Eigentlich brauch ich ja selten einen Wecker. Letzten Donnerstag hab ich mir dann aber doch einen gestellt, denn am Freitag ging es ungewohnt früh raus. Um acht Uhr sollte meine Fähre ablegen, letzter Check-in war um sieben. Und da ich mir beim Frühstücken immer gern Zeit lasse, hat mein Wecker am Freitag eben schon kurz vor halb sechs die Nacht für beendet erklärt. Das mit dem Wecker war gar keine schlechte Idee, denn ohne wäre mein Morgen wahrscheinlich ziemlich chaotisch verlaufen, da ich mit Sicherheit verschlafen hätte. Bin ich gar nicht mehr gewohnt, so früh aufzustehen. Ich brauchte daher auch ein bisschen, um in Gang zu kommen. Aber es wird.
Kurz vor sieben Uhr steh ich abreisefertig vor der Jugendherberge und kontrolliere wie jeden Morgen bevor ich losfahre noch routinemäßig, ob ich alles wichtige, also Reisepass, Geldbörse, Kamera und Handy, dabei habe. Dann noch schnell das GPS-Gerät für die Aufzeichnung meiner Reiseroute einschalten, den aktuellen Kilometerstand notieren und los.
Kurz vor sieben bin ich am Fährhafen. Das Terminal ist noch ganz leer, füllt sich aber zusehends mit Passagieren. Nach dem Check-in kann ich mich nochmal zurücklehnen, denn die Fähre hat eine halbe Stunde Verspätung. Mich stört das nicht, denn ich hab ja Zeit und ab Picton auf der Südinsel geht es wirklich nur noch mit dem Rad weiter, ganz anders als bei vielen anderen Wartenden, die einen Bus erwischen müssen und schon ganz unruhig werden.
Ja, jetzt geht es tatsächlich auf die allerletzte Etappe. Schon irgendwie ein komisches Gefühl. Wenn ich die Fähre verlassen habe, werde ich auf einer Straße stehen, die mich direkt bis Akaroa bringen wird. Bisher war es ja so gewesen, dass immer noch ein oder mehrere Flüge und eine Schiffspassage vor mir gelegen haben. Daher hatte ich selbst auf der Nordinsel Neuseelands das Gefühl, dass Akaroa noch immer ziemlich weit entfernt ist. Ab heute Mittag wird sich das jedoch zum ersten Mal ganz anders anfühlen. Die verbleibende Strecke wird dann nur noch auf wenige Tagesetappen zusammengeschrumpft sein, von denen man jeden Meter mit dem Fahrrad zurücklegen kann. Da hab ichs jetzt wirklich bald geschafft. Einerseits freut mich das natürlich, denn Akaroa war ja die ganzen Monate mein Ziel gewesen, anderseits muss ich mich aber eben auch langsam damit anfreunden, dass meine Reise bald zu Ende sein wird. Und das wird dann bestimmt eine ganz schöne schwere Umstellung werden.
Im Moment will ich mir darüber aber noch gar nicht so sehr den Kopf zerbrechen und schiebe diese Gedanken daher wieder weit weg. Erstmal freu mich jetzt auf die Überfahrt. Die ist knapp drei Stunden lang und führt auf einer etwa 90 Kilometer langen Route von Wellington durch die sturmgepeitschte Cook Strait, einer der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Die Fahrt führt bis nach Picton, einer kleinen Stadt an der Nordspitze der Südinsel, fast am Ende des Queen Charlotte Sound gelegen. Dass es stürmisch wird, merkt man schon bei der Hafenausfahrt. Spätestens jedoch, als wir die schützende Hafenbucht von Wellington verlassen haben. Ich kann es nur schwer abschätzen, wie schnell der Wind weht, aber es fällt richtig schwer über das Deck zu laufen. Und stehen kann man nur noch mit deutlicher Schräglage nach vorne. Diesen Wind auf Abruf als Rückenwind beim Radfahren…das wär genial. Ein oder zwei Prozent Steigung ohne zu treten, wären da sicher kein Problem. Ich zieh daher auf jeden Fall mal meine Kapuze ganz fest über den Kopf – hab mich nämlich gerade so langsam mit meiner neue Mütze angefreundet, nicht, dass die auch noch verloren geht.
Ich verbringe die meiste Zeit draußen an Deck, obwohl es mit der Zeit ganz schön kalt wird. Zwischendrin geh ich immer mal wieder rein, um mich ein bisschen aufzuwärmen. Aber nur kurz. Draußen ist es einfach viel zu schön. Allein schon der Wind. Und dann ändern sich auch ständig die Wolkenbilder am Himmel und das Licht auf dem Wasser und an Land. Nachdem wir die Bucht bei Wellington verlassen haben, kann man schon ziemlich deutlich die schneebedeckten Berge auf der Südinsel erkennen. Von der Hafenbucht aus geht es auf der Cook Strait dann erstmal grob Richtung Nordwesten, quasi zwischen beiden Inseln hindurch und dann hinein in den malerisch schönen Queen Charlotte Sound. Hier hat auch schon James Cook während seiner Entdeckungsfahrten immer wieder mal geankert, um sich und seinen Männern eine Pause zu gönnen.
Kaum sind wir vom offenen Meer in den Sound eingebogen, geht der Wind merklich zurück. Dafür fängt es aber bald an so richtig schön zu regnen. Es wär echt auch zu schön gewesen, wenn das Wetter gehalten hätte. Naja, man kann nicht alles haben. Immerhin hatte ich in Wellington drei Tage am Stück regenfrei. In Picton quartier ich mich daher nochmal für eine Nacht in einer Jugendherberge ein, denn die Nordspitze der Südinsel – die Marlborough-Sounds – sollen zu einer der schönsten Gegenden der Südinsel gehören. Und das möchte ich jetzt gern auch mal bei Sonne erleben. Die soll ab morgen wieder scheinen und dann laut Wetterbericht auf jeden Fall auf unbestimmte Zeit. Ich bin gespannt und freu mich auf jeden Fall schon mal auf meine ersten Meter auf der Südinsel.