China wartet

Kaum habe ich in Taschkent das Flugzeug verlassen, fühle ich mich wie in eine andere Welt katapultiert. Mal wieder. Das Gefühl kenn ich ja jetzt schon, aber trotzdem beeindruckt es mich immer wieder aufs Neue. Es ist merklich kühler als im Iran. Richtig herbstlich. Die Luft riecht angenehm frisch. Dazu scheint die Sonne und lässt die Blätter an den Bäumen in den verschiedensten Rot-, Gelb- und Grüntönen leuchten. Eine Augenweide. Insbesondere nach sechs Wochen Wüstenlandschaft. Und wie ruhig es hier ist. Vor allem auf den Straßen. Ich komm mir fast vor, wie auf einem Verkehrsübungsplatz. Kein Gedränge und Motorengeheul und auch kein wildes Gehupe mehr. Ein Unterschied, wie Tag und Nacht. Man kann es sich kaum vorstellen. Es lohnt sich sogar wieder den Zebrastreifen zu nutzen, denn hier halten die Autofahrer tatsächlich an, wenn man sich an die Straße stellt. Undenkbar im Iran.

Dazu ist es extrem sauber. Ich seh nirgends Müll. Dafür sehr saubere Straßen und Wege und penibel gepflegte Grünanlagen. Zumindest mal im Stadtzentrum und insbesondere vor Regierungsgebäuden. Neben akkurat geschnittenem Rasen wird hier sogar darauf geachtet, dass in den Bäumen keine braunen Nadeln hängen. Dafür sorgen die vielen Gärtner. Mit langen Holzstangen laufen diese die Bäume ab, schütteln die braunen Nadeln aus den Ästen und harken sie dann zusammen. Was Ordnung und Sauberkeit betrifft werden hier wirklich keine Kosten und Mühen gescheut. Und auch nicht, was die Sicherheit betrifft. Überall wimmelt es von Polizisten. Auf den Straßen und vor allem an den Bahnhöfen und den Eingängen zur Metro. Hier wird jeder einzelne Fahrgast mit einem Metalldetektor kontrolliert.  An den Bahnhöfen werden dazu noch Pass und Ticket überprüft und das gesamte Gepäck durchleuchtet. Bei jedem einzelnen Fahrgast. Was das für Personalkosten sein müssen…

Ich quartier mich wieder in einem schönen Hostel ein. Eigentlich will ich nur ein, zwei Nächte bleiben und dann weiter nach Kirgistan fahren. Aber dann werde ich am Frühstückstisch an Städtenamen aus den Geschichten von tausendundeiner Nacht erinnert. Namen wie Samarkand und Buchara fallen. Eigentlich Pflichtprogramm für Usbekistanreisende. Ich bin auf einmal ganz hin und hergerissen. Einerseits naht der Winter und auf den Pässen nach China soll schon der erste Schnee liegen. Ich sollte also wirklich weiter. Anderseits, jetzt bin ich hier und wer weiß, wann und ob ich mal wieder hierher kommen werde. Immer diese schweren Entscheidungen. Jetzt wär es toll jemanden zu haben, mit dem ich zusammen reise. Dann könnt ich einfach sagen: „Komm, sag du.“

Okay, eine Stadt, ein Tag und dann zurück nach Taschkent. Ich entscheide mich für Buchara. Ein Tipp von Nina aus Österreich, die mir davon in den höchsten Tönen vorgeschwärmt hat. Die Altstadt ist klein und überschaubar und die schönsten Gebäude und Sehenswürdigkeiten liegen alle in Laufdistanz. Dafür reicht ein Tag. Am nächsten Morgen sitze ich also im Zug, denn mit dem Fahrrad wär das viel zu weit. Knapp 600 Kilometer eine Strecke. Ich hab mir zwei Dinge herausgesucht, die ich mir anschauen möchte: die Festung Ark und die Kalon-Moschee. Und den Rest der Zeit werd ich einfach ein bisschen durch die Stadt spazieren.

Ich bin erstaunt, wie viele Touristen es in Buchara gibt. Es ist nicht unbedingt überlaufen aber trotzdem gut was los. Viele Reisegruppen, vor allem aus Mitteleuropa und Asien werden von geschäftigen Reiseführern durch die Gassen und über den Basar dirigiert. Schön ist sie ja schon, die Altstadt von Buchara. So, wie man sich den Orient eben vorstellt. Exotisch, mit kleinen Märkten, Medressen und Moscheen. Und zugleich ist es aber irgendwie auch ein Kunstgebilde, ein Ort, der zahlungskräftigen Besuchern präsentiert wird und in dieser Hinsicht eben auch vielen anderen touristischen Orten ähnelt. Eine Seifenblase. Ein Tag reicht mir hier daher vollkommen aus. Aber jetzt war ich zumindest mal in Buchara gewesen.

Zurück in Taschkent überlege ich, wie es ab hier weitergehen soll. Aber es fällt mir auf einmal unglaublich schwer mich zu motivieren. Entsprechend lustlos laufen meine Planungen ab. Irgendwie merke ich, dass Usbekistan nicht mein Land ist. Ich weiß aber überhaupt nicht warum. Es ist einfach ein Gefühl. An den Menschen kann es nicht liegen. Die waren mir gegenüber bisher überaus freundlich, offen und sehr hilfsbereit gewesen. Vom Grenzbeamten über die Polizisten am Bahnhof, bis hin zu den Menschen auf der Straße. Reservierter zwar als die Menschen im Iran, aber trotzdem sehr angenehm. Vielleicht hätt ich ja einfach gleich weiter fahren sollen, ich weiß es nicht. Ich hab jedenfalls immer stärker das Gefühl, dass mir die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt. Dazu kommt, dass man in Usbekistan als Tourist verpflichtet ist, sich behördlich zu registrieren. Das wird in autorisierten Unterkünfte erledigt. Zelten oder privat übernachten sollte man daher nicht. Dass das von den usbekischen Behörden sehr ernst genommen wird, erfahre ich von einem Pärchen aus der Ukraine. Diese haben sich in ihren ersten drei Tagen nirgends registriert. Das Hostel, in dem wir uns getroffen haben, durfte sie daher nur mit einer Sondergenehmigung der Polizei aufnehmen. Und nur für eine Nacht. Denn am nächsten Tag wurden sie aus Usbekistan ausgewiesen. Zudem wurde ein mehrjähriges Einreiseverbot verhängt.

Da es auf dem Weg nach Kirgistan nicht wirklich viele und zudem bezahlbare Hotels zu geben scheint, entschließe ich mich mit einem Minibus bis zur Grenze zu fahren. So kann ich mögliche Probleme mit den Registrierungen vermeiden und auch noch zwei, drei Tage Zeit gut machen. In Usbekistan bin ich somit überhaupt kein Rad gefahren. Schon seltsam, wie sehr das doch die Wahrnehmung von einem Land beeinflussen kann. Es fehlt irgendwie ganz viel. Der Fahrtwind in den Haaren fehlt, die Wärme der Sonne auf der Haut und der Schweiß und die Anstrengungen, wenn man Berge erklimmt oder gegen den Wind ankämpfen muss. Und vor allem fehlen die vielen Begegnungen am Straßenrand. Von Usbekistan bleibt mir daher nur ein ganz wager Eindruck. Aber das war jetzt auch mal eine sehr lohnende Erkenntnis. Denn da ich schon viele Reisende getroffen habe, die ausschließlich mit Bus, Bahn oder Auto unterwegs sind, hab ich mich oft gefragt, wie das wohl ist, auf diese Art zu reisen. Insbesondere auf ganz anstrengenden Etappen, wie in Armenien. Jetzt hab ich zumindest mal einen Eindruck davon.

Seit gestern bin ich in Osh, in Kirgistan. Ich fühl mich gleich wohl in der Stadt. Kindheitserinnerungen werden wach. Die Gebäude, die Autos, das ganze Stadtbild – irgendwie erinnert mich das an die DDR. Und es hat sich weiter abgekühlt. Aber die Sonne scheint. Schönstes Herbstwetter also auch hier. Einen Tag werd ich jetzt in Osh bleiben und dann gehts in die Berge über einen Teil des Pamir-Highways nach China.  

Auf nach Usbekistan

Fahrräder verboten. Das Schild, das die Autobahnauffahrt markiert, ist eindeutig und lässt leider keinerlei Spielraum für Interpretationen. Irgendwie hab ich wohl eine Abzweigung verpasst. Aber ich muss zum Flughafen und das am besten ohne große Umwege. Mein Flug nach Usbekistan geht zwar erst heut Nacht, aber ich muss noch mein Fahrrad verpacken und da ich zum ersten Mal mit einem Fahrrad im Gepäck fliege, hab ich keinerlei Ahnung wie und wo ich das am Flughafen machen soll. Jetzt könnt ich meine Karte gebrauchen. Die hab ich heute allerdings verschenkt, weil ich dachte, dass ich sie nicht mehr brauchen werde. Blöd. Jetzt wär eigentlich der richtige Zeitpunkt, um einen Blick drauf zu werfen. Knapp 40 Kilometer sinds von hier noch bis zum Flughafen. Aber da ich hier sowieso nicht mehr umdrehen kann, muss ich wohl erstmal rauf auf die Autobahn. LKWs und Motorräder sind in diesem Abschnitt übrigens auch nicht erlaubt. Nur hält sich kaum jemand daran. Reihenweise braust alles was fahren kann an mir vorbei. Die Motorräder mit bis zu vier Personen und abenteuerlichen Gepäckkonstruktionen. Mit Vollgas und im Rückwärtsgang kommt mir sogar ein PKW entgegengefahren, dessen Fahrer zuvor an einem der vielen Stände auf dem Randstreifen Blumen gekauft hat. Das beruhigt mich alles irgendwie. Da bin ich nicht der einzige, der aus der Reihe tanzt.

Ebenfalls beruhigend ist, dass Polizei mich nicht weiter beachtet. Aber das wird sicher noch kommen. Spätestens an der Mautstelle. Da ich aber für heut Abend jedwede Art von Komplikation vermeiden möchte, verlasse ich die Autobahn an der nächstmöglichen Ausfahrt, hoffe auf eine gute Ausschilderung zum Flughafen und versuche einen Weg über die Landstraßen zu finden. Nach wenigen Kilometern muss ich jedoch einsehen, dass das ziemlich aussichtslos ist. Auch mein GPS-Gerät hilft mir nicht weiter. Die Karte ist äußerst lückenhaft und zeigt mich nur als grünen Punkt auf weißer Fläche an. Was also machen? Ich überleg kurz und fahr zurück zur Autobahn. Irgendwie muss das jetzt gehen. Wird ja auch schon dunkel.

Reihenweise drehen sich die Autofahrer nach mir um. Ich bin wohl doch nicht so unauffällig, wie gedacht und gehofft. Und bald komm ich auch schon an die Mautstelle. Jetzt bin ich gespannt. Wie erwartet werde ich von der Polizei aus der Kolonne herausgewunken. Wo ich denn hinmöchte, ist die verwunderte Frage. Zum Imam-Khomeini-Flughafen meine Antwort. Und ein bisschen unbeholfen füge ich dem noch hinzu, dass ich ein Tourist bin. Ein musternder Blick wandert von mir zu meinem Fahrrad, dem ganzen Gepäck, dem riesigen Karton auf dem Gepäckträger und wieder zurück zu mir. Und dann werde ich mit einem kurzen Kopfnicken durchgewunken. Na das hätt ich jetzt nicht gedacht. Bloß schnell weg hier. Nicht, dass sich das noch jemand anders überlegt. Bei der nächsten Kontrolle das gleiche. Nachdem ich erklärt habe, dass ich zum Flughafen will, winkt man mich durch, salutiert und wünscht eine gute Weiterfahrt. Ach, ich mag den Iran…

Wohlbehalten komme ich nach zwei Stunden Fahrt am Flughafen an. Am Informationsschalter frage ich, wo ich mein Fahrrad verpacken kann. Es gibt eine Verpackungsstation, irgendwo am anderen Ende der Halle. Aber vorher muss ich an Schalter 3 und durch die Sicherheitsschleuse. Alle Taschen und auch mein Fahrrad werden durchleuchtet. Und dann bin ich auch schon im Flughafen und kann mir ein ruhiges Plätzchen suchen, wo ich mein Fahrrad soweit auseinanderbaue, dass es in den Karton passt, den ich mir in Teheran besorgt habe. Gar nicht so einfach. Heute morgen sah der Karton irgendwie viel größer aus. Nach vielen Versuchen ist alles verstaut und zugeklebt. Bis auf mein Hinterrad. Das muss ich extra verpacken. Ganz abenteuerlich wird das dann an dem Karton befestigt und in Folie eingewickelt. Hoffentlich übersteht mein Radl den Flug. Und hoffentlich kommt es auch mit mir in Usbekistan an. Man hört ja so einiges.

Nach der Gepäckabgabe hab ich noch etwas Zeit. Ich laufe durch den weiten Hallen und genieße einfach die geschäftige Flughafenatmosphäre. So oft erleb ich das ja auch nicht. Im Dutyfree-Shop gebe ich meine letzten Rial aus und decke mich noch mit Chips und Leckereien ein. Da hab ich gerade irgendwie Lust drauf. Um 4 Uhr morgens sitze ich dann im Flugzeug und pünktlich auf die Minute hebt der Flieger Richtung Usbekistan ab.

Sechs beeindruckende Wochen im Iran liegen hinter mir. Beeindruckend, was die Landschaft, vor allem aber, was die Menschen hier betrifft. Noch nie habe ich so viel Gastfreundschaft und so eine große Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft gegenüber fremden Menschen erlebt. In keinem der Länder, in denen ich bisher mit dem Fahrrad unterwegs gewesen bin. Ein Stück weit war ich ja schon darauf vorbereitet, weil ich viele Reisende getroffen habe, die hier im Iran gewesen sind. Es ist aber trotzdem nochmal etwas anderes, wenn man das dann tatsächlich selber erlebt. Und vor allem in dieser Intensität und Menge. Diese vielen Eindrücke und Erlebnisse müssen sich jetzt erstmal setzen und ankommen bei mir. Derweil mach ich mich auf den Weg in ein neues Land.

Usbekistan. Ich bin gespannt, wie es wird.