Einreise mit Hindernissen

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Mein erster Blick auf Neuseeland. Nach knapp drei Stunden Flug taucht unter der Wolkendecke fast wie aus dem Nichts die neuseeländische Küste auf. Ich hätte sie beinahe verpasst, aber auf dem kleinen Bildschirm vor mir hab ich unsere aktuelle Position immer verfolgen können. Daher war natürlich auch klar, wann wir ungefähr auf Land treffen werden. Der allererste Blick aus dem Flugzeugfenster bietet schon jetzt einen kleinen Vorgeschmack auf die Schönheit des Landes, die ich bisher ja nur von Bildern kenne. Ganz schroff und wild sieht Neuseeland von hier oben aus, dunkel und geheimnisvoll. Durch die Wolken hindurch sieht man das Meer, kleine Strände, man kann die Berge erahnen und das tiefe Grün der Landschaft. Ich fühle gleich an die Herr-der-Ringe-Filme erinnert.

Ich freu mich auf Neuseeland und bin schon sehr gespannt. Es fühlt sich aber ganz anders an, als bei meiner Ankunft in Australien. Es ist eine ganz ruhige, leise Freude. Eine, die man vielleicht nur alleine und für sich erleben kann, zumindest, wenn man so lange alleine unterwegs gewesen ist. Schwer zu beschreiben. Neben der Freude, nach all den Monaten nun wirklich in Neuseeland anzukommen, kündigt sich aber auf einmal auch ganz deutlich das Ende meiner Reise an. Das ist zwar immer noch ein paar Wochen entfernt, aber dadurch dass mein Rückflugdatum seit ein paar Tagen feststeht, sind die Tage meiner Reise nun sprichwörtlich gezählt. Das wird mir, jetzt wo Neuseeland da unter den Wolken auftaucht, auf einmal ganz deutlich bewusst. Naja gut, erstmal ankommen.

Das Prozedere am Flughafen kenn ich mittlerweile ja schon. Nach der Passkontrolle geht es Richtung Gepäckförderband, wo ich alle meine Taschen und den Fahrradkarton abhole. Von dort weiter Richtung Zoll und zur Biosecurity, wo sicherlich nochmal mein Fahrrad und das Zelt auf Rückstände von Erde, Gras und ähnlichem untersucht werden. Ich rechne mit etwa einer halben Stunde. Um 14 Uhr könnt ich also fertig sein, vor dem Flughafen mein Fahrrad zusammengebaut haben und auf dem Weg nach Auckland sein. Aber es kommt alles ganz anders.

Am Schalter des Zolls nimmt die Beamtin meinen Pass entgegen und fängt an diesen durchzublättern. Und damit beginnt das mit Abstand anstrengendste, nervenaufreibendste Einreisedrama meiner gesamten Reise. Fragen tauchen auf – viele Fragen, Fragen auf die man an einem neuseeländischen Zollschalter erst mal kommen muss. Ob ich alleine unterwegs bin, will man wissen, was ich im Iran wollte, wie lange ich in Usbekistan war, warum ich so nah an Syrien vorbeigefahren bin, ob ich im Irak war, warum ich mein Rückflugticket so spät gebucht habe, wo ich übernachten werde, warum ich noch nicht weiß, was ich mir in Neuseeland alles anschauen möchte, wie viele Grenzen ich passiert habe, wo genau ich in Australien gewesen bin. Und das war jetzt nur eine winzige Auswahl an Fragen. Mit der Zeit wird die Schlange hinter mir immer länger, so dass ein zweiter Schalter aufgemacht wird.

Ganz am Anfang denk ich mir noch nicht so viel dabei, beantworte geduldig alle Fragen und schieb ab und zu noch ein Witzchen nach. Aber irgendwann fang ich mich dann doch an zu wundern und stell ebenfalls eine Frage. Und zwar, warum sie das denn alles wissen möchte. Eine Antwort darauf bleibt die Beamtin mir jedoch schuldig bzw. weicht gekonnt aus. Nach einer halben Stunde bin ich erlöst. Endlich geht es weiter. Allerdings nur ein paar Meter. Ich werde aufgefordert mein Gepäck an einen Tisch zu schieben, der kurz hinter dem Schalter steht und dort zu warten. Es kommt gleich jemand.

Nach zehn Minuten kommt tatsächlich jemand. Und dann beginnt Fragerunde 2. Wieder Fragen zu meiner Route, zum Grund meiner Reise, zu meinen Ausrüstungsgegenständen etc. Außerdem wird jede meiner Taschen kontrolliert. Also aufs Genaueste. Jedes einzelne Ausrüstungsteil und Kleidungsstück wird ausgepackt und begutachtet, gedreht und gewendet. Auf dem Tisch liegt irgendwann ein Berg aus Taschen, Kleidung, Werkzeug und Kochgeschirr. Meine Tagebücher werden durchblättert und immer wieder werden ähnliche Fragen gestellt. Mit der Zeit kommt mir das alles wie das reinste Verhör vor. Die ganze Situation wirkt auf mich außerdem ziemlich angespannt. So als wäre ich schon fast wegen irgendetwas überführt. Ich mein, die Beamten sind schon, sagen wir mal, distanziert-freundlich. Ich bekomm etwas zu Trinken, werde aber gleichzeitig auch aufgefordert mich nicht so nah an den Tisch zu setzen. Gehört sicher zum Protokoll und wird bestimmt auch immer so gehandhabt, es erzeugt in mir aber ziemlich befremdliches Gefühl.

Und irgendwann nervt es einfach nur noch. Gerade weil es kein Ende zu nehmen scheint. Am Anfang versuch ich ja wie gesagt noch ruhig zu bleiben und sag mir, dass die Leute vom Zoll ja auch nur ihren Job machen. Auch den Drogentest mit speziellen Kontrollstreifen lass ich höchstens mit einem kleinen Stirnrunzeln über meine Taschen ergehen. Aber meine Antworten werden zusehends einsilbiger. Als dann jedoch zum dritten Mal gefragt wird, wo ich in Australien unterwegs gewesen bin, da kann ich einfach nicht mehr an mir halten. Dass er verdammt nochmal zuhören soll, wenn ich etwas erkläre, mache ich meinem Ärger gegenüber dem Beamten ziemlich deutlich Luft. Der ist noch ziemlich jung und wirkt auf mich, als würde er hier Dienst nach Lehrbuch veranstalten. Auf meine erneute Frage, warum ich hier so aufwendig untersucht würde und was die ganzen Fragerei soll, antwortet er, dass dies eben Aufgaben des Zolls sei. Er verschwindet dann irgendwann mit meinem Schlafsack, der Isomatte und meinem Fahrradkarton und meint, dass er das jetzt alles zur Kontrolle röntgen lassen müsse. Also da wusste ich dann wirklich nicht mehr, ob ich weinen oder lachen soll und konnte mein Gesicht nur noch ganz tief in meinen Händen vergraben.

Nach etwa zwei Stunden ist dann auch dieser Teil überstanden. Es geht nun weiter mit dem Mitarbeiter von der Biosecurity. Dieser fängt an mein Campingequipment, meine Schuhe und das Fahrrad zu untersuchen. Da ich in Melbourne aber alles penibel geputzt hatte, war er recht schnell fertig, saugte jedoch am Ende zur Sicherheit noch die letzten Krümel aus meinen Fahrradtaschen.
Und dann ging es weiter zur nächsten Befragung. In den ersten Stock in ein kleines Nebenzimmer. Dort wurden dann von einer dritten Beamtin ähnliche Fragen gestellt, wie in Runde 1 und 2. Wie finanziere ich die Reise? Was möchte ich mir in Neuseeland ansehen? Wo übernachten?

Nach weiteren zwanzig Minuten werde ich dann auch dort entlassen und soll nochmal kurz im Flur warten. Man würde sich jetzt besprechen. Zu diesem Zeitpunkt war es mir jedoch schon vollkommen egal, ob man mich einreisen lassen würde oder nicht. Ich war einfach nur noch total genervt. Eine so penible Kontrolle habe ich wirklich an keiner einzigen Grenze erlebt. Nichtmal im Ansatz. An den meisten Grenzen wurden zwar meine Taschen geröntgt, an der usbekisch-kirgisischen Grenze auch mal stichprobenartig ein Blick hinein geworfen und die Bilder meiner Kamera kontrolliert, die Grenzübertritte selbst haben jedoch nie länger als eine Stunde gedauert. Meistens war es sogar deutlich kürzer. Ich hatte auf jeden Fall immer das Gefühl, dass der Kontrollaufwand vollkommen im Rahmen ist und im Verhältnis steht. Jedoch nicht so in Neuseeland. Vollkommen überzogen war das. Ich mein, ich bin doch sicher nicht der erste Radfahrer, der nach Neuseeland kommt, der durch Zentralasien gefahren ist und noch nicht seine komplette Reiseroute für Neuseeland im Kopf hat. Naja, wie auch immer. Nach etwa fünfminütiger Beratung beschließt man schlussendlich, dass alles in Ordnung ist und ich gehen kann.

Als ich mit meinem Fahrrad und dem Gepäck vor dem Flughafengebäude stehe, ist es schon nach 16 Uhr. Bis ich mein Fahrrad zusammengebaut habe, ist es dunkel. Mittlerweile regnet es auch in Strömen. Ein Wetter passend zu meiner Stimmung. Um eine Nachtfahrt auf den Highways zu vermeiden, entscheide ich mich die 20 Kilometer nach Auckland mit einem Shuttlebus zurückzulegen. Außerdem will ich jetzt einfach nur noch irgendwo ankommen. Die Adresse eines Hostels hab ich mir noch in Melbourne rausgesucht. Hier setzt mich der Fahrer nach halbstündiger Fahrt ab und lädt mein Fahrrad aus dem Anhänger aus. Im Hostel merk ich dann kurze Zeit später, dass meine Regenjacke, die ich auf den Gepäckträger geschnallt hatte und mein kleines Fähnchen aus der Lenkertasche fehlen. Das muss in dem Hänger, in dem wir mein Fahrrad zum Transport hinlegen mussten, irgendwie herausgerutscht und abgefallen sein. Zu allem Übel lag in einer meiner Jackentaschen auch noch meine heißgeliebt Mütze, nach der ich in Vietnam, als ich sie in einem Taxi hab liegen lassen, einmal eine halbe Stadt abtelefoniert habe.

Bilanz des Tages: Mütze weg, Jacke weg, Fahne weg, 40$ für einen Shuttlebus bezahlt und die nervigste Einreise, die ich jemals erlebt habe. Manchmal gibt es Tage, an denen wäre man besser gar nicht aufgestanden…