Eine Bucht und Heiner oder Zwei Highlights in Halong

Kaum habe ich die Tür zu meiner Kabine geöffnet, weiß ich, dass mir eine ziemlich kurze Nacht bevorsteht. Dabei könnt ich gerade heute eine ordentliche Mütze Schlaf gut vertragen. Es ist spät, der Tag war lang und morgen wird es sicher ähnlich werden. Zumindest geht es wieder früh raus. Frühstück gibs um 7:15 Uhr und dann steht auch schon bald der erste Programmpunkt an. Wär also nicht schlecht, wenn ich morgen halbwegs fit bin. Aber momentan hab ich da starke Zweifel, denn die aktuelle Geräuschkulisse in der kleinen Zweimannkabine übersteigt bei weitem meine Toleranzschwelle. Und das, obwohl ich nach den vielen Nächten in Hostelmehrbettzimmern einiges an Nachtakustik gewohnt bin. Aus dem Nachbarbett klingt es in regelmäßigen Abständen so, als würde man beim Autofahren aus Versehen den Rückwärtsgang einlegen. Und es ist auch wirklich fast genauso laut. Na das kann ja was werden…

Viel Hoffnung hab ich nicht, aber ich versuchs erstmal nur mit Oropax. Wie erwartet, tragen die jedoch kaum zu einer erkennbaren Geräuschminderung bei. Nach mehreren erfolglosen Einschlafversuchen müssen daher schwere Geschütze aufgefahren werden. Ich dreh mich auf die rechte Seite und drück das eine Ohr ganz tief ins Kissen, in der Hoffnung, dass es dadurch irgendwie erträglicher wird. Aufs andere Ohr kommt alles, was sich auf die Schnelle finden lässt: ein dickes Frotteehandtuch – mehrfach gefaltet – und obendrauf nochmal ein schweres Kopfkissen. Das macht die Sache schon etwas angenehmer, aber so richtig schlafen kann ich trotzdem nicht. Minuten vergehen und irgendwann schwinden auch die letzten Hoffnungsschimmer, dass sich die Situation demnächst etwas entspannt könnte. In solchen Momenten ist guter Rat wirklich teuer. Ich überlege hin und her. Letztlich bleibt mir aber nichts anderes übrig, als meinen Nebenmann zu wecken. Nach einem in die Dunkelheit geräusperten „Excuse me, its very loud in here.“ wacht mein Zimmergenosse überraschenderweise sofort auf, entschuldigt sich mehrmals, dreht sich um und schläft gleich wieder ein. Ein bisschen neidisch bin da ja schon. Aber vielleicht kommt jetzt meine Chance, denn es ist auf einmal wirklich angenehm ruhig. Ein Traum – aber leider nur für kurze Zeit, denn schon nach wenigen Minuten ist alles wieder beim alten. Es wär aber auch einfach zu schön gewesen, um wahr zu sein. Naja, Augen zu und durch würd ich sagen. Irgendwie muss es jetzt halt mit Kopfkissen, Oropax und Frotteehandtuch gehen.

Etwas gerädert aber pünktlich schaff ichs am nächsten Morgen zum Frühstück. Maria und Max kommen auch gerade ins Esszimmer und zusammen setzen wir uns an einen Tisch. Seit knapp einer Woche sind wir gemeinsam mit dem Rad unterwegs. Kennengelernt haben wir uns in einem Hostel in Nanning, China. Quasi in letzter Minute. Maria und Max wollten gerade aufbrechen. Ihre Taschen waren schon gepackt, als wir uns bei unseren Rädern zufällig über den Weg liefen und ins Gespräch kamen. Die Chemie stimmte auf Anhieb. Und so standen wir gleich mal für mehrere Stunden zusammen und unterhielten uns über alles Mögliche. Hauptsächlich über unsere Reiseerlebnisse. Wir konnten kaum ein Ende finden und beschlossen daher einfach, die nächsten Tage gemeinsam zu fahren. Maria und Max verlängerten kurzerhand ihren Aufenthalt im Hostel. Der Zeitpunkt für den Checkout war ja eh schon längst vorbei. Den haben wir einfach vollkommen vergessen und verquatscht. Das sollte allerdings nicht das letzte Mal gewesen sein…

Am nächsten Tag machten wir uns dann von Nanning aus auf die knapp 300 Kilometer lange Etappe nach Halong in Vietnam. Was ein Glück muss ich im Nachhinein sagen. Denn eigentlich wollte ich ursprünglich eine ganz andere Strecke fahren: zuerst nach Hanoi, um dort mein kambodschanisches Visum zu beantragen und dann weiter nach Süden. Um Halong hätt ich dabei einen Riesenbogen gemacht, weshalb mir ohne Maria und Max diese Stadt mit ihrer schönen Umgebung vollkommen entgangen wäre. Das Highlight in Halong ist zweifelsohne die Bucht mit den vielen Inseln und Karstfelsen, die sich aus dem Wasser erheben. Etwa 1700 sollen es insgesamt sein. Ein überwältigender Anblick. Besonders, wenn man zum ersten Mal hier ist und gerade auch bei dem wolkenverhangenen Himmel, den wir in den letzten Tagen hier hatten. Eine Bootsfahrt gehört da eigentlich zum Pflichtprogramm. Agenturen, die diese Touren vermitteln, gibts in Halong fast an jeder Straßenecke. Wir sind in unserem Hostel fündig geworden und haben eine dreitägige Tour gebucht. Eine Übernachtung auf dem Boot, die zweite in einem Bungalow auf einer kleinen Insel. Und jetzt sitzen wir hier auf unserem Schiffchen am Frühstückstisch und sind langsam am Aufwachen. Etwas schmunzeln muss ich, als John, der mit uns am Tisch sitzt, erzählt, dass er seine Frau Carmen gestern Nacht gefragt hatte, ob sie das war, die so laut geschnarcht hat.

Als erster Programmpunkt heute steht ein Besuch auf einer Austernfarm an. Hier wird gezeigt, wie Zuchtperlen hergestellt werden. Vom Putzen der Muscheln, der Implantation einer kleinen Perlmuttkugel in das Muschelgewebe bis hin zur fertigen Perle wird der gesamte Herstellungsprozess vorgestellt. Im Schnelldurchlauf halt, denn hinter uns warten ja schon die nächsten Gruppen. Zurück auf dem Schiff beginnt dann der entspannte Teil des Tages. Von unserem Ankerplatz starten wir in Richtung heutiges Nachtlager. Es geht mitten hinein in die Halongbucht, vorbei an unzähligen Karstfelsen, kleinen Fischerbooten und schwimmenden Fischerdörfern. Ich sitze die meiste Zeit oben an Deck in der Sonne und genieße einfach die Schiffsfahrt, den Wind, die Sonne und das Schaukeln des Schiffs auf den Wellen.

Auf der Insel angekommen beziehen Maria, Max und ich einen Bungalow direkt am Wasser. Oft sind solche Touren ja mit Programmpunkten vollgestopft. In unserem Fall steht der Tag uns aber sozusagen zur freien Verfügung und das nutzen wir ausschließlich zum Entspannen. Wir sitzen Ewigkeiten auf unserer schicken Terrasse, laufen durch das flache Wasser zu einem der Karstfelsen und paddeln mit zwei Kanus um unser kleines Inselchen herum. Ach, eigentlich könnten wir glatt noch einen weiteren Tag bleiben. Malerisch schön ist es hier. Leider steht am nächsten Morgen allerdings schon wieder die Rückfahrt an. Aber wir wollen ja nicht meckern.

Irgendwie freuen wir uns ja auch auf unser Hostel, denn da wartet bereits unser zweites Halong-Highlight: Heiner aus Ostfriesland. Heiner ist passionierter Geograph und schon zum siebten Mal in Vietnam und Halong. Er kann uns daher mit vielen wertvollen Tipps und Informationen über die Stadt und unseren weiteren Reiseverlauf in Vietnam versorgen. Wir haben Heiner im Hostel kennengelernt und bereits am ersten Abend seine anekdotenreiche und in thematisch hochkomplexe Schachtelsätze verpackte Lebensgeschichte gehört. Zusammen verbringen wir die Tage in Halong und die Abende im Hostel oder im nahegelegenen Restaurant. Meistens wird es spät. Und immer ist es äußerst lustig und unterhaltsam. Zu erzählen hat Heiner ständig etwas. Und so passiert es, dass wir uns bei unserer geplanten Abreise am Sonntag wiedermal dermaßen verquatschen und einfach nochmal einen weiteren Tag im Hostel bleiben. Wir haben ja Zeit….

Am Montag schaffen wirs dann aber und machen uns gegen 11 Uhr von Halong aus auf den Weg. Weiter Richtung Süden, nach Ninh Binh. Hier sind wir gestern angekommen und werden heute einen Tag Pause machen. Morgen wird es dann wieder weiter gehen. Leider werden sich dann unsere Wege trennen, denn Anfang Februar würd ich gern in Bangkok ankommen. Bis dahin sind es allerdings noch knappe 2500 Kilometer, weswegen ich in den nächsten Tagen mal etwas längere Etappen fahren und mich mal wieder ein bisschen beeilen muss. Sonst würde das nämlich ganz schön eng werden. Damit gehen zwei wunderschöne Wochen mit Maria und Max zu Ende. Hat mich richtig doll gefreut mit den beiden zu fahren. Sicher wird es erstmal ganz schön komisch sein, wieder alleine unterwegs zu sein. Ich hab mich richtig an unsere Dreiergruppe gewöhnt. Aber vielleicht sehen wir uns ja im nächsten Jahr wieder. Heiner hat uns nämlich zu sich nach Ostfriesland eingeladen, für eine Radtour an den Deich. Und das können wir uns ja eigentlich nicht entgehen lassen.