Malaysia

Der Grenzübergang Wangprachan ist ein Traum. Mal ganz abgesehen davon, dass er landschaftlich überaus reizvoll liegt, ist Wangprachan endlich mal keine Ansammlung von grauen Blech- und Betonbauten, wie viele andere Übergänge zuvor, sondern richtig schick, klein, fast schon gemütlich. Gut, viel macht davon sicher die Umgebung aus und vielleicht auch meine etwas sentimentale Stimmung, die mich manchmal an Grenzen überkommt. Trotzdem ist Wangprachan mal eine Grenze mit Charme. Zumindest im Vergleich. Ohne eine gewisse Hektik gehts aber auch hier nicht von statten. Dafür sorgen vor allem die vielen Händler in ihren Verkaufsständen, die für die letzten thailändischen Baht im Geldbeutel am Straßenrand ihre Waren anbieten. Von meinen letzten Münzen hab ich mich allerdings schon ein paar Kilometer vorher getrennt und nochmal ordentlich Wasser und Essen aufgeladen und in der Sonne mein letztes thailändisches Eis genossen. Vanilleeis mit Schokolade und Nussstückchen. Mein neuestes Laster…

Das wirklich Tolle an Wangprachan ist jetzt aber, dass ich während des Grenzkontrollprozederes mein ganzes Gepäck einfach am Fahrrad lassen kann, denn es gibt keine Röntgenscanner, durch die ich jede meiner Taschen einzeln schieben müsste und auch niemanden, der einen Blick in meine Taschen werfen will. Sehr zu meiner Freude, denn das spart wirklich ungemein Arbeit. Meint man gar nicht. Nach der Passkontrolle muss ich auf malaiischer Seite daher nur noch ein Formular ausfüllen, dann werden die Fingerabdrücke meiner Zeigefinger eingescannt, ein neuer Stempel wird in den Pass gedrückt und schon kann ich einreisen. Nach höchstens 15 Minuten ist alles vorbei. Inklusive Anstehen.

Wieder ein neues Land, mittlerweile das Achtzehnte. Und wie in jedem neuen Land brauche ich erstmal wieder etwas Zeit, um mich zu akklimatisieren. Da es schon später Nachmittag ist, steht zunächst mal die Suche nach einer Unterkunft an. Irgendwo ankommen und durchatmen, mehr brauche ich heute eigentlich nicht mehr zu schaffen. Kurz hinter der Grenze dann gleich die erste Möglichkeit. Hier befindet sich das noch nicht eröffnete Besucherzentrum des Perlis State Parks. Es sieht alles ziemlich verwildert aus aber das Pförtnerhäuschen ist besetzt. Also frag ich da mal nach, ob ich hier irgendwo zelten kann. In Thailand war das in Nationalparks ja auch nie ein Problem.
Klar kann ich hier zelten, heißt es. Ich soll mir einfach ein nettes Plätzchen auf dem Gelände suchen. Ist ja sonst auch keiner da. Schnell ist das Zelt aufgebaut und der Kocher angeworfen und mit den letzten Sonnenstrahlen kann ich mein Abendessen und noch einen leckeren Kaffee genießen.

Gleich hinter der Grenze zu übernachten war gar keine schlechte Idee. Bis zum nächsten Ort ist es zwar nicht weit. Vielleicht zehn Kilometer. Die Straße dahin führt allerdings über einen Berg, der es ganz schön in sich hat, wie ich am nächsten Morgen eindrucksvoll erfahre. Die ziemlich steilen Serpentinen muss ich mich ganz schön hochkämpfen. Bin ich gar nicht mehr gewohnt, das Fahren am Berg. Ich glaub, der Wolkenpass in Vietnam wird wohl der letzte Berg auf meiner Reise gewesen sein. Ziemlich lange her, wie ich jetzt merke. Zu der körperlichen Anstrengung kommen dann noch die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit, so dass die ersten Meter in Malaysia eine ganz schön schweißtreibende Angelegenheit werden. Aber dafür gibts zwischendrin auch immer wieder schöne Ausblicke, die für die ganzen Mühen entschädigen.

Landschaftlich gefällt mir Malaysia richtig gut. Zumindest der Nordwesten. Vielmehr hab ich ja noch nicht gesehen. Es sieht stellenweise ganz anders aus als in Thailand, obwohl das von hier gesehen ja noch um die Ecke liegt. Ich fahr durch schattenspendende Laubwälder und vorbei an abgemähten Feldern. Fast könnt man meinen, man sei in Mitteleuropa. Wenn da nicht ab und zu eine Palme am Wegesrand stünde und wenn die Temperaturen etwas geringer wären.
Ja, zur Zeit muss es wirklich ungewöhnlich heiß sein. Sogar die Malaien stöhnen unter der Hitze. Sobald ich mit Leuten ins Gespräch komme, ist meist irgendwann die Hitze Thema. Anscheinend ist es in diesem Jahr besonders heftig. Seit Wochen gab es überhaupt keinen Regen, so dass das Gras vielerorts vertrocknet ist. Sogar das Gesundheitsministerium soll kürzlich empfohlen haben, sich tagsüber nicht mehr im Freien aufzuhalten. Ich weiß nicht woran es liegt, vielleicht hab ich mich ja mittlerweile etwas an die hohen Temperaturen gewöhnt, aber tagsüber auf dem Fahrrad empfinde ich die Hitze gar nicht so sehr als belastend. Zumindest dann, wenn ich gerade keinen Berg erklimmen muss. Ganz anders siehts aus, wenn ich mal eine Pause mache und stehe oder durch die Stadt laufe. Aber wenn einem tagsüber der Fahrtwind um die Ohren weht, gehts eigentlich.

Aufgrund der hohen Temperaturen sieht man tagsüber momentan  aber eher wenige Menschen durch die Straßen laufen. Abends dagegen wirds richtig voll. Etwa gegen 19 Uhr, wenn die Sonne untergegangen ist. Besonders auf den Nachtmärkten, die man seit China eigentlich in jeder Stadt findet. Aber auch auf den Plätzen und in den Parks sieht man nach Einbruch der Dunkelheit ganze Heerscharen an Menschen, die unterwegs sind, picknicken, Sport treiben, Musik machen oder einfach irgendwo im Park sitzen. Teilweise bis weit nach Mitternacht. Ruhe kehrt erst spät ein in Malaysia. Vor allem in Alor Setar, meiner ersten größeren Stadt, ist mir das aufgefallen. Hier hab ich letzte Woche einen kleinen Zwischenstopp eingelegt, bevor es dann am letzten Dienstag weiterging, nach Sungai Petani.

Über das Übernachtungsnetzwerk warmshowers.org hab ich hier Xin kennengelernt und konnte für eine Nacht bei ihr und ihrer Familie bleiben. Xin lebt auf einer Farm, die sie nach permakulturellen Maßstäben betreibt. Im Mittelpunkt dieser Idee steht eine nachhaltige Landwirtschaft, fairer Handel, möglichst auf lokaler Ebene und interkultureller Austausch. Teilweise mit Unterstützung von freiwilligen Helfer aus aller Welt baut Xin verschiedene Obst- und Gemüsesorten an, lädt regelmäßig Schulklassen ein, die in verschiedenen Projekten mitarbeiten und hat eine ganze Schar an Hühnern auf ihrem Hof zu versorgen. Eigentlich ist sie Elektroingenieurin. Sie hat jedoch schnell umgesattelt und lebt jetzt mit ganzem Herzblut ihren Traum auf der Farm ihres Onkels. Irgendwann möchte sie komplett davon leben können. Ganz reicht es dazu momentan noch nicht.

Momentan wird Xin von Marco aus Deutschland und seiner Freundin aus China unterstützt. Beide leben seit drei Wochen mit auf der Farm. Zusammen sitzen wir an diesem Abend lange auf der Veranda und erzählen bis tief in die Nacht hinein. Themen finden sich reichlich. Auch was das Reisen betrifft, denn Xin ist selbst für einige Monate mit dem Rad von Malaysia nach Nepal gereist und Marco hat bereits vor zwei Jahren Deutschland verlassen und ist seit dem unterwegs. Und so finden sich an diesem Abend ganz verschiedene Ideen, Eindrücke, Reisearten, Erlebnisse und Erfahrungen zusammen. Sehr inspirierend.

Eine Nacht bleibe ich bei Xin und mach mich dann nach einem leckeren Frühstück auf den Weg nach Georgetown auf der Insel Penang. Eigentlich hatte ich nur einen kurzen Zwischenstopp geplant. Nun sind daraus aber vier Tage geworden. Aber hier gibts auch wieder mal so viel zu entdecken. In den letzten vier Tagen hab ich Penang einmal per Rad umrundet und den zweitkleinsten Nationalpark der Welt durchwandert, einmal von Ost nach West, dann nach Norden und wieder zurück. Heut hab ich mir nochmal einen Pausentag gegönnt, um meinen Muskelkater in den Beinen (!) etwas auszukurieren. 

Morgen wirds dann wieder weiter gehen. Das nächste Ziel ist Kuala Lumpur – die Hauptstadt Malaysias. Vielleicht schaff ichs ja bis Ostern…

Aonang, die Zweite

Gepäck verstauen, Rollschal über Hals und Ohren ziehen, die freien Hautstellen im Gesicht dick mit Sonnencreme einschmieren und dabei vor allem an die Nase denken. Die bekommt nämlich manchmal zu wenig ab und leuchtet dann abends immer in verschiedenen Rottönen.
Von Suratthani an der Ostküste Thailands werd ich heute die Seite wechseln und mich auf den Weg an die Westküste machen. Da Thailand in Höhe von Suratthani ziemlich schmal ist, kann man diese Strecke problemlos in zwei Tagen schaffen. Wenn man früh losfährt sogar in einem. Daran haperts bei mir aber meistens. Zumindest wenn ich eine feste Unterkunft habe, denn so ein schön entspanntes Frühstück hat ja auch was für sich. Wenn das mal ausfallen muss, leg ich meist ziemlich schnell einen ersten Zwischenstopp an einer Garküche ein. Die findet man in Thailand wirklich überall. Hier nehm ich meist eine Nudelsuppe, die kann man nämlich so schön mit Stäbchen essen. Dazu gibts dann verschiedene Gemüsesorten und Fleisch und oben drauf zwei Löffel Chillipulver, alles schön verrühren….fertig. Zur Suppe wird immer ein Becher mit Eiswürfeln gereicht. Aus dem Wasserkrug am Tisch kann man sich dann so oft nachschenken, wie man möchte. So eine Nudelsuppe ist ziemlich ergiebig und macht auf jeden Fall mal für den halben Tag satt.

Meine nächste Station nach Suratthani ist Krabi. Dort waren Erik und ich ja schon vor vier Wochen, aber irgendwie ziehts mich nochmal dahin zurück. Also, schnell ins Navi eingegeben und los gehts. Vollkommen in Gedanken verpasse ich kurz nach Suratthani jedoch gleich mal eine Abfahrt. Da kann dann auch kein GPS mehr helfen. Wobei – meine GPS-App verfügt ja eigentlich sogar über eine akustische Warnfunktion, sollte man mal zu weit fahren. Die hatte ich aber irgendwann einmal abgestellt, als mich der urplötzliche Warnton beim Musikhören so unglaublich hat zusammenzucken lassen. Zum Umdrehen ist es leider schon viel zu spät, also bleib ich erstmal auf der Nationalstraße 44. In etwa 40 Kilometern kommt dann ja schon die nächste Abzweigung. Und verpasste Abfahrten hatten mich ja schon öfter mal an ganz nette Orte geführt.

Während einer Pause lern ich an einer Tankstelle ein thailändisches Pärchen kennen. Er, selbst passionierter Radfahrer, bietet mir gleich an, mich in seinem Pickup bis Krabi mitzunehmen. Und ich muss zugeben, dass das bei der Hitze ziemlich verlockend klingt. Mein innerer Schweinehund ist sofort überzeugt und will ohne zu zögern zusagen. Aber wenn man damit mal anfängt…. Ich lehn daher höflich dankend ab und steig wieder auf mein Rad und fahr schnell weiter. Sicher ist sicher.

Am nächsten Tag komme ich in Krabi an. Hier bleibe ich einen Tag, schlendere durch die Stadt und genieß die Sonne und lecker thailändisches Chang-Bier spät abends an dem kleinen Pier. Krabi ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für Reisende. Daher treff ich hier wieder auf viele Touristen. Der Unterschied zu anderen Provinzstädten oder besonders zum Land ist echt krass. In Krabi kann man, von Norden oder Süden kommend, den Bus wechseln oder eines der Longtailboote chartern und dann ins etwa 20 Kilometer entfernte Aonang weiterfahren, dort ein paar Tage am Meer verbringen oder gleich weiter zu einer der vielen nahegelegenen Inseln in der Andamannensee übersetzen. Nach kurzem Abwägen meiner zeitlichen Möglichkeiten entscheid ich mich für einen nochmaligen Abstecher nach Aonang. Lange Strände, Karstfelsen, die sich aus dem Meer erheben und wiedermal badenwannenwarmes Meerwasser. In Aonang lässts sich aushalten. Auch hier waren Erik und ich schon vor vier Wochen. Aber weil es so schön ist und jetzt gerade sozusagen vor der Haustür liegt, musste ich einfach nochmal hier her fahren und einen Extraurlaubstag einlegen.

In Aonang finde ich einen Campingplatz auf dem Gelände des Verwaltungsgebäudes des Nationalparks. Hier kann ich für umgerechnet 0,70€ mein Zelt aufstellen. Fast direkt am Meer. Meinen freien Tag verbring ich natürlich am Strand, lese endlich mal eines der beiden Bücher zu Ende, die ich in Hua Hin in einem Secondhand-Buchladen gekauft habe, geh im Meer baden, lauf die Uferpromenade auf und ab und schau mir den Sonnenuntergang an. Sogar zwei Mal. Ach, eigentlich könnt ich noch ein paar Tage bleiben, aber irgendwann ists halt wirklich Zeit und es muss weitergehen. Für mich weiter nach Süden. Am nächsten Tag will ich daher früh starten. Mein Tagesziel ist Trang, etwa 150 Kilometer von Aonang entfernt. Das könnte man auf zwei Tage aufteilen. Aber laut Karte und Google gibts zwischendrin nicht wirklich etwas, wo ich einen längeren Zwischenstopp einlegen müsste. Und da die einzig sinnvolle Verbindung ohnehin meist über die N4 läuft, will ich versuchen, die Strecke in einer Tagesetappe zusammenzufassen.

So früh, wie geplant komm ich jedoch mal wieder nicht weg. Gerade als ich losfahren will, laden mich Savanpak und ihre Familie, die neben mir zelten, zum Frühstück ein. Unter einem Pavillondach haben sie Bastmatten ausgelegt. Darauf stehen verschiedene Schüsseln, die mit Reis aus eigenem Anbau, Schrimps, Krabben, gebratenem Fisch und verschiedenen Currysoßen gefüllt sind. Den Fisch haben sie gestern und die Krabben heute Morgen um drei Uhr früh am Strand gefangen. Die Fische sind winzig klein. Daher braucht man nichts auseinanderpuhlen sondern kann sie sich geradewegs in den Mund stecken und essen. Vorher noch in eine der Soßen getunkt….äußerst lecker. Gegessen wird mit der Hand. Da der Reis ziemlich klebrig ist, geht das ganz wunderbar. Und es schmeckt wiegesagt fantastisch. Als ich erwähne, dass ich meine Nudelsuppen immer mit zwei Löffeln Chillipulver nachwürze, stellt Savanpak ganz begeistert eine kleine Schüssel mit Currysoße vor mich, die bisher etwas abseits gestanden hat. Ich soll erstmal nicht so viel nehmen meinte sie noch – und auf jeden Fall ordentlich Reis. Das mit dem Reis war ein ganz guter Ratschlag. Aber trotz allem brennt sich die Paste mit solch unvorstellbarer Schärfe durch meinen Mund, dass augenblicklich alle anderen Geschmacksempfindungen verdrängt werden. Mit Schweißperlen im Gesicht und einer triefenden Nase recke ich grinsend beide Daumen in die Höhe. Und Savanpak strahlt von einem Ohr zum anderen, weil mir ja ihre Currypaste so gut schmeckt.

Gestärkt und um eine kulinarische Erfahrung reicher, mach ich mich dann gegen zehn Uhr auf den Weg. Ich schau jetzt einfach mal, wie weit ich komme. Schnell wird es richtig heiß. Das merk ich besonders dann, wenn ich anhalte. Mit dem Fahrtwind ist es, trotz der langen Sachen, eigentlich sehr erträglich. Trotzdem messe ich heute die bislang heißeste Temperatur auf meiner Reise: stolze 54°C sind es in der Sonne und über Asphalt gemessen. Im Schatten ist es da mit 36°C deutlich angenehmer. Glücklicherweise liegt die relative Luftfeuchtigkeit nur bei 40%. Daher kann man es noch ganz gut aushalten. Und dazu werde ich von fahrenden Motorrädern und von an der Ampel wartenden Autos mit Säften, kaltem Tee und Wasser versorgt. Trotzdem zieh ich mir zur Kühlung ein nasses T-Shirt über den Helm und mach viele Pausen. Eine schlechte Erfahrung diesbezüglich reicht mir. Als ich nämlich die Grenze zu Thailand überquert hatte, hab ich nach einem Tag in der Sonne vermutlich einen leichten Hitzschlag gehabt. Und so schnell brauch ich das nicht nochmal.

Gegen 20:30 Uhr erreiche ich gestern Abend Trang. Und heute liegt schon wieder ein weiterer Pausentag hinter mir. Aber dafür sind die verschwitzen Klamotten gewaschen, die Route für die nächsten Tage grob ist zurechtgelegt, Fotos sind aussortiert und der Tagbucheintrag geschrieben. Und es war sogar noch Zeit für eine halbe Stunde Mittagsschlaf. Morgen geht es dann in Thailand auf die letzte Etappe. Erstmal bis nach Rawai Beach ganz im Süden, wo ich zum letzten Mal mein Zelt aufstellen werde. Und in zwei Tagen könnt ich dann schon an der malaiischen Grenze sein.

Kreuz und quer durch Thailand

In Thailand fährt man links. Eigentlich keine Neuigkeit für mich. Aber besonders während der ersten Tage nach dem Grenzübertritt blende ich das gerne mal aus. Tagsüber, wenn ich auf dem Rad sitze, ist der Linksverkehr an sich nicht das Problem. Eher dann, wenn ich zu Fuß unterwegs bin und bspw. eine (Schnell-)Straße überqueren will. Besonders am ersten Abend. Der gewohnte Blick nach links geht da leider in die falsche Richtung und mit lautem Hupen und einem langgezogenen Ausweichmanöver werde ich schnell wieder an diese nicht gerade unwichtige Besonderheit erinnert. Also manchmal halte ich meine vielen Schutzengel ganz schön auf Trab. Aber langsam kommt die Routine.

Ansonsten finde ich Thailand verkehrstechnisch etwas entspannter als Kambodscha oder Vietnam. Die Zahl der Mopeds ist deutlich geringer und es wird wieder viel weniger gehupt. Das war in Kambodscha und ganz besonders in Vietnam ja ein alltägliches und omnipräsentes Verkehrsgeräusch. Auf Thailands Straßen ist es dahingehend richtig angenehm. Zumindest auf dem Land. Bangkok ist da natürlich ein ganz anderes Kaliber. Ohne mehrspuriges Verkehrsgedränge, Motorenlärm von allen Seiten und abgasverpestete, stehende, stickig-heiße Stadtluft geht auch hier nichts. Normalerweise stört mich Großstadtluft ja nicht so sehr, aber in Bangkok bin ich immer freiwillig mit einer Schutzmaske gefahren. Obs viel geholfen hat, bleibt dahingestellt, aber der gröbste Dreck wurde vielleicht doch etwas abgehalten. Daher konnte ich mich, trotz der Wärme unter der Maske, ganz gut damit arrangieren.

Bangkok ist ein Moloch und lädt als Stadt kaum zum längeren Verweilen ein. Es gibt sicher einige schicke Ecken und interessante Sehenswürdigkeiten, Tempel, Märkte, Paläste, Buddhastatuen, aber bei der drückenden, feuchtwarmen Luft will bei mir da keine so rechte Lust auf Entdeckungstouren aufkommen. Wobei einem entsprechende Rundfahrten ja quasi vor die Füße gelegt werden. Im Innenstadtbereich muss man nur an der Straße stehen und etwas verloren wirken, auf sein Handy oder eine Karte schauen. Dann dauert es mit Sicherheit nicht lang, bis man von einem Tuktukfahrer angesprochen wird, der einen für schlappe 30 Baht, also umgerechnet etwa 0,75 €, durch die halbe Stadt und zu sämtlichen Hauptsehenswürdigkeiten fahren möchte. Klingt erstmal verlockend und irgendwie sehen die ja auch so niedlich aus, diese Tuktuks, so dass man, wenn man schon nicht selber ans Steuer darf, dann doch wenigstens mal mitfahren möchte. Nun gibts aber auch in Thailand keine Stadtrundfahrt für 0,75 € und daher hat die Sache natürlich einen gewaltigen Haken.

Während des offiziellen Tourprogramms geht es nämlich, wie es der Zufall eben will, noch ganz schnell zu verschiedenen Schneidern, Juwelieren und Reisebüros, wo man am besten überall etwas kaufen oder buchen soll. Und natürlich sind es immer Sonderpreise. Die Tuktukfahrer streichen dann ihre wohlverdienten Provisionen ein, die sie von den jeweiligen Läden bekommen, weil sie hier mal wieder ein paar ahnungslose Touristen abgeladen haben. Und wie kann es anders sein, auch Erik und ich sind natürlich geradewegs in die Falle getappt. Juwelen und Anzüge haben wir geschickt umschifft – ich kann in solchen Fällen ja immer ganz galant die Gewichtsproblematik bei Radreisen anführen – allerdings haben wir eine Reise gebucht, deren Gesamtpreis sicher etwas über dem sonst üblichen Marktniveau gelegen hat. Zu unserer Verteidigung muss ich aber sagen, dass wir ja immerhin die Preise verglichen und nicht gleich das erst beste Angebot genommen haben. Sonst wär es nämlich noch schlimmer gekommen. Und immerhin wollten wir ja auch irgendwohin fahren und haben uns nicht etwas vollkommen Unnützes andrehen lassen. Aber naja, beim nächsten Mal sind wir dann natürlich wieder schlauer und planen alles selber. Aus typischen Touristenanfängerfehlern kann man ja lernen….

Nach zwei Wochen in den schönsten Inselparadiesen im Süden Thailands gings dann wieder zurück nach Bangkok. Von dort hab ich mich dann Anfang letzter Woche erneut auf den Weg gemacht und bin jetzt quasi wieder auf dem Rückweg in den Süden Thailands.

Bis ich Bangkok hinter mir gelassen habe, vergeht ein halber Tag und so wird es früher Nachmittag, als ich die Stadtgrenzen passiere. Ich bin auf jeden Fall heilfroh, als Bangkok endlich hinter mir liegt. Eine absolut grauenvolle Strecke. Und ich hab ja nun schon einige unschöne Ecken gesehen. Dichter Verkehr, Abgase überall, Hitze und dazu ist alles heillos zugebaut. Nirgends ein Fleckchen,  wo man mal entspannt den Blick schweifen lassen könnte. Bei der ersten Gelegenheit verlasse ich auf meiner Fahrt nach Süden daher die Nationalstraße 4 und fahre abseits auf kleinen Landstraßen weiter. Das ist auf jeden Fall besser für die Nerven. Mein erster Zwischenstopp führt mich nach Hua Hin, eine mittelgroße Stadt, etwa 200 Kilometer südlich von Bangkok. Hier steht bereits die erste Visaverlängerung an. Wie schnell doch drei Wochen vergehen können. Wahrscheinlich könnte ich es auch immer noch ohne ein neues Visum rechtzeitig an die Grenze schaffen. Aber nach den langen Etappen in den letzten Wochen möcht ich jetzt gern mal wieder kleinere Strecken fahren und auch mal wieder die Möglichkeit haben, wenns mir gefällt, hier und da ein paar Tage bleiben. Da, wo es eben schön ist. Und solche Ecken gibt es ja so einige in Thailand. Daher wäre es Jammerschade einfach so bis nach Malaysia durchzurauschen.

Und spätestens ab Hua Hin lohnt es sich auch wieder ein bisschen Tempo rauszunehmen. Rechts und links der Nationalstraße gibt es nämlich so viele Nebenstraßen auf denen es sich ganz wunderbar fahren lässt. Und so geht es für mich fast ausschließlich durchs thailändische Hinterland, vorbei an kleinen Ortschaften, Palmenhainen, meist sogar in Meeresnähe und – als absolutes Highlight – durch zwei Nationalparks. Landschaftlich ein absoluter Hochgenuss. Und so schön ruhig. Nicht nur auf der Straße. Auch die Strände sind fast menschenleer. Irgendwie komisch, denn der Februar gehört ja eigentlich noch zur Hauptreisezeit in Thailand. Aber anscheinend ist in diesem Jahr weniger los. Das hör ich unterwegs immer wieder. Ich hab natürlich nichts dagegen. Zumal die Strände oft kilometerlang sind und man somit ohne große Mühen und fast überall schöne Zeltplätze finden kann. Und so führt mich ab Hua Hin mein Weg immer an der Ostküste entlang. An manchen Tagen passiere ich nur ab und an kleinere Ortschaften und hab die Straße meist auch für mich alleine.

Nach drei Tagen an einsamen Stränden bin ich gestern in Chumphon angekommen, eine kleine Stadt, etwa 500 Kilometer südlich von Bangkok. Hier werd ich einen Tag Pause machen. Voll entspannend, mal wieder alle Zeit der Welt zu haben. Morgen wirds dann wieder weiter Richtung Süden gehen. Ob Ost- oder Westküste muss ich mir noch überlegen. Das werd ich morgen beim Frühstück ganz spontan entscheiden.

Dicht an dicht durch Angkor Wat

Es dauert nicht lang und ich hab Phnom Penh hinter mir gelassen. Es ist früher Vormittag, aber schon jetzt drückend heiß und schwül. Heute sollen Werte um die 35°C erreicht werden. So wie auch schon gestern und vorgestern. Seit dem Wolkenpass sind die Temperaturen kontinuierlich angestiegen. Man konnte quasi dabei zuschauen. Jeden Tag ein bisschen mehr. Meist sind nur die frühen Morgenstunden richtig angenehm. Aber auch da spürt man bereits die aufsteigende Hitze und die drückende Schwüle. Das heißt, ich brauch wieder deutlich mehr Wasser. Obwohl man sich in Kambodscha ja auch auf dem Land wunderbar versorgen kann, hab ich heute mal vier Liter aufgeladen. Das sollte zumindest für den halben Tag reichen.

Mein nächstes Etappenziel ist Siem Reap mit den berühmten Tempelanlagen von Angkor, heute ein riesiger archäologischer Park auf dessen Gelände sich verschiedene Hauptstädte alter Khmerkönigreiche befinden. Angkor gehört zum Weltkulturerbe und wurde auch schon öfter als das Achte Weltwunder bezeichnet. Angkor Wat, einer der Tempel auf diesem Gelände, soll der größte Sakralbau der Erde sein. So viele Superlative ziehen natürlich an. Und daher ist Angkor in Kambodscha auch der Touristenmagnet schlechthin. Viele kommen überhaupt nur deswegen hierher. Die Messlatte und auch meine Erwartungshaltung für diesen Ort hängen daher ganz schön weit oben. Bin schon ganz gespannt. Aber erstmal hinkommen. Von Phnom Penh sind es etwa 350 Kilometer, also gut drei Tagesetappen mit dem Rad. Da ich bisher in Kambodscha nur auf der Nationalstraße unterwegs war, gönn ich mir mal wieder den Luxus und folge einen Tag lang meinem Navi auf kleine Nebenstraßen. Die vorgeschlagene Route führt zum Teil direkt am Mekong entlang und trifft nach etwa anderthalb Tagesetappen wieder auf die Nationalstraße. Das passt doch eigentlich.

Kaum habe ich die Nationalstraße verlassen, verschlechtert sich der Straßenzustand zusehends. Anfangs sind es nur ein paar Schlaglöcher, denen ich ausweichen muss, bald ist jedoch vom Asphalt nichts mehr zu sehen und ich fahre auf einer staubigen Sandpiste. Da es so trocken ist, wird der rote Sand auch von jedem Fahrzeug aufgewirbelt und bedeckt alles, was in Straßennähe ist: Häuser, Bäume, Büsche. Irgendwie hat alles einen leichten Rotschimmer. Auch mein Fahrrad, die Taschen und ich selbst sind bald von einer dünnen Staubschicht überzogen. Selbst zwischen den Zähnen fängt es nach kurzer Zeit an zu knirschen. Und es wird immer schwüler und heißer. Um mich vor den UV-Strahlen zu schützen, fahre ich langärmlig und mit langen Hosen. In Saigon hab ich mir extra spezielle Armlinge gekauft und kurze Hosen hab ich ja eh keine dabei. Der Schweiß rinnt daher nur so aus allen Poren. Und schon bald ist meine Kleidung überall mit wellenförmigen Salzrändern bedeckt. Dazu kommt dann noch der rote Staub. Es lohnt sich aber überhaupt nicht die Sachen zu  wechseln. Auch in den nächsten Tagen nicht, denn dann hätt ich innerhalb weniger Stunden nur noch einen Haufen Dreckwäsche. Daher spül ich T-Shirt und Hose abends einfach nur unter kaltem Wasser und mit etwas Seife aus. In der Hitze verschwinden die vier Liter Wasser schneller als gedacht. Schon am frühen Nachmittag muss ich mich nach Nachschub umschauen. Aber wiegesagt, hier auf dem Land ist das vollkommen problemlos. Fast überall kann man Wasser und Kleinigkeiten zu Essen bekommen.

Und wieder erlebe ich einen krassen Unterschied zum Fahren auf der Nationalstraße. Wie auch schon in Vietnam. Immer wieder hör ich von irgendwoher ein langgezogenes „Hellooooo“. Eigentlich jedem Dorf. Meist sind es die Kinder die grüßen. Manchmal frag ich mich, wie die mich so schnell erkennen können, denn oft höre ich sie schon aus 100 Metern Entfernung und sehe sie aus Gärten oder hinter Häusern hervor zur Straße rennen. In dem kleinen Ort Peam Chi Kang werde ich von einem Ladenbesitzer zu einem eiskalten Bananenmilchshake eingeladen und mit Tipps für die Weiterfahrt versorgt. Gerade was Unterkünfte betrifft, bin ich da sehr dankbar drum. Die sind hier in Kambodscha für mich nämlich gar nicht so leicht zu finden, da die Schrift eine ganz andere ist. Normalerweise könnt ich ja sonst aufs Zelt ausweichen, das hab ich bisher aber überhaupt noch nicht ausgepackt. Zum einen sind die Unterkünfte ziemlich günstig. Zum anderen – und das ist der Hauptgrund  – zählt Kambodscha noch immer zu den am stärksten verminten Ländern der Erde, weswegen in Reiseführern dringend vom Verlassen klar erkennbarer Wege abgeraten wird. In der Nähe von Ortschaften ist es wahrscheinlich kein Problem, aber da ich normalerweise lieber irgendwo abseits zelte, lasse ich das hier in Kambodscha einfach mal bleiben.

Nach drei Tagen Sand- und Nationalstraße komm ich in Siem Reap an. Eine mittelgroße Stadt, quasi das Basislager für alle Angkor-Wat-Besucher. Hunderte Unterkunftsmöglichkeiten gibt es hier, vom einfachen Gästehaus bis hin zum Fünf-Sterne-Hotel. Entsprechend voll ist die Innenstadt. Ganze Horden westlicher Besucher schieben sich durch die Straßen. Und alles ist wieder auf diese Haupteinnahmequelle hin ausgerichtet Überall Restaurants, Reiseagenturen, Souvenirshops, Tuk-Tuk- und Taxifahrer. Und man kann überall in Dollar zahlen. Das führt einem zur Abwechslung mal direkt die ganz schön hohen Preise vor Augen. In der Landeswährung überseh ich das ja ganz gerne mal. In den Supermärkten liegen die Preise deutlich über denen in Deutschland. Man kann sein Geld in Siem Reap also ziemlich schnell unter die Leute bringen. Eigentlich schneller, als einem lieb ist.

Das merk ich auch am nächsten Tag bei den Tempelanlagen. 20,-€ werden für ein Tagesticket fällig, 40,-€, wenn man sich drei Tage lang Zeit nimmt. Für eine Sehenswürdigkeit dieser Art sind die Preise sicher noch im Rahmen, trotzdem schlagen sie ein ganz schönes Loch in meine Reisekasse. Ich investiere trotzdem 40,-€ und erkundige das Gelände erstmal allein. Zumindest einen winzigen Teil davon. Denn Angkor ist riesig. Es wird vermutet, dass Angkor zu seiner Blütezeit in etwa die Fläche von New York einnahm und bis zu einer Million Einwohner hatte – und das zu einer Zeit, als in Paris gerade einmal 30000 Menschen lebten. So richtig kann ich meine Erkundungen allerdings  nicht genießen, denn mir fehlen einfach Informationen zu dieser Stätte.

Ich besuche also erstmal das hiesige Museum und entscheide mich am übernächsten Tag für eine geführte Tour. Eigentlich überhaupt nicht mein Fall, aber wenigstens gibt es einen Englisch sprechenden Tourguide und somit vielleicht auch noch ein paar weitere interessante Informationen. Das denk und hoff ich jedes Mal. Aber wie so oft ist auch diese Tour eine absolute Katastrophe. Das Englisch unseres Guides ist nur schwer zu verstehen und dazu laufen zusammen mit unserer Reisegruppe ganze Heerscharen anderer Touristengruppen über das Gelände. Überall posierende Menschen, klickende Kameras und mit Fähnchen wedelnde, geschäftige Tourguides, die ihre Gruppen durch die Tempel scheuchen. Am Ende des Tages hat man so viele Tempel gesehen, sich die Hacken wund gelaufen und war doch nirgends richtig. Viel besser wärs eigentlich gewesen sich im Vorfeld selbst zu informieren und den Ort dann auf eigene Faust zu erkunden. Dann ist es zwar immer noch brechend voll, aber wenigstens hat man so viel Zeit, wie man eben braucht und muss nicht hetzen. Notiz für mich: fürs nächste Mal merken…

Mein eigentliches und richtiges Highlight in Siem Reap gönn ich mir daher erst am Tag meiner Abreise. Und zwar eine Bootsfahrt ins  ca. 100 Kilometer entfernte Battambang auf dem Flüsschen Sangker und über den See Tonle Sap. Je nach Wasserstand kann es fünf bis neun Stunden dauern. In unserem Fall sind es zehn. Mal ein Erlebnis der besonderen Art. Mein Rad wird hinten aufs Gepäck verfrachtet und los gehts. Die Fahrt führt vorbei an schwimmenden Dörfern, an vielen Wiesen, Weiden und Feldern. Das kann ich jetzt mal richtig genießen. Einfach auf dem Schiffsdach sitzen, die Beine baumeln lassen, ein bissel lesen und die Sonne genießen. Aufgrund des niedrigen Wasserstandes sind wir sogar ein paar Mal aufgelaufen, mussten das Schiff wieder freischieben oder auch einzelne Etappen zu Fuß gehen. Mal was anderes, als immer auf der Straße unterwegs zu sein. Und es ging sogar in etwa in die richtige Richtung, also grob Richtung thailändischen Grenze.

Dorthin wird es morgen gehen. Von der Grenze sind es dann nur noch zwei Tagesetappen bis Bangkok. Da treff ich mich mit Erik und dann haben wir zusammen 10 Tage Urlaub. Da freu ich mich schon drauf.

Ein nicht ganz leichter Abschied

Stickig und eng ist es. Die Luft riecht abgestanden und verbraucht und es geht nur hockend oder auf allen Vieren voran. Alle paar Meter eine kleine Lampe, die ihr gedämpftes Licht auf die braunen Sandwände wirft. Dazu dichtes Gedränge. Vor und hinter mir arbeitet man sich im Kriechgang voran. Hintereinander und in eine Richtung. Überholen geht nicht. Umkehren genauso wenig. Außer alle machen mit. Nicht gerade eine Traumumgebung, wenn man keine engen Räume mag. Immerhin gibt es aber nach 30 Metern einen Notausgang. Falls es einem dann doch zu viel werden sollte.

Ich bin in Cu-Chi, einem kleinen Ort nordwestlich von Saigon und schaue mir das Tunnelsystem der vietnamesischen Partisanen aus dem Vietnamkrieg an. Pflichtprogramm, wenn man in Saigon ist. Aber auch so stand Cu-Chi ganz oben auf meiner Liste. Es gibt wohl kaum einen Ort in Vietnam, an dem sich die jüngere Geschichte so praxisnah und eindrucksvoll erleben lässt. Und beeindruckend ist das Tunnelsystem in jedem Fall. Es wurde bereits in den 1940er Jahren im Krieg mit Frankreich angelegt und dann immer weiter ausgebaut. Allein in der Umgebung von Cu-Chi erstreckt es sich auf eine Länge von etwa 250 (!) Kilometern und verläuft zum Teil auf mehreren Ebenen. Im Vietnamkrieg reichte es sogar bis unter die amerikanischen Militärbasen. Mit einfachsten Mitteln wurden die Gänge in den harten Boden getrieben. Sie verbinden verschiedenste Räume miteinander: Konferenz- und Schlafräume, Lazarette, Bunker, Lager und Küchen. Um mit dem Rauch der Kochstellen nicht die Position der Gänge zu verraten, wurde nur morgens gekocht. Der Rauch wurde außerdem über ein spezielles Kaminsystem mit mehreren, größeren Zwischenräumen abgeführt. So konnte er langsam abziehen und sich unauffällig mit dem Morgennebel vermischen.

Die originalen Eingänge zum Tunnelsystem sind winzig klein. Wie auch die Gänge selbst. Nicht für westliche Touristen gemacht. Allerdings wurden einige Eingänge und Tunnel entsprechend angepasst, so dass man sich in diesen Gängen einigermaßen bewegen kann. Es ist allerdings schwer bis unmöglich die Eingänge zu den Tunneln zu finden. Bisher ist das wohl noch keinem Besucher geglückt. Sie sind extrem gut getarnt, wie uns ein Mitarbeiter der Museumsanlage eindrucksvoll demonstriert. Mit einigen Handbewegungen wischt er an irgendeiner Stelle auf dem Boden Blätter zur Seite und legt einen Eingang frei. Er öffnet den Deckel, verschwindet blitzschnell in dem Loch und ist kurze Zeit später nicht mehr zu sehen. Es ist wirklich beeindruckend diese Tunnel mal selbst zu erleben, die Enge zu spüren, in der die Partisanen hier zum Teil wochenlang ausharrten und zu sehen mit welch einfachen Mitteln eine so effektive und raffinierte Verteidigungsanlage geschaffen wurde, die trotz zahlreicher, z. T. recht aufwändiger Bemühungen der Amerikaner manchmal zwar entdeckt, jedoch nie komplett erobert oder zerstört werden konnte. Ein halber Tag. So viel Zeit bleibt in Cu-Chi. Und dann geht es per Bus zurück nach Saigon.

Saigon ist eine bunte und lebendige Stadt. Sie kann jedoch nicht gerade durch eigene Schönheit bestechen. Trotzdem zieht sie viele Menschen an. Die einen auf der Suche nach Arbeit und neuen Perspektiven, die anderen auf der Suche nach Erholung und Ausgleich. Vor allem im Stadtzentrum trifft man viele Touristen und eine auf sie ausgerichtete Infrastruktur: Bars, Restaurants und diverse Geschäfte reihen sich aneinander. Sogar Bäckereien findet man – in Asien eigentlich eine absolute Seltenheit. Dazu gibt es an jeder Ecke Unterkünfte für den kleinen und großen Geldbeutel und viele Reiseagenturen, die bei der weiteren Reiseplanung behilflich sind. Außerdem Museen, schöne Stadtparks sowie kleine und verwinkelte Gassen, die dazu einladen, einfach ziellos durch sie hindurchzuschlendern. Und so ist Saigon sicher einer der bedeutendsten Dreh- und Angelpunkte für Reisende in Südostasien. Es geht hektisch zu in Saigon. Aber es ist eine angenehme, eine ganz eigene  Hektik, die exotische Großstädte vor allem dann versprühen können, wenn man nur eine begrenzte Zeit bleiben muss. Insgesamt hält es mich drei Tage in der Stadt. Drei Tage, die mal wieder ziemlich schnell vorbei gehen. Eigentlich hätt ich ja wie immer noch länger bleiben können.

Am Sonnabend mach ich mich dann aber auf den Weg. In aller Frühe. Denn die Grenze zu Kambodscha schließt um 18 Uhr, so dass es, sollte ich zu spät ankommen, erst am nächsten Tag weiter gehen würde. Wenn ich mich beeile, könnt ichs allerdings innerhalb eines Tages schaffen. Am Morgen kann ich mir noch überhaupt nicht vorstellen, dass ich bald in Kambodscha sein werde. Ich hab mich so unglaublich an Vietnam gewöhnt, dass es auch gar nicht so einfach ist zu gehen. Aber irgendwann hat man eben auch mal so ein langes Land durchradelt und muss es eben weiter gehen. An der Grenze ein sich immer ähnelnder Ablauf: erstmal alle Fahrradtaschen abnehmen und durch den Röntgenscanner schieben, dann werden Pass und Visum kontrolliert ,bevor es im Anschluss durch die Transitzone zur nächsten Grenze geht. Neu ist diesmal, dass ich mein kambodschanisches Visum erst am Grenzschalter bekomme. Aber nachdem das in meinen Pass geklebt und abgestempelt ist, kann ich auch gleich weiterfahren.

Wieder ein neues Land und wieder ganz viel Unbekanntes. Ich finde es ja immer ziemlich aufregend eine neue Grenze zu passieren. Gerade, wenn ich zum ersten Mal in das jeweilige Land komme. Wenn man eine Weile in einem bestimmten Land unterwegs ist, richtet man sich irgendwie ein. Nach ein paar Tagen ist vieles vertraut. Man weiß, wie und wo man seine Unterkünfte finden kann, man kennt die gängigen Preise für Lebensmittel oder das Essen in Restaurants, die grundlegenden Höflichkeitsfloskeln und ein Stück weit auch die Mentalität der Einheimischen. Man weiß einfach, wie es im Reisealltag zugeht. Wenn es in ein neues Land geht, ist diese angenehme Routine naturgegebenermaßen erst einmal verflogen und man muss wieder von neuem ankommen.

Und so ist es auch in Kambodscha. Anderes Geld, andere Schrift, eine andere Sprache und irgendwie auch eine andere Mentalität. Obwohl man das nach zwei Tagen ja überhaupt noch nicht sagen kann. Es ist aber mein erster Eindruck. Generell erlebe ich die Menschen jetzt wieder reservierter. Das war allerdings auch schon vor der Grenze so. Es ist verrückt: in einem Reiseführer hab ich kürzlich gelesen, dass die Menschen in Nordvietnam viel verschlossener wären, als die Südvietnamesen. Ich hab das genau anders herum erlebt. Schon komisch. So unterschiedlich können individuelle Eindrücke sein.

Aber auch darüber hinaus ist Kambodscha schon auf den ersten Metern ganz anders als Vietnam. Gleich als erstes Fällt mir auf, dass in Kambodscha das Preisniveau z. T. deutlich höher ist. Trotzdem wirkt Kambodscha viel ärmer und ist auch deutlich vermüllter. Zumindest an den Straßenrändern und in den kleineren Ortschaften. Außerdem gibt es mehr Sicherheitspersonal. In Phnom Penh, aber z. B. auch in der Provinz, bspw. auf den Märkten. Gestern hab ich einen mit einer Kalaschnikow bewaffneten Sicherheitsmann gesehen, der sich auf einem Markt mit seinem Motorrad einen Weg durch die Menschenmenge  gebahnt hat. Fand ich etwas irritierend. Aber um jetzt keinen falschen Eindruck zu erwecken: vielerorts begegne ich noch immer und immer wieder lächelnden, fröhlichen Menschen, die mir einfach im Vorbeifahren zuwinken oder auch ganz interessiert den Kontakt suchen, so wie in Vietnam eben auch. Es gibt also keinen Grund zu meckern. Es ist eben einfach ein bisschen anders. Normaler, wenn man so will und nicht ganz so touristisch wie Vietnam. 

Mittlerweile bin ich in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh angekommen. Hier werd ich jetzt einen dreitägigen Zwischenstopp einlegen. Mitte dieser Woche wird es dann wieder weitergehen, Richtung Angkor Wat – dem größten sakralen Bauwerk der Welt und der Touristenmagnet in Kambodscha schlechthin.