Über den Wolkenpass in die Tropen

Ein Strand ganz für mich alleine. Keine Menschenseele weit und breit, Meeresrauschen, leichter Wind und ein paar einsame Fischerboote im Sand. In der Ferne kann ich die Lichter einer kleinen Stadt ausmachen, ansonsten ist es stockdunkel. Wo könnte es heute Abend schöner sein, als hier? Sogar der Regen hat aufgehört. Endlich mal wieder zelten. Nach den vielen Nächten in Hotels und Hostels hab ich das richtig vermisst. Aber es ist gar nicht so einfach im Norden Vietnams vernünftige Plätze zum Zelten zu finden. Ein Großteil des Landes wird landwirtschaftlich genutzt, der Rest ist mehr oder weniger dicht besiedelt. Aber heut Abend, da hatte ich mal wieder Glück. 

Mein Zelt ist schon aufgebaut und steht hinter mir, versteckt zwischen ein paar Büschen. Vor mir faucht mein kleiner Kocher leise vor sich hin. Im Topf irgendein Fertiggericht. Instantnudeln und eine scharfe Soße. Dazu gibt es Brot und zwei Bananen. Wie immer äußerst lecker. Nach einem Tag im Sattel schmeckt irgendwie alles gut. Auch wenns nur ein Fertiggericht ist. Ich sitze lange vor meinem Zelt an diesem Abend, höre Musik, schreibe Tagebuch, schau zu, wie sich die Wellen am Strand brechen. Es ist einfach viel zu schön, um schlafen zu gehen. Und es ist ja auch erst früher Abend. Irgendwann lichtet sich dann sogar die Wolkendecke, so dass der Mond denn Strand erhellen kann. Ein ziemlich ungewohnter Anblick. Man läuft am Strand entlang und sieht dabei seinen Mondschatten vor sich.  

Am nächsten Morgen werde ich kurz nach 6 von einem Stimmengewirr geweckt. Verschlafen öffne ich den Reißverschluss meines Zeltes. Direkt davor eine Gruppe Fischer, die mich genauso erstaunt anschauen, wie ich sie. Der Kocher wird begutachtet das Zeltmaterial geprüft, ein paar nette Worte werden gewechselt und dann verschwinden sie so schnell, wie sie gekommen sind. Die Arbeit ruft. Die Boote werden ins Meer geschoben und dann gehts raus aufs Wasser zum Fischfang. Ich muss erstmal langsam aufwachen und dann aufstehen. Ich freu mich schon auf meinen Morgenkaffee und das Frühstück. Aber daraus wird leider nichts. Kurze Zeit später stehen nämlich wieder ein paar Leute vor meinem Zelt. Einer von ihnen zieht ein Plastikkärtchen aus seiner Tasche, welches ihn als Mitarbeiter irgendeiner Behörde ausweist. Freundlich, fast schon verlegen, versucht man mir mitzuteilen, dass ich hier nicht zelten darf und zusammenpacken muss. Alles klar, ich bau ab und bin sofort weg signalisiere ich. Damit gibt man sich zufrieden. Und schon bin ich wieder allein am Strand. Doch ziemlich viel Action für so einen einsamen Strand. Schade, ich hätt hier gern noch gefrühstückt. Aber es hilft ja nichts. Ich beeil mich ein bisschen und knapp 20 Minuten später steh ich mit Sack und Pack an der Straße und bin abreisefertig.

Aber ein Morgen ohne Kaffee und Frühstück ist irgendwie ein schlechter Start in den Tag, denn der Weg heut ist ziemlich weit und eine kleine Stärkung vorher wär schon nicht schlecht. Nach ein paar Kilometern finde ich wieder eine kleine Abzweigung zum Strand. Schnell ist der Kocher aufgebaut und vorgeheizt. Ein Fischer gesellt sich zu mir und beobachtet sämtliche meiner Handgriffe. Und dann – ich will gerade die Flamme hochdrehen – zwei, drei kleine Verpuffungen und aus ist der Kocher. Nicht mehr genug Benzin im Tank. Und das gerade jetzt. Ein Vorführeffekt wie er im Buche steht. Ein bisschen peinlich ist mir das jetzt schon…..

Also wieder kein Kaffee und kein Frühstück. Der Fischer erkennt allerdings meine missliche Lage und bietet mir an, dass ich bei ihm zu Hause kochen kann. Gesagt, getan. Er schnappt sich meinen Topf und das Stativ und los gehts. Weit ist es ja nicht. Gerade auf der anderen Straßenseite. Er wohnt allein in einem kleinen Haus mit Garten, in dem er Obst und Gemüse für den Eigenbedarf anbaut. Die Küche befindet sich draußen, auf einer überdachten Terrasse. Während meine Nudeln vor sich hinkochen, sitzen wir in seinem kleinen Wohnzimmer. Der Fischer erzählt mir von seinen Kindern, die alle in Hanoi wohnen und er zeigt mir seinen Fang vom Vortag. Von dem packt er mir dann gleich auch reichlich auf meinen Teller mit den Istantnudeln und zeigt mir, wie ich mit Stäbchen die Fischhaut entfernen kann. Zu Fisch und Nudeln gibts ein paar Bananen aus seinem Garten und zur Feier des Tages auch noch ein Gläschen Schnaps. Was ein Frühstück…

Eine halbe Stunde später steh ich wieder an der Straße. Immer noch ohne Kaffee. Es ist immer noch recht früh, mittlerweile aber sehr sonnig und warm geworden. Keine drei Kilometer weiter die nächste Abzweigung zum Strand. Ich überlege kurz und will erst pflichtbewusst weiter fahren – schließlich ist es ja wie gesagt ziemlich weit heute – aber eigentlich…ach, was solls. Wer weiß, wann ich wieder an einem Strand bin. Keine drei Minuten später bin ich im Wasser und lass mich von den hohen Wellen hin und her tragen. Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr im Meer baden. Macht richtig Spass. Und dann ist sogar noch Zeit für meinen wohlverdienten Kaffee, denn zum Glück hab ich ja noch meinen kleinen Holzgaskocher im Gepäck. Gegen 11 Uhr steh ich wieder auf der Straße und kann los. Ich glaub, heute hab ich einen neuen Trödelrekord aufgestellt. Neun Kilometer in vier Stunden. Knapp 90 liegen also noch vor mir. Das heißt, jetzt muss ich mal ein bissel auf die Tube drücken, denn ich möchte heute Abend die alte Kaiserstadt Hue erreichen. Aber das sollte eigentlich trotz allem noch machbar ist. Es gibt ja keine Berge. Und zur Not hab ich ja auch Licht am Rad.

Der Weg nach Hue ist richtig schön. Es geht fast immer direkt am Meer entlang. Durch verschlafene Dörfer, auf kleinen, ruhigen Straßen ohne viel Verkehr. In den Dörfern und auch in den kleinen Städten ein immer ähnliches Bild. Vor allem Kinder grüßen mit einem langgezogenen „Helloooo“ und winken ganz euphorisch. Generell erlebe ich die Menschen hier als überaus herzlich und offen. Im Prinzip seit der Grenze zu China. Und vor allem auf dem Land. In China war das ganz anders. Dort waren die Menschen viel zurückhaltender. Schon auch freundlich, aber viel reservierter. Ich frag mich dann immer, warum das so ist. Wie kommt es, dass sich Mentalitäten auf so kurze Distanzen so stark unterscheiden können? Warum ist Vietnam so anders als China? Schon erstaunlich, was eine Grenze ausmachen kann. Auch wenn ich irgendwo Pausen mache, bleibe ich meist nicht lang alleine. Oft gesellen sich ein paar Leute zu mir oder winken mich zu sich her und versuchen eine Unterhaltung zu beginnen. Das ist meist zwar alles andere als leicht, da die wenigsten Englisch sprechen. Meist beschränkt sich die Kommunikation daher nur auf einige Gesten. Wobei man auch da trotzdem erstaunlich viel erfahren kann. Der Renner ist dann immer mein kleines Fotoalbum mit Bildern von zu  Hause. Durch wie viele Hände das schon gegangen ist….

Am späten Abend komm ich in Hue an. Hier werde ich Weihnachten verbringen. Die Vorweihnachtszeit ist in diesem Jahr ja ziemlich unbemerkt an mir vorbeigezogen. Dazu ist es in Vietnam einfach zu warm und zu exotisch. Es gibt zwar hier und da geschmückte Weihnachtsbäume, aber die machen auf mich eher einen skurrilen Anblick. So zwischen Palmen und bei 25 Grad. Es fühlt sich gerade eher nach Spätsommer an. Trotzdem ist natürlich klar, dass Weihnachten ist und es ist schon ein ziemlich komisches Gefühl nicht zu Hause zu sein. Ich quartiere mich daher wieder in einem Hostel ein. Da ist dann zumindest schon mal für etwas Gesellschaft gesorgt. In Hue selbst geht es ziemlich international zu. Ich treffe viele Europäer, vor allem Deutsche. Aber ich bin gar nicht traurig drum. Ein bisschen Heimat zu Weihnachten. Auf meinen geliebten Kartoffelsalat mit Würstchen muss ich in diesem Jahr aber leider verzichten. Aber dafür gibts später eine scharf gewürzte Suppe in einem kleinen Straßenlokal, die so gar nicht zu Weihnachten passen will. Aber immerhin hängen unter der Plastikplane ein paar Lichterketten. Da kommt dann sogar etwas Weihnachtsstimmung auf.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag geht’s dann wieder weiter nach Süden. Knapp 100 Kilometer bis nach Danang. Das Highlight an diesem Tag ist auf jeden Fall der Wolkenpass. Endlich mal wieder ein Berg. Mit knapp 500 m Höhe ist der zwar recht klein, trotzdem unterteilt er Vietnam in einen nördlichen und südlichen bzw. einen subtropischen und tropischen Teil. Vor wenigen Tagen wars hier noch sonnig, aber heute macht der Wolkenpass seinem Namen alle Ehre. Je höher es hinaufgeht desto wolkiger wirds. Auf dem Weg zum Pass selbst gibt es immer wieder herrliche Aussichtspunkte. Und die nutz ich allesamt. Sieht ja überall anders aus. Und einmal mehr bin ich froh mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Gerade hier. Denn ich kann einfach anhalten wo es schön ist und bleiben so lange ich will. Ganz anders die Urlauber in den vielen Bussen oder auf den Motoradtaxis. Die müssen ihre Fotos im Vorbeifahren machen bzw. können nur kurz anhalten, um den Ausblick zu genießen und müssen dann schnell wieder weiterfahren.

Nach dem Wolkenpass gehts dann quasi nur noch bergab, bis nach Danang. Keine 200 Meter unterhalb des Passes reißt dann auf einmal die Wolkendecke auf und gibt den Blick frei auf das Meer und Danang. Hier bin ich gestern Abend angekommen und mach einen Tag Pause. Morgen wird es dann wieder weitergehen. Das nächste große Etappenziel ist jetzt Saigon, knapp 1000 Kilometer von Danang entfernt, ganz im Süden von Vietnam.