aber immerhin hängen unter der Plastikplane ein paar Lichterketten. Da kommt dann sogar etwas Weihnachtsstimmung auf.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag geht’s dann wieder weiter nach Süden. Knapp 100 Kilometer bis nach Danang. Das Highlight an diesem Tag ist auf jeden Fall der Wolkenpass. Endlich mal wieder ein Berg. Mit knapp 500 m Höhe ist der zwar recht klein, trotzdem unterteilt er Vietnam in einen nördlichen und südlichen bzw. einen subtropischen und tropischen Teil. Vor wenigen Tagen wars hier noch sonnig, aber heute macht der Wolkenpass seinem Namen alle Ehre. Je höher es hinaufgeht desto wolkiger wirds. Auf dem Weg zum Pass selbst gibt es immer wieder herrliche Aussichtspunkte. Und die nutz ich allesamt. Sieht ja überall anders aus. Und einmal mehr bin ich froh mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Gerade hier. Denn ich kann einfach anhalten wo es schön ist und bleiben so lange ich will. Ganz anders die Urlauber in den vielen Bussen oder auf den Motoradtaxis. Die müssen ihre Fotos im Vorbeifahren machen bzw. können nur kurz anhalten, um den Ausblick zu genießen und müssen dann schnell wieder weiterfahren.

Nach dem Wolkenpass gehts dann quasi nur noch bergab, bis nach Danang. Keine 200 Meter unterhalb des Passes reißt dann auf einmal die Wolkendecke auf und gibt den Blick frei auf das Meer und Danang. Hier bin ich gestern Abend angekommen und mach einen Tag Pause. Morgen wird es dann wieder weitergehen. Das nächste große Etappenziel ist jetzt Saigon, knapp 1000 Kilometer von Danang entfernt, ganz im Süden von Vietnam.

 

 

Eine Bucht und Heiner oder Zwei Highlights in Halong

Kaum habe ich die Tür zu meiner Kabine geöffnet, weiß ich, dass mir eine ziemlich kurze Nacht bevorsteht. Dabei könnt ich gerade heute eine ordentliche Mütze Schlaf gut vertragen. Es ist spät, der Tag war lang und morgen wird es sicher ähnlich werden. Zumindest geht es wieder früh raus. Frühstück gibs um 7:15 Uhr und dann steht auch schon bald der erste Programmpunkt an. Wär also nicht schlecht, wenn ich morgen halbwegs fit bin. Aber momentan hab ich da starke Zweifel, denn die aktuelle Geräuschkulisse in der kleinen Zweimannkabine übersteigt bei weitem meine Toleranzschwelle. Und das, obwohl ich nach den vielen Nächten in Hostelmehrbettzimmern einiges an Nachtakustik gewohnt bin. Aus dem Nachbarbett klingt es in regelmäßigen Abständen so, als würde man beim Autofahren aus Versehen den Rückwärtsgang einlegen. Und es ist auch wirklich fast genauso laut. Na das kann ja was werden…

Viel Hoffnung hab ich nicht, aber ich versuchs erstmal nur mit Oropax. Wie erwartet, tragen die jedoch kaum zu einer erkennbaren Geräuschminderung bei. Nach mehreren erfolglosen Einschlafversuchen müssen daher schwere Geschütze aufgefahren werden. Ich dreh mich auf die rechte Seite und drück das eine Ohr ganz tief ins Kissen, in der Hoffnung, dass es dadurch irgendwie erträglicher wird. Aufs andere Ohr kommt alles, was sich auf die Schnelle finden lässt: ein dickes Frotteehandtuch – mehrfach gefaltet – und obendrauf nochmal ein schweres Kopfkissen. Das macht die Sache schon etwas angenehmer, aber so richtig schlafen kann ich trotzdem nicht. Minuten vergehen und irgendwann schwinden auch die letzten Hoffnungsschimmer, dass sich die Situation demnächst etwas entspannt könnte. In solchen Momenten ist guter Rat wirklich teuer. Ich überlege hin und her. Letztlich bleibt mir aber nichts anderes übrig, als meinen Nebenmann zu wecken. Nach einem in die Dunkelheit geräusperten „Excuse me, its very loud in here.“ wacht mein Zimmergenosse überraschenderweise sofort auf, entschuldigt sich mehrmals, dreht sich um und schläft gleich wieder ein. Ein bisschen neidisch bin da ja schon. Aber vielleicht kommt jetzt meine Chance, denn es ist auf einmal wirklich angenehm ruhig. Ein Traum – aber leider nur für kurze Zeit, denn schon nach wenigen Minuten ist alles wieder beim alten. Es wär aber auch einfach zu schön gewesen, um wahr zu sein. Naja, Augen zu und durch würd ich sagen. Irgendwie muss es jetzt halt mit Kopfkissen, Oropax und Frotteehandtuch gehen.

Etwas gerädert aber pünktlich schaff ichs am nächsten Morgen zum Frühstück. Maria und Max kommen auch gerade ins Esszimmer und zusammen setzen wir uns an einen Tisch. Seit knapp einer Woche sind wir gemeinsam mit dem Rad unterwegs. Kennengelernt haben wir uns in einem Hostel in Nanning, China. Quasi in letzter Minute. Maria und Max wollten gerade aufbrechen. Ihre Taschen waren schon gepackt, als wir uns bei unseren Rädern zufällig über den Weg liefen und ins Gespräch kamen. Die Chemie stimmte auf Anhieb. Und so standen wir gleich mal für mehrere Stunden zusammen und unterhielten uns über alles Mögliche. Hauptsächlich über unsere Reiseerlebnisse. Wir konnten kaum ein Ende finden und beschlossen daher einfach, die nächsten Tage gemeinsam zu fahren. Maria und Max verlängerten kurzerhand ihren Aufenthalt im Hostel. Der Zeitpunkt für den Checkout war ja eh schon längst vorbei. Den haben wir einfach vollkommen vergessen und verquatscht. Das sollte allerdings nicht das letzte Mal gewesen sein…

Am nächsten Tag machten wir uns dann von Nanning aus auf die knapp 300 Kilometer lange Etappe nach Halong in Vietnam. Was ein Glück muss ich im Nachhinein sagen. Denn eigentlich wollte ich ursprünglich eine ganz andere Strecke fahren: zuerst nach Hanoi, um dort mein kambodschanisches Visum zu beantragen und dann weiter nach Süden. Um Halong hätt ich dabei einen Riesenbogen gemacht, weshalb mir ohne Maria und Max diese Stadt mit ihrer schönen Umgebung vollkommen entgangen wäre. Das Highlight in Halong ist zweifelsohne die Bucht mit den vielen Inseln und Karstfelsen, die sich aus dem Wasser erheben. Etwa 1700 sollen es insgesamt sein. Ein überwältigender Anblick. Besonders, wenn man zum ersten Mal hier ist und gerade auch bei dem wolkenverhangenen Himmel, den wir in den letzten Tagen hier hatten. Eine Bootsfahrt gehört da eigentlich zum Pflichtprogramm. Agenturen, die diese Touren vermitteln, gibts in Halong fast an jeder Straßenecke. Wir sind in unserem Hostel fündig geworden und haben eine dreitägige Tour gebucht. Eine Übernachtung auf dem Boot, die zweite in einem Bungalow auf einer kleinen Insel. Und jetzt sitzen wir hier auf unserem Schiffchen am Frühstückstisch und sind langsam am Aufwachen. Etwas schmunzeln muss ich, als John, der mit uns am Tisch sitzt, erzählt, dass er seine Frau Carmen gestern Nacht gefragt hatte, ob sie das war, die so laut geschnarcht hat.

Als erster Programmpunkt heute steht ein Besuch auf einer Austernfarm an. Hier wird gezeigt, wie Zuchtperlen hergestellt werden. Vom Putzen der Muscheln, der Implantation einer kleinen Perlmuttkugel in das Muschelgewebe bis hin zur fertigen Perle wird der gesamte Herstellungsprozess vorgestellt. Im Schnelldurchlauf halt, denn hinter uns warten ja schon die nächsten Gruppen. Zurück auf dem Schiff beginnt dann der entspannte Teil des Tages. Von unserem Ankerplatz starten wir in Richtung heutiges Nachtlager. Es geht mitten hinein in die Halongbucht, vorbei an unzähligen Karstfelsen, kleinen Fischerbooten und schwimmenden Fischerdörfern. Ich sitze die meiste Zeit oben an Deck in der Sonne und genieße einfach die Schiffsfahrt, den Wind, die Sonne und das Schaukeln des Schiffs auf den Wellen.

Auf der Insel angekommen beziehen Maria, Max und ich einen Bungalow direkt am Wasser. Oft sind solche Touren ja mit Programmpunkten vollgestopft. In unserem Fall steht der Tag uns aber sozusagen zur freien Verfügung und das nutzen wir ausschließlich zum Entspannen. Wir sitzen Ewigkeiten auf unserer schicken Terrasse, laufen durch das flache Wasser zu einem der Karstfelsen und paddeln mit zwei Kanus um unser kleines Inselchen herum. Ach, eigentlich könnten wir glatt noch einen weiteren Tag bleiben. Malerisch schön ist es hier. Leider steht am nächsten Morgen allerdings schon wieder die Rückfahrt an. Aber wir wollen ja nicht meckern.

Irgendwie freuen wir uns ja auch auf unser Hostel, denn da wartet bereits unser zweites Halong-Highlight: Heiner aus Ostfriesland. Heiner ist passionierter Geograph und schon zum siebten Mal in Vietnam und Halong. Er kann uns daher mit vielen wertvollen Tipps und Informationen über die Stadt und unseren weiteren Reiseverlauf in Vietnam versorgen. Wir haben Heiner im Hostel kennengelernt und bereits am ersten Abend seine anekdotenreiche und in thematisch hochkomplexe Schachtelsätze verpackte Lebensgeschichte gehört. Zusammen verbringen wir die Tage in Halong und die Abende im Hostel oder im nahegelegenen Restaurant. Meistens wird es spät. Und immer ist es äußerst lustig und unterhaltsam. Zu erzählen hat Heiner ständig etwas. Und so passiert es, dass wir uns bei unserer geplanten Abreise am Sonntag wiedermal dermaßen verquatschen und einfach nochmal einen weiteren Tag im Hostel bleiben. Wir haben ja Zeit….

Am Montag schaffen wirs dann aber und machen uns gegen 11 Uhr von Halong aus auf den Weg. Weiter Richtung Süden, nach Ninh Binh. Hier sind wir gestern angekommen und werden heute einen Tag Pause machen. Morgen wird es dann wieder weiter gehen. Leider werden sich dann unsere Wege trennen, denn Anfang Februar würd ich gern in Bangkok ankommen. Bis dahin sind es allerdings noch knappe 2500 Kilometer, weswegen ich in den nächsten Tagen mal etwas längere Etappen fahren und mich mal wieder ein bisschen beeilen muss. Sonst würde das nämlich ganz schön eng werden. Damit gehen zwei wunderschöne Wochen mit Maria und Max zu Ende. Hat mich richtig doll gefreut mit den beiden zu fahren. Sicher wird es erstmal ganz schön komisch sein, wieder alleine unterwegs zu sein. Ich hab mich richtig an unsere Dreiergruppe gewöhnt. Aber vielleicht sehen wir uns ja im nächsten Jahr wieder. Heiner hat uns nämlich zu sich nach Ostfriesland eingeladen, für eine Radtour an den Deich. Und das können wir uns ja eigentlich nicht entgehen lassen.