Im Eiltempo nach Istanbul

Von Nessebar gehts am Donnerstagmorgen weiter Richtung Burgas. Hier wollt ich mich ja eigentlich mit Lui treffen. Aber von Lui ist weit und breit nichts zu sehen. Er hat am Mittwoch nämlich ebenfalls einen Tag Pause gemacht und ist jetzt gerade erst auf dem Weg hierher. Noch etwa 40 Kilometer hat er vor sich. Also das mit unseren Planungen müssen wir glaub ich nochmal üben. Aber gut, so hab ich jetzt wenigstens jede Menge Zeit und kann noch etwas essen und einen Kaffee trinken gehen. Und da es urplötzlich anfängt zu regnen, bin ich auch gar nicht so traurig drum, hier in Burgas warten zu müssen.

Am späten Nachmittag treffen wir uns dann an einer Tankstelle am Stadtrand. Lui hat über Couchsurfing eine Übernachtungsmöglichkeit organisiert. Die müssen wir jetzt nur noch finden. Aber dank GPS kein Problem. Im Zickzack gehts in Richtung Innenstadt zu Fatma. Fatma wohnt hier in einer 1-Zimmer-Wohnung und bei ihr können wir eine Nacht bleiben. Die Fahrräder kommen in den Keller und unser Gepäck hieven wir in den zweiten Stock. Während wir duschen können, geht Fatma einkaufen und kocht dann etwas Leckeres für uns drei. Ich freu mich voll, denn es gibt zur Abwechslung mal etwas anderes als Reis mit Zwiebeln oder Äpfel, Brot und Bananen. Sehr, sehr lecker! Nachdem wir gegessen haben, zeigt uns Fatma Burgas. Zu dritt schlendern wir durch die Innenstadt, gehen Eis essen und dann am Strand spazieren. Wir haben richtig viel Spaß und lachen viel miteinander. Und auch Gesprächsstoff findet sich reichlich. Wir unterhalten uns über unsere Reisen, die Arbeit, übers Essen und das Leben in Bulgarien, Hong Kong und Deutschland. Ist wird ein sehr kurzweiliger Abend. Und er dauert auch länger als gedacht. Denn auf dem Rückweg zu Fatmas Wohnung verlaufen wir uns ordentlich und sehen so noch einige Ecken mehr von Burgas, als ursprünglich geplant war.

Am nächsten Morgen gehts für Lui und mich dann weiter. Unser Ziel heute ist die türkische Grenze in knapp 80 Kilometer Entfernung. Wenns gut läuft, könnten wir das schaffen. Aber es kommt wie es kommen muss, unterwegs bricht Luis Gepäckträger an einer der Hauptstreben und so müssen wir das erst mal mit Kabelbindern und Panzertape notdürftig versorgen. Nach Burgas wirds dann grün und ziemlich einsam. Wir sind jetzt im Strandscha-Gebirge. Ab und an kommen wir an kleinen Dörfern vorbei, aber die meiste Zeit gehts durch Wälder und an Wiesen und Feldern entlang. Und meist bergauf. Sehr zu Luis Leidwesen.

Unterwegs treffen wir Michal aus der Slowakei. Er fährt mit seinem Motorrad über die Türkei und Zentralasien nach Ulan Bator in der Mongolei. Für den Rückweg wird er dann die Transsibirische Eisenbahn nehmen. Sein Ziel für heute ist Istanbul. Noch etwa 300 Kilometer hat er da vor sich. Von solchen Distanzen können wir natürlich nur träumen. Wir sind froh, wenn wir die restlichen 40 Kilometer nach Malko Tarnovo schaffen. Das wär der letzte Ort vor der Grenze. In Malko Tarnovo ist für uns dann heute aber auch Schluss. Hier teilen wir uns ein Zimmer in einem Gästehaus.

Am nächsten Tag brechen wir früh auf und fahren die letzten sieben Kilometer bis zur Grenze. Es regnet und geht immer weiter bergauf. Zum ersten Mal seit Wochen pack ich meine Regenklamotten wieder aus. An der Grenzstation ist es dann richtig kalt. Lange bleiben wir hier nicht. Kurz aufwärmen und dann fahren wir weiter. Aber das Tollste ist: ab jetzt geht erst mal bergab. Gleich nach der Grenze dann ein vollkommen anderes Straßenbild. Die Straßen sind in einem Topzustand. Zweispurig mit einem breiten Randstreifen. So können wir es laufen lassen, bis Kirklareli, der ersten Stadt auf türkischer Seite. Und obwohl zwischen Malko Tarnovo und Kirklareli nur knapp 45 Kilometer liegen, befinden wir uns auf einmal in einer ganz anderen Welt. Im Gegensatz zu den kleinen, verschlafenen Ortschaften Südbulgariens herrscht hier auf den Straßen lebhaftes Treiben. Eine ganz angenehme Hektik irgendwie. Zumindest jetzt am Anfang. Überall laufen, sitzen, stehen Menschen. Autos und Motorräder fahren neben und hintereinander und wild zwischen allen Fahrspuren verteilt. In einer Tour wird gehupt und gerufen und herumgestikuliert. Und es ist wieder warm und sonnig. Was ein krasser Wechsel in den wenigen Kilometern. Kann man sich kaum vorstellen. Und zum ersten Mal hör ich aus den Lautsprechern eines Minaretts den islamischen Gebetsruf. Es hallt durch die ganze Stadt. Unglaublich beeindruckend. Auch gerade, weil ich das eben wirklich zum allerersten Mal so ganz hautnah und direkt erlebe.

Da es noch nicht so spät ist, wollen Lui und ich noch weiter fahren. Ich hab nämlich ein bisschen Zeitdruck, weil ich in zwei Tagen in Istanbul sein möchte, um mich dort um mein Visum für den Iran kümmern zu können. Bis dahin sinds aber noch knapp 200 Kilometer. Und wenn wir so vorankommen wie bisher, dann schaffen wir das niemals. Wir fahren daher bis in den späten Abend hinein und bauen irgendwo, etwas abseits der Straße, unsere Zelte auf. Genau wie am nächsten Tag. Da wir erst um 11 Uhr loskommen und tagsüber auch einige Pausen machen, fahren wir wieder bis zum Einbruch der Dunkelheit.

Am Montagmorgen verabschieden wir uns dann voneinander. Zumindest fürs Erste. Denn am Abend sollte ich nun wirklich unbedingt mein Hostel erreicht haben – und es sind immer noch knapp 140 Kilometer. Lui will sich das eher auf zwei Tage verteilen und zwischendrin eine Unterkunft suchen. Den letzten Tag fahr ich also allein.

Bis in die Außenbezirke von Istanbul komm ich auch ziemlich gut voran. Aber ab da wirds dann abenteuerlich, denn die Verkehrsdichte wird immer höher und ich muss mir die Straße mit Motorrädern und PKWs, aber auch mit Bussen und LKWs teilen. Und die brausen in einem Wahnsinnstempo und manchmal mit unfassbar knappen Abstand an mir vorbei. Fahrradwege gibt es nirgends. Allenfalls einen Randstreifen. Aber ab und zu fehlt auch der. Und dann muss man ganz schön aufpassen. Zudem sind es von den Außenbezirken bis ins Zentrum von Istanbul knappe 45 Kilometer. Und es geht bergauf und bergab. Wahrlich kein Spass mit einem 45-Kilo-Reiserad. Aber trotz allem komm ich wohlbehalten im Zentrum von Istanbul an. Und hier bleib ich jetzt erstmal auch.

Heut Abend kommt dann auch noch Erik zu Besuch. Und gemeinsam werden wir uns zwei, drei Tage Istanbul anschauen. Ich werd auf jeden Fall bis Sonntag hier bleiben. Und vielleicht hab ich ja dann auch schon mein erstes Visum in der Tasche.

 

Unverhofft kommt wirklich oft…

Vama Veche, ein kleines Örtchen am äußersten Südostrand von Rumänien. Hier bin ich nach zwei Tagen Fahrt von Tulcea aus gelandet. Schon auf dem Weg wurde mir der Ort mehrfach empfohlen: direkt am Meer gelegen, langer, flacher Sandstrand und es gibt viele Möglichkeiten zu zelten. Hört sich gut an. Und da Vama Veche auch noch direkt auf meiner Route liegt, werd ich hier auf jeden Fall mal anhalten und einen Zwischenstopp einlegen.

Keine Hundert Meter vom Meer entfernt finde ich einen kleinen, gemütlichen Zeltplatz für mich und meine ganzen Sachen. Das ist ja irgendwo immer eine Grundvoraussetzung dafür, dass ich länger an einem Ort bleiben und auch mal etwas unternehmen kann. Ich zahl gleich mal für zwei Nächte. So hab ich auf jeden Fall einen kompletten Tag, an dem ich hier ausspannen kann. Und das mach ich am nächsten Tag ausgiebig. Ich bin ganz faul und lieg entweder in der Hängematte oder am Strand. Und da beides ja so nah beieinander liegt, kann ich nach Lust und Laune hin und her wechseln.

Eigentlich steht fest, dass ich noch einen weiteren Tag bleibe. Aber dann treff ich Lui. Ganz zufällig. Ich lauf gerade durch den Ort und seh auf einmal ein schwer bepacktes Reiserad irgendwo an einer Wand stehen. Ich schau kurz, wer als Besitzer in Frage kommen könnte und setz mich dann zu Lui an den Tisch, der dort ganz in Gedanken versunken an einer Hähnchenkeule nagt. Lui kommt aus Hong-Kong. Er ist vor neun Monaten in Kapstadt gestartet, hat dann ganz Afrika sowie West- und Mitteleuropa durchquert und ist jetzt auf der Heimreise nach Hong-Kong. Wir unterhalten uns ein bisschen über unsere Touren und Reiserouten und stellen ziemlich schnell fest, dass wir mit Istanbul unser nächstes Etappenziel teilen. Da könnt man doch zusammen fahren. Und genau das beschließen wir auch und verabreden uns für den nächsten Tag um 10 Uhr. So schnell ändern sich die Dinge…

Zehn wirds nicht sondern elf, aber dann stehen wir abfahrtbereit da. Erst mal steuern wir den nächsten Laden an und geben da unsere letzten Lei aus. Gleich hinter Vama Veche liegt nämlich die rumänisch-bulgarische Grenze.  Als wir die Grenze erreichen, herrscht hier Hochbetrieb. Eine lange Autoschlange schiebt sich vor uns her. Groß warten müssen wir dennoch nicht. Routiniert und mit wenigen Handbewegungen wird hier der Grenzverkehr abgewickelt. Auch ich kann gleich weiter fahren. Bei Lui dauerts ein wenig länger, bis für ihn die Grenzformalitäten geklärt sind. Aber das kennt er schon und hat mich entsprechend vorgewarnt. Anders als chinesische Staatsbürger braucht Lui mit seinem Hong-Konger Pass nämlich kein Visum für Bulgarien. Aber bis das allen klar ist, vergehen ein paar Minuten. So oft kommen hier Reisende aus China oder Hong-Kong eben nicht vorbei.

Die nächsten Tage gehts für Lui und mich immer in südlicher Richtung an der Küste entlang. Ich hab also weiterhin eine geographische Reisebegleitung. Denn wie die Donau bis Tulcea, wird jetzt das Schwarze Meer für eine Weile immer ganz in meiner Nähe sein. Von wenigen Abschnitten mal abgesehen. Bis Istanbul auf jeden Fall, und vielleicht auch noch darüber hinaus. Lui und ich fahren meist über Bundesstraßen, ab und zu passieren wir kleinere Ortschaften. Alles in allem ist dieser Routenabschnitt aber recht dünn besiedelt und so haben wir in den nächsten beiden Nächten immer die Möglichkeit unsere Zelte irgendwo in Meeresnähe aufzustellen. Abends kochen wir dann immer noch eine Kleinigkeit, bevor es dann, nachdem die Sonne untergegangen ist, in den Schlafsack geht.

Unser Plan ist es, bis Istanbul zusammen zu fahren. Und bis gestern sah es auch so aus, als würde das klappen. Unbeabsichtigterweise haben sich unsere Wege dann aber getrennt. Irgendwo hinter Varna ist es passiert. Nach einem langen Anstieg und einer Abfahrt haben wir uns aus den Augen verloren. Telefonnummern ausgetauscht hatten wir natürlich nicht. Aber zum Glück hatte mir Lui am ersten Abend seine Visitenkarte gegeben. So konnten wir heute zumindest mal wieder Kontakt aufnehmen und uns für morgen in Burgas verabreden.  Von Burgas sind es dann nochmal etwa 80 Kilometer bis zur bulgarisch-türkischen Grenze. So wie es aussieht, werden wir also spätestens am Freitag dort ankommen. Wenn alles nach Plan läuft…