154 Meter unter dem Meeresspiegel

Mit Jack aus Australien und Li aus Japan schlendere ich über den Nachtmarkt in Kashgar. Es dampft und duftet aus allen Richtungen. Ein wahres Festmahl für die Sinne. Eine Garküche reiht sich an die nächste und überall stehen Tische und Bänke bereit, die dazu einladen sich zu setzen, um von den vielen Köstlichkeiten zu probieren. Und das machen wir ausgiebig. Ob verschiedene Nudel- oder Reisgerichte, Suppen, Schaschlik mit Brot oder Ei am Stiel, alles testen wir mal durch. Und jeder bei jedem. Wirklich Schade, dass man so schnell satt ist und einfach nichts mehr Platz hat im Bauch. Aber wir haben ja ein paar Tage Zeit. Das Essen auf dem Nachtmarkt oder auf der Straße generell ist äußerst preiswert. Für knapp 1,50 € bekommt man eine Schüssel voll Reis oder Nudeln, Gemüse und Fleisch und das reicht eigentlich schon völlig aus, um satt zu werden. Und es ist so unglaublich lecker….ich fühl mich wie im siebten Himmel.

Li spricht etwas Chinesisch und kann Jack und mir daher ein paar einfache Begrüßungsfloskeln beibringen. „Nihao“ heißt „Hallo“, „Sai-Dschien“ „Auf Wiedersehen“ und „Che Che“ heißt „Dankeschön“. Mal sehen, wie lange ich das behalten kann. Auch die Zahlen von eins bis zehn üben wir. Aber da versage ich kläglich. Das kann ich mir keine Minute lang merken. Fast genauso verwirrend sind am Anfang auch die Handzeichen für die jeweiligen Zahlen. Bis zur Fünf zählt man in China fast wie in Deutschland. Begonnen wird allerdings mit dem Zeigefinger. Dazu kommen dann der Reihe nach Mittel- und Ringfinger, kleiner Finger und dann der Daumen. Und schon hat man Fünf. Dann wirds allerdings kompliziert, denn es geht mit der gleichen Hand weiter. Die Sechs wird mit ausgestrecktem Daumen und kleinem Finger dargestellt, für die Sieben drückt man Daumen, Zeige- und Mittelfinger aneinander, die Acht sind ausgestreckter Daumen und Zeigefinger, für die Neun rollt man den Zeigefinger etwas zusammen und für die Zehn kreuzt man beide Zeigefinger miteinander und formt ein Plus. Bis man das mal raushat. Anfangs waren daher die Preise für ein Essen immer eine kleine Überraschung gewesen….

In Kashgar bleib ich drei Tage lang. Erstmal ein bisschen akklimatisieren, umschauen und in China ankommen. Und dann gehts weiter. Mit einem Fernbus. In dem gibt es allderings keine Sitze sondern nur Betten. Es geht Richtung Norden nach Urumqi. Insgesamt 28 Stunden dauert die Fahrt. Durch eine immer gleich aussehende Landschaft. Karge Berge wechseln mit wüstenähnlichen Landschaften ab. Hin und wieder mal eine Stadt oder ein Dorf. 1400 Kilometer lang. Sonderlich weit sieht das auf der Landkarte allerdings trotzdem nicht aus. China ist riesig. Das sind ganz Dimensionen als in Europa. Bewusst wird mir das in Urumqi, als eine Hostelmitarbeiterin mir sagt, dass sie bzw. ihre Eltern ganz in der Nähe wohnen und sie nur sieben Stunden mit dem Zug bis zu ihnen nach Hause fährt. In Deutschland wär das in etwa die Strecke Freiburg – Berlin. Allein Xianjang – die Provinz, in der ich mich gerade befinde – ist größer als Deutschland, Frankreich, die Schweiz und Spanien zusammengenommen. Daher hab ich mich auch entschlossen etappenweise immer auch mal den Bus zu nutzen. Dann brauch ich nicht so durchs Land zu hetzen. Wär irgendwie Schade drum. Momentan reise ich also eher etwas gemächlicher und bleib auch mal zwei, drei Tage an einem Ort. Eben, so wie in Kashgar oder in Urumqi.

Von Urumqi hab ich mich dann allerdings wieder mit dem Fahrrad aufgemacht. Nach Turpan. Mit 154 Metern unter dem Meeresspiegel, einer der am tiefsten gelegenen Orte der Erde und zugleich der heißeste Ort Chinas. Im Sommer kann es hier bis zu 48°C heiß werden. Aber zum Glück ist der ja vorbei. Nicht auszudenken…

Abgesehen von einem kleinen Abstecher durch die Berge führt die Fahrt nach Turpan quasi immer parallel an der Autobahn entlang. Nicht gerade eine Traumstrecke. Wobei es landschaftlich eigentlich ziemlich schön ist: rechts und links der Straße ragen die schneebedeckten Berge des Tien-Shan-Gebirges auf. Mal mehr mal weniger weit entfernt. Allerdings fällt das kaum auf, denn entlang der Straße ist alles scheinbar wahllos zugebaut. Viele Windräder stehen an der Strecke und dazu passiere ich immer wieder ziemlich heruntergekommene Straßendörfer in denen sich der Müll zum Teil bergeweise an den Hauswänden entlang und hinauf türmt. Aber auch an der Straße verteilt liegt immer wieder Müll herum. Nicht, dass das in anderen Ländern überhaupt nicht der Fall gewesen wäre, aber hier in China fällt es mir besonders auf. Wobei es in Kashgar und Urumqi allerdings ziemlich sauber gewesen ist.

Zwei Tage bin ich jetzt in Turpan gewesen. Morgen wird es für mich dann wieder weiter gehen. Weiter Richtung Osten. Mein nächstes großes Ziel ist Xian. Bis ich dort ankomme, werden aber sicher noch einige Tage vergehen.

 

Über die Berge nach China

Kalt soll es sein in den Bergen. In Osh hör ich das immer wieder. In den Geschäften, auf der Straße und auch im Touristenbüro. Das ist eigentlich schon geschlossen, denn die Saison ist seit zwei Wochen vorbei. Der einzig verbliebene Mitarbeiter ist nur zum Aufräumen hier, aber trotzdem werde ich von ihm noch mit einigen wichtigen Tipps für die Strecke nach China versorgt. Lebensmittelläden gibt es wohl einige unterwegs, Unterkunftsmöglichkeiten auch. Und insgesamt sind es von hier knapp 260 Kilometer bis zur Grenze. Ach ja, und ich sollte mit Schnee rechnen. Zumindest auf den Pässen und in Sary Tash. Dort hat wohl schon der Winter Einzug gehalten.

Also bis auf den Schnee klingt das doch gar nicht schlecht. Obwohl, eigentlich mag ich den ja auch. Zumindest solange die Straßen einigermaßen frei sind und ich nicht irgendwo eingeschneit werde. Aber trotzdem geh ich doch lieber nochmal auf den Markt und kauf mir eine lange Unterhose. Sicher ist sicher. Ist ja in Osh schon ziemlich frisch. Und die nächsten Tage gehts rauf auf über 3500 Meter. Da ist es also nochmal deutlich kälter als hier. Ansonsten müsste ich aber ganz gut ausgestattet sein. Ganz am Anfang meiner Reise hatte es ja auch geschneit. Und wenn ich da an die Nacht vor der DAV-Hütte denke….das ging ja auch irgendwie. Trotzdem bin ich aber mal wieder etwas aufgeregt.

Nach zwei Tagen in Osh mach ich mich am Mittwochmorgen dann schließlich auf den Weg. Das Wetter könnte besser nicht sein. Es ist sonnig und spätsommerlich warm. Zumindest kann ich im T-Shirt fahren. Erstmal besoge ich mir etwas Proviant: Haferflocken, Apfelsaft, Wasser, ein paar Fertiggerichte und zwei Fladenbrote. Und dann gehts los. Ich verlasse Osh in östlicher Richtung. Und hier beginnt er irgendwo: der Pamir-Highway, eine der höchsten Fernstraßen der Welt und sicherlich der Traum vieler Radreisender. 1300 Kilometer lang, verläuft er zwischen Osh und Dushanbe, der Hauptstadt Tadschikistans. Und auf diesen 1300 Kilometern erwarten einen spektakuläre, atemberaubend schöne Landschaften und kilometerlange Einsamkeit. Der eindrucksvollste Teil ist wohl der Abschnitt in Tadschikistan. Bis dahin komm ich aber leider nicht, denn auf dem Weg nach China werde ich den Pamir-Highway bereits nach knapp 200 Kilometern wieder verlassen. Aber ich freu mich trotzdem unglaublich auf diesen Abschnitt.

Es dauert eine ganze Weile bis Osh hinter mir liegt. Kilometerlang ziehen sich die Ausläufer der Stadt hin. Trotzdem wirkt alles sehr schnell ländlich. Städte kommen nach Osh keine mehr. Ab und an ein Dorf oder Hof. Das wars. Große Anstiege gibt es ebenfalls erstmal nicht. Es geht aber permanent bergauf. Es macht unglaublich Spaß zu fahren. Habs richtig vermisst. Ich hatte aber echt auch eine lange Pause.

Und da sind sie dann auf einmal wieder, die Begegnungen am Straßenrand. Es ist doch schon ein Riesenunterschied, ob man mit dem Fahrrad unterwegs ist oder eben im Auto oder Zug. Auf dem Fahrrad ist immer ziemlich schnell Kontakt da. Man begegnet mir sehr offen und interessiert. Besonders die Kinder. Sie kommen von überall her angerannt, winken und rufen mir ein lautes, euphorisches „Hellooo“ zu. Und dann freuen sie sich bis über beide Ohren, wenn ich ebenfalls zurückwinke und rufe. Von Bauern, die am Straßenrand ihr Obst verkaufen, werde ich angehalten und mit Äpfeln versorgt oder aber einfach von der Straße weg zum Essen eingeladen. Zum Beispiel von Anmar, der mit Nachbarn vor seinem Haus sitzt, als ich vorbeifahre. Umar, den ich in Osh kennengelernt habe, erklärt mir die kirgisische Gastfreundschaft aus einer historischen Sicht: die Jurten der Nomaden standen früher viele, viele Kilometer auseinander. Zwanzig, dreißig oder auch mal fünfzig. Gerade im Winter war es daher ganz klar, dass ein Fremder, der vorbei kam, auf jeden Fall aufgenommen und versorgt wurde. Und daran hat sich bis heute nichts geändert, meint er.

Auf meiner Fahrt durch die Berge erfahre ich das mehrfach. Gleich am ersten Tag nochmal. Ich habe gerade mein Zelt aufgebaut, da kommt Abelek, ein Schäfer, vorbeigeritten. Ganz interessiert schaut er sich zuerst das Zelt und die vielen Taschen an und lädt mich dann kurzerhand  zum Abendessen ein. Mit seinem Bruder wohnt er in einem winzigen Haus, das nur aus einer Küche und zwei kleinen Zimmern besteht. Ohne Toilette und fließend Wasser. Und es ist richtig kalt bei den beiden. Fast so kalt, wie draußen. Daher sitzen wir erstmal mit Mütze und Jacke da. Aber auf dem Ofen dampft schon eine heiße Nudelsuppe. Dazu gibt es noch Brot und eine große Kanne Tee. Irgendwie haben wir alle Hunger, denn wir essen den ganzen Topf leer und sicher zwei, drei Brote. Als ich dann am Gehen bin, begleitet mich Abelek noch bis zum Zelt, denn ich hab meine Taschenlampe vergessen und ist bereits stockdunkel. Und er lädt mich gleich nochmal zum Frühstück ein. Das gibts um sieben. Da soll ich auf jeden Fall wieder vorbeikommen. Gar nicht diskutiert wird, als ich am nächsten Tag meine beiden Brote zum Frühstück beisteuern will. Die werd ich noch brauchen und daher soll ich die mal schön wieder mitnehmen. Und so bleibt mir später nur, mich bei den beiden ganz doll zu bedanken, bevor ich am frühen Vormittag wieder weiterfahre.

Weiter in die Berge. Ich bin voll in meinem Element. Es ist so atemberaubend schön, dass ich kaum vorankomme. Ich schaffe meist nur fünfzig Kilometer am Tag, weil ich überall anhalte, Pausen mache und die Umgebung und das gute Wetter genieße. Das spielt nämlich auch mit. Tagsüber kann ich im T-Shirt fahren und nachts, da gibts zwar leichten Frost, aber da hält mich mein Schlafsack schön warm. So kalt ist es also gar nicht. Glück gehabt.

Insgesamt bin ich fünf Tage in den Bergen unterwegs. Besonders schön finde ich den Abschnitt hinter Sary Tash. Da ist es auch am einsamsten. 70 Kilometer keine einzige Ortschaft und auch kein Hof. Und kaum mehr als ein Auto pro Stunde, was an mir vorbei fährt. Bis Nura, dem letzten größeren Ort vor der Grenze. Über Nura und den Grenzübergang Irkeshtam bin ich schließlich vor zwei Tagen nach China eingereist. Das muss ich jetzt erstmal verdauen, dass ich tatsächlich in China bin. In Kashgar, um genau zu sein. Morgen wirds dann aber schon wieder weitergehen. 1400 Kilometer Richtung Norden, nach Urumqi. 20 Stunden Busfahrt…

  

China wartet

Kaum habe ich in Taschkent das Flugzeug verlassen, fühle ich mich wie in eine andere Welt katapultiert. Mal wieder. Das Gefühl kenn ich ja jetzt schon, aber trotzdem beeindruckt es mich immer wieder aufs Neue. Es ist merklich kühler als im Iran. Richtig herbstlich. Die Luft riecht angenehm frisch. Dazu scheint die Sonne und lässt die Blätter an den Bäumen in den verschiedensten Rot-, Gelb- und Grüntönen leuchten. Eine Augenweide. Insbesondere nach sechs Wochen Wüstenlandschaft. Und wie ruhig es hier ist. Vor allem auf den Straßen. Ich komm mir fast vor, wie auf einem Verkehrsübungsplatz. Kein Gedränge und Motorengeheul und auch kein wildes Gehupe mehr. Ein Unterschied, wie Tag und Nacht. Man kann es sich kaum vorstellen. Es lohnt sich sogar wieder den Zebrastreifen zu nutzen, denn hier halten die Autofahrer tatsächlich an, wenn man sich an die Straße stellt. Undenkbar im Iran.

Dazu ist es extrem sauber. Ich seh nirgends Müll. Dafür sehr saubere Straßen und Wege und penibel gepflegte Grünanlagen. Zumindest mal im Stadtzentrum und insbesondere vor Regierungsgebäuden. Neben akkurat geschnittenem Rasen wird hier sogar darauf geachtet, dass in den Bäumen keine braunen Nadeln hängen. Dafür sorgen die vielen Gärtner. Mit langen Holzstangen laufen diese die Bäume ab, schütteln die braunen Nadeln aus den Ästen und harken sie dann zusammen. Was Ordnung und Sauberkeit betrifft werden hier wirklich keine Kosten und Mühen gescheut. Und auch nicht, was die Sicherheit betrifft. Überall wimmelt es von Polizisten. Auf den Straßen und vor allem an den Bahnhöfen und den Eingängen zur Metro. Hier wird jeder einzelne Fahrgast mit einem Metalldetektor kontrolliert.  An den Bahnhöfen werden dazu noch Pass und Ticket überprüft und das gesamte Gepäck durchleuchtet. Bei jedem einzelnen Fahrgast. Was das für Personalkosten sein müssen…

Ich quartier mich wieder in einem schönen Hostel ein. Eigentlich will ich nur ein, zwei Nächte bleiben und dann weiter nach Kirgistan fahren. Aber dann werde ich am Frühstückstisch an Städtenamen aus den Geschichten von tausendundeiner Nacht erinnert. Namen wie Samarkand und Buchara fallen. Eigentlich Pflichtprogramm für Usbekistanreisende. Ich bin auf einmal ganz hin und hergerissen. Einerseits naht der Winter und auf den Pässen nach China soll schon der erste Schnee liegen. Ich sollte also wirklich weiter. Anderseits, jetzt bin ich hier und wer weiß, wann und ob ich mal wieder hierher kommen werde. Immer diese schweren Entscheidungen. Jetzt wär es toll jemanden zu haben, mit dem ich zusammen reise. Dann könnt ich einfach sagen: „Komm, sag du.“

Okay, eine Stadt, ein Tag und dann zurück nach Taschkent. Ich entscheide mich für Buchara. Ein Tipp von Nina aus Österreich, die mir davon in den höchsten Tönen vorgeschwärmt hat. Die Altstadt ist klein und überschaubar und die schönsten Gebäude und Sehenswürdigkeiten liegen alle in Laufdistanz. Dafür reicht ein Tag. Am nächsten Morgen sitze ich also im Zug, denn mit dem Fahrrad wär das viel zu weit. Knapp 600 Kilometer eine Strecke. Ich hab mir zwei Dinge herausgesucht, die ich mir anschauen möchte: die Festung Ark und die Kalon-Moschee. Und den Rest der Zeit werd ich einfach ein bisschen durch die Stadt spazieren.

Ich bin erstaunt, wie viele Touristen es in Buchara gibt. Es ist nicht unbedingt überlaufen aber trotzdem gut was los. Viele Reisegruppen, vor allem aus Mitteleuropa und Asien werden von geschäftigen Reiseführern durch die Gassen und über den Basar dirigiert. Schön ist sie ja schon, die Altstadt von Buchara. So, wie man sich den Orient eben vorstellt. Exotisch, mit kleinen Märkten, Medressen und Moscheen. Und zugleich ist es aber irgendwie auch ein Kunstgebilde, ein Ort, der zahlungskräftigen Besuchern präsentiert wird und in dieser Hinsicht eben auch vielen anderen touristischen Orten ähnelt. Eine Seifenblase. Ein Tag reicht mir hier daher vollkommen aus. Aber jetzt war ich zumindest mal in Buchara gewesen.

Zurück in Taschkent überlege ich, wie es ab hier weitergehen soll. Aber es fällt mir auf einmal unglaublich schwer mich zu motivieren. Entsprechend lustlos laufen meine Planungen ab. Irgendwie merke ich, dass Usbekistan nicht mein Land ist. Ich weiß aber überhaupt nicht warum. Es ist einfach ein Gefühl. An den Menschen kann es nicht liegen. Die waren mir gegenüber bisher überaus freundlich, offen und sehr hilfsbereit gewesen. Vom Grenzbeamten über die Polizisten am Bahnhof, bis hin zu den Menschen auf der Straße. Reservierter zwar als die Menschen im Iran, aber trotzdem sehr angenehm. Vielleicht hätt ich ja einfach gleich weiter fahren sollen, ich weiß es nicht. Ich hab jedenfalls immer stärker das Gefühl, dass mir die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt. Dazu kommt, dass man in Usbekistan als Tourist verpflichtet ist, sich behördlich zu registrieren. Das wird in autorisierten Unterkünfte erledigt. Zelten oder privat übernachten sollte man daher nicht. Dass das von den usbekischen Behörden sehr ernst genommen wird, erfahre ich von einem Pärchen aus der Ukraine. Diese haben sich in ihren ersten drei Tagen nirgends registriert. Das Hostel, in dem wir uns getroffen haben, durfte sie daher nur mit einer Sondergenehmigung der Polizei aufnehmen. Und nur für eine Nacht. Denn am nächsten Tag wurden sie aus Usbekistan ausgewiesen. Zudem wurde ein mehrjähriges Einreiseverbot verhängt.

Da es auf dem Weg nach Kirgistan nicht wirklich viele und zudem bezahlbare Hotels zu geben scheint, entschließe ich mich mit einem Minibus bis zur Grenze zu fahren. So kann ich mögliche Probleme mit den Registrierungen vermeiden und auch noch zwei, drei Tage Zeit gut machen. In Usbekistan bin ich somit überhaupt kein Rad gefahren. Schon seltsam, wie sehr das doch die Wahrnehmung von einem Land beeinflussen kann. Es fehlt irgendwie ganz viel. Der Fahrtwind in den Haaren fehlt, die Wärme der Sonne auf der Haut und der Schweiß und die Anstrengungen, wenn man Berge erklimmt oder gegen den Wind ankämpfen muss. Und vor allem fehlen die vielen Begegnungen am Straßenrand. Von Usbekistan bleibt mir daher nur ein ganz wager Eindruck. Aber das war jetzt auch mal eine sehr lohnende Erkenntnis. Denn da ich schon viele Reisende getroffen habe, die ausschließlich mit Bus, Bahn oder Auto unterwegs sind, hab ich mich oft gefragt, wie das wohl ist, auf diese Art zu reisen. Insbesondere auf ganz anstrengenden Etappen, wie in Armenien. Jetzt hab ich zumindest mal einen Eindruck davon.

Seit gestern bin ich in Osh, in Kirgistan. Ich fühl mich gleich wohl in der Stadt. Kindheitserinnerungen werden wach. Die Gebäude, die Autos, das ganze Stadtbild – irgendwie erinnert mich das an die DDR. Und es hat sich weiter abgekühlt. Aber die Sonne scheint. Schönstes Herbstwetter also auch hier. Einen Tag werd ich jetzt in Osh bleiben und dann gehts in die Berge über einen Teil des Pamir-Highways nach China.  

Auf nach Usbekistan

Fahrräder verboten. Das Schild, das die Autobahnauffahrt markiert, ist eindeutig und lässt leider keinerlei Spielraum für Interpretationen. Irgendwie hab ich wohl eine Abzweigung verpasst. Aber ich muss zum Flughafen und das am besten ohne große Umwege. Mein Flug nach Usbekistan geht zwar erst heut Nacht, aber ich muss noch mein Fahrrad verpacken und da ich zum ersten Mal mit einem Fahrrad im Gepäck fliege, hab ich keinerlei Ahnung wie und wo ich das am Flughafen machen soll. Jetzt könnt ich meine Karte gebrauchen. Die hab ich heute allerdings verschenkt, weil ich dachte, dass ich sie nicht mehr brauchen werde. Blöd. Jetzt wär eigentlich der richtige Zeitpunkt, um einen Blick drauf zu werfen. Knapp 40 Kilometer sinds von hier noch bis zum Flughafen. Aber da ich hier sowieso nicht mehr umdrehen kann, muss ich wohl erstmal rauf auf die Autobahn. LKWs und Motorräder sind in diesem Abschnitt übrigens auch nicht erlaubt. Nur hält sich kaum jemand daran. Reihenweise braust alles was fahren kann an mir vorbei. Die Motorräder mit bis zu vier Personen und abenteuerlichen Gepäckkonstruktionen. Mit Vollgas und im Rückwärtsgang kommt mir sogar ein PKW entgegengefahren, dessen Fahrer zuvor an einem der vielen Stände auf dem Randstreifen Blumen gekauft hat. Das beruhigt mich alles irgendwie. Da bin ich nicht der einzige, der aus der Reihe tanzt.

Ebenfalls beruhigend ist, dass Polizei mich nicht weiter beachtet. Aber das wird sicher noch kommen. Spätestens an der Mautstelle. Da ich aber für heut Abend jedwede Art von Komplikation vermeiden möchte, verlasse ich die Autobahn an der nächstmöglichen Ausfahrt, hoffe auf eine gute Ausschilderung zum Flughafen und versuche einen Weg über die Landstraßen zu finden. Nach wenigen Kilometern muss ich jedoch einsehen, dass das ziemlich aussichtslos ist. Auch mein GPS-Gerät hilft mir nicht weiter. Die Karte ist äußerst lückenhaft und zeigt mich nur als grünen Punkt auf weißer Fläche an. Was also machen? Ich überleg kurz und fahr zurück zur Autobahn. Irgendwie muss das jetzt gehen. Wird ja auch schon dunkel.

Reihenweise drehen sich die Autofahrer nach mir um. Ich bin wohl doch nicht so unauffällig, wie gedacht und gehofft. Und bald komm ich auch schon an die Mautstelle. Jetzt bin ich gespannt. Wie erwartet werde ich von der Polizei aus der Kolonne herausgewunken. Wo ich denn hinmöchte, ist die verwunderte Frage. Zum Imam-Khomeini-Flughafen meine Antwort. Und ein bisschen unbeholfen füge ich dem noch hinzu, dass ich ein Tourist bin. Ein musternder Blick wandert von mir zu meinem Fahrrad, dem ganzen Gepäck, dem riesigen Karton auf dem Gepäckträger und wieder zurück zu mir. Und dann werde ich mit einem kurzen Kopfnicken durchgewunken. Na das hätt ich jetzt nicht gedacht. Bloß schnell weg hier. Nicht, dass sich das noch jemand anders überlegt. Bei der nächsten Kontrolle das gleiche. Nachdem ich erklärt habe, dass ich zum Flughafen will, winkt man mich durch, salutiert und wünscht eine gute Weiterfahrt. Ach, ich mag den Iran…

Wohlbehalten komme ich nach zwei Stunden Fahrt am Flughafen an. Am Informationsschalter frage ich, wo ich mein Fahrrad verpacken kann. Es gibt eine Verpackungsstation, irgendwo am anderen Ende der Halle. Aber vorher muss ich an Schalter 3 und durch die Sicherheitsschleuse. Alle Taschen und auch mein Fahrrad werden durchleuchtet. Und dann bin ich auch schon im Flughafen und kann mir ein ruhiges Plätzchen suchen, wo ich mein Fahrrad soweit auseinanderbaue, dass es in den Karton passt, den ich mir in Teheran besorgt habe. Gar nicht so einfach. Heute morgen sah der Karton irgendwie viel größer aus. Nach vielen Versuchen ist alles verstaut und zugeklebt. Bis auf mein Hinterrad. Das muss ich extra verpacken. Ganz abenteuerlich wird das dann an dem Karton befestigt und in Folie eingewickelt. Hoffentlich übersteht mein Radl den Flug. Und hoffentlich kommt es auch mit mir in Usbekistan an. Man hört ja so einiges.

Nach der Gepäckabgabe hab ich noch etwas Zeit. Ich laufe durch den weiten Hallen und genieße einfach die geschäftige Flughafenatmosphäre. So oft erleb ich das ja auch nicht. Im Dutyfree-Shop gebe ich meine letzten Rial aus und decke mich noch mit Chips und Leckereien ein. Da hab ich gerade irgendwie Lust drauf. Um 4 Uhr morgens sitze ich dann im Flugzeug und pünktlich auf die Minute hebt der Flieger Richtung Usbekistan ab.

Sechs beeindruckende Wochen im Iran liegen hinter mir. Beeindruckend, was die Landschaft, vor allem aber, was die Menschen hier betrifft. Noch nie habe ich so viel Gastfreundschaft und so eine große Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft gegenüber fremden Menschen erlebt. In keinem der Länder, in denen ich bisher mit dem Fahrrad unterwegs gewesen bin. Ein Stück weit war ich ja schon darauf vorbereitet, weil ich viele Reisende getroffen habe, die hier im Iran gewesen sind. Es ist aber trotzdem nochmal etwas anderes, wenn man das dann tatsächlich selber erlebt. Und vor allem in dieser Intensität und Menge. Diese vielen Eindrücke und Erlebnisse müssen sich jetzt erstmal setzen und ankommen bei mir. Derweil mach ich mich auf den Weg in ein neues Land.

Usbekistan. Ich bin gespannt, wie es wird.

Ein Abstecher in die Wüste

Maranjab. Seit ich das erste Mal hier war, geistert dieser Name nun schon in meinem Kopf herum und lässt mich gar nicht mehr los. Mitte September war das. Damals allerdings mit dem Auto. Aber schon damals schien mir die Strecke vom bequemen Beifahrersitz des Geländewagens aus eine ziemliche Herausforderung zu sein. Zumindest für jemanden, der hier ohne motorisierte Hilfe unterwegs ist. Mit knapp 40 Kilometern ist der Weg von Kashan bis nach Maranjab ja eigentlich gar nicht mal so lang. Aber es geht eben immer durch die Wüste und auch immer weiter in diese hinein. Auf unbefestigten Wegen, zum Teil durch knöcheltiefen Sand – und ohne eine Möglichkeit sich mit Wasser zu versorgen. Dazu ist es heiß und man ist hier auch relativ allein unterwegs. Ab und zu kommt zwar ein Auto vorbei, aber deren Anzahl ist doch eher überschaubar. In den letzten Tagen hab ich mich daher immer wieder gefragt, wie das wohl ist, die Strecke mit dem Rad zurückzulegen. Dass das machbar ist, hab ich ja an den zwei Radlern aus Jena gesehen. Und spätestens seit dem stand für mich fest, dass ich das auch probieren muss. Unbedingt. Daher konnte ich jetzt auch nicht einfach direkt nach Teheran zurückfahren sondern hab eben nochmal einen Zwischenstopp in Kashan eingelegt.

Den hiesigen Busbahnhof erreichen wir von Isfahan aus nach knapp drei Stunden. Spätestens beim Aussteigen fällt mir auf, was es doch ausmacht in einem klimatisierten Reisebus unterwegs zu sein. Anders als in Isfahan herrschen hier in Kashan nämlich noch hochsommerliche Temperaturen. Der Unterschied zum Businneren beträgt daher wenigstens 10°C und ist überdeutlich zu spüren. Augenblicklich fühl ich mich wieder wie in einem Backofen. Und dabei hatte ich mich schon gefreut, dass langsam mal der Herbst mit etwas angenehmeren Temperaturen Einzug hält. Ich glaub, seitdem ich Batumi in Georgien verlassen habe, gab es – außer jetzt in Isfahan – keinen einzigen Tag mehr, an dem die Temperaturen nicht auf Werte zwischen 30 und 35°C geklettert wären. Aber gut, es dauert hoffentlich nicht allzu lang, bis ich mich wieder an diese Hitze gewöhnt habe.

Nachdem ich mein Fahrrad aus dem Bus gehievt und das ganze Gepäck festgezurrt habe, mach ich mich auf dem Weg in die Stadt. Ich muss mich ja noch mit Proviant eindecken. Spätestens um 15:30 Uhr möchte ich dann Kashan hinter mir gelassen und den Wüstenrand erreicht haben. Dann hätt ich noch 3,5 Stunden Zeit bis die Sonne untergeht. Das sollte eigentlich reichen, um bis zur Karawanserei zu kommen.

Was braucht man denn für 40, notfalls auch 80 Kilometer Wüste am Stück? Gute Frage… Ich rechne einfach mal mit einem Liter Wasser auf 10 Kilometer, also knapp acht Liter Wasser insgesamt. Das müsste für die Hinfahrt und wenns sein muss auch noch für die Rücktour reichen, sollte ich z. B. unterwegs irgendwo liegenbleiben. Für heute Abend hab ich außerdem noch Reis und für morgen früh Haferflocken und ein bisschen Apfelsaft. In einem kleinen Laden kaufe ich also 5 Flaschen Wasser á 1,5 Liter, dazu passierte Tomaten und für zwischendurch eine Packung Kekse. Alles schnell irgendwo verstauen und dann gehts los.

Ich verlasse Kashan und durchquere die kleine Stadt Aran. Irgendwie merke ich, dass ich ziemlich nervös und angespannt bin. Warum eigentlich? Es sind nur 40 Kilometer, ich hab reichlich zu Essen und Trinken dabei und auf meiner gesamten Reise hatte mein Rad noch keinen einzigen Defekt, abgesehen von einem Platten nach 7000 Kilometern. Von daher ist doch eigentlich alles im grünen Bereich. Aber trotzdem hab ich ziemlichen Respekt vor dieser Strecke. Es ist für mich ja das erste Mal, dass ich mit dem Fahrrad in die Wüste fahre.

Hinter Aran passiere ich eine Station des Roten Halbmondes. Quasi der letzte Außenposten. Als ich vorbeifahren will, streckt Sayd seinen Kopf zur Tür heraus und winkt mich zu sich ins Haus. Ich soll mich in eine Liste eintragen. Nur meinen Namen. Das Datum und den Rest ergänzt Sayd auf Farsi. Da er gerade am Kochen ist, lädt er mich gleich noch zum Essen ein. Es gibt Rührei, Fleisch und Brot. Eine ganze Pfanne voll. Das reicht locker für zwei. Sayd gibt mir noch ein paar Tipps zur Strecke. Vor allem meint er, dass ich ein bisschen beim Zelten aufpassen soll. Hier gibts nämlich Skorpione. Die sind jetzt wohl nicht mehr so aktiv, es könnt aber trotzdem sein, dass ich einem begegne. Und um seine Aussage etwas zu unterstreichen, steigt er auf eine Leiter, holt von einem Schrank eine Dose herunter und zeigt mir zwei Skorpione, die er vor kurzem hier gefangen hat. Na dann, gut zu wissen….

Nach einer halben Stunde mach ich mich dann wieder auf den Weg. Mittlerweile ist es ja schon 16 Uhr. Zunächst geht es auf einer breiten Schotterpiste in die Wüste hinein. Zum Teil verlaufen mehrere Wege parallel nebeneinander, da der Hauptweg stellenweise voller Bodenwellen und Schlaglöcher ist und daher nur noch sehr langsam befahren werden kann. Aber gut, Platz gibts ja hier genug. Für die Orientierung ist das allerdings etwas ungünstig, weil die Wege zum Teil fünfzig Meter und mehr auseinanderliegen und man an einer Gabelung manchmal gar nicht so einfach erkennen kann, ob man jetzt an einer Abzweigung steht und hier ein neuer Weg anfängt oder nicht. Ich bleib daher einfach immer auf dem Hauptweg. Bodenwellen hin oder her.

Soweit klappt das ja alles ganz gut, stell ich nach einer Weile beruhigt fest. Viel mehr als Schritttempo ist zwar oft nicht drin, aber dafür gibts dann auch wieder Passagen, wo es etwas schneller geht. Da ein leichter Wind geht, empfinde ich die Temperaturen ebenfalls als angenehm. Dazu halten die Autos, die an mir vorbeifahren, fast alle an und fragen, ob ich irgendetwas brauchen könnte. Schnell hab ich mich daher mit der Wüste angefreundet.

Dazu ist die Strecke selbst überaus abwechslungsreich. Flache Passagen wechseln sich mit bergigen Etappen ab. Mal ist der Weg gut befahrbar und mal ist es ziemlich sandig, so dass ich absteigen und schieben muss. Und wie beim letzten Mal, ist es ganz ruhig. Ich höre eigentlich nur das Knirschen meiner Reifen im Sand und das Klappern meiner Taschen, wenn es auf dem Weg mal allzu holperig wird.

Meinen Zeitplan kann ich halbwegs einhalten. Gegen halb acht komm ich in Maranjab an. Da morgen Freitag ist, ist hier ziemlich viel los. Die Karawanserei ist komplett belegt, so dass im Innenhof auch Zelte aufgebaut werden. Viele Iraner verbringen hier ihr Wochenende. Dazu teffe ich auch einige Touristen aus Deutschland, Österreich, England und Frankreich. Ziemlich international. Hätt ich vorher nie gedacht, da die Karawanserei ja schon recht abgelegen ist. Ich setz mich auf eine Treppe im Innenhof und koch mir erstmal mein Abendessen. Zum Glück kann ich hier auch meine leeren Wasserflaschen auffüllen. Daher gibts zum Abendessen gleich auch noch einen Kaffee. Ich bin erleichtert und froh, dass das so gut geklappt hat und genieße es jetzt einfach hier zu sein. Mitten in der Wüste, in Maranjab.

Ich unterhalte mich lange mit einer Gruppe junger Iraner, die neben mir in einem der Räume Quartier bezogen haben. Sie sind für eine Geburtstagsfeier hergekommen und wollen auf jeden Fall nicht vor 6 Uhr am nächsten Morgen ins Bett gehen. Definitiv zu lang für mich. Denn obwohl ich heute gar nicht so weit gefahren bin, bin ich ziemlich müde. Gegen Mitternacht fahr ich daher ein paar Meter raus in die Wüste, baue mein Zelt auf und schlaf auch gleich ein.

Der nächste Tag beginnt mit einem langen Frühstück am Zelt. Es gibt Haferflocken mit Apfelsaft und ein paar Tassen Kaffee. In Maranjab füll ich dann nochmal meine Wasserflaschen auf und will dann eigentlich gleich weiter. Kaum hab ich aber mein Fahrrad abgestellt, werde ich von einer Gruppe Iraner, die ich gestern Abend kurz getroffen habe, zum Frühstück eingeladen. Es gibt Tee, Brot und eine Soße aus Tomaten, Zwiebeln, Fleisch und Paprika. Wenn ich das richtig erkannt habe. Eine lustige Truppe. Es wird viel gesungen, gelacht und geklatscht. Und schnell wird auch ein Lied vom Mister Mätjus zusammengereimt, der mit dem Fahrrad bis in den Iran gefahren ist und so laut gesungen, dass man das sicher in der ganzen Karawanserei hört. Ich muss die ganze Zeit lachen, obwohl ich ja praktisch nichts verstehe.

Gegen 11 Uhr mach ich mich dann auf den Rückweg nach Kashan. Ich bekomm noch ein paar Granatäpfel mit auf den Weg und eine Flasche mit gefrorenem Wasser. Mitten in der Wüste, unglaublich!! Aber da freu ich mich jetzt schon ganz besonders drauf, wenn das später am Auftauen ist….