Sonne, Berge und eine verschwundene Stadt

Winter in Neuseeland. Witterungstechnisch bedeutet das, dass sich hier Sonne, Regen, Hagel, Wind und Schnee manchmal an einem einzigen Tag erleben lassen. Das Wetter kann so wechselhaft sein, dass man sich besser auf alle Eventualitäten einstellt. Daher war ich auch ziemlich skeptisch, als der Wetterbericht in Picton für die nächsten Tage durchgehend Sonne angekündigt hat. Das wär einfach viel zu schön, um wahr zu sein. Besonders, nachdem es ja auf der Nordinsel ziemlich nass gewesen ist. Aber der erste Blick aus dem Fenster Anfang letzter Woche lässt dann sogar hoffen. Blauer Himmel und fast keine Wolken am Himmel. Und das, obwohl es am Vortag noch fast ununterbrochen geregnet hat. Wie das doch die Motivation aufs Rad zu steigen heben kann. Schnell sind da die Taschen gepackt und am Rad befestigt.

Ursprünglich war ja mein Plan an der Ostküste entlang bis nach Christchurch zu fahren. Das wäre auch der direkte Weg. Letzte Woche hab ich diesen Plan dann aber spontan verworfen, denn ich wollte nochmal so richtig spektakuläre und neuseelandtypische Berglandschaften erleben. So schön die Nordinsel auch ist, aber das hat sie dann eher nicht zu bieten gehabt – abgesehen vielleicht vom Tongariro-Nationalpark. Von Picton aus mach ich mich daher Richtung Westküste auf den Weg. Die werde ich bis Greymouth, was sich etwa auf der Höhe von Christchurch befindet, entlangradeln, von dort ins Landesinnere Richtung Osten abbiegen, dann die Südalpen via Arthurs Pass überqueren,  weiter nach Christchurch und dann nach Akaroa fahren. Das ist zeitlich machbar und landschaftlich sicher auch viel eindrucksvoller als die Ostküste. Und wenn sich das Wetter wirklich halten sollte, dann werde ich sogar ein ganzes Stück an der Westküsten unterwegs sein können, ohne nass zu werden. Mal sehen…

Am Montag mach ich mich von Picton aus auf den Weg. Und das Wetter, das könnte echt nicht besser sein. Der Nordwesten der Südinsel gehört ja zu den sonnigsten Regionen Neuseelands. Und das erlebe ich gleich mal auf sehr eindrucksvolle Weise. Es ist sonnig und warm und schon jetzt ganz anders als auf der Nordinsel. Dort herrschte ja noch tiefster Winter. Hier sieht man hingegen schon die ersten Blüten an den Bäumen und es riecht richtig nach Frühling. Was für eine unglaublich Wohltat nach den vielen Wochen bei eher nasskalter Witterung. Seit Sydney war es ja wettertechnisch ziemlich durchwachsen gewesen. Aber gut, es ist halt Winter. Die Kälte hat mich dabei auch nie sonderlich gestört, aber die Nässe, die kann dann doch ganz schön an den Nerven zehren. Da gabs gerade in Australien öfter mal Momente, in denen ich andere Reisende, die in ihren warmen und trockenen Campervans unterwegs waren, echt beneidet habe. Besonders morgens.

Nicht jedoch heute. Heute ist es eher umgedreht. Es ist so schön draußen und unterwegs zu sein, dass es sich fast wie von selbst fährt. Dazu hör ich Porcelain von Moby rauf und runter. Ich weiß gar nicht, wo und wie ich jetzt wieder daran geraten bin, aber das passt so gut zum Wetter und auch sonst zu allem. Sonne, Musik hören und Fahrrad fahren. Und dann noch in Neuseeland. Da gibts doch kaum was Schöneres…

Von Picton aus nehm ich den Queen Charlotte Drive Richtung Nelson. Gleich nach dem Start wirds richtig hügelig, aber nicht so, dass man sich komplett verausgaben müsste. Und es ist richtig schön. Bergig, grün und sonnig. T-Shirt-Wetter. Wenn man so durch die Sonne radelt, kann man sich gar nicht vorstellen, dass es ja auch hier noch Winter ist. Das merkt man aber spätestens, wenn es Abend wird und die Sonne untergegangen ist. Dann wird es ziemlich schnell richtig kalt.
Morgens ist mein Zelt meistens mit einer dünnen Eisschicht bedeckt. Es dauert dann manchmal auch noch eine ganze Weile bis die Sonne es geschafft hat, sich durch die Wolken zu arbeiten. Aber dann ist es schon bald wieder richtig schön. Und das bleibt es tatsächlich auch die nächsten Tage. Ein Hoch auf den Wetterbericht von Picton….

Nach Nelson geht es an der Tasman Bay und am Rande verschiedener Nationalparks entlang. Und ich bin umgeben von schneebedeckten Bergen. Das sieht so toll aus. So kurz vor dem Ende ist das jetzt nochmal ein absolutes Highlight. Zum Glück ist es sonnig, sonst würde mir diese imposante Bergkulisse total entgehen. Für die nächsten Tage wird Nelson die einzige Stadt sein, die ich passiere. Ansonsten komme ich nur an kleinen Ortschaften vorbei. Manchmal nur eine einzige am Tag. Der Nordwesten der Südinsel ist eben ziemlich dünn besiedelt. Auch die restliche Südinsel ist nicht gerade überbevölkert. Insgesamt leben hier nur etwa eine Million Menschen, wobei die Südinsel in etwa so groß ist, wie Ostdeutschland und Bayern zusammengenommen. Also reichlich Platz für wenig Menschen.

Vor 150 Jahren haben Goldfunde gerade im Nordwesten viele kleine Ortschaften entstehen lassen. Einige davon sind dann irgendwann wieder verschwunden. So, wie die kleine Stadt Lyell. Die hat mich im Nachhinein total fasziniert. Mitte des 19. Jh. zur Zeit des Goldrausches entstanden, lebten hier zeitweise über 1000 Menschen. Das war für damalige Verhältnisse eine richtig pulsierende Stadt. Es gab Banken, Geschäfte, acht Hotels, zwei Kirchen, zwei Schulen, eine Brauerei und sogar eine eigene Zeitung. Heute hingegen ist von all dem ist nichts mehr übrig. Nicht ein einziges Haus. Die Stadt ist einfach wieder verschwunden. Nur der Fredhof steht noch vom Wald überwuchert da. Dort wo Lyell einst stand, befindet sich heute der Startpunkt für einen Radwanderweg und ein Rast- und Picknickplatz der neuseeländischen Naturschutzbehörde. Ansonsten hätte ich von diesem Ort auch nie erfahren, denn eigentlich wollte ich hier ja nur zelten. Aber durch ein paar Infotafeln und Nigel, einem Goldsucher, der hier mit seiner Frau campiert, hab ich etwas von Lyell und seiner Geschichte erfahren können.

Mich faszinieren solche Orte ja total. Über einhundert Jahre gab es hier einen ganz normalen Alltag mit Menschen und ihren Geschichten und heute ist das alles bis auf einen Friedhof vollkommen verschwunden. Und ohne mein Fahrrad hätte ich von diesem Ort nie erfahren, denn im Auto wäre ich an Lyell bestimmt einfach vorbeigefahren.

Nach Lyell ging es dann in den letzten Tagen über Westport und auf dem Küstenhighway bis Greymouth. Von hier werde ich morgen dann weiterfahren und Richtung Arthurs Pass aufbrechen. Und von dort sind es dann nur noch drei oder vier Tagesetappen bis Akaroa.