Ein Weg aus Ruse heraus ist gar nicht so leicht zu finden. Trotz GPS-Unterstützung und einer recht überschaubaren Straßenführung. Heute sind nämlich die Hauptverkehrsstraßen abschnittsweise gesprerrt. Grund ist ein Autorennen, welches mitten durch die Stadt geleitet wird, die Pista Ruse. Die Stadt ist von einem ohrenbetäubenden Lärm erfüllt. Im Minutentakt donnern Autos an mir vorbei und verschwinden genauso schnell mit quietschenden Reifen hinter der nächsten Kurve. An vielen Straßenrändern stehen Menschen und insbesondere auf Brücken, die über die Hauptstraßen führen, ist ein Durchkommen nur im Schritttempo möglich. Mein Weg führt mich daher durch die vielen Nebenstraßen im Zickzack aus der Stadt heraus. Nach einer knappen Stunde hab ichs geschafft. Die Stadt liegt hinter mir und ich bin auf dem Weg Richtung Silistra an der rumänischen Grenze.
Ich hab mich auf einen langen Tag eingestellt. Vor mir liegen ungefähr 120 km. Dazu soll es dann noch sehr warm werden, knapp 30 °C sind angekündigt. Aber schon jetzt spürt man die aufkommende Hitze. Wasser hab ich daher reichlich eingepackt. Knapp 3 Liter verteilen sich an und auf meinem Fahrrad. Das sollte erst mal eine Weile reichen. Und zwischendrin kann ich auch immer mal wieder nachtanken, denn auf dem Weg nach Silistra werd ich an einigen Ortschaften vorbeikommen. Diesbezüglich ist die Versorgungssituation in Bulgarien ausgezeichnet. Denn ganz anders als in Deutschland haben auch am Wochenende viele Läden geöffnet. Zumindest der Nachschub an Lebensmitteln stellt daher überhaupt kein Problem dar. Das war auch schon in Serbien so. Brot ist recht günstig und kostet nur wenige Cent. Dazu kauf ich mir dann immer noch Obst, meist Äpfel und Bananen, und Wasser. Damit komme ich dann ganz gut durch den Tag. Auf mein geliebtes Müsli mit Apfelsaft muss ich morgens aber oft verzichten, denn Saft bekommt man in den kleinen Lebensmittelläden kaum. Und wenn doch, dann sind es meist nur Fruchtsaftgetränke mit sehr viel Zucker.
Trotz meines reichhaltigen Frühstücks finde ich die Strecke nach Silistra aber irgendwie anstrengend. Ich fahre zwar auf einer Bundesstraße und komm daher auch ganz komfortabel voran, aber es gibt immer wieder sehr flache Anstiege, die sich über einige Kilometer hinziehen. Anfangs hab ich das gar nicht so richtig mitbekommen und mich immer gewundert, warum es so schwer vorangeht. Bis ich dann irgendwann einfach mal gewendet habe und mein Fahrrad dann urplötzlich ganz langsam anfing zu rollen. Aha, so ist das also… Darüber hinaus gibt es landschaftlich kaum Abwechslung und so ziehen sich die Kilometer endlos in die Länge. Die Beschilderung am Straßenrand tut ihr übriges und weist mich in ernüchternder Regelmäßigkeit immer wieder darauf hin: Silistra 80 km…Silistra 65 km…Silistra 50 km. Die Strecke scheint kein Ende zu nehmen. Naja, da muss ich jetzt irgendwie durch.
Gegen 18 Uhr beschließe ich nach knapp 100 km einen Platz fürs Zelt zu suchen. Auf meiner Karte seh ich, dass ganz in der Nähe, bei Srebarna, ein See ist. Da könnts doch sicher gute Zeltplätze geben. Auf meinem Weg um den See herum finde ich tatsächlich auch eine schöne Wiese und beschließe hier mein Zelt aufzubauen. Neben mir grillt eine junge Familie, die mich kurzerhand zu Bier und Würstchen einlädt. Ich hol meine Karten raus und erklär ihnen, wo ich herkomme und wo es die nächsten Tage noch hingehen soll. Wir können uns glücklicherweise auf Englisch unterhalten und so wird es ein ganz lustiger Abend. Gegen 9 ists dann fast dunkel. In der Ferne zieht ein Gewitter auf. Aber da lieg ich schon gemütlich im Schlafsack.
Am nächsten Tag überquere ich bei Silistra die Grenze zu Rumänien. Für den Rest des Donauradweges wird das mein letzter Grenzübertritt gewesen sein. Etwa 350 km sind es jetzt noch bis zur Mündung der Donau ins Schwarze Meer. Und die geht es hauptsächlich durch recht dünn besiedelte Landstriche im Osten Rumäniens. Meist fahr ich an Weiden, Äckern oder Waldstücken vorbei. Ab und zu durchquere ich kleine Dörfer. Jedes Haus hat hier einen kleinen Garten oder Hof in dem etwas angebaut und Hühner oder Enten gehalten werden. Um die Dörfer herum, viele kleine Felder, die oft noch in Handarbeit bewirtschaftet werden. Überall seh ich Pferdewagen, mehr noch als in Bulgarien hab ich den Eindruck. Meist dienen sie als Transportmittel, manchmal aber auch einfach als Autoersatz. Und so hört man in den Dörfern auf der Straße oft Hufgeklappere, anstelle von Motorengeräuschen und sieht vor den Lebensmittelläden oder Kneipen keine Autos sondern eben zwei oder drei Pferdewagen stehen. So, als wäre die Zeit um 100 Jahre zurückgedreht worden.
Die nächsten drei Tage fahre ich bis in den späten Nachmittag hinein durch. Eine kurze Pause mach ich immer am späten Vormittag, wenn ich einen Lebensmittelladen angesteuert und mich mit Essen und Wasser für den Tag eingedeckt habe. Viele Läden haben im Eingangsbereich Stühle und Tische stehen. Hier trink ich meist noch einen Kaffee. Oft sitzen dann auch schon zwei, drei Gäste an den Tischen. Wenn ich mein bepacktes Fahrrad dann vor dem Laden abstelle, dauert es meist auch nicht lang bis wir ins Gespräch kommen. Neben dem Woher und Wohin wird oft gefragt, ob ich allein fahre, wie viel Kilometer es schon sind, wie schwer mein Fahrrad ist und ob ich keine Angst vor Banditen habe. Die Kommunikation läuft meist ziemlich holperig. Aber irgendwie gehts. Ich werde verstanden und verstehe auch mehr als gedacht. Viele Begriffe kann man über das Lateinische ableiten. Ab und an komm ich aber auch mit Englisch weiter.
Seit Donnerstag bin ich jetzt in Tulcea. Tulcea wird auch als das Tor zum Donaudelta bezeichnet. Hier bleib ich erst mal eine Weile. Nach den vielen Tagen, die ich jetzt am Stück unterwegs war, tut mir ein kleines Päuschen sicher ganz gut. Auf jeden Fall möchte ich mir das Donaudelta anschauen und ans Schwarze Meer bis zum Donaukilometer Null bei Sulina fahren. Mitte nächster Woche wird es dann weiter Richtung Süden gehen.