Neun Tage Isfahan

105 km/h zeigt der Tacho an. Ein ganz besonderer Moment auf meiner Reise, eine Premiere wenn man so will. Ich sitze nämlich im Bus. Mein Fahrrad ist im Gepäckraum verstaut und zum ersten Mal, abgesehen von kleineren Ausflügen, bewege ich mich mit motorisierter Unterstützung fort. Wie entspannend und komfortabel das doch sein kann. Die Landschaft fliegt an mir vorbei. Und die Strecke, für die ich normalerweise einen Tag brauchen würde, liegt bereits nach einer knappen Stunde hinter mir. Dazu gibts eine Boardtoilette, verstellbare Ledersitze mit Armlehnen, kostenlose Getränke, Kuchen und eine Klimaanlage. Das lässt mich die heiße Wüstenlandschaft hinter dem Busfenster ganz anders wahrnehmen, als noch vorletzte Woche auf dem Weg hierher. Drei Stunden Luxus. So lange werde ich bis nach Kashan brauchen. Hierher wollte ich ja nochmal einen Abstecher machen, um zur Karawanserei Marandjab in die Wüste zu fahren. Zum ersten Mal mit dem Fahrrad in der Wüste. Lauter Premieren heute. Ich bin schon ganz gespannt, wie das nachher wird.

Neun Tage bin ich jetzt in Isfahan gewesen. Ziemlich lang für eine Stadt. Gerade wenn man bedenkt, dass ich ursprünglich nur fünf Tage bleiben wollte. Aber genau wie damals in Tiflis ist die Zeit wieder wie im Fluge vergangen und kommt mir wesentlich kürzer vor. Und der Aufbruch fällt mir auch alles andere als leicht. Aber das ist auch nicht wirklich verwunderlich – bei dieser Stadt. Isfahan zählt ja zu den schönsten Städten im Iran und gilt als das beliebteste Reiseziel im Land, sowohl für die Iraner selbst, als auch für Touristen aus dem Ausland. Es gibt hier so unglaublich viel zu sehen, zu entdecken und zu tun, dass ich eigentlich noch viel länger hätte bleiben können.

Insbesondere auch, weil ich wieder so viel Glück mit meiner Unterkunft hatte. Ich übernachte ja gerne in Hostels. Und genau in einem solchen bin ich nach einem Tipp von einem Iraner wieder gelandet. Im Amir-Kabir-Hostel. Stadtnah, preiswert, mit einem wunderschönen Innenhof und das Beste: voller Reisender. Sowohl Backpackern, als auch Motorrad- und Fahrradfahrern oder Leuten, die seit Monaten einfach zu Fuß unterwegs sind. Von jung bis alt und aus allen Herrenländen. Hätt ich gar nicht gedacht, dass man im Iran so viele Individualreisende trifft. Einige sind hier für eine Rundreise, es gibt aber auch viele Langzeitreisende, die auf verschiedensten Routen in Richtung Südostasien oder Afrika unterwegs sind oder von dort kommen. Reichlich Gelegenheit für interessante Gespräche. Ich finds ja immer wieder total spannend mich mit anderen Reisenden austauschen zu können, von deren Erfahrungen und Erlebnissen zu hören und auch den ein oder anderen Tipp für meine Weiterreise zu bekommen. Außer in Hostels hab ich dazu ja normalerweise kaum die Gelegenheit.

Aber auch ansonsten lässt es sich in Isfahan ganz gut aushalten. Ganz klassisch hab ich mir viele der bekannten Sehenswürdigkeiten angesehen: verschiedene Moscheen, Kirchen und Museen sowie den Basar, der mit zu den größten im Iran zählt. Abseits kultureller Entdeckungstouren hab ich mich aber auch oft einfach durch die Stadt treiben lassen oder mich irgendwo in einem der vielen Parks gesetzt und mir dort Kaffee oder mein Abendessen gekocht. Vor dem Flug nach Usbekistan muss ich ja noch mein ganzes Benzin loswerden. Von daher lief mein Kocher die letzten Tage quasi im Dauerbetrieb. Neben mir immer auch viele andere Familien. Wie schon in der Türkei, sieht man hier im Iran überall in den Parks Familien sitzen und picknicken. Lang allein bleib ich daher eigentlich nie. Oft werde ich ziemlich schnell eingeladen und dann auch mit Fragen bombardiert: Wo komm ich her? Wo fahr ich hin? Was ist mein Beruf? Wie finde ich den Iran? Es sind immer die gleichen Fragen. Aber nie aufdringlich, sondern immer entspannt und sehr angenehm. Zum Kaffee gibts für mich daher also meist auch noch Tee, beutelweise Sonnenblumenkerne und manchmal gleich auch noch ein komplettes Abendessen. Könnt daher gut sein, dass ich die letzten Wochen etwas zugenommen hab…

Neben dem entspannten Teil hatte ich in Isfahan auch einige Behördengänge zu erledigen, denn da ich bereits vier Wochen im Iran bin, war es jetzt mal an der Zeit mein iranisches Visum zu verlängern. Das ging relativ problemlos. Einen Antrag ausfüllen, zwei Fotos abgeben, knapp 15 € bei einer Bank einzahlen und nach zwei Tagen war die Sache erledigt und ich hatte einen weiteren Stempel im Pass. So langsam füllt der sich und sieht auch schon längst nicht mehr so neu aus, wie am Anfang meiner Reise.

Naja, und so sind jetzt aus den geplanten fünf Tagen eben auch ganz schnell neun geworden. Aber weiter schlimm ist das nicht, denn wenn ich gerade etwas im Überfluss habe, dann ist es Zeit. Auf jeden Fall noch bis Anfang Oktober. Denn so lange muss ich noch warten, bis ich nach Usbekistan weiterreisen kann. Alles was ich bis dahin noch brauche, ist das Visum für China und das Flugticket nach Taschkent. Beides werde ich mir in Teheran besorgen und daher hab ich mich jetzt auch mal wieder auf den Rückweg gemacht. Aber den Zwischenstopp in Kashan, den wollt ich mir auf jeden Fall noch gönnen. Noch knapp zwei Stunden Fahrt, dann bin ich da….

 

 

Visastress und eine Planänderung

Eigentlich hatte ich mir das alles ja ganz anders vorgestellt: ein paar Tage in Teheran verbringen, Visa beantragen, gemütlich eins nach dem anderen abholen, mit dem Bus für zwei, drei Tage nach Isfahan fahren, dann zurück nach Teheran und anschließend mit dem Rad weiter Richtung turkmenische Grenze. Das war der Plan. So ganz geklappt hat das jedoch nicht. Immerhin bin ich aber schon mal in Isfahan. Allerdings nicht mit dem Bus sondern mit dem Rad. Und dazu visatechnisch auch noch mit fast leeren Händen. Momentan also kaum ein Grund für Jubelschreie. Was meine Visa betrifft ist Teheran irgendwie ganz anders verlaufen, als ich mir das erhofft hatte. Aber, was soll ich machen… Zumindest hatte ich in den letzten Tagen ein bisschen Zeit, um meine Situation zu überdenken und mir einen Plan B zurechtzulegen. Und jetzt hoffe einfach mal, dass der aufgeht.

Aber der Reihe nach. Anfangs sah alles eigentlich ganz gut aus. Bei meinem Visamarathon hab ich auf jeden Fall einen Bilderbuchstart hingelegt. Die Beantragung des usbekischen Visums verlief ohne jegliche Probleme. Keine zehn Minuten hat es gedauert, schon war das Visum in meinen Pass geklebt und ich konnte wieder gehen. Geholfen hat mir hier, dass ich mir im Vorfeld die empfohlene Referenznummer besorgt hatte. Mit einem deutschen Pass braucht man die zwar nicht unbedingt, aber mit nur 70,-€ Einsatz lässt sich die Wartezeit auf das Visum, von ansonsten mehreren Tagen, auf nur wenige Minuten verkürzen. Und das war es mir auf jeden Fall Wert. Beim dem Visum für China fing das Drama dann aber an. Zwar hätte ich das auch ohne weiteres bekommen können, allerdings wäre mir für die Einreise lediglich ein Zeitfenster von 30 anstatt 90 Tagen eingeräumt worden. Eine neue Regelung. Bis vor kurzem wurde das auf jeden Fall noch anders gehandhabt.

Mit dem Flugzeug oder Bus wär das sicher kein Problem, aber mit dem Fahrrad ist die Strecke von Teheran nach China in 30 Tagen kaum zu bewältigen. Theoretisch wär es vielleicht machbar, aber genießen könnt man das sicher nicht mehr. Geschweige denn, dass man Zeit hätte sich irgendetwas anzuschauen, oder mal ein paar Tage irgendwo zu bleiben. Daher scheidet diese Option für mich aus. Das Visum für China in einem Folgeland zu besorgen wäre möglich, allerdings scheint es, als würden sich die Vergabekriterien immer wieder mal ändern, so dass ich heute nicht sicher sagen könnte, ob ich mein Visum für China dann später auch so ohne Weiteres erhalten würde. Und China möchte ich schon gern sehen. Teheran hingegen wäre visatechnisch – zumindest aktuell – eine ziemlich sichere Sache. Vor allem würde es sehr schnell gehen. Und das ist ein entscheidender Punkt. Denn bei meiner Routenplanung spielt das Wetter ja ebenfalls eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Vermeiden will ich auf jeden Fall erst im November über die Berge nach China zu fahren. Ich denk, das wär dann einfach viel zu kalt. Daher wär es gut, wenn das mit den ganzen Visa so schnell wie möglich erledigt wäre.

Nach langem Hin und Her und einigen schlaflosen Nächten hab ich mich nun dazu entschieden, von Teheran aus nach Taschkent in Usbekistan zu fliegen und dann von dort mit dem Fahrrad über den Irkeshtam-Pass nach China einzureisen. Das war jetzt für mich die naheliegendste Lösung. Das einzige Problem an dieser Sache ist, dass mein usbekisches Visum erst ab den 01.10. gilt, da ich ja eigentlich noch nach Turkmenistan wollte und daher den Gültigkeitszeitraum entsprechend nach hinten verlegt habe. Vor dem 01.10. kann ich also nicht nach Usbekistan einreisen. Mein iranisches Visum läuft jedoch schon in knapp 10 Tagen aus. Allerdings kann ich das wohl recht einfach verlängern. Ich hoff daher mal, dass das so klappt. Dann würde ich bis Ende September im Iran bleiben und anschließend nach Usbekistan fliegen. Und Turkmenistan, das lass ich jetzt einfach ganz weg. Ziemlich Schade, aber das scheint für mich jetzt einfach am sinnvollsten zu sein.

Und da ich ja nun nicht mehr, wie gehofft, bis nach China durchfahren kann, hab ich mich dazu entschlossen wenigstens die Strecke bis Isfahan komplett mit dem Rad zurückzulegen. Irgendein markantes Ziel wollt ich schon gern haben, ab dem ich dann zum ersten Mal auf ein anderes Verkehrsmittel umsteige. China wär meine Idealvorstellung gewesen, aber mit Isfahan kann ich mich auch ganz gut arrangieren. Im Iran war Isfahan für mich ja sowieso immer das Ziel schlechthin gewesen. Zum einen weil es eine der schönsten Städte des Landes sein soll und mir immer wieder als Reiseziel empfohlen wurde und zum anderen, weil es ja die Partnerstadt von Freiburg ist. Und als bekennender Wahlfreiburger wollt ich schon lange mal nach Isfahan fahren und mir die Stadt anschauen. Hier kann ich dann hoffentlich auch mein Iranvisum verlängern. Zurück nach Teheran würd ich dann nach vier, fünf Tagen fahren, um dort dann Ende September das Visum für China zu beantragen. Dann hätt ich genügend Zeit für die Einreise und wär auch nicht zu spät in den Bergen. So sieht er nun aus, mein neuester Plan.

Am letzten Dienstag mach ich mich daher auf die knapp 450 Kilometer lange Etappe von Teheran nach Isfahan. Landschaftlich sehr beeindruckend geht es dabei immer am Rand der Wüste Dasht-e-Kavir entlang. Abgesehen von dem gelegentlich recht hohen Verkehrsaufkommen ist es hier richtig einsam. Städte oder auch kleinere Ortschaften finden sich kaum, so dass ich nun zum ersten Mal auch ein bisschen auf meinen Wasservorrat schauen muss. Sicher, wenn mir das Wasser ausgehen würde, könnte ich bestimmt ein Auto anhalten. Da ich ja auf der alten Verbindungsstraße von Teheran nach Isfahan unterwegs bin und es hier genügend Fahrzeuge gibt, wär das auf jeden Fall kein Problem. Verdursten müsste ich also nicht. Aber es ist doch schon ein ganz anderes Fahren als bspw. in Armenien, wo es überall Brunnen gibt, an denen man immer schnell mal seine Wasservorräte auffrischen kann. Die Abstände zwischen den einzelnen Versorgungsmöglichkeiten sind hier auf der Strecke auf jeden Fall deutlich größer.

Zu schätzen gelernt habe ich außerdem den Vorteil einer guten und aktuellen Karte. Eine solche hab ich nämlich nicht. Wobei es nicht so ist, dass ich nicht danach gesucht hätte. Aber es gibt hier kaum Läden, die brauchbare Karten anbieten. In Tabriz, ganz am Anfang meines Iran-Aufenthaltes, war ich in mehreren Buchhandlungen, ohne Erfolg. Die einzige Karte, die ich in einem kleinen Laden bekommen habe, ist eine Straßenkarte aus dem Jahr 2007, die eine Übersicht über den gesamten Iran zeigt. Allerdings ist diese bei weitem nicht mehr auf dem neuesten Stand, weswegen ich kurz hinter Teheran auf einmal an einer Autobahnauffahrt stehe, wo laut Karte eigentlich eine normale Landstraße hätte sein sollen. Die 40 Kilometer zur letzten Abzweigung muss ich daher wieder zurückfahren. Aus diesem Grund orientiere ich mich seitdem mittels einer Kombination aus Straßenbeschilderung, meiner ungenauen analogen und einer sehr einfachen digitalen Landkarte. Und so hat das dann auch einigermaßen geklappt. Verfahren hab ich mich seitdem zumindest nicht mehr.

Um noch ein wenig mehr von der Umgebung zu erleben, hab ich auf dem Weg nach Isfahan einige Pausen eingelegt. Bei den vielen Kilometern und dem Visastress ist das bisher eindeutig zu kurz gekommen. So mache ich in Ghom Halt, dem religiösen Zentrum des Iran. Hier bleibe ich einen Tag und schaue mir die Stadt an, vor allem die Imam-Hassan-Moschee sowie den Heiligen Schrein der Fatima, einem Gebäudekomplex, der zu den wichtigsten religiösen Orten im Iran zählt und mit seinen vielen Kuppeln und Minaretten auch aus architektonischer überaus beeindruckend ist. Sicher auch aufgrund dieser religiösen Bedeutung ist Ghom eine eher konservative Stadt. Hier sehe ich auffallend viele verschleierte Frauen. Auf jeden Fall deutlich mehr, als in anderen Landesteilen.

Nach Ghom führt mich mein Weg nach Kashan. Hier lerne ich Elham kennen. Bei ihr und ihrer Familie kann ich für eine Nacht bleiben. Und das, obwohl sie alle am späten Abends mit dem Nachtbus zu den Großeltern ins knapp 800 Kilometer entfernte Busher fahren. Den Abend können wir aber noch zusammen verbringen. Wir schauen uns viele Fotos an. Vor allem von Kashan, dem Salzsee Namak und der Wüste, an die Kashan direkt grenzt. Die Bilder finde ich so beeindruckend, dass ich am nächsten Tag gern einen kleinen Abstecher mit meinem Rad dorthin machen möchte. Elham meinte aber, dass sie mir das mit dem Fahrrad nicht empfehlen würde. Zu weit und zu heiß. Aber sie könnte einen Guide organisieren, der mich dorthin bringt. Gesagt, getan. Und so steht schnell das Programm für den nächsten Tag fest. Mein Fahrrad und das ganze Gepäck kann ich für die Zeit bei Elham lassen. Kein Problem.

Pünktlich um 16 Uhr steht dann am nächsten Tag der Fahrer mit einem Nissan-Geländewagen vor der Tür und holt mich ab. Kashan liegt schnell hinter uns und schon bald befinden wir uns in der Wüste. Über staubige Sandpisten geht es dann immer weiter in diese hinein. Immer mal wieder halten wir an und laufen ein Stück, schauen uns um und machen Fotos. Ganz still ist es. Das war das Erste, was mir beim Verlassen des Autos auffällt. Absolute Ruhe. Kein Gehupe, kein Motorenlärm, keine Stimmen, kein Vogelgezwitscher. Allenfalls der Wind. 40 Kilometer sind es bis zur Karawanserei Marandjab. Die erreichen wir nach einer Stunde. Aber wir fahren noch ein Stück weiter zu einer 150 Meter hohen Sanddüne, einer der größten Dünen im Iran. Und da klettern wir hoch. Ganz oben legen wir uns im Windschatten der Düne in den Sand. Der Guide meint zu mir, ich soll mal die Augen zu machen und ganz ruhig da liegen. Und dann hör ich auf einmal nichts mehr. Nur noch meinen Herzschlag und meinen Atem. Unglaublich fühlt sich das an. Man liegt irgendwo draußen und spürt die Weite um sich herum, aber man hört nichts mehr, nur noch sich selbst. Und wenn man dann kurz die Augen öffnet, sieht man nichts als Sanddünen, die vom untergehenden Sonnenlicht angestrahlt werden. Mir kommt es vor, als hätt ich dieses Bild schon viele Male gesehen. Es sieht fast aus, wie in einem Hochglanzprospekt, nur viel, viel beeindruckender.

Die Nacht verbringen wir in der Karawanserei. Mit uns sind hier noch einige andere Gäste. Unter anderem zwei Radfahrer aus Jena. Es wär also doch machbar gewesen mit dem Rad. Dieser Gedanke wird mich in den nächsten Tagen nicht mehr loslassen…

Seit gestern bin ich jetzt in Isfahan. Ausspannen, die Stadt anschauen und mein iranisches Visum verlängern. Das steht die nächsten Tage auf dem Programm. Und mal sehen, vielleicht werd ich auf dem Rückweg nochmal einen Zwischenstopp in Kashan einlegen und in die Wüste fahren. Das wärs….

 

 

Der Iran – Erste Tage und Eindrücke

„Welcome to Iran.“ Seit ich im Iran bin, höre ich diesen Satz immer wieder. Eigentlich jeden Tag. Das erste Mal gleich an der Grenze, wo ich von einer Gruppe Iranern begrüßt werde, die mit mir auf die Einreise warten. Was die überschwängliche Gastfreundschaft der Menschen hier betrifft, wurde ich ja sozusagen vorgewarnt. Das bleibt gar nicht aus, denn je näher man diesem Land kommt, desto häufiger trifft man Menschen, die bereits hier waren und die in den höchsten Tönen von Land und Leuten schwärmen. Aber auch schon während meiner Reisevorbereitungen habe ich ständig von der großen Gastfreundlichkeit im Iran gelesen. Und sicherlich war das auch mit ein Grund dafür, dass ich hier unbedingt her wollte. Ich wollte das Land und die Menschen gern selbst mal erleben. Gerade auch weil der Iran im Westen ja nicht unbedingt das positivste Image hat und es auch nicht nur zustimmende Rückmeldungen gab, als ich sagte, dass der Iran auf meiner Reiseroute liegt. Daher war ich im Vorfeld auch schon ganz gespannt auf die Begegnungen hier. Und die sind ganz oft einfach absolut überwältigend. Wirklich jeden Tag treffe ich hier Menschen, die so überaus herzlich und hilfsbereit und bemüht sind, dass ich manchmal nur noch mit offenem Mund dastehen und staunen kann. In dieser Menge hab ich das bisher in keinem Land auf meiner Reise erlebt.

Oftmals sind es Kleinigkeiten, nur flüchtige Begegnungen, die mich ganz sprachlos machen: ein Motorradfahrer, der neben mir auf der Landstraße hält und aus seiner Tasche einen Apfel holt, mir diesen in die Hand drückt und sagt, dass der mir ein paar Meter weiter hinten aus meiner Tasche gefallen ist. Oder ein Pärchen auf dem Motorrad, dass neben mir an der roten Ampel steht, beim Weiterfahren kurz lächelt und winkt, mich dann nach etwa fünfzehn Minuten wieder überholt, anhält und eine Flasche mit eiskaltem Mineralwasser zu mir herüberreicht, wieder lächelt und winkt und dann weiter fährt. Nach solchen Aktionen muss dann oft erstmal innehalten und mich sammeln und manchmal steh ich dann noch eine Weile da und frage mich, ob das gerade wirklich passiert ist. Immer wieder bin ich aufs Neue von dieser Aufmerksamkeit und Herzlichkeit fremden Menschen gegenüber beeindruckt und besonders davon, dass manche das eben auch einfach direkt in die Tat umsetzen und wegen eines Apfels auf der Straße anhalten oder irgendwem auf der Straße eine Flasche Wasser kaufen.

Diese Hilfsbereitschaft erlebe ich hier häufig. Und auf ganz unterschiedlicher Art und Weise. In der Stadt, auf Campingplätzen, in Unterkünften geben mir Passanten oder Gäste ihre Telefonnummern für den Fall, dass ich irgendwelche Probleme oder Fragen habe, am Zelt werde ich abends angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung ist oder ich noch irgendetwas brauche. Oder ich bekomme von wildfremden Leuten, die mich beim Einchecken sehen, Essen ans Zelt oder auch mal ins Hotel gebracht. Diese große Herzlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch meinen bisherigen Aufenthalt im Iran und macht es mir extrem leicht, mich in diesem Land sehr wohl zu fühlen.

Zugleich sind manche Dinge aber natürlich ganz anders als bei uns und zum Teil auch ziemlich gewöhnungsbedürftig. Zum Beispiel das oftmals deutlich geringere Distanzverhalten in Gesprächen. Schnell geht es da dann um recht persönliche Dinge, bspw. um die Höhe des Gehalts, den Familienstand oder ob man Kinder hat. Und wenn man keine hat oder nicht verheiratet ist, will man gern den Grund dafür wissen. Wobei ich mich damit aber noch ganz gut arrangieren kann. Was ich viel anstrengender finde, ist eine spürbare Distanzlosigkeit fremdem Eigentum gegenüber. Zumindest war das jetzt öfter mein Eindruck. Eh man sich versieht, wird dann ungefragt schnell mal alles am Fahrrad angefasst und ausprobiert, geklingelt, an der Schaltung herumgedrückt, der Reifendruck geprüft, das eigene Kind für ein Erinnerungsfoto aufs Fahrrad gesetzt oder ein tiefer Blick in die Lenkertasche geworfen. Auch wenn diese verschlossen ist. Es ist nicht immer so, dass mich das stört, aber manchmal eben schon.

Was ich momentan allerdings wirklich anstrengend finde ist, dass ich durch das 30-Tage-Visum ziemlichen Zeitdruck habe. Zum einen ist der Iran ja ein riesiges Land. Daher hat es auch knapp 10 Tage gedauert, bis ich überhaupt erstmal in Teheran angekommen bin. Zum anderen muss ich jetzt in Teheran sämtliche Visa für meine Weiterreise besorgen: die Visa für Usbekistan, Turkmenistan und China. Und das kann dauern, wie ich ja schon bei meinem iranischen Visum gesehen habe. Sicher, ich hätte von der Grenze auch mit dem Bus hierher fahren können. Kurzzeitig hatte ich das auch überlegt, aber weil es ja eigentlich mein Ziel war bis China jeden Meter mit dem Rad zu fahren, habe ich bisher auf andere Verkehrsmittel verzichtet. Aber ob das weiterhin so machbar ist, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Ich bin gespannt….

Um möglichst schnell in Teheran anzukommen, bin ich  ab Jolfa daher praktisch ausschließlich auf einer Transitstraße gefahren. Landschaftlich war das überraschenderweise ziemlich abwechslungsreich und schön gewesen. Insbesondere der mittlere Teil. Hauptsächlich ging es durch karge, wüstenartige Bergregionen. Und der Verkehr war, abgesehen von den Ballungszentren auch erträglich. Aber auf einer Strecke von knapp 750 Kilometern gibt es natürlich auch Abschnitte, bei denen man froh ist, wenn man diese hinter sich gebracht hat. Aber da muss man dann durch. Es kann halt nicht überall schön sein. Und trotzdem fand ich diese Strecke absolut lohnenswert, denn unterwegs habe ich jeden Tag Menschen getroffen, die mir die erste Woche im Iran zu einer der schönsten meiner bisherigen Reise gemacht haben.

Ganz besonders bleibt mir die Begegnung mit Abas in Erinnerung. Abas und ich haben uns ganz zufällig auf der Straße getroffen, als er von der Feldarbeit auf dem Weg nach Hause war. Nach der Frage, woher ich komm und wohin die Reise geht, hat mich Abas dann auch gleich zu sich nach Hause zum Essen eingeladen. Erst gab ich Abas noch zu verstehen, dass ich heute noch ziemlich weit fahren muss. Aber er ließ nicht locker. Schließlich werde ich doch sicher Hunger haben. Und außerdem würde es ja auch nicht lange dauern. Kurz etwas essen, dann kann ich auch schon weiter fahren.

Also gut. Wir fahren von der Straße runter in das Dorf in dem Abas wohnt. Es ist ein kleines Dorf mit nur wenigen Häusern. Ich habe Mühe Abas auf seinem Motorrad über die unebenen Straßen zu folgen. Aber schon nach wenigen Hundert Metern stehen wir dann aber am Tor zu seinem Grundstück. Er zeigt mir erstmal die kleine Garage und die neue Toilette im Garten, auf die er sichtlich stolz ist. Und dann soll ich schon mal vorgehen, ins Haus. Er zieht sich noch schnell um. Ich bin ganz gespannt, wie es wohl in einem iranischen Haus aussieht. An der Tür ziehe ich mir die Schuhe aus und betrete dann gleich das Wohnzimmer. Ein schlichtes Zimmer ohne Möbel. Nur der Fernseher steht auf einem kleinen Schränkchen. Der Boden ist komplett mit Teppichen ausgelegt, an der Wand lehnen Kissen. Obwohl der Raum so leer ist, find ich ihn ganz gemütlich. Abas und ich setzen uns auf den Boden. Seine Frau bringt Tee und bereitet dann das Essen vor. Ich zeige Abas Fotos aus Freiburg und meinem Zuhause, woraufhin er auch ein Fotoalbum holt und mir Bilder von sich und seinen Kindern zeigt.

Nach dem Tee wird eine Tischdecke auf dem Boden ausgebreitet und dann kommt auch schon das Essen. Es gibt Reis und eine scharfe Soße mit Gemüse und Fleisch. Dazu Weintrauben und Brot. Und eine Cola. Sogar mit Eiswürfeln. Es schmeckt ganz fantastisch und ich ess ganz langsam, um jeden Bissen genießen zu können. Nach dem Essen gibt es nochmal Tee. Und dann muss ich mich bald wieder auf den Weg machen. Es ist ja schon halb drei und im Prinzip hab ich noch meine gesamte Tagesetappe vor mir. Abas bringt mich noch an die Straße, es gibt ein Küsschen rechts und links und dann bin ich auch schon wieder unterwegs.
Beeindruckend fand ich es bei Abas und seiner Frau zu Hause. Wie anders es hier doch im Vergleich zu Armenien ist. Das hat noch ziemlich europäisch auf mich gewirkt, wie Serbien oder Rumänien. Aber der Iran, ein Sprung in eine ganz andere Welt ist das.

Am Dienstag schließlich bin ich in Teheran angekommen. Hier hab ich mich in einem kleinen Hotel im Zentrum der Stadt einquartiert. Es hat fast Hostelatmosphäre, denn hier gibt es viele Rucksackreisende aus zumeist mitteleuropäischen Ländern. Ich hab hier sogar jemanden aus Freiburg getroffen. Unglaublich. Wie klein die Welt manchmal ist. In Teheran werde ich die nächsten Tage mit Antragsformularen und Behördengängen verbringen. Ich hoffe mal, dass das nicht länger als eine Woche dauert. Und in einer Woche werde ich dann auch hoffentlich wissen, wie es von hier weitergeht. Es gibt zwei Optionen: das Fahrrad oder das Flugzeug. Mal sehen, was kommt…

 

 

Ankunft im Iran

In engen Windungen schlängelt sich die M2 den Berg hinauf. Ich bin kurz vor dem Kajaran-Pass – der letzten großen Anhöhe vor Meghri und der Grenze zum Iran. Es ist heiß, ich bin total durchgeschwitzt und viel mehr als Schritttempo ist nicht mehr drin. Seit ich am späten Vormittag in Kapan gestartet bin, ging es nur bergauf. Die ganze Zeit. Ohne Unterbrechung. Fast vierzig endlose Kilometer. Mal sechs, mal acht und auch mal zwölf Prozent Steigung. Auf den letzten Kilometern scheint einem Armenien nochmal alles abzuverlangen. Also, ich fahr ja wirklich gern in den Bergen, ich mag die körperliche Herausforderung und den Augenblick, wenn ichs dann geschafft hab und am Gipfel angekommen bin. Aber heute ist irgendwann ein Punkt erreicht, wo ich absolut keine Lust mehr hab, überhaupt gar nicht mehr, wo ich anhalte und meinem Ärger lauthals Luft mache. Kann denn dieser verdammte Berg nicht mal irgendwann zu Ende sein?!? Kurze Zeit später fängt dann hinter mir ein Auto an mich langsam zu überholen. Immer noch verärgert denk ich mir, wenn du jetzt auch noch hupst… Aber nichts dergleichen. Stattdessen lächelt der Fahrer durchs offene Fenster ganz euphorisch zu mir herüber und streckt beide Daumen in die Höhe. Das war irgendwie heilsam. Ich bin so perplex, dass ich kurz danach selber lachen muss. Vor allem über mich und mein Gemeckere…

Armenien war auf meiner Reise körperlich das bisher anstrengendste Land. Also mit großem Abstand. Ständig war es heiß und ständig gings bergauf oder bergab, abgesehen von einer kurzen Etappe hinter Jerewan. Knapp 10000 Höhenmeter sind in den 700 Kilometern Armenien zusammengekommen. Ich freu mich jetzt zur Abwechslung daher auch mal wieder auf etwas flachere Streckenabschnitte. Aber trotz dessen, dass Armenien mich nicht nur ein Mal extrem gefordert hat, werde ich das Land in sehr angenehmer Erinnerung behalten. Die Landschaft fand ich überwältigend schön und von den Menschen wurde ich so oft so herzlich aufgenommen. Ich hab mich hier richtig wohl fühlen können und bin daher von diesem kleinen Land total begeistert.

Aber ein paar Meter sinds ja noch bis zur Grenze. Am Kajaran-Pass kann ich fürs erste aufatmen. Ab jetzt geht es nämlich nur noch bergab. Bis zur iranischen Grenze. Erstmal genieße ich aber den Ausblick, setz mich irgendwo ins Gras, ess eine Kleinigkeit und mach mich dann auf den Weg ins Tal. Und schnell sind da Ärger und Anstrengungen der letzten Stunden wieder vergessen. Kurz vor Meghri füll ich an einem Brunnen meine leeren Wasserflaschen auf. Ich will gerade weiterfahren, da winkt mich jemand zu seinem Haus. Avo heißt dieser jemand. Und Avos erste Frage ist, ob ich lieber Kaffee oder Tee haben möchte. Die Entscheidung fällt mir nicht schwer – Kaffee, ganz klar. Und so stehen kurze Zeit später zwei Tassen Kaffee auf dem Tisch. Wir sitzen eine ganze Weile zusammen und unterhalten uns über alles Mögliche. Und einmal mehr bin ich froh, dass ich vor der Reise meine verstaubten Russischkenntnisse aus der Schule aufgefrischt habe. Denn Englisch ist, abgesehen von den großen Städten, kaum verbreitet. Viele sprechen jedoch Russisch und so konnt ich mich in Armenien und auch in Georgien ganz gut verständigen. Ich hab natürlich längst nicht alles verstanden, aber für eine einfache Kommunikation hats allemal gereicht.

Diesbezüglich bin ich mal auf den Iran gespannt. Hier bin ich gestern angekommen. Endlich der Iran!! Das war ja das große Etappenziel auf meiner Reise. Hier wollte ich unbedingt hin. Und jetzt bin ich da, nach fast 7000 Kilometern. Auf den ersten Metern kann ich das noch gar nicht richtig fassen. Unglaublich, ich bin im Iran!! In Jolfa hab ich daher heute mal einen Tag Pause gemacht. Einfach, um mich ein bisschen akklimatisieren zu können und um die vielen neuen Eindrücke aufzunehmen. Morgen früh werd ich dann in Richtung Teheran aufbrechen. In Teheran geht der Visamarathon dann in die nächste Runde. Daher werd ich sicher einige Tage in Teheran verbringen müssen. Und ich hab ja erstmal nur ein 30-Tage-Visum bekommen. Dazu sinds knappe 750 Kilometer bis Teheran. Von daher hab ich, kaum bin ich hier, schon wieder ziemlichen Zeitdruck.   Ich hoff mal, dass ich bis zum nächsten Sonntag in Teheran angekommen bin. Zeitlich wär das noch einigermaßen im Rahmen.

 

 

Zwei Nächte in Lanjanist

Ein Müsli, drei Tassen Kaffee und ich bin startklar. Meine Taschen hab ich gestern Abend schon gepackt, daher brauch ich die jetzt nur noch am Fahrrad festzumachen und kann losfahren. Und es ist gerade erst 8:30 Uhr. Nicht schlecht. Erstmal raus aus Jerewan. Dank meiner neuen Karte von Armenien inklusive Stadtplan find ich den Weg ohne Probleme. Mein nächstes großes Ziel ist Meghri, ganz im Süden von Armenien. Wenn alles läuft wie geplant, werde ich hier in der kommenden Woche die Grenze zum Iran überqueren. Bis dahin sinds aber noch knapp 400 Kilometer. Und die werden ziemlich anstrengend. Denn flache Abschnitte gibt es weiterhin kaum. Es geht bergauf und bergab. Die ganze Zeit. Und dazu bleibt es heiß, bis 38°C sind angekündigt. Ich rechne daher mal mit 70 Kilometern pro Tag. Das kann man gut schaffen. Auch bei der Hitze. Knapp eine Woche werde ich also noch bis zur iranischen Grenze brauchen.

Ab Jerewan fahr ich erstmal wieder auf der Bundesstraße M2. Das ist zwar recht unspektakulär, dafür gehts aber flott voran. Weil es flach ist und vielleicht auch, weil ich drei Fahrspuren für mich allein hab. Von ein paar Bauarbeitern wurde ich nämlich auf den noch gesperrten Abschnitt rübergewunken. Eine Autobahn ganz für mich allein. Hab ich auch noch nicht gehabt.
Es wird ziemlich schnell heiß. Gegen 10 Uhr ist längst nichts mehr von der angenehmen Morgenfrische zu spüren. Zu Trinken hab ich daher reichlich dabei. Insgesamt 4 Liter. Und unterwegs kann ich immer wieder an einem der vielen Brunnen nachtanken. Wenn sie denn Wasser haben. Das ist aber nicht immer der Fall. Daher sorg ich lieber vor.

Knapp 25 Kilometer südlich von Jerewan verlasse ich die M2. Ich hab mir wieder eine kleine Nebenstrecke ausgesucht, um die Gegend ein bisschen mehr zu erleben. Ich muss noch nicht mal einen großen Umweg fahren, denn nach gut 45 Kilometern treffen Nebenstraße und M2 wieder aufeinander. Und beide Abschnitte sind ungefähr gleich lang. Bevor es weiter geht, leere ich an einer Tankstelle aber erstmal mein warm gewordenes Wasser aus und fülle alle Flaschen mit kühlem Wasser. Innerhalb der nächsten Stunde wird das zwar wieder warm sein, aber wenigstens bis dahin ist es schön erfrischend. Ab Vedi wirds dann einsam. Laut Karte muss ich an vier kleinen Orten vorbeifahren und komme dann an eine Straße, die zu einem Kloster führt. Das möchte ich mir gern noch anschauen. Knapp 40 Kilometer sinds bis dahin. Und dann bin ich auch schon fast wieder auf der M2. Könnt ich bis zum Abend schaffen.
Aber so ganz geht mein Plan nicht auf, denn hinter Vedi wird’s langsam wieder bergiger. Das konnt ich auf meiner Karte nicht erkennen, denn auf der sind keine Höhenlinien eingezeichnet. Dass Berge kommen war klar, aber ich dachte eher zum Ende hin.

Das Fahren ist jetzt ziemlich anstrengend, denn es ist unglaublich heiß, es gibt kaum Schatten, viel Gegenwind und es geht stetig bergauf. Die Abschnitte zwischen den einzelnen Ortschaften fühlen sich daher endlos an, obwohl es ja immer nur etwa 10 Kilometer sind. Mein Wasser ist irgendwann auch wieder warm und trägt kaum noch zur Erfrischung bei. Aber glücklicherweise finde ich bald wieder einen Brunnen und kann meinen Wasservorrat auffüllen und mich ein bisschen abkühlen.  Gegen 18 Uhr bin ich noch immer meilenweit von meinem Kloster entfernt. Man, da hab ich mich aber echt verrechnet. Jetzt ist vollkommen klar, dass ich das nicht mehr schaffen kann und in den Bergen übernachten muss.

Bei Lanjanist frag ich einen Rinderhirten, ob ich hier irgendwo zelten kann. Natürlich kann ich. Überall. Aber ich kann auch mit zu ihm kommen, meint er. Da kann ich mich duschen. Und außerdem bereitet seine Frau gerade das Abendessen vor. Es sind nur ein paar Hundert Meter bis zu seinem Haus. Klingt verlockend. Ich bin mir unsicher, ob ich das annehmen kann und frag daher nochmal nach, ob es tatsächlich kein Problem ist. Kein Problem. Überhaupt nicht. Ich kann ruhig mitkommen. Und so laufen wir gemeinsam zu seinem Haus. Micha, so heißt der Hirte, zeigt mir kurz die Dusche und bringt mir ein Handtuch. Er muss dann aber nochmal los, die Rinder und Schafe von der Weide holen und in den Stall bringen. Aber in 20 Minuten ist er wieder da. Seine Frau Anna und seine Schwester kommen derweil aus dem Garten und fangen an das Abendessen zuzubereiten. Fast alles, was sie zum Leben brauchen, bauen sie selber an. Die Milch kommt jeden Morgen frisch aus dem Stall, und auch der Käse und die Wurst werden selbst gemacht. Das Abendessen schmeckt fantastisch und es gibt so viel, dass ich fast platze.

Kaum haben wir fertig gegessen, steht Alex, Michas Nachbar, in der Tür. Irgendwie hat er mitbekommen, dass Besuch da ist. Und so dauert nicht lang, da ist mein Abend und auch mein nächster Tag verplant. Heute will Alex mit mir auf die Baustelle seines neuen Hauses fahren. Dort gibts ein zweites Abendessen mit seinen Freunden und den Nachbarn, die Alex beim Hausbau behilflich sind. Und morgen findet die Geburtstagsfeier von Michas Neffen Arman statt. Und da steh ich jetzt auch auf der Gästeliste. Alex fährt seinen alten Lada vor und es geht los. Durch die Nacht und über steinige Feldwege. Mit schlafwandlerischer Sicherheit und ohne Rücksicht auf Verluste quält Alex seinen Lada Pisten entlang, die den Vergleich mit mitteleuropäischen Offroadparks nicht im Geringsten zu scheuen bräuchten.

Und während wir so durch die Nacht brausen, bin auf einmal ganz überwältigt von dieser großen Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die ich hier erfahre. Ich mein, Micha und Alex, die kennen mich ja überhaupt gar nicht. Ich bin einfach irgendein Fahrradfahrer, den Micha auf der Straße getroffen hat. Und trotzdem werd ich hier so herzlich aufgenommen, von Alex auf ein Abendessen oder von Micha nach Hause eingeladen und den Nachbarn und Freunden vorgestellt. Ich bekomm ein Handtuch, kann mich duschen, bekomm zu Essen und einen Platz zum Schlafen. Einfach so. Ganz selbstverständlich und vollkommen ungezwungen. Und ohne, dass irgendwer etwas dafür haben will. Für solche Erlebnisse und Erfahrungen bin ich wirklich unglaublich dankbar. Sie bereichern meine Reise ungemein.

Insgesamt zwei Nächte verbring ich bei Micha und seiner Familie in Lanjanist. Nach einem reichhaltigen Frühstück mach ich mich am Samstag dann wieder auf den Weg. Micha und Anna bereiten noch bergeweise Essen für mich vor. Brot, ihren Käse und Gemüse aus dem Garten. Und dazu eine kleine Flasche Wodka und eines von Michas Wodka-Gläsern. Schwer bepackt geht es damit zurück auf die M2, mit 40 Stunden Verspätung zwar, aber dafür reich beschenkt mit vielen Eindrücken und Erlebnissen.

Weiter geht es dann durch die Provinz Wajos Dsor und über den Vorotan-Pass Richtung Goris. Die Landschaft ist atemberaubend schön und lädt zu vielen Pausen ein. Der Aufstieg zum Pass ist lang, aber nicht so beschwerlich wie die Fahrt vorgestern. Vielleicht auch weil jeder dritte Autofahrer hupt, winkt oder den Daumen in die Höhe streckt. Kurz unterhalb des Passes bau ich am Abend mein Zelt auf und genieße die Ruhe und den Blick über die Berge.
In Goris bin ich gestern schließlich angekommen. Hier werd ich mich jetzt mit Dollar oder Euro für den Iran eindecken müssen, denn aufgrund der noch immer bestehenden Sanktionen ist es nach wie vor nicht möglich im Iran Geld abzuheben, so dass ich mein gesamtes Reisebudget in bar mitführen muss. Ich hoffe, dass ich am Mittwoch weiterfahren kann und dann am Freitag den Iran erreiche.