Ein Jahr unterwegs

Genau ein Jahr ist es jetzt her, dass ich mein schwer bepacktes Fahrrad auf die Lorettostraße in Freiburg geschoben und noch ziemlich wackelig und unsicher die ersten Meter zurückgelegt habe. Ein Jahr, seit ich die erste Nacht in der sturmdurchrüttelten Pfaffeneckhütte im Schwarzwald verbracht habe und dick eingepackt mein Abendessen kochend, nicht die leiseste Ahnung hatte, was die nächsten Monate bringen werden, wie sich das ständige Unterwegssein anfühlen und vor allem, ob das alles überhaupt klappen wird, was ich mir da vorgenommen habe. Ein kalkulierter Sprung ins kalte Wasser. Alles war neu und ungewiss. Von irgendeiner Routine noch keine Spur. Selbst das Packen der Taschen ging nur mit Hilfe einer Liste, weil ich noch nicht wusste, welches Teil denn jetzt genau in welche Tasche gehört. Aber der große Schritt war getan. Eine Tür war aufgestoßen und auf einmal war ich tatsächlich unterwegs und auf dem Weg hinein ins große Abenteuer.

366 Tage sind seitdem vergangen und es ist so unglaublich viel passiert. Mein Tacho zeigt mittlerweile einen Stand von über 15000 Kilometern an. Durch insgesamt 18 Länder haben mich diese geführt. Glücklicherweise konnte ich große Teile davon bei angenehmem Wetter zurücklegen, habe aber genauso Kälte, Hitze, Schnee, tagelange Regenfälle und Wind erlebt. Letzteren manchmal von vorn, oft aber auch von hinten, so dass es auch dank seiner Hilfe mit der Zeit immer weiter von zu Hause fort ging.

Es ist schnell vergangen dieses Jahr. Und doch fühlt es sich manchmal fast so an, als hätte ich noch nie etwas anderes gemacht. Mein vorheriges Leben und die Zeit vor meiner Abfahrt sind in weite Ferne gerückt. Eine Erinnerung. Das einst so große Ungewisse hingegen ist lange schon zu einem Zuhause, zu meinem Alltag geworden. Ein besonderer Alltag, denn das Schöne ist, dass er sich noch immer aufregend und frisch anfühlt. So, wie vor einem Jahr. Sicher ist es mittlerweile eine andere Art Aufregung als noch in den ersten Wochen meiner Reise. Eine gesetztere und ruhigere. Routine und Gewohnheit sind eingekehrt. Aber es hat sich nie eine Monotonie eingestellt, denn trotz aller Normalität ist jeder Tag immer wieder anders gewesen.

Wenn morgens alle Taschen am Rad festgezurrt sind und ich im Sattel sitze, dann hab ich das Gefühl, der Tag kann kommen. Und oft läuft es ab dann fast wie von selbst. Am Anfang war das noch etwas anders. Mein Rad und ich brauchten doch noch eine ganze Weile, bis wir uns aneinander gewöhnt hatten. Bis Serbien würd ich sagen. Vor allem der Sattel wollte und wollte anfangs einfach nicht passen. Das war ein ganz schöner Kampf. Bretthart und unbequem. Mittlerweile fühlt es sich aber an, als würde ich auf einem Sofa sitzen, wenn ich morgens aufs Rad gestiegen bin. Obwohl man diese Behaglichkeit meinem Sattel kaum ansehen will. In all den Monaten ist mein Fahrrad immer mehr zu meinem treuen Begleiter geworden, hat gutmütig und stoisch die vielen Schlaglöcher, Schotterpisten, Busfahrten und Wetterkapriolen über sich ergehen lassen und mich wirklich nie im Stich gelassen. Es hat mittlerweile zwar ein paar Kratzer und Schönheitsdellen, aber außer drei Platten ist nie etwas zu reparieren gewesen oder musste ausgetauscht werden. Noch nicht mal die Bremsbeläge. Sämtliche Ersatzteile liegen noch immer jungfräulich verpackt ganz unten in einer meiner Ortlieb-Taschen. Und so ist es bis heute ein Genuss geblieben im Sattel zu sitzen und in die Pedale zu treten.

Seit einem Jahr ist das eines der wenigen konstanten Dinge in meinem Alltag: im Sattel sitzen und in die Pedale treten. Egal, ob durch Wälder, Wüsten, Berge, durch Einsamkeit, Großstadthektik, über Bundesstraßen, Autobahnen oder Feldwege. Die Umgebung, das Wetter, die Übernachtungsarten und –orte, das Essen, die Mentalitäten haben auf sich meinem Weg immer wieder verändert, das In-die-Pedale-treten hingegen ist gleich geblieben. Wie in jedem normalen Alltag auch gab es dabei gute und schlechte Tage. Tage, an denen alles wie am Schnürchen lief, Tage in atemberaubender Umgebung, an denen die Sonne schien, der Wind seinen Teil zum Vorankommen beigetrug und schönste Begegnungen mit den Menschen vor Ort mich nur noch staunen und mein Glück kaum fassen lassen konnten, tatsächlich auf einer solchen, auf dieser Reise zu sein. Und dann gab es aber eben auch Tage, an denen überhaupt nichts geklappt hat, an denen ich nicht die geringste Lust hatte aufs Rad zu steigen, schlecht gelaunt und genervt war, Tage, an denen der Verkehr kaum zu ertragen war, Anstiege nicht mehr enden wollten oder an denen Wetterextreme, Hunde oder Kommunikationsschwierigkeiten an der Substanz gezehrt haben.

Aber irgendwann hat man eben auch solche Phasen überwunden, hat den  längsten Anstieg geschafft und das mieseste Wetter ausgestanden und kann sich bei blauem Himmel und schönstem Sonnenschein auf eine Wiese setzen und Aussicht und Hochgefühl nach den zurückliegenden Strapazen genießen. Frust und Euphorie liegen oft nah beieinander – in jedem Fall auf Radreisen. Für mich war dieses Jahr ein Geschenk. Es war reich und bunt. Voller Erlebnisse und Eindrücke und  herzlicher Begegnungen. Und gerade diese waren es, die mir oft besondere, wenn auch nur kurze Einblicke in ein Land und eine Kultur ermöglicht haben und vor allem waren sie es, die mir immer wieder das Gefühl gegeben haben, ich bin willkommen.

Nach drei Monaten in Europa und neun Monaten in Asien wird es jetzt bald auf die letzte Etappe meiner Reise gehen. Australien und Neuseeland stehen als die beiden letzten längeren Abschnitte noch an. Ich bin also immer noch mittendrin in meiner Tour. Ganz langsam taucht am Horizont dann aber doch das Ende auf. Mit Sicherheit wird das eines der Highlights auf meiner Reise sein. Trotzdem hoffe ich, dass es noch etwas auf sich warten lässt und freue mich erstmal, auf meine letzten Tage in Asien, bevor es dann Mitte April auf das letzte große Teilstück gehen wird.

 

Ein Jahr in 99 Bildern…. 

Malaysia

Der Grenzübergang Wangprachan ist ein Traum. Mal ganz abgesehen davon, dass er landschaftlich überaus reizvoll liegt, ist Wangprachan endlich mal keine Ansammlung von grauen Blech- und Betonbauten, wie viele andere Übergänge zuvor, sondern richtig schick, klein, fast schon gemütlich. Gut, viel macht davon sicher die Umgebung aus und vielleicht auch meine etwas sentimentale Stimmung, die mich manchmal an Grenzen überkommt. Trotzdem ist Wangprachan mal eine Grenze mit Charme. Zumindest im Vergleich. Ohne eine gewisse Hektik gehts aber auch hier nicht von statten. Dafür sorgen vor allem die vielen Händler in ihren Verkaufsständen, die für die letzten thailändischen Baht im Geldbeutel am Straßenrand ihre Waren anbieten. Von meinen letzten Münzen hab ich mich allerdings schon ein paar Kilometer vorher getrennt und nochmal ordentlich Wasser und Essen aufgeladen und in der Sonne mein letztes thailändisches Eis genossen. Vanilleeis mit Schokolade und Nussstückchen. Mein neuestes Laster…

Das wirklich Tolle an Wangprachan ist jetzt aber, dass ich während des Grenzkontrollprozederes mein ganzes Gepäck einfach am Fahrrad lassen kann, denn es gibt keine Röntgenscanner, durch die ich jede meiner Taschen einzeln schieben müsste und auch niemanden, der einen Blick in meine Taschen werfen will. Sehr zu meiner Freude, denn das spart wirklich ungemein Arbeit. Meint man gar nicht. Nach der Passkontrolle muss ich auf malaiischer Seite daher nur noch ein Formular ausfüllen, dann werden die Fingerabdrücke meiner Zeigefinger eingescannt, ein neuer Stempel wird in den Pass gedrückt und schon kann ich einreisen. Nach höchstens 15 Minuten ist alles vorbei. Inklusive Anstehen.

Wieder ein neues Land, mittlerweile das Achtzehnte. Und wie in jedem neuen Land brauche ich erstmal wieder etwas Zeit, um mich zu akklimatisieren. Da es schon später Nachmittag ist, steht zunächst mal die Suche nach einer Unterkunft an. Irgendwo ankommen und durchatmen, mehr brauche ich heute eigentlich nicht mehr zu schaffen. Kurz hinter der Grenze dann gleich die erste Möglichkeit. Hier befindet sich das noch nicht eröffnete Besucherzentrum des Perlis State Parks. Es sieht alles ziemlich verwildert aus aber das Pförtnerhäuschen ist besetzt. Also frag ich da mal nach, ob ich hier irgendwo zelten kann. In Thailand war das in Nationalparks ja auch nie ein Problem.
Klar kann ich hier zelten, heißt es. Ich soll mir einfach ein nettes Plätzchen auf dem Gelände suchen. Ist ja sonst auch keiner da. Schnell ist das Zelt aufgebaut und der Kocher angeworfen und mit den letzten Sonnenstrahlen kann ich mein Abendessen und noch einen leckeren Kaffee genießen.

Gleich hinter der Grenze zu übernachten war gar keine schlechte Idee. Bis zum nächsten Ort ist es zwar nicht weit. Vielleicht zehn Kilometer. Die Straße dahin führt allerdings über einen Berg, der es ganz schön in sich hat, wie ich am nächsten Morgen eindrucksvoll erfahre. Die ziemlich steilen Serpentinen muss ich mich ganz schön hochkämpfen. Bin ich gar nicht mehr gewohnt, das Fahren am Berg. Ich glaub, der Wolkenpass in Vietnam wird wohl der letzte Berg auf meiner Reise gewesen sein. Ziemlich lange her, wie ich jetzt merke. Zu der körperlichen Anstrengung kommen dann noch die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit, so dass die ersten Meter in Malaysia eine ganz schön schweißtreibende Angelegenheit werden. Aber dafür gibts zwischendrin auch immer wieder schöne Ausblicke, die für die ganzen Mühen entschädigen.

Landschaftlich gefällt mir Malaysia richtig gut. Zumindest der Nordwesten. Vielmehr hab ich ja noch nicht gesehen. Es sieht stellenweise ganz anders aus als in Thailand, obwohl das von hier gesehen ja noch um die Ecke liegt. Ich fahr durch schattenspendende Laubwälder und vorbei an abgemähten Feldern. Fast könnt man meinen, man sei in Mitteleuropa. Wenn da nicht ab und zu eine Palme am Wegesrand stünde und wenn die Temperaturen etwas geringer wären.
Ja, zur Zeit muss es wirklich ungewöhnlich heiß sein. Sogar die Malaien stöhnen unter der Hitze. Sobald ich mit Leuten ins Gespräch komme, ist meist irgendwann die Hitze Thema. Anscheinend ist es in diesem Jahr besonders heftig. Seit Wochen gab es überhaupt keinen Regen, so dass das Gras vielerorts vertrocknet ist. Sogar das Gesundheitsministerium soll kürzlich empfohlen haben, sich tagsüber nicht mehr im Freien aufzuhalten. Ich weiß nicht woran es liegt, vielleicht hab ich mich ja mittlerweile etwas an die hohen Temperaturen gewöhnt, aber tagsüber auf dem Fahrrad empfinde ich die Hitze gar nicht so sehr als belastend. Zumindest dann, wenn ich gerade keinen Berg erklimmen muss. Ganz anders siehts aus, wenn ich mal eine Pause mache und stehe oder durch die Stadt laufe. Aber wenn einem tagsüber der Fahrtwind um die Ohren weht, gehts eigentlich.

Aufgrund der hohen Temperaturen sieht man tagsüber momentan  aber eher wenige Menschen durch die Straßen laufen. Abends dagegen wirds richtig voll. Etwa gegen 19 Uhr, wenn die Sonne untergegangen ist. Besonders auf den Nachtmärkten, die man seit China eigentlich in jeder Stadt findet. Aber auch auf den Plätzen und in den Parks sieht man nach Einbruch der Dunkelheit ganze Heerscharen an Menschen, die unterwegs sind, picknicken, Sport treiben, Musik machen oder einfach irgendwo im Park sitzen. Teilweise bis weit nach Mitternacht. Ruhe kehrt erst spät ein in Malaysia. Vor allem in Alor Setar, meiner ersten größeren Stadt, ist mir das aufgefallen. Hier hab ich letzte Woche einen kleinen Zwischenstopp eingelegt, bevor es dann am letzten Dienstag weiterging, nach Sungai Petani.

Über das Übernachtungsnetzwerk warmshowers.org hab ich hier Xin kennengelernt und konnte für eine Nacht bei ihr und ihrer Familie bleiben. Xin lebt auf einer Farm, die sie nach permakulturellen Maßstäben betreibt. Im Mittelpunkt dieser Idee steht eine nachhaltige Landwirtschaft, fairer Handel, möglichst auf lokaler Ebene und interkultureller Austausch. Teilweise mit Unterstützung von freiwilligen Helfer aus aller Welt baut Xin verschiedene Obst- und Gemüsesorten an, lädt regelmäßig Schulklassen ein, die in verschiedenen Projekten mitarbeiten und hat eine ganze Schar an Hühnern auf ihrem Hof zu versorgen. Eigentlich ist sie Elektroingenieurin. Sie hat jedoch schnell umgesattelt und lebt jetzt mit ganzem Herzblut ihren Traum auf der Farm ihres Onkels. Irgendwann möchte sie komplett davon leben können. Ganz reicht es dazu momentan noch nicht.

Momentan wird Xin von Marco aus Deutschland und seiner Freundin aus China unterstützt. Beide leben seit drei Wochen mit auf der Farm. Zusammen sitzen wir an diesem Abend lange auf der Veranda und erzählen bis tief in die Nacht hinein. Themen finden sich reichlich. Auch was das Reisen betrifft, denn Xin ist selbst für einige Monate mit dem Rad von Malaysia nach Nepal gereist und Marco hat bereits vor zwei Jahren Deutschland verlassen und ist seit dem unterwegs. Und so finden sich an diesem Abend ganz verschiedene Ideen, Eindrücke, Reisearten, Erlebnisse und Erfahrungen zusammen. Sehr inspirierend.

Eine Nacht bleibe ich bei Xin und mach mich dann nach einem leckeren Frühstück auf den Weg nach Georgetown auf der Insel Penang. Eigentlich hatte ich nur einen kurzen Zwischenstopp geplant. Nun sind daraus aber vier Tage geworden. Aber hier gibts auch wieder mal so viel zu entdecken. In den letzten vier Tagen hab ich Penang einmal per Rad umrundet und den zweitkleinsten Nationalpark der Welt durchwandert, einmal von Ost nach West, dann nach Norden und wieder zurück. Heut hab ich mir nochmal einen Pausentag gegönnt, um meinen Muskelkater in den Beinen (!) etwas auszukurieren. 

Morgen wirds dann wieder weiter gehen. Das nächste Ziel ist Kuala Lumpur – die Hauptstadt Malaysias. Vielleicht schaff ichs ja bis Ostern…