Aktive Vulkane und Sonne satt

Das Tongariro Alpine Crossing soll ja zu den schönsten Tageswanderungen der Welt gehören. So hab ich es zumindest in einem Reiseführer gelesen. In nur wenigen Kilometern lassen sich hierbei ganz unterschiedliche und äußerst spektakuläre Landschaften erleben. Fast schon wie aus einer anderen Welt. Man passiert erkaltete Lavafelder, heiße Quellen, Gletschertäler und Bergseen und überquert dabei ein Massiv, das von den drei aktiven Vulkanen Mt. Tongariro, Mt. Ruhapehu und Mt. Ngauruhoe beherrscht wird. Und eben dieser Mt. Ngauruhoe war es, der in den Herr-der-Ringe-Filmen quasi zu Weltruhm gelangt ist. Hier hat Frodo nämlich den Ring hineingeworfen und so Mittelerde vor Saurons Herrschaft bewahrt. Für mich Gründe genug, um den Tongariro National Park und das Alpine Crossing zu meinem persönlichen Highlight der Nordinsel zu erklären.

Aber ausgerechnet jetzt ist das Wetter so schlecht. Regen, Schnee und Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 km/h am Red Crater, dem höchsten Punkt der Wanderung, machen eine Überquerung faktisch unmöglich. Ganze vier Tagen harre ich daher in Turangi aus und warte auf eine Wetterbesserung. Aber weder im örtlichen Touristeninfo-Center noch im Hostel macht man mir allzu große Hoffnungen, dass sich diesbezüglich in den nächsten Tage etwas ändern wird. Die Hostelbesitzerin fiebert quasi mit mir mit, aber es hilft alles nichts. Am Sonntagmorgen druckt sie den aktuellen Wetterbericht für den Tongariro-Nationalpark aus und auf dem heißt es, dass bis voraussichtlich Dienstag alle Touren ausgesetzt sind.

Da kann man wohl nichts machen. Bis spätestens Dienstag hätte ich ja gewartet, länger geht es aber absolut nicht, da mir sonst die Zeit auf der Südinsel zu knapp wird. Daher heißt es für mich am Montag Taschen packen und weiter fahren. Ziemlich schade, gerade weil ich wegen des schlechten Wetters schon zwei schöne Radwanderwege ausfallen lassen musste. Aber da steckt man eben nicht drin. Mein Plan ist jetzt, in maximal vier Tagesetappen nach Wellington durchzufahren. So kann ich zumindest ein bisschen Zeit gut machen. Und vielleicht ist das Wetter auf der Südinsel ja ein bisschen besser.

Meine erste Etappe führt mich von Turangi bis National Park. Hier wollte ich mal wieder zelten. Die vielen Nächte in Hostels gehen ja irgendwann doch ganz schön ins Geld. Da es jedoch auch am Montag entgegen aller Vorhersagen fast nur regnet, habe ich nicht die geringste Lust irgendwo im nassen Gras mein Zelt aufzubauen. Glücklicherweise – muss ich im Rückblick sagen. Denn ohne den Regen hätte ich ja nie die Jugendherberge in National Park angesteuert.

An der Rezeption lern ich hier Michael, Malu, Philipp und Logan kennen. Die vier wollten bzw. wollen genau wie ich den Tongariro Nationalpark durchwandern und haben sich gerade für eine Tour angemeldet. Und zumindest Michael und Malu haben ebenfalls schon einige Tage auf besseres Wetter gewartet und sind heute extra nochmal nach National Park zurückgekehrt. Im Grund sind wir also Leidensgenossen. Es steht zwar noch nicht fest, ob es eine Tour geben wird, aber für Dienstag ist jetzt anscheinend doch besseres Wetter angekündigt. Naja, mal abwarten. Ich werd das morgen einfach spontan entscheiden.

Am Dienstag um halb sieben dann der prüfende Blick aus dem Fenster. Die Sonne ist zwar noch nicht aufgegangen aber schon jetzt sieht man keine einzige Wolke am Himmel. Na wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl ist. Ich pack meine Sachen – also nur den Rucksack – und los gehts, zusammen mit Michael, Malu, Logan und Philipp zum Treffpunkt des Tourveranstalters. Entgegen unseren Erwartungen herrscht hier dichtes Gedränge. Da haben wahrscheinlich so einige auf besseres Wetter gewartet. Es dauert daher eine ganze Weile bis jeder mit Helm, Eishammer und Steigeisen ausgestattet ist. Aber kurz nach halb neun sind wir startklar und mit zwei Bussen geht es zum Mangatepopo-Parkplatz im Nationalpark. Und von hier beginnt dann unsere Tour. Und das Beste ist: bei strahlendem Sonnenschein und wolkenlosem Himmel. Was ein Kontrast zu den letzten Tagen.

Zum Einlaufen geht es erstmal durch ganz flaches Gelände. Bäume gibt es keine, dafür wachsen hier aber noch kleine Büsche und irgendwelche Gräser. Und es liegt Schnee. Trotzdem ist es nach den ersten Metern warm genug, um kurzärmlig zu laufen. Was für eine Wohltat nach den vielen Tagen im Regen. Und das Wetter, das könnte besser nicht sein. Selbst unsere Guides sind ganz begeistert und meinen, dass sie selten so einen guten Blick auf die Berge hatten. Oftmals liegt bei den Touren die Sicht nur bei wenigen hundert Metern, so dass die Vulkane nicht selten hinter einem dichten Wolkenschleier verborgen bleiben. Wir haben allerdings richtig Glück. Selbst der knapp 60 Kilometer entfernte Mt. Taranaki an der Westküste Neuseelands ist in der Ferne zu sehen.

Mit der Zeit wird das Gelände etwas steiler. Über Eis und Schnee geht es vorbei an erkaltetem Lavagestein. Links von uns Mt. Tongariro, im Rücken Mt. Taranaki und rechts bzw. im Süden erhebt sich Mt. Ngauruhoe bzw. der Schicksalsberg immer weiter in den Himmel. Man weiß eigentlich gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Auch Malu, Michael, Philipp und Logan sind total begeistert. Zum Glück hat das noch geklappt. Und dieses Wetter….echt der Wahnsinn.

Während einer der Pausen erfahren wir, dass Mt. Ngauruhoe gerade einmal knapp 2500 Jahre alt ist, ein Wimpernschlag – zumindest im Leben eines Berges. Er ist einer der aktivsten Vulkane Neuseelands und allein im letzten Jahrhundert über 15 Mal ausgebrochen. Sein letzter größerer Ausbruch ereignete sich Mitte der 70er Jahre, weswegen viele der Steine um uns herum noch nicht einmal 50 Jahre alt sind. Seine perfekte Kegelform hat ihm zu seinem großen Auftritt in der Herr-der-Ringe-Trilogie verholfen. Und jetzt direkt mal davor zu stehen….ich muss echt sagen, da hat sich die ganze Warterei wirklich gelohnt.

Der erste richtig steile Anstieg führt uns zum Mangatepopo-Sattel. Schon von hier hat man einen atemberaubenden Blick nach Westen. Wie gesagt, selbst die schneebedeckte Spitze vom Mt. Taranaki an der Westküste Neuseelands kann man deutlich erkennen. Hier auf dem Sattel gibts erst mal eine wohlverdiente Mittagspause. Als wir uns dann irgendwann wieder auf den Weg gemacht haben, befinden wir uns nach ein paar Metern auf einem Hochplateau, dem South Crater und sind im alpinen Bereich des Vulkanmassivs angekommen. Trotzdem hat man mal wieder etwas Zeit zu verschnaufen, da das Gelände vollkommen flach ist. Und es ist weiterhin allerbestes Wanderwetter. Die Sonne brennt vom Himmel und es regt sich kein Lüftchen, so dass man im Laufen ganz schön ins Schwitzen kommt. 

Unser zweiter längerer Anstieg führt uns zum Fuße des Red Crater, einem aktiven Krater, der den höchsten Punkt des Tongariro Alpine Crossings bildet. Von hier würde der Weg jetzt weiter über den Krater gehen. Das sind nochmal knappe 150 Höhenmeter. Für uns ist am Fuße des Red Crater allerdings Schluss. Es besteht erhöhte Lawinengefahr (Stufe 4 von 5) so dass wir uns von hier aus wieder auf den etwa acht Kilometer langen Rückweg machen. Über den Red Crater weiter zum Endpunkt des Alpine Crossings zu laufen, das wäre jetzt natürlich noch das Sahnehäubchen gewesen. Aber ich möcht mich ja gar nicht beschweren. Dass das mit der Wanderung überhaupt noch geklappt hat….da können wir echt froh sein.

Das seh ich spätestens am nächsten Morgen. Denn wie die ganzen letzten Tage auch, regnet es mal wieder fast ohne Unterlass und auch die drei Vulkane sind wieder hinter Wolken verschwunden. Aber es hilft alles nichts, ich muss raus, um jetzt wirklich mal etwas voranzukommen. Nach einem ausgiebigen Frühstück werde ich an diesem Tag bis Wanganui  fahren. Insgesamt fast 125 Kilometer und die ersten 80 davon durch strömenden Regen. Aber das radel ich mit einem Dauergrinsen ab, denn immerhin hat das mit der Wanderung im Tongario-Nationalpark ja nun doch noch geklappt. Und zwar bei allerschönstem Sonnenschein.