Eine einprägsame Begegnung

Früher Morgen. Ich bin gerade in Kandira losgefahren und auf dem Weg nach Karasu am Schwarzen Meer. Es ist ziemlich hügelig und schon jetzt so unglaublich warm, dass ich mich richtig auf heut Abend freue. Ich stell mir immer wieder in den schillernsten Farben vor, wie ich nach fünf, sechs Stunden aufgeheizt und durchgeschwitzt am Strand ankomme, mein Fahrrad fallen lasse, ins Wasser renne und dann im kühlen Meer abtauche. Kopfkino vom Allerfeinsten.

Und dann sehe ich auf einmal in etwa 100 Metern Entfernung irgendetwas Beigefarbenes auf der Straße liegen. Sieht fast aus wie ein Schaf. Ich kanns noch nicht richtig erkennen. Erst nachdem es aufgestanden ist. Kein Schaf, sondern ein ausgewachsener Kangal, ein türkischer Hütehund, steht da auf der Straße und schaut in meine Richtung. Riesengroß, zumindest sieht das aus der Entfernung so aus. Ich bin ein bisschen unschlüssig, was ich jetzt machen soll, fahr aber erst Mal weiter und hoff, dass er einfach stehen bleibt und meine Anwesenheit möglichst uninteressiert zur Kenntnis nimmt. Das aber leider nicht der Fall, denn schon kommt er bellend auf mich zugelaufen. Sofort ist klar: anhalten, umdrehen und zurück. Und möglichst ohne große Hektik. Wobei mir das ganz schön schwer fällt. Insbesondere als ich merke, dass es nicht bei dem einen Hund bleibt. Hinter einem Zaun taucht auf einmal ein weiterer Kangal auf. Er verschwindet kurz im Gestrüpp, ich will schon aufatmen, da steht er auf einmal auf der Straße und rennt ebenfalls bellend hinter mir her. Und als würde das nicht schon reichen, kommen nochmal zwei Hunde dazu. Insgesamt sind jetzt drei Kangals und ein Rottweiler auf der Straße und laufen mir bellend nach. Nicht, dass mir zum ersten Mal Hunde bellend hinterherrennen würden. Seit Serbien kommt das immer wieder mal vor. Bisher waren die aber immer deutlich kleiner gewesen. Ich fahr in ruhigem und gleichbleibendem Tempo weiter und versuch einfach nur nach vorn zu schauen. Wie sonst auch. Und glücklicherweise drehen die Hunde dann irgendwann ab. Puh….

Noch 200 Meter, dann fahr ich an den Straßenrand und halte an. Meine Herren, was war das denn gewesen? Hier ist wohl erst mal Schluss mit Weiterkommen. Ich überleg, was ich machen kann. Im Prinzip bleibt eigentlich nur die Möglichkeit einen Umweg zu fahren, auch wenn das eventuell bedeutet, meine Planung für die nächsten Tage komplett zu ändern. Das passt mir ganz und gar nicht, aber etwas anders fällt mir nicht ein und die große Wahl hab ich ja auch nicht. Also hol ich meine Karte hervor, um meine Möglichkeiten auszuloten. Vielleicht finden sich ja irgendwelche kleinen Schleichwege.

Neben mir hält ein Auto. Eine junge Frau und ihre Eltern steigen aus. Sie haben die Szene mitbekommen und bieten gleich an, dass sie mir helfen werden. „We help you!“ Da ihr Auto voll ist, können sie mich und mein Fahrrad aber leider nicht einladen. Ihr Vorschlag ist, dass ich wieder umdrehen und vorfahren soll. Sie würden dicht hinter mir fahren und die Hunde auseinandertreiben. Ich weiß erst nicht so recht, was ich davon halten soll. Eigentlich kommt mir der Plan wie das reinste Himmelfahrtskommando vor. Aber die drei klingen so überzeugt und zuversichtlich, als würden sie das jeden Tag machen und als wär das überhaupt kein Problem. Und im Moment bin ich einfach nur froh, dass jemand da ist und mir helfen will. Irgendwo hab ich auch mal von einer ähnlichen Situation gelesen, in der das ganz genauso gemacht wurde. Naja, als letzte Möglichkeit könnt ich ja immer noch ins Auto springen.

Also gut, dann los. Ich dreh um und fahr wieder zurück. Neben mir das Auto. Mein Herz rast. Aber obwohl ich total aufgeregt bin, glaube ich, dass das klappen wird. Irgendwie gibt mir das Auto ein Gefühl von Sicherheit. Wir fahren die Straße runter und dann geht es wieder los. Die vier Hunde kommen bellend auf mich zugelaufen, das Auto hupt und gibt Gas, drängt sie auseinander und von der Straße. Ich fixiere irgendeinen Punkt in der Ferne und versuche möglichst ohne Hektik geradeaus zu fahren. Was dann weiter passiert, bekomme ich nur entfernt und am Rande mit. Es ist die pure Hektik. Ich hör das Auto hupen, hör und seh, wie es vor und zurück fährt, höre die Hunde hinter mir bellen oder sehe sie bellend neben mir herlaufen. Und zwischendrin immer wieder das Auto…

Das Ganze kann nicht länger als 30 Sekunden gedauert haben, aber mir kommt es wie eine kleine Ewigkeit vor. Irgendwann merk ich, dass die Hunde nicht mehr neben mir herlaufen sondern nur noch auf der Straße stehen und bellen. Und dann sind sie schließlich wieder verschwunden.

Als ich mich umdrehe fährt da nur noch das Auto. Es hupt mir nochmal zu und dreht dann um. Ich winke zum Abschied, streck den Daumen in die Höhe und fahre dann weiter. Der restliche Tag ist für mich aber gelaufen. An entspanntes Fahren ist nicht mehr zu denken. An jedem Hof mit offenem Tor fahr ich mit einem mulmigen Gefühl vorbei. Genauso an jedem Hund, den ich auf der Straße liegen oder am Straßenrand laufen sehe.

Erst am Nachmittag normalisiert sich das wieder etwas. Aber sicher wird mich dieses Erlebnis noch die nächsten Tage begleiten.