Preisgekrönte Fischsuppe und zwei Nächte auf der Donau

Ich wollt ja schon immer mal auf einem Hausboot übernachten. Und genau das wäre in Belgrad machbar. Direkt auf der Donau. Von Novi Sad buche ich daher zwei Nächte in einem Mehrbettzimmer und freu mich jetzt schon riesig auf den nächsten Abend. Doch erst mal nach Belgrad fahren. Das mach ich zusammen mit Kristian. Kristian kommt aus Dänemark und ist auf einer ganz ähnlichen Route unterwegs wie ich. Und da wir beide nach Belgrad wollen, beschließen wir am nächsten Tag zusammen zu fahren.

Ich schlage vor, dass wir um zehn Uhr aufbrechen. Dann haben wir genug Zeit für die knapp 100 km lange Strecke. Letztlich wird es 11 Uhr, weil wir uns beim Packen unserer Räder vollkommen verquatschen. Über die Varadin-Brücke fahren wir an der Festung vorbei und dann aus der Stadt heraus. Durch kleinere Ortschaften geht es Richtung Südosten. Immer in Donaunähe. Es ist wieder richtig warm geworden. Wir kommen ganz gut voran. Trotz einiger Anstiege, die sich gefühlt mehrere Kilometer hinziehen. Nach knapp drei Stunden legen wir eine kleine Mittagspause ein. Wir unterhalten uns über dänische Filme. „In China essen sie Hunde“ und „Dänische Delikatessen“ sind aus dieser Rubrik ja meine absoluten Lieblingsfilme. Kristian kennt die natürlich auch und so können wir uns gemeinsam über einige Szenen amüsieren.

Auf unserem weiteren Weg passieren wir Novi Banovci. Aus einer Seitenstraße hören wir Gitarrenmusik. Wir machen kehrt und wollen mal schauen, was da los ist. In der Straße herrscht richtige Volksfeststimmung. Es sind Tische und Bänke aufgebaut und mehrere Kessel, aus denen es kräftig dampft. Als wir in die Straße einbiegen werden wir gleich entdeckt und lautstark begrüßt. Wir sollen absteigen und uns mit an einen der Tische setzen. Kaum sitzen wir, stehen zwei Teller mit Suppe vor uns. Dazu bekommt dann jeder noch Salat, Brot, Hühnerkeulen und Würste. Echte hausgemachte serbische Würste, wie man uns nicht ohne Stolz zu verstehen gibt. Wir sind immer noch etwas überrascht. Irgendwer kann etwas Englisch. Uns wird erklärt, dass hier mehrere Teams angetreten sind und es darum geht, wer die beste Fischsuppe kochen kann. Entschieden wird das von einer Jury. Und wie es der Zufall will, ist es genau der Tisch, an dem wir sitzen. Als das Ergebnis verkündet wird, gibt es kein Halten mehr. Alle springen auf, klatschen und jubeln. Die Musiker kommen direkt zu uns an den Tisch und es wird gesungen und gefeiert. Wir werden von der Begeisterung sofort angesteckt und jubeln mit allen mit. Immer wieder wird der Pokal bestaunt und hochgehoben. Wir sitzen eine ganze Weile mit am Tisch. Die Kommunikation läuft mit Händen und Füßen und ein bisschen Englisch. Nach etwa einer Stunde machen wir uns mit vollem Bauch und einem Dauergrinsen im Gesicht wieder auf den Weg. Eigentlich wär ich ja gern noch geblieben. Aber wir müssen heute Abend noch in Belgrad sein.

Gegen 19 Uhr sind wir schließlich da. Unsere Wege trennen sich hier vorerst, da Kristian ein anderes Hostel gebucht hat. Ich fahr zu meinem Hausboot. Das Problem ist nur, dass ich es nicht finden kann. Trotz GPS und eindeutiger Adressangabe. Ich fahr das Donauufer rauf und runter, aber kein Hausboot mit dem Namen „Boat Hostel Belgrade“. Das gibts doch nicht. Ich les mir die Wegbeschreibung nochmal genau durch. Direkt gegenüber vom „Hotel Jugoslavia“ soll es sein. Da steht zwar ein Hausboot. Das hat aber einen anderen Namen. Naja, zumindest ist die Tür offen. Also werd ich da mal nachfragen. Auf mein Rufen und Klopfen zunächst keine Reaktion. Ich geh ein paar Schritte durch die offene Tür. Stimmen hör ich jetzt schon mal. Irgendwer muss also da sein. Nochmal laut geklopft und gerufen. Dobar Dan. Hallo. Jetzt hör ich Schritte. Andrea, Miroslav und Danny stehen in der Tür und schauen mich mit großen Augen an. Ich erklär, dass ich ein Hausboot suche, auf dem ich ein Zimmer gebucht habe.

Schnell stellt sich heraus, dass ich auf dem richtigen Hausboot bin. Nur ist das noch gar nicht eröffnet worden. Andrea sagt, dass in etwa zehn Tagen die geplante Eröffnung sei. Bis dahin gibts noch einiges zu tun. Aber andererseits hab ich ja gebucht, meint sie. Und da kann sie mich ja nicht einfach wegschicken. Ein Zimmer kann ich mir aussuchen. Ich bin ja der einzige Gast. Und auch der erste. Na dann nehm ich doch eins mit Donaublick. Während Mirsolav frische Bettwäsche und ein Handtuch besorgt, erzählt mir Andrea etwas von ihren Plänen mit dem Schiff und auch darüber, was es in Belgrad alles zu sehen gibt. Danny und ich wuchten mein Fahrrad ins Schiff hinein und stellen es irgendwo in den Gang. Ich räum meine ganzen Taschen in die Kajüte und mach einen kurzen Spaziergang an der Donau entlang. Noch die letzten Sonnenstrahlen genießen.

Zurück auf dem Schiff hör ich Musik aus dem Wohnbereich. Ich steck kurz den Kopf zur Tür rein und wünsch einen guten Abend. Insgesamt sechs Leute sitzen um einen Tisch herum. Andrea, Danny, Mirsolav, Mladin und zwei weitere Gäste. Mladin, Andrea´s Mann, meint, dass ich mich doch dazu setzen soll. Bei der Gelegenheit könnt ich doch gleich mal den Kaffee testen. Die Maschine ist nämlich neu, frisch aus Italien. Und es fehlt noch eine objektive Meinung. Und so steht kurze Zeit später ein Espresso vor mir auf dem Tisch. Schmeckt ganz lecker ist meine ehrliche Antwort. Und vor allem nicht zu stark. Kaum ausgetrunken, steht dann auch schon der nächste da. Wir unterhalten uns auf Englisch. Bei Bedarf übersetzen Andrea und Mladin. Wir reden über Belgrad und serbische Geschichte, das Boot, die Donau und meine Reise mit dem Fahrrad.

Gegen 11 wirds für mich dann Zeit. War ja irgendwo auch ein anstrengender Tag. Und mir fallen bald die Augen zu. Ich geh in meine Kajüte und freu mich, weil ich ja heute auf einem richtigen Hausboot schlafen kann. Insgesamt bleib ich zwei Nächte. War ein absoluter Glücksgriff, das Hausboot. Und total angenehm mit Andrea, Mladin, Miroslav und Danny. Richtig familiär. Morgens, wenn ich aufsteh und in den Wohnbereich komme, steht immer schon ein Frühstück auf dem Tisch und es gibt viele, viele Espressos. Und wir unterhalten uns ganz oft und über alles Mögliche. Auch wenns manchmal nur mit Händen und Füßen geht.

Einen Tag bleib ich jetzt noch in Belgrad. So viel hab ich von der Stadt ja noch nicht gesehen. Morgen werd ich dann weiter die Donau runterfahren. Richtung rumänische Grenze.

Die Vojvodina und Novi Sad

Hercegszántó wirkt wie ausgestorben. Kein Mensch auf den Straßen, die Rollläden vieler Häuser sind heruntergelassen. Und es ist erst kurz nach drei. Ich bin im letzten Ort vor der Grenze zu Serbien und fühl mich ein wenig wie am Ende der Welt. Seit Budapest habe ich zwar noch einige Orte passiert, die meiste Zeit bin ich jedoch durch recht einsame Gegenden gefahren. Manchmal direkt an der Donau entlang, meist jedoch nur in ihrer Nähe. Im Vergleich zu vielen zurückliegenden Abschnitten finde ich den ungarischen Teil des Donauradweges weit weniger spektakulär. Es ist flach und geht größtenteils an Feldern und Äckern entlang. Und ich brauche meine Karte recht häufig, da es nur an den Hauptabzweigungen Beschilderungen gibt.

Ich durchquere Hercegszántó und rolle an Ackerflächen und Wiesen vorbei auf die ungarisch-serbische Grenze zu. Serbien gehört noch nicht zur Europäischen Union. Daher finden an der Grenze reguläre Kontrollen statt. Aufregend. Die erste richtige Grenze. Wie wird das wohl ablaufen? Werd ich lange warten und alles auspacken müssen? Na, ich werds gleich sehen. Entgegen meinen Erwartungen ist an der Grenze absolut nichts los. Außer mir ist niemand da, der auf die andere Seite will. Die ungarischen Grenzbeamten prüfen meinen Pass. Sie fragen, wo genau ich hin will und ob ich auf dem gleichen Weg zurückkomme werde, Auf serbischer Seite interessiert man sich dafür, ob ich auch nach Belgrad fahre. Der Grund erschließt sich mir nicht ganz, aber nachdem ich bejaht habe, bekomme ich einen Stempel in meinen Pass und kann einreisen. Das ging ja dann doch recht flott.

Ich befinde mich jetzt in der Vojvodina, einer autonomen Region Serbiens. Hier leben über 30 verschiedene Ethnien zusammen, neben Serben vor allem Ungarn, aber auch Kroaten, Rumänen, Bulgaren und Deutsche. Die Ortsbeschilderungen sind z. T. dreisprachig. Hinter der Grenze wird noch viel Ungarisch gesprochen. Und auch Deutsch wird ganz gut verstanden. Die Menschen sind sehr freundlich und aufgeschlossen. Häufig wird mir beim Durchqueren von Ortschaften zugewinkt, oder aber ich werde gefragt woher ich komm und wohin ich fahre. Und es wird viel gelacht. In Bezdan, ein paar Kilometer hinter der Grenze, erkundige ich mich nach einer Zeltmöglichkeit. Ein Vater holt seinen Sohn. Aus der Schule kann der etwas Deutsch. Er wird kurzerhand auf ein Fahrrad gesetzt und lotst mich dann an den Ortsrand. Dort ist eine idyllische kleine Wiese, auf der ich mein Zelt aufstellen kann. Ich fühl mich gleich sehr wohl in Serbien.

Mein Ziel für den nächsten Tag ist Novi Sad. Hier hab ich eine Übernachtungsmöglichkeit. Und zwar bei Nenad, mit dem ich mich über warmshowers.org verabredet habe. Ganz so weit schaff ichs dann aber doch nicht, denn der Radweg folgt wieder dem Lauf der Donau und ist daher deutlich länger, als der direkte Weg über die Fernstraßen. Da es gegen Abend anfängt zu gewittern und sich zunehmend einregnet, entschließe ich mich in einer Pension zu übernachten. In Bac finde ich eine Unterkunft und lerne gleich eine Besonderheit in Serbien kennen. Offiziell muss man sich hier als Ausländer an seinem Aufenthaltsort innerhalb von 24 Stunden polizeilich melden. Die Anmeldung wird in meinem Fall von der Pension übernommen. Hier werden die wichtigsten Daten meines Reisepasses und das Datum meiner Ankunft erfasst und ein paar Minuten später wird von der Polizei vor Ort eine Art Aufenthaltsbestätigung ausgestellt, die ich bis zur Ausreise aufbewahren muss. Anscheinend ist das eine Regelung, die noch aus sozialistischen Zeiten stammt. Inwieweit das bei der Ausreise von Relevanz sein wird und ob ich das Dokument wirklich brauche, werde ich noch sehen.

Auf dem Weg nach Novi Sad fällt mir immer wieder ein spürbares Wohlstandsgefälle zu Ungarn auf. Viele Häuser sind verfallen oder in stark renovierungsbedürftigem Zustand. Vor allem in den Dörfern. Bei den Straßen ist es ähnlich. Häufig muss ich um Schlaglöcher herumnavigieren. Während einer Rast lerne ich Daria, eine Agraringenieurin kennen. Irgendwie kommen wir auch auf die Lebensverhältnisse im Land zu sprechen. Von ihr erfahre ich, dass das Durchschnittseinkommen bei etwa 350,-€ liegt. Und obwohl sie für serbische Verhältnisse ganz gut verdient, reicht ihr Gehalt kaum bis zum Monatsende aus. Diejenigen die einen Hof oder etwas Land haben, können sich noch ein Stück weit selbst versorgen. Der Rest muss irgendwie mit seinem Gehalt auskommen. Und das bei Lebensmittelpreisen, die sich zum Teil auf einem ähnlichen Niveau bewegen, wie die in Deutschland.  

Am Mittwoch Nachmittag komme ich in Novi Sad an. Es regnet nicht mehr aber es hat sich deutlich abgekühlt. Kaum steige ich vom Fahrrad fange ich richtig an zu frieren. Ich pack mich daher warm ein. Nicht, dass ich noch krank werde. Um 18 Uhr klingel ich bei Nenad. Zusammen tragen wir mein Fahrrad in seine Wohnung im dritten Stock. Kurze Zeit später kommen zwei weitere Gäste. Przemek und Lukasz aus Polen. In Nenads Küche stapeln sich jetzt  knapp zehn Gepäcktaschen und vier Fahrräder. Bei einer Flasche mazedonischen Rotweins verbringen wir einen lustigen Abend. Wir unterhalten uns über Serbien, Polen und Deutschland, über Fahrräder und übers Reisen. Wir vergleichen unsere Ausrüstung, fachsimpeln und lachen viel. Es ist ein echt schöner Abend. Es war das erste, aber sicher nicht das letzte Mal, dass ich mir über warmshowers einen Übernachtungsplatz gesucht habe.

In Novi Sad werd ich jetzt noch einen Tag verbringen, mir ein wenig die Stadt ansehen und die nächsten Tage planen. Morgen wirds dann weiter Richtung Belgrad gehen.

Budapest oder alle guten Dinge sind drei

Eigentlich wollt ich ja nur für einen Tag in Budapest bleiben. Eigentlich. Jetzt sind drei draus geworden. Drei Tage, in denen ich auf Entdeckungstour durch die Stadt gehen und mir einiges anschauen konnte. Organisatorisch ist das ja immer gar nicht so einfach, denn um sorgenfrei unterwegs sein zu können, brauch ich eine halbwegs sichere Möglichkeit, meine ganzen Sachen unterzubringen. Die hab ich hier vorgestern ganz zufällig gefunden. Und zwar im Bikercamp, einem Zeltplatz auf einem kleinen Privatgrundstück mitten in der Stadt. Eine richtig schöne, grüne Oase in total familiärer Atmosphäre. Und man bezahlt eine Nacht und bekommt die zweite gratis dazu. Und das noch viel günstiger als auf allen anderen Zeltplätzen, auf denen ich bisher gewesen bin. Ein richtiger Geheimtipp das Bikercamp.

Von hier starte ich meine Touren in die Stadt. Das Fahrrad lass ich hier. Ich habs einen Tag lang probiert, aber für Radfahrer ist Budapest nicht wirklich geeignet. Zumindest ist das mein Eindruck. Kaum Radwege und viel Verkehr machen das Fahrradfahren zu einer echten Herausforderung. Dann doch lieber mit den Öffentlichen. Mit der U-Bahn fahr ich immer erst mal ins Zentrum zum Deák-Ferenc-Platz, dem zentralen Knotenpunkt der U-Bahnen. Und von dort lauf ich dann durch die Straßen. Oder ich fahr mit einem der vielen Busse oder den Straßenbahnen irgendwo hin. Manchmal steig ich einfach aus, wo es schön ist und manchmal fahr ich bis zur Endhaltestelle und wieder zurück. So bekommt man einen Überblick und auch irgendwie auch einen ganz guten Eindruck von einer Stadt. Und man sieht nicht nur Ecken, die in Reiseführern stehen. Natürlich interessieren die mich aber auch.

Zum Beispiel das Burgviertel. Der Besuchermagnet schlechthin. Hier schau ich mir das Felsenkrankenhaus an. Ende der 1930er Jahre wurde das in die Höhlen des Budaer Burgberges hineingebaut. Ursprünglich für 200 Menschen konzipiert, wurden hier während des Zweiten Weltkrieges bis zu 700 Personen versorgt. Wachsfiguren und die originale Einrichtung vermitteln einen wagen Eindruck von den Zuständen und der Enge, die hier geherrscht haben müssen. In den 1960er Jahren wurde die Anlage dann zu einem Atombunker ausgebaut und blieb zur Zeit des Kalten Krieges in ständiger Bereitschaft. Erst 2008 wurde der ganze Komplex für Besucher geöffnet.

Vom Felsenkrankenhaus sinds nur ein paar Schritte zur Matthiaskirche. Die schau ich mir daher auch gleich an. Drinnen ist es gar nicht so voll, wie ich gedacht habe. Die Atmosphäre empfinde ich als sehr angenehm. Gerade auch von der Lichtstimmung her. Irgendwie ganz warm. Ich bleib daher auch eine Weile und lass mir ziemlich viel Zeit. Wieder draußen gehts auf die Fischerbastei. Hier weht ein laues Lüftchen von der Donau hoch. Das tut ganz gut, denn es ist ziemlich warm. Und von hier oben hat man außerdem auch noch einen schönen Blick auf das Parlamentsgebäude und den Stadtteil Pest, der durch die Donau vom Stadtteil Buda getrennt ist. Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren beides eigenständige Städte. Zusammen mit dem ebenfalls eigenständigen Óbuda ist daraus dann Budapest entstanden.

Budapest kommt mir sehr jung und modern vor. Zwar gibt es auch viele Ecken an denen der Zahn der Zeit nagt, aber die gibts wohl in jeder Großstadt. Auf jeden Fall sehe ich auffallend viele junge Menschen in den Straßen und Parks und abends in den vielen Kneipen und Bars in der Innenstadt. Die Tage in Budapest haben mir auf jeden Fall richtig gut gefallen. Es gibt hier so viel zu entdecken und zu sehen. Ich könnte eigentlich noch länger bleiben. Aber irgendwann muss ich ja auch mal weiter fahren.

Heut werd ich mich daher wieder auf den Weg machen. Es geht jetzt quasi direkt nach Süden, Richtung serbische Grenze. Vielleicht schaff ichs ja noch am Wochenende dort zu sein. Mal sehen. Es ist ab jetzt auf jeden Fall so, dass jeder gefahrene Meter Neuland für mich sein wird. Denn südlich von Budapest bin ich in Ungarn noch nie gewesen und auch in den folgenden Ländern auf meiner Route nicht. Ab jetzt wirds also richtig spannend für mich.

 

 

Ungarn und eine gelungene Überraschung

Von Tulln mach ich mich am Dienstag vor einer Woche auf den Weg nach Ungarn. Ich starte recht früh, weil die geplante Etappe diesmal etwas länger sein wird als sonst. Gegen 9 schieb ich mein Rad vom Zeltplatz und fahre los. Erst mal nur bis in den nächsten Ort. Dort deck ich mich mit Proviant für den Tag ein. Äpfel, Bananen, Käse, Brot, Haferflocken und Apfelsaft. Und eine Zwiebel für mein Abendessen. Den Apfelsaft füll ich gleich in eine Flasche am Fahrrad um, der Proviant kommt hinten in den Rucksack. Das Wetter ist frühlingshaft warm und sonnig und so freu ich mich auf einen schönen Tag im Sattel. Noch Musik anmachen und los.

Irgendwo hinter Wien holen mich Fabian und Orleans ein. Sie sind in der Türkei gestartet und auf dem Weg ans Nordkap. Die nächsten Kilometer fahren wir zusammen und unterhalten uns über unsere Strecken und Ziele, das Wetter in den nächsten Tagen und darüber, wo der Donauradweg am schönsten ist. Sie meinen, dass die schönsten Abschnitte in Südosteuropa zu finden sind. Das klingt gut, denn Südosteuropa liegt ja noch vor mir. Meine Favoriten bisher sind der erste Teil bis Ulm und dann das Stück von Passau Richtung Tulln. Ich mag ja die Berge. Von daher… Irgendwann halten die beiden an und machen eine Pause. Für mich gehts weiter Richtung Bratislava.

Wie die letzten Tage auch fahr ich meist auf Dämmen direkt an der Donau entlang. Einerseits ist das ganz angenehm. Es gibt keinen Verkehr und so kann man den ganzen Tag seinen Gedanken nachhängen und ganz entspannt fahren. Anderseits gibt es aber auch nur wenig Abwechslung und so ziehen sich manche Teilabschnitte ziemlich in die Länge. Naja, es gibt wohl Schlimmeres. Im Nationalpark Donau-Auen verschwindet die Donau hinter einem langgezogenen Waldstück. Erst als ich die Donau kurz vor Hainburg überquere, bekomm ich sie wieder zu Gesicht. Richtig breit ist sie hier schon. Die Überfahrt dauert bestimmt zwei, drei Minuten.

Hinter Hainburg wirds dann langsam etwas urbaner. Bald schon zeigt sich am Horizont ein Meer aus Beton. Bratislava ist nicht mehr weit. Ein ziemlich ungewohnter Anblick nach den vielen Tagen im Grünen. In Bratislava wird der Donauradweg dann durch eine Großbaustelle unterbrochen. Hier sind Brückenarbeiten im Gange. Absolut kein Durchkommen, das Gebiet ist weiträumig abgesperrt. Als ich die Karte raushole, ratlose Blicke. Wie es Richtung Donauradweg weiter geht, weiß hier keiner so recht. Die Baustelle soll ich auf jeden Fall weiträumig umfahren. Das wird ein bisschen schwierig, denn eine digitale Karte für die Slowakei hab ich nicht heruntergeladen, da der Streckenabschnitt ja recht kurz ist. Und meine Karte vom Donauradweg hilft auch nicht wirklich weiter. Die enthält nämlich keine detaillierten Stadtpläne. Zwei Rennradfahrer erkennen aber meine etwas missliche Lage. Ein kurzes „Donau?“ – „Yes.“ – „Follow us!“ und schon gehts im Eiltempo um die Baustelle herum. Dafür hätt ich allein ewig gebraucht. Ich freu mich sehr, über die Hilfsbereitschaft. Und auch darüber, dass ich die letzten Minuten Sonnenschein noch nutzen und es jetzt sicher noch bis Ungarn schaffen kann.

Gegen halb acht passiere ich die ungarische Grenze. Bis Rajka ists dann nur noch ein Katzensprung. Der Zeltplatz zu dem ich eigentlich wollte, ist leider geschlossen. Na das kenn ich ja jetzt schon. Dann muss ich mir heut also etwas anderes suchen. Ich fahr noch ein paar Kilometer. Hinter Dunakiliti pack ich an einer wind- und sichtgeschützten Stelle am Waldrand Isomatte und Schlafsack aus. Kaum lieg ich, bin ich auch schon eingeschlafen. War doch ganz schön lang gewesen heute.

Der Plan für die folgenden beiden Tage ist bis Esztergom zu fahren. Hier möchte ich mich mit meinem Vater treffen, um dann am Wochenende meine Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen zu besuchen. Und das geht zeitlich nur an diesem Wochenende. Daher auch die ganze Eile in den letzten Tagen. Seit Regensburg bin ich ja quasi durchgefahren. Die drei Tage Pause sind daher sicher nicht verkehrt. Die nächsten Kilometer werden aber nochmal eine ziemliche Umstellung. Oft gibt es hier nämlich keine Radwege. Das heißt, dass ich mir die Straßen mit allen Verkehrsteilnehmern teilen muss. Und so donnern neben PKWs auch Busse und 40-Tonner direkt an mir vorbei. Manchmal mit kaum mehr als einer Armeslänge Abstand. Von den beschaulichen Radwegen in den Donauauen direkt in den Berufsverkehr. Beim Fahren muss ich daher ziemlich aufpassen. Gefühlt alle 10 Sekunden schau ich in den Rückspiegel. Und meine gelbe Warnweste hab ich vorsichtshalber auch mal angezogen.

Nach Komárom führt der Donauradweg an brachliegenden Industrieanlagen vorbei. Das Verkehrsaufkommen ist immens. Aber hier gibt es zum Glück Radwege. Die Donau seh ich so gut wie gar nicht. Stattdessen führt die Route dort entlang, wo man die Nähe zur Donau nun überhaupt nicht vermuten würde: kilometerweit über staubige Felder, an Bahngleisen entlang und durch immer gleich aussehende Ortschaften. Ab und zu seh ich das erlösende Schild mit der Nummer 6, was mir zeigt, dass ich immer noch auf dem Eurovelo6 bin, dem Fernradwanderweg vom Atlantik ans Schwarze Meer. Da freu ich mich dann immer richtig.

Donnerstag gegen 15 Uhr erreiche ich Esztergom. Mein Vater holt mich ab und mit dem Auto gehts dann in den Osten Ungarns, in den kleinen Ort Derecske in der Nähe von Debrecen. Hier werden wir drei ruhige Tage verbringen. Zumindest denke ich das. Denn ohne, dass ich das irgendwie mitbekommen hätte, wurde hier eine zweite Abschiedsfeier organisiert. Mit allem was dazu gehört. Vielen Gästen, viel zum essen und trinken, einen Kessel Slumbuc und einem Transparent, welches vor dem Haus hängt. Ich kann mich leider nicht so gut verständigen, was ein bisschen Schade ist. Aber die Überraschung ist auf jeden Fall gelungen. Und ich hab so viel gegessen. Also wenn ich das alles aufzählen würde, könnt ichs bestimmt selbst kaum glauben. Von daher ist es gut, dass ich in den nächsten Tagen wieder etwas mehr Fahrrad fahren kann.

Seit gestern bin ich nun auch wieder auf dem Donauradweg unterwegs. Gegen 6 Uhr gings von Derecske zurück nach Esztergom. Die Woche werd ich auf jeden Fall noch in Ungarn bleiben. Zeitdruck hab ich ja jetzt keinen mehr. Daher können die nächsten Etappen dann auch mal etwas kürzer werden.

Ungarn, ich komme…

Tulln an der Donau, Montagnachmittag. Ich lieg in meinem Zelt und hör dem monotonen Trommeln des Regens zu, der seit einer Weile auf mein Zeltdach prasselt. Es gibt doch nichts Gemütlicheres als im Zelt zu liegen, wenn es regnet. Total entspannend. Jetzt ein Nickerchen, das wärs. Aber dazu ist keine Zeit. Mein Kocher muss dringend gereinigt werden, dann wollt ich noch duschen, mein Abendessen kochen und meinen Bürokram erledigen, d.h. die ganzen Tourdaten, also gefahrene Kilometer, Übernachtungsort etc. und meine Ausgaben dokumentieren. Also noch volles Programm heute.

Ich bin jetzt kurz vor Wien. Wenn alles gut läuft, dann schaff ichs morgen vielleicht bis nach Ungarn. Kurz hinter der Grenze, in Rajka, gibts einen Zeltplatz. Bis dahin möchte ich gern kommen. In Ungarn werd ich mich dann zum ersten Mal richtig im Ausland fühlen. Andere Sprache, andere Währung, das wird schon eine ganz schöne Umstellung. Zumindest was die Kommunikation betrifft. Aber das wird sicher auch irgendwie gehen. Ich kenn Ungarn ja ein wenig, hab ganz viele Verwandte dort, bei denen ich die Tage auch noch vorbeifahren werde und hab auch schon viele Urlaube dort verbracht. Von daher ist es ja kein absolutes Neuland für mich. Aber anders wirds trotzdem irgendwie.

Auch was die Donau betrifft. Mit Bergen ists dann wohl erst mal vorbei. Davon gabs in den letzten Tagen aber noch mal reichlich. Diese waren landschaftlich auch wieder sehr beeindruckend. Mehrmals wechseln sich bergige und flache Abschnitte ab. Die Donau bleibt dabei meist in Sichtweite des Radweges. Häufig fahre ich auf Dämmen direkt an der Donau entlang. Zwischendrin passiere ich immer wieder kleinere Ortschaften. Die sehen schon ganz anders aus als zu Hause. Enge Gassen und viele alte Häuser in einer recht gedrungenen Bauweise. Insbesondere bei den Kirchen fällt mir das immer wieder auf. Man könnte meinen, hier sei die Zeit stehen geblieben. Schön siehts hier aus. Alles wirkt sehr gepflegt. Herausgeputzte Vorgärten, liebevoll dekorierte Häuser und immer wieder Schilder, die Radler willkommen heißen. Und man merkt, dass langsam der Frühling Einzug hält. Überall leuchtende Forsythiensträucher, das erste Grün an den Büschen und auch die Kirschbäume stehen in voller Blüte. Und tagsüber wird es schon sehr warm. Nachts ist es aber immer noch recht frisch. Morgens hats oft nur zwei, drei Grad.

Trotzdem hab ich seit Passau immer im Zelt geschlafen. Die vielen Übernachtungen in Jugendherbergen sind ganz schön ins Geld gegangen. Da mein Frühstück seit dem immer etwas kürzer und weniger üppig ausfällt, genehmige ich mir am späten Vormittag oft nochmal ein zweites. Irgendwo, wo es schön ist, setz ich mich dann auf eine Wiese, kram meinen Kocher heraus und mach mir nochmal eine Tasse Kaffee. Manchmal sitz ich dann eine Stunde da oder lieg im Gras und genieß die Sonne. Abends dann das Gleiche. Entweder koch ich direkt am Zelt oder aber noch irgendwo unterwegs. Mein Favorit zurzeit ist Reis mit Zwiebeln angebraten, dazu Tomatenmark und noch etwas Salz und Pfeffer. Nach sechs Stunden im Sattel ein kulinarischer Hochgenuss.

Was das Essen betrifft, bin ich schon sehr auf die nächsten Länder gespannt. Die ungarische Küche hats mir ja besonders angetan. Da freu ich mich auf jeden Fall schon mal auf die nächsten Tage.