Lucy und Paul und eine Wahnsinnsveranda

Zusammen mit Lucy und Paul sitze ich bei ihnen zu Hause auf ihrer Veranda.  Ihrem Traum von einer Veranda sollte ich sagen. Sicher fünfzehn Meter lang und drei Meter breit zieht sie sich über die gesamte Ostseite ihres Hauses. An jedem Morgen direkt vom Frühstückstisch aus die Chance auf einen Sonnenaufgang. Und was für einen. Ihre Terrasse liegt direkt am Meer. Höchstens siebzig Meter bis zum Strand und zwischendrin nur das Grün der Dünen. Kaum vorstellbar, dass diesen Blick ein Fünf-Sterne-Hotel toppen kann.

Paul und ich haben uns heute Nachmittag ganz zufällig getroffen. Ich war gerade in einem der vielen kleinen Parks, die es hier überall gibt, hab mir an einem der elektrischen Barbecue-Kochfelder mein Mittagessen gekocht und mich mit zwei Tschechen unterhalten, die hier Urlaub machen. Die beiden haben mein schwer beladenes Fahrrad gesehen und nach dem Woher und Wohin gefragt. Und dann haben sie angefangen in Erinnerungen zu schwelgen und von ihren Rucksackreisen durch Europa und Asien Anfang der 70er Jahre erzählt. Damals, noch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Wir unterhielten uns eine ganze Weile über Dies und Das, schwärmten von den Bierpreisen in der Tschechei und dann kam auf einmal Paul um die Ecke gejoggt und unsere kleine Unterhaltung ging zu viert weiter.

Irgendwann ging dann jeder wieder seiner Wege und ich kochte weiter an meinem Mittagessen. Paul kam dann aber nochmal zurück. Er war schon zu Hause und hat seiner Frau erzählt, dass er einen Radfahrer aus Deutschland getroffen hat. Sie meinte daraufhin, dass er mich doch einladen könne. Sie würde etwas Leckeres kochen und wir könnten dann ein bisschen erzählen. Die beiden fliegen nämlich in zwei Wochen nach München und wollen von dort durch Südosteuropa und Nordafrika reisen. Und so ein paar Tipps aus erster Hand wären da doch gar nicht schlecht. Paul und ich verabreden uns für den Abend. So hab ich noch genug Zeit und kann später noch eine Runde im Meer schwimmen gehen. Und eine Dusche wär bei der Gelegenheit eigentlich auch nicht schlecht. Die letzte liegt nämlich schon ein paar Tage zurück. Und die sauberen Reservewechselklamotten zieh ich am besten auch gleich an. Wie aus dem Ei gepellt mach ich mich dann gegen halb sechs auf den Weg.

Und so sitzen wir jetzt zusammen auf dieser Wahnsinssveranda. Von Lucy wurde ich total herzlich empfangen, so als würden wir uns schon Ewigkeiten kennen. Sie hat Lamm, Gemüse und Kartoffeln gekocht. Dazu gibt es Wein und Bier. Da es vorhin einen Stromausfall gegeben hat, ist die Terrasse nur von ein paar Kerzen erleuchtet. Passend zum Ambiente. Im Hintergrund hört man das dumpfe Grollen der Wellen, die sich am Strand und an den Felsen brechen.
Ich muss echt sagen, vor so schöner Kulisse hab ich selten zu Abend gegessen. Bis spät in die Nacht hinein sitzen wir hier und unterhalten uns über tausend verschiedene Dinge. Über Musik, Politik, australische Geschichte, die DDR und vor allem auch übers Reisen. Speziell das Reisen in Asien und ganz besonders das in Vietnam, das es uns allen dreien irgendwie angetan hat. Lucy und Paul schwärmen außerdem von Frankreich, Spanien und Portugal, wo sie im vorletzten Jahr unterwegs waren und ich erzähl vom Iran und China und auch von meinen ersten Wochen in Australien. Von Brisbane und den Tagen mit Jeremie und Thomas am See und von den letzten beiden Wochen.

Sehr vielseitig waren sie gewesen. Vor allem landschaftlich. Selten war die Umgebung in der ich gefahren bin so abwechslungsreich, wie auf meiner ersten Etappe hier in Australien. Vom Stadtverkehr in Brisbane und dem zersiedelten Umland gings zunächst durch den hügeligen, südöstlichsten Teil von Queensland, dann durch die Bergregion von Canungra, von dort zurück an die Küste und immer an dieser entlang, weiter Richtung Süden, bis zum östlichsten Punkt Australiens bei Byron Bay. Es war nicht übermäßig lang dieses Stück an der Küste, aber schon auf diesem kurzen Abschnitt gab es einige richtig schöne Strände zu sehen. Also eigentlich die schönsten auf meiner ganzen Reise. Die Strände in Thailand könnten da vielleicht noch mithalten. Aber ansonsten hab ich bisher nichts Vergleichbares gesehen. Oft kilometerlang, meist ziemlich einsam, mit unterschiedlichster Vegetation und mit zum Teil richtig hohen Wellen. Mein Favorit bisher ist der Wategos Beach am östlichsten Punkt Australiens. Schön klein, mit einem so phantastischen Blick auf eine bis zum Horizont reichende Bergkette, dass ich gleich mal zwei Tage geblieben bin.

Nach meiner ersten Küstenetappe gings dann wieder in die Berge und nach ein paar Tagen schon wieder zurück ans Meer. Ziemlich kreuz und quer. Innerhalb weniger Stunden hat sich dabei das Landschaftsbild oftmals komplett geändert. Morgens noch am Meer, ist man selbst mit meinem 45 kg schweren Reiserad bereits mittags längst in den Bergen und kann sich wie im Schwarzwald fühlen. Da kommen dann sogar in Australien richtige Heimatgefühle auf. Verkehrstechnisch ist es auch relativ entspannt – wenn man nicht gerade auf dem Pacific Highway unterwegs ist. Manchmal lässt sich das aber nicht vermeiden, denn der Pacific Highway stellt die Hauptverkehrsachse zwischen Brisbane und Sydney dar. Man könnte natürlich nur auf Nebenstraßen fahren, aber dann würde die Strecke schnell doppelt oder drei Mal so lang werden. Von daher muss es eben auch ab und zu mal auf dem Pacific Highway vorangehen. An sich fand ichs verkehrstechnisch bisher aber wiegesagt  ganz ok. Kein Vergleich zu Asien.

Aber auch so unterscheidet sich das Fahren hier sehr von dem in Asien. Es ist deutlich ruhiger. Und es wird auch überhaupt nicht mehr gehupt. Außer, wenn ich mal wieder zu weit rechts fahre. In Asien war das Hupen ja Gang und Gäbe. Es wird auch nicht mehr gewunken oder vom Straßenrand gegrüßt. Was das betrifft sind die Australier (zumindest die, die ich bisher getroffen habe) viel reservierter. Ins Gespräch komme ich aber trotzdem täglich. Üblicherweise dann, wenn ich mein Fahrrad irgendwo abgestellt habe, einkaufen bin oder eine Pause mache. Oftmals sind es Leute, die selbst viel reisen. Eben, so wie Paul.

Der Abend bei Paul und Lucy geht schnell vorbei. Und die Nacht irgendwie auch. Am nächsten Morgen werde ich ziemlich früh von einem warmen Bäckereiduft, der durchs ganze Haus zieht, geweckt. Paul hat gebacken. Neben dem frischen Brot gibts zum Frühstück Butter und Honig, schwarzen Tee mit Milch und dann noch Kaffee. Lecker. Beim Frühstück meint Lucy, dass sie heute nach Newcastle fahren und dort für ein paar Tage ihre Tochter besuchen. Wenn ich will, könnt ich aber ruhig noch ein paar Tage hier bleiben. Es wär dann halt keiner da. Klingt verlockend, besonders bei dieser Veranda und den Wetteraussichten der nächsten Tage. Das Angebot will ich dann aber doch nicht annehmen.

Irgendwie hab ichs ja fast auch schon wieder etwas eilig. Denn wenn ich auf die Karte schaue, ist Brisbane noch immer erschreckend nahe und Melbourne noch ziemlich weit entfernt. Es ist aber auch wirklich schwer hier mal einen Tag durchzufahren.  Überall gibt es schöne Ecken und am liebsten würde ich auch überall anhalten, wo es schön ist. Obwohl, eigentlich mach ich das ja auch meistens. Letzte Woche hab ich daher meinen Negativ-Tageskilometerrekord aufgestellt. Auf ganze sieben Kilometer bin ich da gekommen. Das zieht den Wochenschnitt natürlich ganz schön runter. Daher muss ich die nächsten Tage mal wieder etwas schneller fahren. Sonst schaff ichs nicht mehr bis zur die Great Ocean Road. Die liegt nämlich noch hinter Melbourne und ist neben Sydney der Grund dafür gewesen, warum ich mich bei meiner Routenwahl für die Ostküste Australiens entschieden habe.

Jetzt bin ich aber erstmal nochmal in den Bergen unterwegs. Kurz hinter Bellingen. War ein Tipp von Lucy. Morgen werde ich hier eine kleine Extratour machen. Bei der Touristeninfo hab ich nämlich ein paar schöne Routenvorschläge bekommen und konnte, weil es ja wirklich nur um die Ecke liegt, einfach nicht wiederstehen. Aber ab übermorgen gehts dann im Sauseschritt weiter Richtung Süden….