Saigon zum Greifen nahe

Vietnam zieht sich ganz schön in die Länge. Auf der Landkarte oder einem Globus sieht das Land ja eigentlich winzig klein aus. Aber wenn man dann mal vor Ort ist, ist es doch ganz schön erstaunlich, wie anders sich Entfernungen darstellen können. Von Nord nach Süd bzw. von Hanoi nach Saigon sind es knappe 2000 Kilometer, also in etwa so weit wie von Berlin nach Moskau. Ist man auf der AH1, der Hauptverkehrsachse unterwegs, wird man durch die vielen kleinen Randsteine in regelmäßigen Abständen auf diese riesige Ausdehnung hingewiesen. Und das schon ab Nordvietnam. Das kann manchmal ganz schön ernüchternd sein, vor allem dann, wenn die Zahl auf dem Stein einfach nicht kleiner werden will. Aber bei Danang gibts dann einen ersten großen Lichtblick: auf einmal sind die Entfernungsangaben nur noch dreistellig. Irgendwie geht es also doch voran.

Und dank meiner neuen App vermehrt auch abseits befestigter Straßen. Da es ja außerhalb von Europa unglaublich schwierig ist an gutes Kartenmaterial zu kommen, hab ich auf der Suche nach Alternativen eine App entdeckt, die sich vorwiegend an Radfahrer, Wassersportler und Wanderer richtet und die sehr detailliertes Kartenmaterial der ganzen Welt zur Verfügung stellt, inklusive der Höhenlinien – zumindest solange eine Internetverbindung besteht. Das ist so unglaublich praktisch, denn jetzt kann ich gezielt Routenvorschläge für Radfahrer anzeigen lassen und werd somit manchmal über kleinste Feldwege und durch winzige Dörfer geführt, durch die ich sonst nie gefahren wäre. Ab und an gönn ich mir diesen Luxus und fahr dann quasi einen Tag lang durchs Hinterland.

Hier in Vietnam eine willkommene Abwechslung. Denn wenn man an der Küste entlang fährt, passiert man ja in regelmäßigen Abständen auch touristische Ballungszentren, sei es Halong, die Kaiserstadt Hue oder auch Hoi An. Und hier merk ich dann immer, wie schnell ich vom Radfahrer in die Rolle des zahlungskräftigen Touristen rutsche. Insbesondere dann, wenn ich ohne Fahrrad unterwegs bin. Wobei das natürlich nicht nur für Vietnam gilt sondern für auch für andere touristische Orte, die ich auf meiner Reise passiert habe. An sich ist das ja nichts Ungewöhnliches. Von irgendetwas müssen die Leute hier ja schließlich leben. Und in touristischen Orten, gerade in kleineren, sind es eben hauptsächlich die Besucher, die das Geld in die Kasse spülen. Aber gerade wenn man den Vergleich zu den ländlichen Gebieten oder kleineren, weniger touristischen Provinzstädten hat, kann diese Rolle ganz schön ungewohnt und anstrengend sein, insbesondere, wenn das Engagement von Händlern, Restaurantbesitzern, Taxifahrern und Tour-Verkäufern ein gewisses Maß übersteigt und deren Preisvorstellungen dann auch noch jenseits von Gut und Böse liegen.

Obwohl, mittlerweile macht mir sogar das Handeln richtigen Spaß, ganz anders, als z. B. noch vor neun Monaten. In der Regel seh ich die Touristenhochburgen daher auch recht entspannt und würd sicher keinen großen Bogen drum machen. Wenn ich ehrlich bin, reizt mich ja eigentlich auch die Möglichkeit verschiedene Seiten erleben zu können: mal Radreisender zu sein, der an den unterschiedlichsten Ecken eines Landes vorbeikommt – schönen und weniger schönen, bekannten und weniger bekannten, belebten und weniger belebten – und dann gleichzeitig aber auch mal normaler Urlauber zu sein, der eher nur die touristischen Hotspots mitmacht.

Aber es ist eben doch schon ein großer Unterschied, ob man auch über Land reist oder eben einfach nur in der Stadt oder am Strand ist. Gerade die Begegnungen mit den Menschen sind anders. Herzlicher und offener. Zumindest ist das mein Eindruck. Man kann ganz viel aus erster Hand erfahren – zumindest, wenns mit der Kommunikation halbwegs klappt. Und wenn man selbst auch offen ist. Abseits größerer Städte werd ich auch in Vietnam öfter angehalten und irgendwohin eingeladen, nach Hause oder in irgendein Lokal, auf ein Glas Wasser, einen Kaffee oder ein Bier. Oft sind das total schöne Begegnungen, die sich so in größeren Städten so einfach nicht erleben lassen. Oder zumindest nicht so auf einem Silbertablett serviert werden.

Danang ist vorerst die letzte Großstadt. Danach wird es erstmal wieder recht provinziell. In endlosen Kurbelumdrehungen ziehen Felder, Weideflächen und kleinere Ortschaften, die durch die AH1 zerschnitten werden, an mir vorbei. Ein immer ähnliches Bild. Die Flecken, die nicht bewohnt sind, werden meistens in irgendeiner Form landwirtschaftlich genutzt. Oft noch immer in Handarbeit. So wars ja auch schon in Nordvietnam. Hier und da gibt’ kleinere Wälder, dazu rechts die Berge und links das Meer, manchmal sogar in Hörweite. Trotz der vielen landwirtschaftlich genutzten Flächen find ich die Umgebung eigentlich ganz abwechslungsreich.

Zu Schade nur, dass sich nirgends halbwegs geschützte Zeltplätze finden lassen. Daher suche ich mir zum Einbruch der Dunkelheit immer ein kleines Zimmer in einem Hotel oder einer Pension. Die gibts hier in jedem kleinen Ort. Selbst mit guter Ausstattung sind die meist äußerst preiswert und kosten nur etwa 4 bis 7,- € pro Nacht. In den Hostels sind in diesem Preis manchmal sogar noch ein riesiges Frühstücksbüfett und abends zwei Stunden Freibier inbegriffen. Viel Geld für Essen und Unterkunft braucht man in Vietnam also nicht auszugeben. Von daher ist Vietnam gerade für Individualreisende das ideale Reiseland, wie ich finde. Insbesondere auch als Einstieg. Es ist exotisch, günstig, landschaftlich sehr abwechslungsreich, geschichtlich ziemlich interessant – es gibt also ganz viel zu entdecken – und dann ganz klar, die Menschen, die hier leben, mit ihrer offenen und herzlichen Art. Für mich auf jeden Fall eines der Favoriten auf meiner Reise.

Und die neigt sich zumindest in Vietnam so langsam ihrem Ende entgegen. Mittlerweile bin ich nämlich in Mui Ne angekommen, also schon ziemlich weit im Süden des Landes. Bis nach Saigon ist es jetzt nicht mehr allzu weit. Knapp 250 Kilometer werdens noch sein. Und dann kommt bald die kambodschanische Grenze. Die wollte ich am 15. Januar  erreicht haben. Das könnte also glattweg klappen. Da es sich in Mui Ne und besonders am Strand mit dem badewannenwarmen Meerwasser aber so schön aushalten lässt, werd ich hier sicher noch einen Extrapausentag einlegen. Vielleicht auch zwei, mal sehen. Spätestens Montag muss ich dann aber wieder weiter, auch wenns schwerfällt, denn sonst könnt es wieder hektisch werden….