Ein nicht ganz leichter Abschied

Stickig und eng ist es. Die Luft riecht abgestanden und verbraucht und es geht nur hockend oder auf allen Vieren voran. Alle paar Meter eine kleine Lampe, die ihr gedämpftes Licht auf die braunen Sandwände wirft. Dazu dichtes Gedränge. Vor und hinter mir arbeitet man sich im Kriechgang voran. Hintereinander und in eine Richtung. Überholen geht nicht. Umkehren genauso wenig. Außer alle machen mit. Nicht gerade eine Traumumgebung, wenn man keine engen Räume mag. Immerhin gibt es aber nach 30 Metern einen Notausgang. Falls es einem dann doch zu viel werden sollte.

Ich bin in Cu-Chi, einem kleinen Ort nordwestlich von Saigon und schaue mir das Tunnelsystem der vietnamesischen Partisanen aus dem Vietnamkrieg an. Pflichtprogramm, wenn man in Saigon ist. Aber auch so stand Cu-Chi ganz oben auf meiner Liste. Es gibt wohl kaum einen Ort in Vietnam, an dem sich die jüngere Geschichte so praxisnah und eindrucksvoll erleben lässt. Und beeindruckend ist das Tunnelsystem in jedem Fall. Es wurde bereits in den 1940er Jahren im Krieg mit Frankreich angelegt und dann immer weiter ausgebaut. Allein in der Umgebung von Cu-Chi erstreckt es sich auf eine Länge von etwa 250 (!) Kilometern und verläuft zum Teil auf mehreren Ebenen. Im Vietnamkrieg reichte es sogar bis unter die amerikanischen Militärbasen. Mit einfachsten Mitteln wurden die Gänge in den harten Boden getrieben. Sie verbinden verschiedenste Räume miteinander: Konferenz- und Schlafräume, Lazarette, Bunker, Lager und Küchen. Um mit dem Rauch der Kochstellen nicht die Position der Gänge zu verraten, wurde nur morgens gekocht. Der Rauch wurde außerdem über ein spezielles Kaminsystem mit mehreren, größeren Zwischenräumen abgeführt. So konnte er langsam abziehen und sich unauffällig mit dem Morgennebel vermischen.

Die originalen Eingänge zum Tunnelsystem sind winzig klein. Wie auch die Gänge selbst. Nicht für westliche Touristen gemacht. Allerdings wurden einige Eingänge und Tunnel entsprechend angepasst, so dass man sich in diesen Gängen einigermaßen bewegen kann. Es ist allerdings schwer bis unmöglich die Eingänge zu den Tunneln zu finden. Bisher ist das wohl noch keinem Besucher geglückt. Sie sind extrem gut getarnt, wie uns ein Mitarbeiter der Museumsanlage eindrucksvoll demonstriert. Mit einigen Handbewegungen wischt er an irgendeiner Stelle auf dem Boden Blätter zur Seite und legt einen Eingang frei. Er öffnet den Deckel, verschwindet blitzschnell in dem Loch und ist kurze Zeit später nicht mehr zu sehen. Es ist wirklich beeindruckend diese Tunnel mal selbst zu erleben, die Enge zu spüren, in der die Partisanen hier zum Teil wochenlang ausharrten und zu sehen mit welch einfachen Mitteln eine so effektive und raffinierte Verteidigungsanlage geschaffen wurde, die trotz zahlreicher, z. T. recht aufwändiger Bemühungen der Amerikaner manchmal zwar entdeckt, jedoch nie komplett erobert oder zerstört werden konnte. Ein halber Tag. So viel Zeit bleibt in Cu-Chi. Und dann geht es per Bus zurück nach Saigon.

Saigon ist eine bunte und lebendige Stadt. Sie kann jedoch nicht gerade durch eigene Schönheit bestechen. Trotzdem zieht sie viele Menschen an. Die einen auf der Suche nach Arbeit und neuen Perspektiven, die anderen auf der Suche nach Erholung und Ausgleich. Vor allem im Stadtzentrum trifft man viele Touristen und eine auf sie ausgerichtete Infrastruktur: Bars, Restaurants und diverse Geschäfte reihen sich aneinander. Sogar Bäckereien findet man – in Asien eigentlich eine absolute Seltenheit. Dazu gibt es an jeder Ecke Unterkünfte für den kleinen und großen Geldbeutel und viele Reiseagenturen, die bei der weiteren Reiseplanung behilflich sind. Außerdem Museen, schöne Stadtparks sowie kleine und verwinkelte Gassen, die dazu einladen, einfach ziellos durch sie hindurchzuschlendern. Und so ist Saigon sicher einer der bedeutendsten Dreh- und Angelpunkte für Reisende in Südostasien. Es geht hektisch zu in Saigon. Aber es ist eine angenehme, eine ganz eigene  Hektik, die exotische Großstädte vor allem dann versprühen können, wenn man nur eine begrenzte Zeit bleiben muss. Insgesamt hält es mich drei Tage in der Stadt. Drei Tage, die mal wieder ziemlich schnell vorbei gehen. Eigentlich hätt ich ja wie immer noch länger bleiben können.

Am Sonnabend mach ich mich dann aber auf den Weg. In aller Frühe. Denn die Grenze zu Kambodscha schließt um 18 Uhr, so dass es, sollte ich zu spät ankommen, erst am nächsten Tag weiter gehen würde. Wenn ich mich beeile, könnt ichs allerdings innerhalb eines Tages schaffen. Am Morgen kann ich mir noch überhaupt nicht vorstellen, dass ich bald in Kambodscha sein werde. Ich hab mich so unglaublich an Vietnam gewöhnt, dass es auch gar nicht so einfach ist zu gehen. Aber irgendwann hat man eben auch mal so ein langes Land durchradelt und muss es eben weiter gehen. An der Grenze ein sich immer ähnelnder Ablauf: erstmal alle Fahrradtaschen abnehmen und durch den Röntgenscanner schieben, dann werden Pass und Visum kontrolliert ,bevor es im Anschluss durch die Transitzone zur nächsten Grenze geht. Neu ist diesmal, dass ich mein kambodschanisches Visum erst am Grenzschalter bekomme. Aber nachdem das in meinen Pass geklebt und abgestempelt ist, kann ich auch gleich weiterfahren.

Wieder ein neues Land und wieder ganz viel Unbekanntes. Ich finde es ja immer ziemlich aufregend eine neue Grenze zu passieren. Gerade, wenn ich zum ersten Mal in das jeweilige Land komme. Wenn man eine Weile in einem bestimmten Land unterwegs ist, richtet man sich irgendwie ein. Nach ein paar Tagen ist vieles vertraut. Man weiß, wie und wo man seine Unterkünfte finden kann, man kennt die gängigen Preise für Lebensmittel oder das Essen in Restaurants, die grundlegenden Höflichkeitsfloskeln und ein Stück weit auch die Mentalität der Einheimischen. Man weiß einfach, wie es im Reisealltag zugeht. Wenn es in ein neues Land geht, ist diese angenehme Routine naturgegebenermaßen erst einmal verflogen und man muss wieder von neuem ankommen.

Und so ist es auch in Kambodscha. Anderes Geld, andere Schrift, eine andere Sprache und irgendwie auch eine andere Mentalität. Obwohl man das nach zwei Tagen ja überhaupt noch nicht sagen kann. Es ist aber mein erster Eindruck. Generell erlebe ich die Menschen jetzt wieder reservierter. Das war allerdings auch schon vor der Grenze so. Es ist verrückt: in einem Reiseführer hab ich kürzlich gelesen, dass die Menschen in Nordvietnam viel verschlossener wären, als die Südvietnamesen. Ich hab das genau anders herum erlebt. Schon komisch. So unterschiedlich können individuelle Eindrücke sein.

Aber auch darüber hinaus ist Kambodscha schon auf den ersten Metern ganz anders als Vietnam. Gleich als erstes Fällt mir auf, dass in Kambodscha das Preisniveau z. T. deutlich höher ist. Trotzdem wirkt Kambodscha viel ärmer und ist auch deutlich vermüllter. Zumindest an den Straßenrändern und in den kleineren Ortschaften. Außerdem gibt es mehr Sicherheitspersonal. In Phnom Penh, aber z. B. auch in der Provinz, bspw. auf den Märkten. Gestern hab ich einen mit einer Kalaschnikow bewaffneten Sicherheitsmann gesehen, der sich auf einem Markt mit seinem Motorrad einen Weg durch die Menschenmenge  gebahnt hat. Fand ich etwas irritierend. Aber um jetzt keinen falschen Eindruck zu erwecken: vielerorts begegne ich noch immer und immer wieder lächelnden, fröhlichen Menschen, die mir einfach im Vorbeifahren zuwinken oder auch ganz interessiert den Kontakt suchen, so wie in Vietnam eben auch. Es gibt also keinen Grund zu meckern. Es ist eben einfach ein bisschen anders. Normaler, wenn man so will und nicht ganz so touristisch wie Vietnam. 

Mittlerweile bin ich in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh angekommen. Hier werd ich jetzt einen dreitägigen Zwischenstopp einlegen. Mitte dieser Woche wird es dann wieder weitergehen, Richtung Angkor Wat – dem größten sakralen Bauwerk der Welt und der Touristenmagnet in Kambodscha schlechthin.