Die Vojvodina und Novi Sad

Hercegszántó wirkt wie ausgestorben. Kein Mensch auf den Straßen, die Rollläden vieler Häuser sind heruntergelassen. Und es ist erst kurz nach drei. Ich bin im letzten Ort vor der Grenze zu Serbien und fühl mich ein wenig wie am Ende der Welt. Seit Budapest habe ich zwar noch einige Orte passiert, die meiste Zeit bin ich jedoch durch recht einsame Gegenden gefahren. Manchmal direkt an der Donau entlang, meist jedoch nur in ihrer Nähe. Im Vergleich zu vielen zurückliegenden Abschnitten finde ich den ungarischen Teil des Donauradweges weit weniger spektakulär. Es ist flach und geht größtenteils an Feldern und Äckern entlang. Und ich brauche meine Karte recht häufig, da es nur an den Hauptabzweigungen Beschilderungen gibt.

Ich durchquere Hercegszántó und rolle an Ackerflächen und Wiesen vorbei auf die ungarisch-serbische Grenze zu. Serbien gehört noch nicht zur Europäischen Union. Daher finden an der Grenze reguläre Kontrollen statt. Aufregend. Die erste richtige Grenze. Wie wird das wohl ablaufen? Werd ich lange warten und alles auspacken müssen? Na, ich werds gleich sehen. Entgegen meinen Erwartungen ist an der Grenze absolut nichts los. Außer mir ist niemand da, der auf die andere Seite will. Die ungarischen Grenzbeamten prüfen meinen Pass. Sie fragen, wo genau ich hin will und ob ich auf dem gleichen Weg zurückkomme werde, Auf serbischer Seite interessiert man sich dafür, ob ich auch nach Belgrad fahre. Der Grund erschließt sich mir nicht ganz, aber nachdem ich bejaht habe, bekomme ich einen Stempel in meinen Pass und kann einreisen. Das ging ja dann doch recht flott.

Ich befinde mich jetzt in der Vojvodina, einer autonomen Region Serbiens. Hier leben über 30 verschiedene Ethnien zusammen, neben Serben vor allem Ungarn, aber auch Kroaten, Rumänen, Bulgaren und Deutsche. Die Ortsbeschilderungen sind z. T. dreisprachig. Hinter der Grenze wird noch viel Ungarisch gesprochen. Und auch Deutsch wird ganz gut verstanden. Die Menschen sind sehr freundlich und aufgeschlossen. Häufig wird mir beim Durchqueren von Ortschaften zugewinkt, oder aber ich werde gefragt woher ich komm und wohin ich fahre. Und es wird viel gelacht. In Bezdan, ein paar Kilometer hinter der Grenze, erkundige ich mich nach einer Zeltmöglichkeit. Ein Vater holt seinen Sohn. Aus der Schule kann der etwas Deutsch. Er wird kurzerhand auf ein Fahrrad gesetzt und lotst mich dann an den Ortsrand. Dort ist eine idyllische kleine Wiese, auf der ich mein Zelt aufstellen kann. Ich fühl mich gleich sehr wohl in Serbien.

Mein Ziel für den nächsten Tag ist Novi Sad. Hier hab ich eine Übernachtungsmöglichkeit. Und zwar bei Nenad, mit dem ich mich über warmshowers.org verabredet habe. Ganz so weit schaff ichs dann aber doch nicht, denn der Radweg folgt wieder dem Lauf der Donau und ist daher deutlich länger, als der direkte Weg über die Fernstraßen. Da es gegen Abend anfängt zu gewittern und sich zunehmend einregnet, entschließe ich mich in einer Pension zu übernachten. In Bac finde ich eine Unterkunft und lerne gleich eine Besonderheit in Serbien kennen. Offiziell muss man sich hier als Ausländer an seinem Aufenthaltsort innerhalb von 24 Stunden polizeilich melden. Die Anmeldung wird in meinem Fall von der Pension übernommen. Hier werden die wichtigsten Daten meines Reisepasses und das Datum meiner Ankunft erfasst und ein paar Minuten später wird von der Polizei vor Ort eine Art Aufenthaltsbestätigung ausgestellt, die ich bis zur Ausreise aufbewahren muss. Anscheinend ist das eine Regelung, die noch aus sozialistischen Zeiten stammt. Inwieweit das bei der Ausreise von Relevanz sein wird und ob ich das Dokument wirklich brauche, werde ich noch sehen.

Auf dem Weg nach Novi Sad fällt mir immer wieder ein spürbares Wohlstandsgefälle zu Ungarn auf. Viele Häuser sind verfallen oder in stark renovierungsbedürftigem Zustand. Vor allem in den Dörfern. Bei den Straßen ist es ähnlich. Häufig muss ich um Schlaglöcher herumnavigieren. Während einer Rast lerne ich Daria, eine Agraringenieurin kennen. Irgendwie kommen wir auch auf die Lebensverhältnisse im Land zu sprechen. Von ihr erfahre ich, dass das Durchschnittseinkommen bei etwa 350,-€ liegt. Und obwohl sie für serbische Verhältnisse ganz gut verdient, reicht ihr Gehalt kaum bis zum Monatsende aus. Diejenigen die einen Hof oder etwas Land haben, können sich noch ein Stück weit selbst versorgen. Der Rest muss irgendwie mit seinem Gehalt auskommen. Und das bei Lebensmittelpreisen, die sich zum Teil auf einem ähnlichen Niveau bewegen, wie die in Deutschland.  

Am Mittwoch Nachmittag komme ich in Novi Sad an. Es regnet nicht mehr aber es hat sich deutlich abgekühlt. Kaum steige ich vom Fahrrad fange ich richtig an zu frieren. Ich pack mich daher warm ein. Nicht, dass ich noch krank werde. Um 18 Uhr klingel ich bei Nenad. Zusammen tragen wir mein Fahrrad in seine Wohnung im dritten Stock. Kurze Zeit später kommen zwei weitere Gäste. Przemek und Lukasz aus Polen. In Nenads Küche stapeln sich jetzt  knapp zehn Gepäcktaschen und vier Fahrräder. Bei einer Flasche mazedonischen Rotweins verbringen wir einen lustigen Abend. Wir unterhalten uns über Serbien, Polen und Deutschland, über Fahrräder und übers Reisen. Wir vergleichen unsere Ausrüstung, fachsimpeln und lachen viel. Es ist ein echt schöner Abend. Es war das erste, aber sicher nicht das letzte Mal, dass ich mir über warmshowers einen Übernachtungsplatz gesucht habe.

In Novi Sad werd ich jetzt noch einen Tag verbringen, mir ein wenig die Stadt ansehen und die nächsten Tage planen. Morgen wirds dann weiter Richtung Belgrad gehen.