Vom Schwarzen Meer ans Schwarze Meer

Ich steh in Karasu auf einem Zeltplatz und es regnet und regnet. Es regnet in einer Tour. Obwohl, dass es regnet ist eigentlich maßlos untertrieben. Es gießt und schüttet wie aus Eimern. Und das schon seit Stunden. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so etwas schon einmal erlebt hätte. Einerseits freut mich das ja, denn so seh ich mal, dass mein Zelt wirklich dicht hält. Andererseits hab ich im Regen aber auch jede Menge zu tun. Denn der Boden ist mittlerweile so nass, dass das Regenwasser kaum noch versickert und sich regelmäßig unter meinem Zelt sammelt. Ich steh mit meinem Zelt daher immer wieder im Wasser. Zwei Mal schon bin ich umgezogen. Das heißt Klamotten, Schlafsack und sonstiges Equipment in den Taschen verstauen, alles nach draußen schleppen, irgendwo unterstellen und das Zelt umsetzen. Immer zum nächstgelegenen, noch nicht überschwemmten Fleckchen. Die werden mit der Zeit aber immer weniger.

Ich hab aber Glück. Der dritte Zufluchtsort hält, was er verspricht. Und da der Regen irgendwann etwas nachlässt, bestehen berechtigte Hoffnungen, dass das der letzte Umzug war. Naja, ich will mich ja gar nicht über das Wetter beklagen. Bisher war es ja wirklich herausragend gut gewesen, sieht man mal von den ersten beiden Wochen ab. Viel machen kann ich heut aber trotzdem nicht. Ans Weiterfahren ist jedenfalls nicht zu denken, das würde überhaupt keinen Sinn machen. Und so verbring ich den Tag einfach damit im Zelt zu liegen, die nächsten Tage zu planen und mal ein bisschen auszuspannen. Muss ja auch mal sein.

Ursprünglich wollt ich ja bis Trabzon, im Osten der Türkei, komplett an der Schwarzmeerküste entlang fahren. Diesen Plan verwerfe ich jetzt aber, denn die Wetteraussichten im Küstenbereich bleiben die nächsten Tage ziemlich durchwachsen. Im Inland hoff ich einfach mal auf besseres Wetter. Zudem wechseln sich an der Küste Anstiege und Abfahrten in kurzen Abständen ab. Nicht, dass ich nicht gerne in den Bergen fahre, aber das Teilstück von Istanbul nach Karasu hat mich schon ziemlich aufgehalten und war, insbesondere bei den aktuellen Wetterbedingungen, nicht sehr angenehm zu fahren gewesen. Anstatt am Schwarzen Meer entlang zu fahren, hab ich mir daher überlegt eine etwas südlichere Route zu nehmen. Mit 950 Kilometern wär die zudem deutlich kürzer, als die Küstenstraße. Und abgesehen davon könnt ich ja trotzdem noch am Schwarzen Meer entlang fahren, da die letzten 350 Kilometer beider Strecken identisch sind.

Lange Rede, kurzer Sinn, die nächste Abzweigung nach Süden ist meine. Nach einem kurzen Blick auf die Karte ist klar, bis Akcakoca muss ich auf der Küstenstraße bleiben und kann dann über die D-655 nach Süden fahren. Nicht weit. Nur etwa 50 Kilometer, bis zur Fernverkehrsstraße D-100. Und der folge ich dann einfach.

Wie sich zeigt, ist das eine ganz gute Wahl. Der Verkehr ist überschaubar, die Straße ist perfekt ausgebaut, es gibt sogar einen breiten Seitenstreifen, so dass es sich vollkommen entspannt fahren lässt. Außerdem ist die Landschaft atemberaubend schön und sehr abwechslungsreich. Und auch das Wetter spielt mit. Es ist halbwegs stabil. Ab und an regnet es zwar, meist komm ich aber trockenen Rades voran. Gelegentlich passiere ich kleinere Ortschaften oder Tankstellen. Das heißt, die Versorgung ist auch gesichert. Zudem finden sich überall gute Möglichkeiten zum Zelten. Perfekte Reisebedingungen also.

Und darüber hinaus macht es auch einfach richtig viel Spass auf dieser Straße zu fahren. Gefühlt jeder dritte LKW-Fahrer hupt und winkt, die PKW-Fahrer ebenfalls. In den einsameren Straßenabschnitten halten die auch schon mal an und versorgen mich aus dem geöffneten Fenster mit Brot, Schokolade oder Getränken. Oder steigen gleich ganz aus. Und dann nimmt man sich Zeit für ein Gespräch und um das Fahrrad nebst Gepäck genau zu inspizieren. Alles kein Problem. Der Seitenstreifen ist schließlich breit genug und außerdem gibts ja die Warnblinkanlage. Ein Georgier, der auf der Durchreise ist, möchte mir dabei sogar einen Teil seiner Werkzeuge mitgeben. Nur für den Notfall…. Ich freu mich, lehn aber dankend ab, denn ich bin froh um jedes Gramm, was ich einsparen kann.

Nichtsdestotrotz macht mich die große Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen hier immer wieder sprachlos. Es ist manchmal ganz unfassbar. Wenn ich unterwegs bin, vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht irgendwo angehalten und eingeladen werde. Von der Straße weg, einfach so. Zum Tee trinken oder auf ein Essen, manchmal wird mir auch gleich ein Schlafplatz angeboten. Auf Märkten oder in Geschäften bekomme ich Obst geschenkt und an Tankstellen werde ich mit Wasser oder Knabbereien versorgt. Oftmals brauche ich in Teestuben den Tee nicht zahlen. Bei einer Familie, auf deren Grundstück ich zelten darf, bekomm ich ein Abendessen ans Zelt gebracht, anderswo ein Frühstück. Ich bin immer wieder aufs Neue beeindruckt und sehr dankbar für solche Erfahrungen.

Die nächsten Tage gehts immer auf verschiedenen Bundesstraßen entlang. Ab Merzifon dann auch wieder Richtung Norden nach Samsun. Auf dem Weg dorthin muss ich nochmal mit ordentlichen Steigungen kämpfen, dafür gibts aber dann am Ende eine schöne Abfahrt hinunter bis auf Meereshöhe, denn jetzt bin ich wieder an der Küste und fahr ab Samsun meist direkt am Meer entlang. Und es bleibt flach. So komm ich ganz flott voran und das ist mir auch ganz recht. Mitte Juli würd ich nämlich gern in Georgien ankommen. Und das könnt jetzt schon langsam eng werden. Ich muss ja noch nach Trabzon, um hier mein Visum für den Iran zu beantragen. Wenn ich Glück hab, bekomm ich das Visum noch am selben Tag, jedoch kann es auch sein, dass es einige Tage dauern wird. Und da find ichs dann ganz gut, wenn ich zeitliche Reserven habe.