Ankunft in Akaroa

Vogelgezwitscher kündigt den langsam beginnenden Tag an. Den letzten auf meiner Reise nach Akaroa. Draußen ist es noch dunkel. Ich bleib daher noch eine ganze Weile im Schlafsack liegen, und lausche in den Morgen hinaus. Die Umgebung könnte idyllischer kaum sein. Mein Zelt steht inmitten von Bergen am Ufer eines Sees, ein paar Meter von einem plätschernden Bach entfernt. In Neuseeland hab ich zufälligerweise ganz oft an Bächen gezeltet, geht es mir durch den Kopf. Beim Einschlafen fand ich das immer total angenehm. Wasser klingt ja so schön gleichmäßig und beruhigend. Sowohl das rauschende Meer als auch ein dahinfließender Bach. Auf jeden Fall genau das Richtige, um nach einem langen Tag ganz sanft hinwegzudämmern. Gut geschlafen hab ich heute Nacht aber trotzdem nicht. Dazu war ich einfach viel zu aufgeregt.

Kurz bevor die Sonne aufgeht, steh ich auf und setzt mich für eine Weile ans Ufer. Heut ist also der letzte Tag, an dem ich unterwegs sein werde. Ich versuch mir das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen und alles um mich herum nochmal ganz bewusst zu erleben: die langsam erwachende Natur, das Sitzen am Zelt und auch nochmal meine tägliche Vorfreude auf das Frühstück. Das gibts heute direkt am Wasser. Zwei Tassen Kaffee und dazu leckeres Brot mit Butter und Nutella. Zur Feier des Tages. Während des Frühstücks wandert mein Blick immer wieder die Hügelkette entlang Richtung Osten. Irgendwo dort hinten liegt Akaroa. Es dürften eigentlich kaum mehr als 30 Kilometer sein. Einen dieser Hügel muss ich noch erklimmen und dann geht es fast nur noch bergab.

Gegen zehn Uhr hab ich zusammengepackt und mach mich auf den Weg. Die ersten Kilometer kann ich noch auf dem Little River Rail Trail fahren, einem kurzen Radwanderweg, der auf der ehemaligen Bahnstrecke Christchurch – Little River entlangführt. Am Beginn meiner Reise bin ich ja auf dem Donauradweg entlang geradelt. Dass ich jetzt auf den letzten Metern auch nochmal auf einem Radwanderweg fahren kann, freut mich irgendwie. Richtig schön ist es hier. Und auch das Wetter könnte besser nicht sein. Als hätte ich es bestellt. Und es erinnert mich ebenfalls an die ersten Wochen meiner Reise. Die Sonne scheint, es ist angenehm warm und man merkt richtig, wie der Frühling in seinen Startlöchern steht. Was für ein Kontrast zu den ganzen letzten Wochen und den Tagen vor Arthur´s Pass.

In Little River mach ich kurz Pause und schau mir am Ende des Rail Trails das alte Bahnhofsgebäude an. Bis in die 1960er Jahre sind hier von und nach Christchurch Züge gefahren. Heut ist das Bahnhofsgebäude Museum, gemütlicher Kruschtladen und Café. Beim Versuch die Infotafeln zu lesen, merk ich, dass ich mich überhaupt nicht konzentrieren kann. Draußen ist Frühling, die Sonne scheint und Akaroa ist nur noch ein paar Kilometer entfernt – ich muss unbedingt weiter. Nach Little River wird es etwas hügliger. Auf der Christchurch-Akaroa-Road geht es in steilen Kurven ca. 500 Höhenmeter bergauf. Von hier oben müsste ich Akaroa eigentlich bald sehen können. Bestimmt hinter der nächsten Kurve. Ich dreh und reck meinen Kopf ganz hoch in die Luft, um so weit es geht vorauszusehen. Aber noch ist die Böschung rechts von mir zu hoch. Da muss ich mich also noch ein paar Meter gedulden.

Aber dann. Am Ende der nächsten Kurve geben die Berge endlich den Blick nach Südosten frei. Noch nicht sehr viel, aber doch genug, um eine langgezogene Bucht zu erkennen und ganz an deren Ende eine größere Ansammlung von Häusern. Das muss es sein. Ich schau auf meiner Karte nach und vergleiche die Halbinselformen mit denen auf meiner Karte. Und tatsächlich. Ganz da hinten am gegenüberliegenden Ende der Bucht, das ist Akaroa. Unglaublich… Wirklich unglaublich. Zum allerersten Mal seh ich Akaroa mit meinen eigenen Augen. Laut Navi sind es von hier noch 18 Kilometer. Die geht es jetzt fast nur noch bergab. Ziemlich bald verschwindet Akaroa daher wieder hinter den Bergen. Aber in relativ kurzen Abständen weisen ab jetzt Straßenschilder darauf hin, dass ich meinem Ziel immer näher komme. Akaroa 10 Kilometer….Akaroa 3 Kilometer….und dann bin ich auf einmal da.

Ich passiere das Ortsschild von Akaroa und fahre die letzten Meter bis in die Ortsmitte. Ich bin in Akaroa! Nach 523 Tagen, über 21000 Kilometern auf dem Fahrrad und etlichen weiteren Tausend in Flugzeugen, Zügen, Bussen, Schiffen und Taxis. Ich hab mir oft versucht vorzustellen, wie das wohl sein wird, in Akaroa anzukommen. Und wie auch immer das dann aussah, bei einer Sache war ich mir jedes Mal absolut sicher: und zwar, dass ich unglaublich aufgeregt sein werde.

Und das würde ich hier und jetzt eigentlich gern auch genau so schreiben: dass ich absolut überwältigt und aufgedreht war und die Welt für einen kurzen Moment stillzustehen schien. Überraschenderweise hat es sich aber ganz anders angefühlt. Meine Aufregung und Anspannung, die waren auf einmal komplett verschwunden und ich war plötzlich ganz ruhig. Das muss während der letzten 18 Kilometer passiert sein. Auf der Hügelkuppe, dort, wo ich Akaroa zum ersten Mal gesehen habe, war das jedenfalls noch ganz anders.

Es ist ganz seltsam, trotz der Tage und Wochen, die ich Zeit hatte mich auf diesen Moment einzustellen, kommt bei mir jetzt, wo ich tatsächlich hier bin überhaupt nicht an, dass ich gerade mitten in Akaroa stehe und mein Ziel erreicht habe. Zumindest nicht in der Form, wie ich es vermutet hätte. Es fühlt sich eher wie das Erreichen eines weiteren Etappenziels an, so wie die Ankunft im Donaudelta, im Iran oder die in Sydney. Schon aufregend, aber überhaupt nicht wie das Ende meiner Reise. Zu wissen, dass man in Akaroa angekommen und nun etwas zu Ende gegangen ist, ist das eine, es dann aber in dem Moment emotional auch genau so zu erleben und komplett zu realisieren, das ist dann scheinbar doch nochmal etwas ganz anderes. Zumindest bei mir. Es ist vielleicht so ähnlich, wie wenn man ganz lange Karussell gefahren ist und dann auf einmal anhält und absteigt. Da dreht sich dann auch noch für eine Weile alles um einen herum, obwohl man ja schon längst wieder festem Boden unter den Füßen hat. Aber….trotz allem freu ich mich natürlich total in Akaroa zu sein. Allein schon wegen des sonnigen Wetters und der schönen Umgebung.

Ich mach daher auch gar nicht so viel anderes als sonst auch. Erstmal kauf ich mir etwas Leckeres zu Essen. Ein Baguette und meine neuseeländische Lieblingsschokolade – und damit setz ich mich auf eine Bank in die Sonne, hör einem Straßenmusiker zu und beobachte einfach das Treiben um mich herum. Und so vergehen meine allerersten Minuten in Akaroa. Auf jeden Fall vollkommen anders als erwartet, ganz ohne Wehmut und Traurigkeit, die einen ja auch überkommen könnte sondern eigentlich fast schon unspektakulär, aber für sich genommen trotzdem schön.

Insgesamt bleibe ich vier Tage in Akaroa. Während dieser Zeit laufe ich fast alle Wanderwege in Akaroas Umgebung ab und auch fast jede Straße im Ort. Meine persönlichen Highlights sind dabei eine Wanderung zum 806 Meter hohen Stony Bay Peak Summit, von dem man eine unglaublich schöne Aussicht auf Akaroa und die Umgebung hat und eine Bootsfahrt durch die lange Bucht bis hinaus aufs Meer. Die hab ich mir an meinem letzten Tag in Akaroa noch gegönnt.
Gerade bei der Wanderung auf den Gipfel ist dann immer aber auch mal kurz durchgesickert, wo ich hier eigentlich gerade bin und wie ich hier überhaupt hergekommen bin. Besonders dann, wenn ich zufällig an Ecken vorbeigekommen bin, die ich schon etliche Male auf Fotos gesehen habe.

Mittlerweile bin ich schon wieder zurück in Christchurch und mach mich mal langsam fertig für meinen Rückflug morgen Mittag. Heut werd ich mein Fahrrad auseinanderbauen und abreisefertig verpacken, die Flug- und Zugtickets ausdrucken,  versuchen mein Gepäck auf unter 37 Kilogramm zu reduzieren und nochmal eine Runde durch Christchurch spazieren. Und vielleicht schaff ichs sogar noch mich den Postkarten zu widmen, die ich in Akaroa gekauft habe. Die liegen nämlich noch alle ganz leer und unbeschrieben in meiner Tasche.

Hier in Christchurch fühlt es sich noch immer so an, wie bei meiner Ankunft in Akaroa. Ich hab überhaupt nicht das Gefühl, dass irgendetwas zu Ende gegangen ist. Daher kann ich auch noch gar kein Resümee zu meiner Reise schreiben, was ich ja eigentlich vorhatte. Dass meine Reise und damit auch das Projekt Akaroa nun beendet sind, ist mir natürlich irgendwo und irgendwie bewusst, aber bis diese Tatsache auch emotional zu mir durchgedrungen ist, werden sicher noch einige Tage vergehen. Aber das hat ja auch etwas Gutes: meine letzten Tagen in Neuseeland und auf meiner Reise sind daher nicht so sehr von Wehmut und Abschiedsschmerz geprägt, vielleicht wird das ja noch kommen, mal sehen. Momentan genieß ich einfach die letzten Stunden in Neuseeland, freu mich auf die nächsten Tage und Wochen und bin total gespannt, was die so alles bringen werden. Es fühlt sich gerade also ein bisschen so an, als würde ich einfach noch eine Zeit lang weiterreisen…

Einreise mit Hindernissen

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Mein erster Blick auf Neuseeland. Nach knapp drei Stunden Flug taucht unter der Wolkendecke fast wie aus dem Nichts die neuseeländische Küste auf. Ich hätte sie beinahe verpasst, aber auf dem kleinen Bildschirm vor mir hab ich unsere aktuelle Position immer verfolgen können. Daher war natürlich auch klar, wann wir ungefähr auf Land treffen werden. Der allererste Blick aus dem Flugzeugfenster bietet schon jetzt einen kleinen Vorgeschmack auf die Schönheit des Landes, die ich bisher ja nur von Bildern kenne. Ganz schroff und wild sieht Neuseeland von hier oben aus, dunkel und geheimnisvoll. Durch die Wolken hindurch sieht man das Meer, kleine Strände, man kann die Berge erahnen und das tiefe Grün der Landschaft. Ich fühle gleich an die Herr-der-Ringe-Filme erinnert.

Ich freu mich auf Neuseeland und bin schon sehr gespannt. Es fühlt sich aber ganz anders an, als bei meiner Ankunft in Australien. Es ist eine ganz ruhige, leise Freude. Eine, die man vielleicht nur alleine und für sich erleben kann, zumindest, wenn man so lange alleine unterwegs gewesen ist. Schwer zu beschreiben. Neben der Freude, nach all den Monaten nun wirklich in Neuseeland anzukommen, kündigt sich aber auf einmal auch ganz deutlich das Ende meiner Reise an. Das ist zwar immer noch ein paar Wochen entfernt, aber dadurch dass mein Rückflugdatum seit ein paar Tagen feststeht, sind die Tage meiner Reise nun sprichwörtlich gezählt. Das wird mir, jetzt wo Neuseeland da unter den Wolken auftaucht, auf einmal ganz deutlich bewusst. Naja gut, erstmal ankommen.

Das Prozedere am Flughafen kenn ich mittlerweile ja schon. Nach der Passkontrolle geht es Richtung Gepäckförderband, wo ich alle meine Taschen und den Fahrradkarton abhole. Von dort weiter Richtung Zoll und zur Biosecurity, wo sicherlich nochmal mein Fahrrad und das Zelt auf Rückstände von Erde, Gras und ähnlichem untersucht werden. Ich rechne mit etwa einer halben Stunde. Um 14 Uhr könnt ich also fertig sein, vor dem Flughafen mein Fahrrad zusammengebaut haben und auf dem Weg nach Auckland sein. Aber es kommt alles ganz anders.

Am Schalter des Zolls nimmt die Beamtin meinen Pass entgegen und fängt an diesen durchzublättern. Und damit beginnt das mit Abstand anstrengendste, nervenaufreibendste Einreisedrama meiner gesamten Reise. Fragen tauchen auf – viele Fragen, Fragen auf die man an einem neuseeländischen Zollschalter erst mal kommen muss. Ob ich alleine unterwegs bin, will man wissen, was ich im Iran wollte, wie lange ich in Usbekistan war, warum ich so nah an Syrien vorbeigefahren bin, ob ich im Irak war, warum ich mein Rückflugticket so spät gebucht habe, wo ich übernachten werde, warum ich noch nicht weiß, was ich mir in Neuseeland alles anschauen möchte, wie viele Grenzen ich passiert habe, wo genau ich in Australien gewesen bin. Und das war jetzt nur eine winzige Auswahl an Fragen. Mit der Zeit wird die Schlange hinter mir immer länger, so dass ein zweiter Schalter aufgemacht wird.

Ganz am Anfang denk ich mir noch nicht so viel dabei, beantworte geduldig alle Fragen und schieb ab und zu noch ein Witzchen nach. Aber irgendwann fang ich mich dann doch an zu wundern und stell ebenfalls eine Frage. Und zwar, warum sie das denn alles wissen möchte. Eine Antwort darauf bleibt die Beamtin mir jedoch schuldig bzw. weicht gekonnt aus. Nach einer halben Stunde bin ich erlöst. Endlich geht es weiter. Allerdings nur ein paar Meter. Ich werde aufgefordert mein Gepäck an einen Tisch zu schieben, der kurz hinter dem Schalter steht und dort zu warten. Es kommt gleich jemand.

Nach zehn Minuten kommt tatsächlich jemand. Und dann beginnt Fragerunde 2. Wieder Fragen zu meiner Route, zum Grund meiner Reise, zu meinen Ausrüstungsgegenständen etc. Außerdem wird jede meiner Taschen kontrolliert. Also aufs Genaueste. Jedes einzelne Ausrüstungsteil und Kleidungsstück wird ausgepackt und begutachtet, gedreht und gewendet. Auf dem Tisch liegt irgendwann ein Berg aus Taschen, Kleidung, Werkzeug und Kochgeschirr. Meine Tagebücher werden durchblättert und immer wieder werden ähnliche Fragen gestellt. Mit der Zeit kommt mir das alles wie das reinste Verhör vor. Die ganze Situation wirkt auf mich außerdem ziemlich angespannt. So als wäre ich schon fast wegen irgendetwas überführt. Ich mein, die Beamten sind schon, sagen wir mal, distanziert-freundlich. Ich bekomm etwas zu Trinken, werde aber gleichzeitig auch aufgefordert mich nicht so nah an den Tisch zu setzen. Gehört sicher zum Protokoll und wird bestimmt auch immer so gehandhabt, es erzeugt in mir aber ziemlich befremdliches Gefühl.

Und irgendwann nervt es einfach nur noch. Gerade weil es kein Ende zu nehmen scheint. Am Anfang versuch ich ja wie gesagt noch ruhig zu bleiben und sag mir, dass die Leute vom Zoll ja auch nur ihren Job machen. Auch den Drogentest mit speziellen Kontrollstreifen lass ich höchstens mit einem kleinen Stirnrunzeln über meine Taschen ergehen. Aber meine Antworten werden zusehends einsilbiger. Als dann jedoch zum dritten Mal gefragt wird, wo ich in Australien unterwegs gewesen bin, da kann ich einfach nicht mehr an mir halten. Dass er verdammt nochmal zuhören soll, wenn ich etwas erkläre, mache ich meinem Ärger gegenüber dem Beamten ziemlich deutlich Luft. Der ist noch ziemlich jung und wirkt auf mich, als würde er hier Dienst nach Lehrbuch veranstalten. Auf meine erneute Frage, warum ich hier so aufwendig untersucht würde und was die ganzen Fragerei soll, antwortet er, dass dies eben Aufgaben des Zolls sei. Er verschwindet dann irgendwann mit meinem Schlafsack, der Isomatte und meinem Fahrradkarton und meint, dass er das jetzt alles zur Kontrolle röntgen lassen müsse. Also da wusste ich dann wirklich nicht mehr, ob ich weinen oder lachen soll und konnte mein Gesicht nur noch ganz tief in meinen Händen vergraben.

Nach etwa zwei Stunden ist dann auch dieser Teil überstanden. Es geht nun weiter mit dem Mitarbeiter von der Biosecurity. Dieser fängt an mein Campingequipment, meine Schuhe und das Fahrrad zu untersuchen. Da ich in Melbourne aber alles penibel geputzt hatte, war er recht schnell fertig, saugte jedoch am Ende zur Sicherheit noch die letzten Krümel aus meinen Fahrradtaschen.
Und dann ging es weiter zur nächsten Befragung. In den ersten Stock in ein kleines Nebenzimmer. Dort wurden dann von einer dritten Beamtin ähnliche Fragen gestellt, wie in Runde 1 und 2. Wie finanziere ich die Reise? Was möchte ich mir in Neuseeland ansehen? Wo übernachten?

Nach weiteren zwanzig Minuten werde ich dann auch dort entlassen und soll nochmal kurz im Flur warten. Man würde sich jetzt besprechen. Zu diesem Zeitpunkt war es mir jedoch schon vollkommen egal, ob man mich einreisen lassen würde oder nicht. Ich war einfach nur noch total genervt. Eine so penible Kontrolle habe ich wirklich an keiner einzigen Grenze erlebt. Nichtmal im Ansatz. An den meisten Grenzen wurden zwar meine Taschen geröntgt, an der usbekisch-kirgisischen Grenze auch mal stichprobenartig ein Blick hinein geworfen und die Bilder meiner Kamera kontrolliert, die Grenzübertritte selbst haben jedoch nie länger als eine Stunde gedauert. Meistens war es sogar deutlich kürzer. Ich hatte auf jeden Fall immer das Gefühl, dass der Kontrollaufwand vollkommen im Rahmen ist und im Verhältnis steht. Jedoch nicht so in Neuseeland. Vollkommen überzogen war das. Ich mein, ich bin doch sicher nicht der erste Radfahrer, der nach Neuseeland kommt, der durch Zentralasien gefahren ist und noch nicht seine komplette Reiseroute für Neuseeland im Kopf hat. Naja, wie auch immer. Nach etwa fünfminütiger Beratung beschließt man schlussendlich, dass alles in Ordnung ist und ich gehen kann.

Als ich mit meinem Fahrrad und dem Gepäck vor dem Flughafengebäude stehe, ist es schon nach 16 Uhr. Bis ich mein Fahrrad zusammengebaut habe, ist es dunkel. Mittlerweile regnet es auch in Strömen. Ein Wetter passend zu meiner Stimmung. Um eine Nachtfahrt auf den Highways zu vermeiden, entscheide ich mich die 20 Kilometer nach Auckland mit einem Shuttlebus zurückzulegen. Außerdem will ich jetzt einfach nur noch irgendwo ankommen. Die Adresse eines Hostels hab ich mir noch in Melbourne rausgesucht. Hier setzt mich der Fahrer nach halbstündiger Fahrt ab und lädt mein Fahrrad aus dem Anhänger aus. Im Hostel merk ich dann kurze Zeit später, dass meine Regenjacke, die ich auf den Gepäckträger geschnallt hatte und mein kleines Fähnchen aus der Lenkertasche fehlen. Das muss in dem Hänger, in dem wir mein Fahrrad zum Transport hinlegen mussten, irgendwie herausgerutscht und abgefallen sein. Zu allem Übel lag in einer meiner Jackentaschen auch noch meine heißgeliebt Mütze, nach der ich in Vietnam, als ich sie in einem Taxi hab liegen lassen, einmal eine halbe Stadt abtelefoniert habe.

Bilanz des Tages: Mütze weg, Jacke weg, Fahne weg, 40$ für einen Shuttlebus bezahlt und die nervigste Einreise, die ich jemals erlebt habe. Manchmal gibt es Tage, an denen wäre man besser gar nicht aufgestanden… 

 

Auf nach Usbekistan

Fahrräder verboten. Das Schild, das die Autobahnauffahrt markiert, ist eindeutig und lässt leider keinerlei Spielraum für Interpretationen. Irgendwie hab ich wohl eine Abzweigung verpasst. Aber ich muss zum Flughafen und das am besten ohne große Umwege. Mein Flug nach Usbekistan geht zwar erst heut Nacht, aber ich muss noch mein Fahrrad verpacken und da ich zum ersten Mal mit einem Fahrrad im Gepäck fliege, hab ich keinerlei Ahnung wie und wo ich das am Flughafen machen soll. Jetzt könnt ich meine Karte gebrauchen. Die hab ich heute allerdings verschenkt, weil ich dachte, dass ich sie nicht mehr brauchen werde. Blöd. Jetzt wär eigentlich der richtige Zeitpunkt, um einen Blick drauf zu werfen. Knapp 40 Kilometer sinds von hier noch bis zum Flughafen. Aber da ich hier sowieso nicht mehr umdrehen kann, muss ich wohl erstmal rauf auf die Autobahn. LKWs und Motorräder sind in diesem Abschnitt übrigens auch nicht erlaubt. Nur hält sich kaum jemand daran. Reihenweise braust alles was fahren kann an mir vorbei. Die Motorräder mit bis zu vier Personen und abenteuerlichen Gepäckkonstruktionen. Mit Vollgas und im Rückwärtsgang kommt mir sogar ein PKW entgegengefahren, dessen Fahrer zuvor an einem der vielen Stände auf dem Randstreifen Blumen gekauft hat. Das beruhigt mich alles irgendwie. Da bin ich nicht der einzige, der aus der Reihe tanzt.

Ebenfalls beruhigend ist, dass Polizei mich nicht weiter beachtet. Aber das wird sicher noch kommen. Spätestens an der Mautstelle. Da ich aber für heut Abend jedwede Art von Komplikation vermeiden möchte, verlasse ich die Autobahn an der nächstmöglichen Ausfahrt, hoffe auf eine gute Ausschilderung zum Flughafen und versuche einen Weg über die Landstraßen zu finden. Nach wenigen Kilometern muss ich jedoch einsehen, dass das ziemlich aussichtslos ist. Auch mein GPS-Gerät hilft mir nicht weiter. Die Karte ist äußerst lückenhaft und zeigt mich nur als grünen Punkt auf weißer Fläche an. Was also machen? Ich überleg kurz und fahr zurück zur Autobahn. Irgendwie muss das jetzt gehen. Wird ja auch schon dunkel.

Reihenweise drehen sich die Autofahrer nach mir um. Ich bin wohl doch nicht so unauffällig, wie gedacht und gehofft. Und bald komm ich auch schon an die Mautstelle. Jetzt bin ich gespannt. Wie erwartet werde ich von der Polizei aus der Kolonne herausgewunken. Wo ich denn hinmöchte, ist die verwunderte Frage. Zum Imam-Khomeini-Flughafen meine Antwort. Und ein bisschen unbeholfen füge ich dem noch hinzu, dass ich ein Tourist bin. Ein musternder Blick wandert von mir zu meinem Fahrrad, dem ganzen Gepäck, dem riesigen Karton auf dem Gepäckträger und wieder zurück zu mir. Und dann werde ich mit einem kurzen Kopfnicken durchgewunken. Na das hätt ich jetzt nicht gedacht. Bloß schnell weg hier. Nicht, dass sich das noch jemand anders überlegt. Bei der nächsten Kontrolle das gleiche. Nachdem ich erklärt habe, dass ich zum Flughafen will, winkt man mich durch, salutiert und wünscht eine gute Weiterfahrt. Ach, ich mag den Iran…

Wohlbehalten komme ich nach zwei Stunden Fahrt am Flughafen an. Am Informationsschalter frage ich, wo ich mein Fahrrad verpacken kann. Es gibt eine Verpackungsstation, irgendwo am anderen Ende der Halle. Aber vorher muss ich an Schalter 3 und durch die Sicherheitsschleuse. Alle Taschen und auch mein Fahrrad werden durchleuchtet. Und dann bin ich auch schon im Flughafen und kann mir ein ruhiges Plätzchen suchen, wo ich mein Fahrrad soweit auseinanderbaue, dass es in den Karton passt, den ich mir in Teheran besorgt habe. Gar nicht so einfach. Heute morgen sah der Karton irgendwie viel größer aus. Nach vielen Versuchen ist alles verstaut und zugeklebt. Bis auf mein Hinterrad. Das muss ich extra verpacken. Ganz abenteuerlich wird das dann an dem Karton befestigt und in Folie eingewickelt. Hoffentlich übersteht mein Radl den Flug. Und hoffentlich kommt es auch mit mir in Usbekistan an. Man hört ja so einiges.

Nach der Gepäckabgabe hab ich noch etwas Zeit. Ich laufe durch den weiten Hallen und genieße einfach die geschäftige Flughafenatmosphäre. So oft erleb ich das ja auch nicht. Im Dutyfree-Shop gebe ich meine letzten Rial aus und decke mich noch mit Chips und Leckereien ein. Da hab ich gerade irgendwie Lust drauf. Um 4 Uhr morgens sitze ich dann im Flugzeug und pünktlich auf die Minute hebt der Flieger Richtung Usbekistan ab.

Sechs beeindruckende Wochen im Iran liegen hinter mir. Beeindruckend, was die Landschaft, vor allem aber, was die Menschen hier betrifft. Noch nie habe ich so viel Gastfreundschaft und so eine große Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft gegenüber fremden Menschen erlebt. In keinem der Länder, in denen ich bisher mit dem Fahrrad unterwegs gewesen bin. Ein Stück weit war ich ja schon darauf vorbereitet, weil ich viele Reisende getroffen habe, die hier im Iran gewesen sind. Es ist aber trotzdem nochmal etwas anderes, wenn man das dann tatsächlich selber erlebt. Und vor allem in dieser Intensität und Menge. Diese vielen Eindrücke und Erlebnisse müssen sich jetzt erstmal setzen und ankommen bei mir. Derweil mach ich mich auf den Weg in ein neues Land.

Usbekistan. Ich bin gespannt, wie es wird.

Der Iran – Erste Tage und Eindrücke

„Welcome to Iran.“ Seit ich im Iran bin, höre ich diesen Satz immer wieder. Eigentlich jeden Tag. Das erste Mal gleich an der Grenze, wo ich von einer Gruppe Iranern begrüßt werde, die mit mir auf die Einreise warten. Was die überschwängliche Gastfreundschaft der Menschen hier betrifft, wurde ich ja sozusagen vorgewarnt. Das bleibt gar nicht aus, denn je näher man diesem Land kommt, desto häufiger trifft man Menschen, die bereits hier waren und die in den höchsten Tönen von Land und Leuten schwärmen. Aber auch schon während meiner Reisevorbereitungen habe ich ständig von der großen Gastfreundlichkeit im Iran gelesen. Und sicherlich war das auch mit ein Grund dafür, dass ich hier unbedingt her wollte. Ich wollte das Land und die Menschen gern selbst mal erleben. Gerade auch weil der Iran im Westen ja nicht unbedingt das positivste Image hat und es auch nicht nur zustimmende Rückmeldungen gab, als ich sagte, dass der Iran auf meiner Reiseroute liegt. Daher war ich im Vorfeld auch schon ganz gespannt auf die Begegnungen hier. Und die sind ganz oft einfach absolut überwältigend. Wirklich jeden Tag treffe ich hier Menschen, die so überaus herzlich und hilfsbereit und bemüht sind, dass ich manchmal nur noch mit offenem Mund dastehen und staunen kann. In dieser Menge hab ich das bisher in keinem Land auf meiner Reise erlebt.

Oftmals sind es Kleinigkeiten, nur flüchtige Begegnungen, die mich ganz sprachlos machen: ein Motorradfahrer, der neben mir auf der Landstraße hält und aus seiner Tasche einen Apfel holt, mir diesen in die Hand drückt und sagt, dass der mir ein paar Meter weiter hinten aus meiner Tasche gefallen ist. Oder ein Pärchen auf dem Motorrad, dass neben mir an der roten Ampel steht, beim Weiterfahren kurz lächelt und winkt, mich dann nach etwa fünfzehn Minuten wieder überholt, anhält und eine Flasche mit eiskaltem Mineralwasser zu mir herüberreicht, wieder lächelt und winkt und dann weiter fährt. Nach solchen Aktionen muss dann oft erstmal innehalten und mich sammeln und manchmal steh ich dann noch eine Weile da und frage mich, ob das gerade wirklich passiert ist. Immer wieder bin ich aufs Neue von dieser Aufmerksamkeit und Herzlichkeit fremden Menschen gegenüber beeindruckt und besonders davon, dass manche das eben auch einfach direkt in die Tat umsetzen und wegen eines Apfels auf der Straße anhalten oder irgendwem auf der Straße eine Flasche Wasser kaufen.

Diese Hilfsbereitschaft erlebe ich hier häufig. Und auf ganz unterschiedlicher Art und Weise. In der Stadt, auf Campingplätzen, in Unterkünften geben mir Passanten oder Gäste ihre Telefonnummern für den Fall, dass ich irgendwelche Probleme oder Fragen habe, am Zelt werde ich abends angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung ist oder ich noch irgendetwas brauche. Oder ich bekomme von wildfremden Leuten, die mich beim Einchecken sehen, Essen ans Zelt oder auch mal ins Hotel gebracht. Diese große Herzlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch meinen bisherigen Aufenthalt im Iran und macht es mir extrem leicht, mich in diesem Land sehr wohl zu fühlen.

Zugleich sind manche Dinge aber natürlich ganz anders als bei uns und zum Teil auch ziemlich gewöhnungsbedürftig. Zum Beispiel das oftmals deutlich geringere Distanzverhalten in Gesprächen. Schnell geht es da dann um recht persönliche Dinge, bspw. um die Höhe des Gehalts, den Familienstand oder ob man Kinder hat. Und wenn man keine hat oder nicht verheiratet ist, will man gern den Grund dafür wissen. Wobei ich mich damit aber noch ganz gut arrangieren kann. Was ich viel anstrengender finde, ist eine spürbare Distanzlosigkeit fremdem Eigentum gegenüber. Zumindest war das jetzt öfter mein Eindruck. Eh man sich versieht, wird dann ungefragt schnell mal alles am Fahrrad angefasst und ausprobiert, geklingelt, an der Schaltung herumgedrückt, der Reifendruck geprüft, das eigene Kind für ein Erinnerungsfoto aufs Fahrrad gesetzt oder ein tiefer Blick in die Lenkertasche geworfen. Auch wenn diese verschlossen ist. Es ist nicht immer so, dass mich das stört, aber manchmal eben schon.

Was ich momentan allerdings wirklich anstrengend finde ist, dass ich durch das 30-Tage-Visum ziemlichen Zeitdruck habe. Zum einen ist der Iran ja ein riesiges Land. Daher hat es auch knapp 10 Tage gedauert, bis ich überhaupt erstmal in Teheran angekommen bin. Zum anderen muss ich jetzt in Teheran sämtliche Visa für meine Weiterreise besorgen: die Visa für Usbekistan, Turkmenistan und China. Und das kann dauern, wie ich ja schon bei meinem iranischen Visum gesehen habe. Sicher, ich hätte von der Grenze auch mit dem Bus hierher fahren können. Kurzzeitig hatte ich das auch überlegt, aber weil es ja eigentlich mein Ziel war bis China jeden Meter mit dem Rad zu fahren, habe ich bisher auf andere Verkehrsmittel verzichtet. Aber ob das weiterhin so machbar ist, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Ich bin gespannt….

Um möglichst schnell in Teheran anzukommen, bin ich  ab Jolfa daher praktisch ausschließlich auf einer Transitstraße gefahren. Landschaftlich war das überraschenderweise ziemlich abwechslungsreich und schön gewesen. Insbesondere der mittlere Teil. Hauptsächlich ging es durch karge, wüstenartige Bergregionen. Und der Verkehr war, abgesehen von den Ballungszentren auch erträglich. Aber auf einer Strecke von knapp 750 Kilometern gibt es natürlich auch Abschnitte, bei denen man froh ist, wenn man diese hinter sich gebracht hat. Aber da muss man dann durch. Es kann halt nicht überall schön sein. Und trotzdem fand ich diese Strecke absolut lohnenswert, denn unterwegs habe ich jeden Tag Menschen getroffen, die mir die erste Woche im Iran zu einer der schönsten meiner bisherigen Reise gemacht haben.

Ganz besonders bleibt mir die Begegnung mit Abas in Erinnerung. Abas und ich haben uns ganz zufällig auf der Straße getroffen, als er von der Feldarbeit auf dem Weg nach Hause war. Nach der Frage, woher ich komm und wohin die Reise geht, hat mich Abas dann auch gleich zu sich nach Hause zum Essen eingeladen. Erst gab ich Abas noch zu verstehen, dass ich heute noch ziemlich weit fahren muss. Aber er ließ nicht locker. Schließlich werde ich doch sicher Hunger haben. Und außerdem würde es ja auch nicht lange dauern. Kurz etwas essen, dann kann ich auch schon weiter fahren.

Also gut. Wir fahren von der Straße runter in das Dorf in dem Abas wohnt. Es ist ein kleines Dorf mit nur wenigen Häusern. Ich habe Mühe Abas auf seinem Motorrad über die unebenen Straßen zu folgen. Aber schon nach wenigen Hundert Metern stehen wir dann aber am Tor zu seinem Grundstück. Er zeigt mir erstmal die kleine Garage und die neue Toilette im Garten, auf die er sichtlich stolz ist. Und dann soll ich schon mal vorgehen, ins Haus. Er zieht sich noch schnell um. Ich bin ganz gespannt, wie es wohl in einem iranischen Haus aussieht. An der Tür ziehe ich mir die Schuhe aus und betrete dann gleich das Wohnzimmer. Ein schlichtes Zimmer ohne Möbel. Nur der Fernseher steht auf einem kleinen Schränkchen. Der Boden ist komplett mit Teppichen ausgelegt, an der Wand lehnen Kissen. Obwohl der Raum so leer ist, find ich ihn ganz gemütlich. Abas und ich setzen uns auf den Boden. Seine Frau bringt Tee und bereitet dann das Essen vor. Ich zeige Abas Fotos aus Freiburg und meinem Zuhause, woraufhin er auch ein Fotoalbum holt und mir Bilder von sich und seinen Kindern zeigt.

Nach dem Tee wird eine Tischdecke auf dem Boden ausgebreitet und dann kommt auch schon das Essen. Es gibt Reis und eine scharfe Soße mit Gemüse und Fleisch. Dazu Weintrauben und Brot. Und eine Cola. Sogar mit Eiswürfeln. Es schmeckt ganz fantastisch und ich ess ganz langsam, um jeden Bissen genießen zu können. Nach dem Essen gibt es nochmal Tee. Und dann muss ich mich bald wieder auf den Weg machen. Es ist ja schon halb drei und im Prinzip hab ich noch meine gesamte Tagesetappe vor mir. Abas bringt mich noch an die Straße, es gibt ein Küsschen rechts und links und dann bin ich auch schon wieder unterwegs.
Beeindruckend fand ich es bei Abas und seiner Frau zu Hause. Wie anders es hier doch im Vergleich zu Armenien ist. Das hat noch ziemlich europäisch auf mich gewirkt, wie Serbien oder Rumänien. Aber der Iran, ein Sprung in eine ganz andere Welt ist das.

Am Dienstag schließlich bin ich in Teheran angekommen. Hier hab ich mich in einem kleinen Hotel im Zentrum der Stadt einquartiert. Es hat fast Hostelatmosphäre, denn hier gibt es viele Rucksackreisende aus zumeist mitteleuropäischen Ländern. Ich hab hier sogar jemanden aus Freiburg getroffen. Unglaublich. Wie klein die Welt manchmal ist. In Teheran werde ich die nächsten Tage mit Antragsformularen und Behördengängen verbringen. Ich hoffe mal, dass das nicht länger als eine Woche dauert. Und in einer Woche werde ich dann auch hoffentlich wissen, wie es von hier weitergeht. Es gibt zwei Optionen: das Fahrrad oder das Flugzeug. Mal sehen, was kommt…

 

 

Zwei Nächte in Lanjanist

Ein Müsli, drei Tassen Kaffee und ich bin startklar. Meine Taschen hab ich gestern Abend schon gepackt, daher brauch ich die jetzt nur noch am Fahrrad festzumachen und kann losfahren. Und es ist gerade erst 8:30 Uhr. Nicht schlecht. Erstmal raus aus Jerewan. Dank meiner neuen Karte von Armenien inklusive Stadtplan find ich den Weg ohne Probleme. Mein nächstes großes Ziel ist Meghri, ganz im Süden von Armenien. Wenn alles läuft wie geplant, werde ich hier in der kommenden Woche die Grenze zum Iran überqueren. Bis dahin sinds aber noch knapp 400 Kilometer. Und die werden ziemlich anstrengend. Denn flache Abschnitte gibt es weiterhin kaum. Es geht bergauf und bergab. Die ganze Zeit. Und dazu bleibt es heiß, bis 38°C sind angekündigt. Ich rechne daher mal mit 70 Kilometern pro Tag. Das kann man gut schaffen. Auch bei der Hitze. Knapp eine Woche werde ich also noch bis zur iranischen Grenze brauchen.

Ab Jerewan fahr ich erstmal wieder auf der Bundesstraße M2. Das ist zwar recht unspektakulär, dafür gehts aber flott voran. Weil es flach ist und vielleicht auch, weil ich drei Fahrspuren für mich allein hab. Von ein paar Bauarbeitern wurde ich nämlich auf den noch gesperrten Abschnitt rübergewunken. Eine Autobahn ganz für mich allein. Hab ich auch noch nicht gehabt.
Es wird ziemlich schnell heiß. Gegen 10 Uhr ist längst nichts mehr von der angenehmen Morgenfrische zu spüren. Zu Trinken hab ich daher reichlich dabei. Insgesamt 4 Liter. Und unterwegs kann ich immer wieder an einem der vielen Brunnen nachtanken. Wenn sie denn Wasser haben. Das ist aber nicht immer der Fall. Daher sorg ich lieber vor.

Knapp 25 Kilometer südlich von Jerewan verlasse ich die M2. Ich hab mir wieder eine kleine Nebenstrecke ausgesucht, um die Gegend ein bisschen mehr zu erleben. Ich muss noch nicht mal einen großen Umweg fahren, denn nach gut 45 Kilometern treffen Nebenstraße und M2 wieder aufeinander. Und beide Abschnitte sind ungefähr gleich lang. Bevor es weiter geht, leere ich an einer Tankstelle aber erstmal mein warm gewordenes Wasser aus und fülle alle Flaschen mit kühlem Wasser. Innerhalb der nächsten Stunde wird das zwar wieder warm sein, aber wenigstens bis dahin ist es schön erfrischend. Ab Vedi wirds dann einsam. Laut Karte muss ich an vier kleinen Orten vorbeifahren und komme dann an eine Straße, die zu einem Kloster führt. Das möchte ich mir gern noch anschauen. Knapp 40 Kilometer sinds bis dahin. Und dann bin ich auch schon fast wieder auf der M2. Könnt ich bis zum Abend schaffen.
Aber so ganz geht mein Plan nicht auf, denn hinter Vedi wird’s langsam wieder bergiger. Das konnt ich auf meiner Karte nicht erkennen, denn auf der sind keine Höhenlinien eingezeichnet. Dass Berge kommen war klar, aber ich dachte eher zum Ende hin.

Das Fahren ist jetzt ziemlich anstrengend, denn es ist unglaublich heiß, es gibt kaum Schatten, viel Gegenwind und es geht stetig bergauf. Die Abschnitte zwischen den einzelnen Ortschaften fühlen sich daher endlos an, obwohl es ja immer nur etwa 10 Kilometer sind. Mein Wasser ist irgendwann auch wieder warm und trägt kaum noch zur Erfrischung bei. Aber glücklicherweise finde ich bald wieder einen Brunnen und kann meinen Wasservorrat auffüllen und mich ein bisschen abkühlen.  Gegen 18 Uhr bin ich noch immer meilenweit von meinem Kloster entfernt. Man, da hab ich mich aber echt verrechnet. Jetzt ist vollkommen klar, dass ich das nicht mehr schaffen kann und in den Bergen übernachten muss.

Bei Lanjanist frag ich einen Rinderhirten, ob ich hier irgendwo zelten kann. Natürlich kann ich. Überall. Aber ich kann auch mit zu ihm kommen, meint er. Da kann ich mich duschen. Und außerdem bereitet seine Frau gerade das Abendessen vor. Es sind nur ein paar Hundert Meter bis zu seinem Haus. Klingt verlockend. Ich bin mir unsicher, ob ich das annehmen kann und frag daher nochmal nach, ob es tatsächlich kein Problem ist. Kein Problem. Überhaupt nicht. Ich kann ruhig mitkommen. Und so laufen wir gemeinsam zu seinem Haus. Micha, so heißt der Hirte, zeigt mir kurz die Dusche und bringt mir ein Handtuch. Er muss dann aber nochmal los, die Rinder und Schafe von der Weide holen und in den Stall bringen. Aber in 20 Minuten ist er wieder da. Seine Frau Anna und seine Schwester kommen derweil aus dem Garten und fangen an das Abendessen zuzubereiten. Fast alles, was sie zum Leben brauchen, bauen sie selber an. Die Milch kommt jeden Morgen frisch aus dem Stall, und auch der Käse und die Wurst werden selbst gemacht. Das Abendessen schmeckt fantastisch und es gibt so viel, dass ich fast platze.

Kaum haben wir fertig gegessen, steht Alex, Michas Nachbar, in der Tür. Irgendwie hat er mitbekommen, dass Besuch da ist. Und so dauert nicht lang, da ist mein Abend und auch mein nächster Tag verplant. Heute will Alex mit mir auf die Baustelle seines neuen Hauses fahren. Dort gibts ein zweites Abendessen mit seinen Freunden und den Nachbarn, die Alex beim Hausbau behilflich sind. Und morgen findet die Geburtstagsfeier von Michas Neffen Arman statt. Und da steh ich jetzt auch auf der Gästeliste. Alex fährt seinen alten Lada vor und es geht los. Durch die Nacht und über steinige Feldwege. Mit schlafwandlerischer Sicherheit und ohne Rücksicht auf Verluste quält Alex seinen Lada Pisten entlang, die den Vergleich mit mitteleuropäischen Offroadparks nicht im Geringsten zu scheuen bräuchten.

Und während wir so durch die Nacht brausen, bin auf einmal ganz überwältigt von dieser großen Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die ich hier erfahre. Ich mein, Micha und Alex, die kennen mich ja überhaupt gar nicht. Ich bin einfach irgendein Fahrradfahrer, den Micha auf der Straße getroffen hat. Und trotzdem werd ich hier so herzlich aufgenommen, von Alex auf ein Abendessen oder von Micha nach Hause eingeladen und den Nachbarn und Freunden vorgestellt. Ich bekomm ein Handtuch, kann mich duschen, bekomm zu Essen und einen Platz zum Schlafen. Einfach so. Ganz selbstverständlich und vollkommen ungezwungen. Und ohne, dass irgendwer etwas dafür haben will. Für solche Erlebnisse und Erfahrungen bin ich wirklich unglaublich dankbar. Sie bereichern meine Reise ungemein.

Insgesamt zwei Nächte verbring ich bei Micha und seiner Familie in Lanjanist. Nach einem reichhaltigen Frühstück mach ich mich am Samstag dann wieder auf den Weg. Micha und Anna bereiten noch bergeweise Essen für mich vor. Brot, ihren Käse und Gemüse aus dem Garten. Und dazu eine kleine Flasche Wodka und eines von Michas Wodka-Gläsern. Schwer bepackt geht es damit zurück auf die M2, mit 40 Stunden Verspätung zwar, aber dafür reich beschenkt mit vielen Eindrücken und Erlebnissen.

Weiter geht es dann durch die Provinz Wajos Dsor und über den Vorotan-Pass Richtung Goris. Die Landschaft ist atemberaubend schön und lädt zu vielen Pausen ein. Der Aufstieg zum Pass ist lang, aber nicht so beschwerlich wie die Fahrt vorgestern. Vielleicht auch weil jeder dritte Autofahrer hupt, winkt oder den Daumen in die Höhe streckt. Kurz unterhalb des Passes bau ich am Abend mein Zelt auf und genieße die Ruhe und den Blick über die Berge.
In Goris bin ich gestern schließlich angekommen. Hier werd ich mich jetzt mit Dollar oder Euro für den Iran eindecken müssen, denn aufgrund der noch immer bestehenden Sanktionen ist es nach wie vor nicht möglich im Iran Geld abzuheben, so dass ich mein gesamtes Reisebudget in bar mitführen muss. Ich hoffe, dass ich am Mittwoch weiterfahren kann und dann am Freitag den Iran erreiche.