Zwangspause in Trabzon

„Come back on Tuesday!“ Nur vier Worte, aber die reichen, dass meine Stimmung augenblicklich in den Keller sackt. Dass es dermaßen schwierig wird ein Visum für den Iran zu bekommen hätt ich echt nicht gedacht. Aber immerhin geht es voran. Wenn auch nur häppchenweise. Zum dritten Mal bin ich jetzt im iranischen Konsulat und wenigstens das Antragsformular hab ich heut schon mal bekommen. Ein kleiner Fortschritt im Vergleich zu den letzten beiden Malen. Da konnt ich nämlich gleich wieder gehen, weil dem Konsulat aus nicht nachvollziehbaren Gründen meine Referenznummer noch nicht vorlag. Ein Anruf bei meiner Visaagentur und wie von Zauberhand lag meine Nummer dann aber auf einmal doch vor. Und jetzt steh ich hier am Schreibtisch der Sachbearbeiterin, alle Unterlagen sind vollständig und trotzdem muss ich noch einmal geschlagene sieben Tage auf die Ausstellung des Visums warten. Ich frag sie vorsichtshalber nochmal, ob sie nicht vielleicht doch „Thursday“ meint, das wär in zwei Tagen und würde sich deutlich besser anhören. Könnte ja möglich sein. Aber nein, es sind tatsächlich sieben Tage, wie sie in sehr bestimmtem Ton wiederholt.

Dass ich mein Visum nicht gleich am selben Tag bekommen würde, hab ich mir fast schon gedacht. Aber, dass es jetzt nochmal sieben Tage dauert…. Das fängt ja alles gut an mit den Visaanträgen. Ich will mir gar nicht ausmalen, was mich diesbezüglich in den nächsten Ländern erwartet. Aber es nutzt ja alles nichts. Hauptsache ich bekomms dann am Ende. Denn das steht ja auch noch in den Sternen. Jetzt muss ich jedenfalls erst mal schauen, dass ich die nächsten Tage irgendwie rumbekomme. Sieben Tage – das kommt mir vor wie eine Ewigkeit, denn ich bin ja schon vier Tage hier. Und so viele sehenswerte Ecken gibts in Trabzon nun auch wieder nicht. Aber irgendetwas wird sich da schon finden.

Glücklicherweise hab ich bei meinem ersten Konsulatsbesuch Holger kennengelernt. Holger kommt aus Deutschland und will ebenfalls in den Iran reisen. Anders als bei mir, lag seine Referenznummer jedoch von Anfang an vor und anders als ich, muss Holger insgesamt nur fünf Tage warten. Holger ist mir gleich sympathisch. Wir verstehen uns auf Anhieb gut und verabreden uns daher gleich mal für den Abend, zum Iftar, dem Fastenbrechen bzw. dem Abschluss des Fastentages im Ramadan in Form eines Abendessens. Oft trifft man sich zum Iftar zu Hause mit der ganzen Familie. So ähnlich, wie an Weihnachten. Oder man geht irgendwo nach draußen und kocht oder grillt gemeinsam. Das kann bis in den späten Abend hinein dauern. Viele Restaurants bieten außerdem ein Iftaressen an.

Tagsüber sind die Restaurants wegen Ramadan allerdings mehr oder weniger leer. Gerade hier im konservativen Trabzon. Für den Abend werden dann aber die Tische vorbereitet und füllen sich bis 20 Uhr zusehends. Holger und ich gehen jedoch nicht in eines der normalen Restaurants sondern treffen uns in der Nähe des Atatürk-Parks, wo Tische, Bänke und Pavillions aufgestellt sind und für jeden ein kostenloses Iftaressen angeboten wird. Der Andrang ist immer recht groß, es ist aber nie so, dass man kein Essen mehr bekommen würde. Gesponsert wird das Essen von einigen Trabzoner Bürgern, die während des Ramadan nicht fasten und anstelle dessen eben etwas spenden.

Wir treffen uns meist gegen 19:45 Uhr und setzen uns mit unserem Essen an einen der zahlreichen Tische. Und dann warten wir, bis gegen 20 Uhr mit einem lauten Knall und dem Gebetsruf des Muezzins das Iftaressen eröffnet wird. Mir schmeckts wie immer total gut und ich bin danach auch meist pappsatt. Genauso schnell, wie alles begonnen hat, ist es dann aber auch wieder vorbei. Schon um 20:30 Uhr ist kaum noch jemand an den Tischen zu sehen. Wir gehens da eher gemütlich an, lassen uns Zeit und erzählen immer noch eine ganze Weile. Mit uns am Tisch sitzen meist auch noch Fatih und Fikret. Die beiden hat Holger hier in Trabzon kennengelernt. Oft verbringen wir noch den restlichen Abend zusammen und gehen nach dem Iftaressen in und um Trabzon noch irgendwo Tee trinken. Das ist immer sehr kurzweilig und ein schöner Ausklang des Tages.

Im Vergleich dazu verlaufen für mich die Tage eher etwas unspektakulär ab. Meist verbring ich die im Hostel, frühstücke ausgiebig, werkel an meinem Fahrrad herum, plan ein bisschen für Georgien vor oder aber vertrödel den Tag einfach. Ist ja auch mal ganz angenehm, das Nichtstun zu genießen.

Da mir Elif, die Hostelbesitzerin, beim Frühstück immer von den Sehenswürdigkeiten um Trabzon vorschwärmt, mach ich mich am Freitag auf zum Kloster Sümela. Das liegt eine knappe Autostunde von Trabzon entfernt und ist – überaus imposant – in eine Felswand hineingebaut. Das Kloster wurde bereits im 4. Jahrhundert errichtet, wurde dann nach und nach immer weiter ausgebaut und war wohl lange Zeit ein wichtiger Wallfahrtsort sowohl für Christen als auch für Muslime. Viel über das Kloster erfährt man vor Ort leider nicht. Die für Besucher geöffneten Gebäudeteile sind alle leer und Führungen wurden keine angeboten. Ziemlich schade wie ich finde, denn die Geschichte des Klosters ist mit Sicherheit sehr interessant. Nichtsdestotrotz fand ich den Besuch sehr beeindruckend. Allein schon von der architektonischen Seite.

Zwei Tage bleiben mir jetzt noch in Trabzon, bis ich dann am Dienstag um 16 Uhr mein Visum abholen kann. Hoffentlich klappt das jetzt endlich. Falls nicht, hab ich mir aber schon eine Alternativroute über Russland gesucht. Aber erst mal abwarten. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Ab Mittwoch gehts auf jeden Fall weiter in Richtung Georgien. Nach sechs Wochen Türkei wirds irgendwie Zeit. Ich brauch mal wieder eine Veränderung und freu ich mich jetzt schon richtig auf einen Tapetenwechsel.

 

Vom Schwarzen Meer ans Schwarze Meer

Ich steh in Karasu auf einem Zeltplatz und es regnet und regnet. Es regnet in einer Tour. Obwohl, dass es regnet ist eigentlich maßlos untertrieben. Es gießt und schüttet wie aus Eimern. Und das schon seit Stunden. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so etwas schon einmal erlebt hätte. Einerseits freut mich das ja, denn so seh ich mal, dass mein Zelt wirklich dicht hält. Andererseits hab ich im Regen aber auch jede Menge zu tun. Denn der Boden ist mittlerweile so nass, dass das Regenwasser kaum noch versickert und sich regelmäßig unter meinem Zelt sammelt. Ich steh mit meinem Zelt daher immer wieder im Wasser. Zwei Mal schon bin ich umgezogen. Das heißt Klamotten, Schlafsack und sonstiges Equipment in den Taschen verstauen, alles nach draußen schleppen, irgendwo unterstellen und das Zelt umsetzen. Immer zum nächstgelegenen, noch nicht überschwemmten Fleckchen. Die werden mit der Zeit aber immer weniger.

Ich hab aber Glück. Der dritte Zufluchtsort hält, was er verspricht. Und da der Regen irgendwann etwas nachlässt, bestehen berechtigte Hoffnungen, dass das der letzte Umzug war. Naja, ich will mich ja gar nicht über das Wetter beklagen. Bisher war es ja wirklich herausragend gut gewesen, sieht man mal von den ersten beiden Wochen ab. Viel machen kann ich heut aber trotzdem nicht. Ans Weiterfahren ist jedenfalls nicht zu denken, das würde überhaupt keinen Sinn machen. Und so verbring ich den Tag einfach damit im Zelt zu liegen, die nächsten Tage zu planen und mal ein bisschen auszuspannen. Muss ja auch mal sein.

Ursprünglich wollt ich ja bis Trabzon, im Osten der Türkei, komplett an der Schwarzmeerküste entlang fahren. Diesen Plan verwerfe ich jetzt aber, denn die Wetteraussichten im Küstenbereich bleiben die nächsten Tage ziemlich durchwachsen. Im Inland hoff ich einfach mal auf besseres Wetter. Zudem wechseln sich an der Küste Anstiege und Abfahrten in kurzen Abständen ab. Nicht, dass ich nicht gerne in den Bergen fahre, aber das Teilstück von Istanbul nach Karasu hat mich schon ziemlich aufgehalten und war, insbesondere bei den aktuellen Wetterbedingungen, nicht sehr angenehm zu fahren gewesen. Anstatt am Schwarzen Meer entlang zu fahren, hab ich mir daher überlegt eine etwas südlichere Route zu nehmen. Mit 950 Kilometern wär die zudem deutlich kürzer, als die Küstenstraße. Und abgesehen davon könnt ich ja trotzdem noch am Schwarzen Meer entlang fahren, da die letzten 350 Kilometer beider Strecken identisch sind.

Lange Rede, kurzer Sinn, die nächste Abzweigung nach Süden ist meine. Nach einem kurzen Blick auf die Karte ist klar, bis Akcakoca muss ich auf der Küstenstraße bleiben und kann dann über die D-655 nach Süden fahren. Nicht weit. Nur etwa 50 Kilometer, bis zur Fernverkehrsstraße D-100. Und der folge ich dann einfach.

Wie sich zeigt, ist das eine ganz gute Wahl. Der Verkehr ist überschaubar, die Straße ist perfekt ausgebaut, es gibt sogar einen breiten Seitenstreifen, so dass es sich vollkommen entspannt fahren lässt. Außerdem ist die Landschaft atemberaubend schön und sehr abwechslungsreich. Und auch das Wetter spielt mit. Es ist halbwegs stabil. Ab und an regnet es zwar, meist komm ich aber trockenen Rades voran. Gelegentlich passiere ich kleinere Ortschaften oder Tankstellen. Das heißt, die Versorgung ist auch gesichert. Zudem finden sich überall gute Möglichkeiten zum Zelten. Perfekte Reisebedingungen also.

Und darüber hinaus macht es auch einfach richtig viel Spass auf dieser Straße zu fahren. Gefühlt jeder dritte LKW-Fahrer hupt und winkt, die PKW-Fahrer ebenfalls. In den einsameren Straßenabschnitten halten die auch schon mal an und versorgen mich aus dem geöffneten Fenster mit Brot, Schokolade oder Getränken. Oder steigen gleich ganz aus. Und dann nimmt man sich Zeit für ein Gespräch und um das Fahrrad nebst Gepäck genau zu inspizieren. Alles kein Problem. Der Seitenstreifen ist schließlich breit genug und außerdem gibts ja die Warnblinkanlage. Ein Georgier, der auf der Durchreise ist, möchte mir dabei sogar einen Teil seiner Werkzeuge mitgeben. Nur für den Notfall…. Ich freu mich, lehn aber dankend ab, denn ich bin froh um jedes Gramm, was ich einsparen kann.

Nichtsdestotrotz macht mich die große Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen hier immer wieder sprachlos. Es ist manchmal ganz unfassbar. Wenn ich unterwegs bin, vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht irgendwo angehalten und eingeladen werde. Von der Straße weg, einfach so. Zum Tee trinken oder auf ein Essen, manchmal wird mir auch gleich ein Schlafplatz angeboten. Auf Märkten oder in Geschäften bekomme ich Obst geschenkt und an Tankstellen werde ich mit Wasser oder Knabbereien versorgt. Oftmals brauche ich in Teestuben den Tee nicht zahlen. Bei einer Familie, auf deren Grundstück ich zelten darf, bekomm ich ein Abendessen ans Zelt gebracht, anderswo ein Frühstück. Ich bin immer wieder aufs Neue beeindruckt und sehr dankbar für solche Erfahrungen.

Die nächsten Tage gehts immer auf verschiedenen Bundesstraßen entlang. Ab Merzifon dann auch wieder Richtung Norden nach Samsun. Auf dem Weg dorthin muss ich nochmal mit ordentlichen Steigungen kämpfen, dafür gibts aber dann am Ende eine schöne Abfahrt hinunter bis auf Meereshöhe, denn jetzt bin ich wieder an der Küste und fahr ab Samsun meist direkt am Meer entlang. Und es bleibt flach. So komm ich ganz flott voran und das ist mir auch ganz recht. Mitte Juli würd ich nämlich gern in Georgien ankommen. Und das könnt jetzt schon langsam eng werden. Ich muss ja noch nach Trabzon, um hier mein Visum für den Iran zu beantragen. Wenn ich Glück hab, bekomm ich das Visum noch am selben Tag, jedoch kann es auch sein, dass es einige Tage dauern wird. Und da find ichs dann ganz gut, wenn ich zeitliche Reserven habe.

Eine einprägsame Begegnung

Früher Morgen. Ich bin gerade in Kandira losgefahren und auf dem Weg nach Karasu am Schwarzen Meer. Es ist ziemlich hügelig und schon jetzt so unglaublich warm, dass ich mich richtig auf heut Abend freue. Ich stell mir immer wieder in den schillernsten Farben vor, wie ich nach fünf, sechs Stunden aufgeheizt und durchgeschwitzt am Strand ankomme, mein Fahrrad fallen lasse, ins Wasser renne und dann im kühlen Meer abtauche. Kopfkino vom Allerfeinsten.

Und dann sehe ich auf einmal in etwa 100 Metern Entfernung irgendetwas Beigefarbenes auf der Straße liegen. Sieht fast aus wie ein Schaf. Ich kanns noch nicht richtig erkennen. Erst nachdem es aufgestanden ist. Kein Schaf, sondern ein ausgewachsener Kangal, ein türkischer Hütehund, steht da auf der Straße und schaut in meine Richtung. Riesengroß, zumindest sieht das aus der Entfernung so aus. Ich bin ein bisschen unschlüssig, was ich jetzt machen soll, fahr aber erst Mal weiter und hoff, dass er einfach stehen bleibt und meine Anwesenheit möglichst uninteressiert zur Kenntnis nimmt. Das aber leider nicht der Fall, denn schon kommt er bellend auf mich zugelaufen. Sofort ist klar: anhalten, umdrehen und zurück. Und möglichst ohne große Hektik. Wobei mir das ganz schön schwer fällt. Insbesondere als ich merke, dass es nicht bei dem einen Hund bleibt. Hinter einem Zaun taucht auf einmal ein weiterer Kangal auf. Er verschwindet kurz im Gestrüpp, ich will schon aufatmen, da steht er auf einmal auf der Straße und rennt ebenfalls bellend hinter mir her. Und als würde das nicht schon reichen, kommen nochmal zwei Hunde dazu. Insgesamt sind jetzt drei Kangals und ein Rottweiler auf der Straße und laufen mir bellend nach. Nicht, dass mir zum ersten Mal Hunde bellend hinterherrennen würden. Seit Serbien kommt das immer wieder mal vor. Bisher waren die aber immer deutlich kleiner gewesen. Ich fahr in ruhigem und gleichbleibendem Tempo weiter und versuch einfach nur nach vorn zu schauen. Wie sonst auch. Und glücklicherweise drehen die Hunde dann irgendwann ab. Puh….

Noch 200 Meter, dann fahr ich an den Straßenrand und halte an. Meine Herren, was war das denn gewesen? Hier ist wohl erst mal Schluss mit Weiterkommen. Ich überleg, was ich machen kann. Im Prinzip bleibt eigentlich nur die Möglichkeit einen Umweg zu fahren, auch wenn das eventuell bedeutet, meine Planung für die nächsten Tage komplett zu ändern. Das passt mir ganz und gar nicht, aber etwas anders fällt mir nicht ein und die große Wahl hab ich ja auch nicht. Also hol ich meine Karte hervor, um meine Möglichkeiten auszuloten. Vielleicht finden sich ja irgendwelche kleinen Schleichwege.

Neben mir hält ein Auto. Eine junge Frau und ihre Eltern steigen aus. Sie haben die Szene mitbekommen und bieten gleich an, dass sie mir helfen werden. „We help you!“ Da ihr Auto voll ist, können sie mich und mein Fahrrad aber leider nicht einladen. Ihr Vorschlag ist, dass ich wieder umdrehen und vorfahren soll. Sie würden dicht hinter mir fahren und die Hunde auseinandertreiben. Ich weiß erst nicht so recht, was ich davon halten soll. Eigentlich kommt mir der Plan wie das reinste Himmelfahrtskommando vor. Aber die drei klingen so überzeugt und zuversichtlich, als würden sie das jeden Tag machen und als wär das überhaupt kein Problem. Und im Moment bin ich einfach nur froh, dass jemand da ist und mir helfen will. Irgendwo hab ich auch mal von einer ähnlichen Situation gelesen, in der das ganz genauso gemacht wurde. Naja, als letzte Möglichkeit könnt ich ja immer noch ins Auto springen.

Also gut, dann los. Ich dreh um und fahr wieder zurück. Neben mir das Auto. Mein Herz rast. Aber obwohl ich total aufgeregt bin, glaube ich, dass das klappen wird. Irgendwie gibt mir das Auto ein Gefühl von Sicherheit. Wir fahren die Straße runter und dann geht es wieder los. Die vier Hunde kommen bellend auf mich zugelaufen, das Auto hupt und gibt Gas, drängt sie auseinander und von der Straße. Ich fixiere irgendeinen Punkt in der Ferne und versuche möglichst ohne Hektik geradeaus zu fahren. Was dann weiter passiert, bekomme ich nur entfernt und am Rande mit. Es ist die pure Hektik. Ich hör das Auto hupen, hör und seh, wie es vor und zurück fährt, höre die Hunde hinter mir bellen oder sehe sie bellend neben mir herlaufen. Und zwischendrin immer wieder das Auto…

Das Ganze kann nicht länger als 30 Sekunden gedauert haben, aber mir kommt es wie eine kleine Ewigkeit vor. Irgendwann merk ich, dass die Hunde nicht mehr neben mir herlaufen sondern nur noch auf der Straße stehen und bellen. Und dann sind sie schließlich wieder verschwunden.

Als ich mich umdrehe fährt da nur noch das Auto. Es hupt mir nochmal zu und dreht dann um. Ich winke zum Abschied, streck den Daumen in die Höhe und fahre dann weiter. Der restliche Tag ist für mich aber gelaufen. An entspanntes Fahren ist nicht mehr zu denken. An jedem Hof mit offenem Tor fahr ich mit einem mulmigen Gefühl vorbei. Genauso an jedem Hund, den ich auf der Straße liegen oder am Straßenrand laufen sehe.

Erst am Nachmittag normalisiert sich das wieder etwas. Aber sicher wird mich dieses Erlebnis noch die nächsten Tage begleiten.

Reichlich Zeit in Istanbul

Wie doch die Zeit vergeht. Jetzt haben wir schon Donnerstag und ich bin immer noch in Istanbul. Eigentlich wollt ich ja gar nicht so lange bleiben. Schnell das Visum für den Iran besorgen und dann ganz entspannt zwei, drei Tage mit Erik hier verbringen. So war es ursprünglich angedacht. Und dafür hätte eine Woche auf jeden Fall auch ausgereicht. Aber irgendwie ist dann doch einiges anders verlaufen.

Zum einen hab ich mein Visum nicht beantragen können. Ich hatte gehofft, es direkt beim iranischen Konsulat zu bekommen und dann mit dem Stempel im Pass weiterzufahren. Dazu hat mir aber eine sogenannte Referenznummer gefehlt. Dass es die gibt, wusste ich. Allerdings wird nicht in jedem Konsulat eine verlangt und so hatte ich gehofft, die Nummer nicht zu brauchen. Leider hatte ich diesbezüglich kein Glück und war daher erst mal damit beschäftigt eine Agentur zu finden, die mir diese Nummer besorgen kann. War eine ganz schöne Rennerei gewesen. Nach einigen Recherchearbeiten sowie mehreren Anrufen und Mails hat das aber schließlich geklappt. Der Antrag ist raus, die nicht unerhebliche Bearbeitungsgebühr bezahlt und jetzt hoffe ich, dass es grünes Licht gibt. Das ist nämlich die nächste Frage. Könnte auch abgelehnt werden, mein Antrag. Das fänd ich allerdings extrem schade, denn auf meiner Route zählt der Iran zu den Ländern, die mich am meisten interessieren und auf die ich mich auch am meisten freue. Ich bin daher ziemlich gespannt und hoffe, dass es mit der Nummer klappt. In spätestens zehn Tagen weiß ich mehr.

Und dann hatte sich auch noch weiterer Besuch angekündigt. Freddi, ein Freund aus Heidelberg, wollte ebenfalls nach Istanbul kommen. Allerdings etwas zeitversetzt. Und zwar genau einen Tag, nachdem Erik wieder zurückgeflogen ist. Und so sind aus den ursprünglich geplanten sieben Tagen zehn geworden. Reichlich Zeit also die Stadt ein bisschen kennenzulernen. Zumindest die Innenstadt mit ihren Sehenswürdigkeiten. Die Hagia Sophia und die Blauen Moschee würd ich mal mit zu den bekanntesten zählen. Und die zu besichtigen hatte ich jetzt gleich mehrfach die Gelegenheit. Einmal mit Erik und dann ein paar Tage später nochmal mit Freddi.

Sowohl die Hagia Sophia als auch die Blaue Moschee liegen beide im Stadtteil Eminönü, dem historischen Stadtkern Istanbuls. Hier gibts auch noch einige andere Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Einerseits ist das ganz praktisch, denn so kann man alles recht bequem zu Fuß erreichen. Anderseits ist es mit der Zeit aber auch anstrengend, weil die Innenstadt dadurch nämlich hoffnungslos überlaufen ist. Alles voller Touristen. So wie wir eben. Gerade bei dem schönen Wetter. Überall Kameras, Blitzlicht und posierende Menschen. Und wo es Touristen gibt, wird auch viel verkauft. Neben dem typischen Touristennepp an Verkaufsständen gibt es überall Händler, die einem ihre Ware anbieten. Selfiesticks, Regenschirme, Sonnenhüte, Bootstouren. Alles was man als Tourist so brauchen kann, wird hier verkauft. Nicht übermäßig aufdringlich aber omnipräsent.

Und es sind nicht nur Erwachsene, die etwas verkaufen. Vielfach sieht man auch Kinder in den Straßen, die irgendetwas anbieten. Meist Wasser, Blumenkränze fürs Haar oder irgendwelches Plastikspielzeug. Und nicht nur tagsüber sondern auch spät abends oder nachts und teilweise bis in die frühen Morgenstunden hinein. In den Ländern, in denen ich bisher war, hab ich das so noch nicht gesehen. Hat mich schon ziemlich irritiert und nachdenklich gestimmt.

Irgendwie finde ich Istanbul anstrengend. Zumindest jetzt zum Ende hin. Es ist laut, es ist groß, es ist hektisch. Und so interessant und schön es hier anfangs auch war, nach zehn Tagen bin ich froh weiterfahren zu können. So viele Tage am Stück an einem Ort sind für mich mittlerweile doch schon ziemlich ungewohnt. Ich möchte wieder vorankommen, abends am Zelt sitzen und mal wieder Natur und Stille um mich haben. Heute werd ich mich daher wieder auf den Weg machen. Mein Ziel ist wieder das Schwarze Meer. Und dann wird es die nächsten Tage immer an der Küste entlang gehen. Erst mal bis nach Trabzon in der Osttürkei. Dort hoffe ich dann endlich mein Visum zu bekommen. Mal abwarten. Hoffentlich klappts.

Im Eiltempo nach Istanbul

Von Nessebar gehts am Donnerstagmorgen weiter Richtung Burgas. Hier wollt ich mich ja eigentlich mit Lui treffen. Aber von Lui ist weit und breit nichts zu sehen. Er hat am Mittwoch nämlich ebenfalls einen Tag Pause gemacht und ist jetzt gerade erst auf dem Weg hierher. Noch etwa 40 Kilometer hat er vor sich. Also das mit unseren Planungen müssen wir glaub ich nochmal üben. Aber gut, so hab ich jetzt wenigstens jede Menge Zeit und kann noch etwas essen und einen Kaffee trinken gehen. Und da es urplötzlich anfängt zu regnen, bin ich auch gar nicht so traurig drum, hier in Burgas warten zu müssen.

Am späten Nachmittag treffen wir uns dann an einer Tankstelle am Stadtrand. Lui hat über Couchsurfing eine Übernachtungsmöglichkeit organisiert. Die müssen wir jetzt nur noch finden. Aber dank GPS kein Problem. Im Zickzack gehts in Richtung Innenstadt zu Fatma. Fatma wohnt hier in einer 1-Zimmer-Wohnung und bei ihr können wir eine Nacht bleiben. Die Fahrräder kommen in den Keller und unser Gepäck hieven wir in den zweiten Stock. Während wir duschen können, geht Fatma einkaufen und kocht dann etwas Leckeres für uns drei. Ich freu mich voll, denn es gibt zur Abwechslung mal etwas anderes als Reis mit Zwiebeln oder Äpfel, Brot und Bananen. Sehr, sehr lecker! Nachdem wir gegessen haben, zeigt uns Fatma Burgas. Zu dritt schlendern wir durch die Innenstadt, gehen Eis essen und dann am Strand spazieren. Wir haben richtig viel Spaß und lachen viel miteinander. Und auch Gesprächsstoff findet sich reichlich. Wir unterhalten uns über unsere Reisen, die Arbeit, übers Essen und das Leben in Bulgarien, Hong Kong und Deutschland. Ist wird ein sehr kurzweiliger Abend. Und er dauert auch länger als gedacht. Denn auf dem Rückweg zu Fatmas Wohnung verlaufen wir uns ordentlich und sehen so noch einige Ecken mehr von Burgas, als ursprünglich geplant war.

Am nächsten Morgen gehts für Lui und mich dann weiter. Unser Ziel heute ist die türkische Grenze in knapp 80 Kilometer Entfernung. Wenns gut läuft, könnten wir das schaffen. Aber es kommt wie es kommen muss, unterwegs bricht Luis Gepäckträger an einer der Hauptstreben und so müssen wir das erst mal mit Kabelbindern und Panzertape notdürftig versorgen. Nach Burgas wirds dann grün und ziemlich einsam. Wir sind jetzt im Strandscha-Gebirge. Ab und an kommen wir an kleinen Dörfern vorbei, aber die meiste Zeit gehts durch Wälder und an Wiesen und Feldern entlang. Und meist bergauf. Sehr zu Luis Leidwesen.

Unterwegs treffen wir Michal aus der Slowakei. Er fährt mit seinem Motorrad über die Türkei und Zentralasien nach Ulan Bator in der Mongolei. Für den Rückweg wird er dann die Transsibirische Eisenbahn nehmen. Sein Ziel für heute ist Istanbul. Noch etwa 300 Kilometer hat er da vor sich. Von solchen Distanzen können wir natürlich nur träumen. Wir sind froh, wenn wir die restlichen 40 Kilometer nach Malko Tarnovo schaffen. Das wär der letzte Ort vor der Grenze. In Malko Tarnovo ist für uns dann heute aber auch Schluss. Hier teilen wir uns ein Zimmer in einem Gästehaus.

Am nächsten Tag brechen wir früh auf und fahren die letzten sieben Kilometer bis zur Grenze. Es regnet und geht immer weiter bergauf. Zum ersten Mal seit Wochen pack ich meine Regenklamotten wieder aus. An der Grenzstation ist es dann richtig kalt. Lange bleiben wir hier nicht. Kurz aufwärmen und dann fahren wir weiter. Aber das Tollste ist: ab jetzt geht erst mal bergab. Gleich nach der Grenze dann ein vollkommen anderes Straßenbild. Die Straßen sind in einem Topzustand. Zweispurig mit einem breiten Randstreifen. So können wir es laufen lassen, bis Kirklareli, der ersten Stadt auf türkischer Seite. Und obwohl zwischen Malko Tarnovo und Kirklareli nur knapp 45 Kilometer liegen, befinden wir uns auf einmal in einer ganz anderen Welt. Im Gegensatz zu den kleinen, verschlafenen Ortschaften Südbulgariens herrscht hier auf den Straßen lebhaftes Treiben. Eine ganz angenehme Hektik irgendwie. Zumindest jetzt am Anfang. Überall laufen, sitzen, stehen Menschen. Autos und Motorräder fahren neben und hintereinander und wild zwischen allen Fahrspuren verteilt. In einer Tour wird gehupt und gerufen und herumgestikuliert. Und es ist wieder warm und sonnig. Was ein krasser Wechsel in den wenigen Kilometern. Kann man sich kaum vorstellen. Und zum ersten Mal hör ich aus den Lautsprechern eines Minaretts den islamischen Gebetsruf. Es hallt durch die ganze Stadt. Unglaublich beeindruckend. Auch gerade, weil ich das eben wirklich zum allerersten Mal so ganz hautnah und direkt erlebe.

Da es noch nicht so spät ist, wollen Lui und ich noch weiter fahren. Ich hab nämlich ein bisschen Zeitdruck, weil ich in zwei Tagen in Istanbul sein möchte, um mich dort um mein Visum für den Iran kümmern zu können. Bis dahin sinds aber noch knapp 200 Kilometer. Und wenn wir so vorankommen wie bisher, dann schaffen wir das niemals. Wir fahren daher bis in den späten Abend hinein und bauen irgendwo, etwas abseits der Straße, unsere Zelte auf. Genau wie am nächsten Tag. Da wir erst um 11 Uhr loskommen und tagsüber auch einige Pausen machen, fahren wir wieder bis zum Einbruch der Dunkelheit.

Am Montagmorgen verabschieden wir uns dann voneinander. Zumindest fürs Erste. Denn am Abend sollte ich nun wirklich unbedingt mein Hostel erreicht haben – und es sind immer noch knapp 140 Kilometer. Lui will sich das eher auf zwei Tage verteilen und zwischendrin eine Unterkunft suchen. Den letzten Tag fahr ich also allein.

Bis in die Außenbezirke von Istanbul komm ich auch ziemlich gut voran. Aber ab da wirds dann abenteuerlich, denn die Verkehrsdichte wird immer höher und ich muss mir die Straße mit Motorrädern und PKWs, aber auch mit Bussen und LKWs teilen. Und die brausen in einem Wahnsinnstempo und manchmal mit unfassbar knappen Abstand an mir vorbei. Fahrradwege gibt es nirgends. Allenfalls einen Randstreifen. Aber ab und zu fehlt auch der. Und dann muss man ganz schön aufpassen. Zudem sind es von den Außenbezirken bis ins Zentrum von Istanbul knappe 45 Kilometer. Und es geht bergauf und bergab. Wahrlich kein Spass mit einem 45-Kilo-Reiserad. Aber trotz allem komm ich wohlbehalten im Zentrum von Istanbul an. Und hier bleib ich jetzt erstmal auch.

Heut Abend kommt dann auch noch Erik zu Besuch. Und gemeinsam werden wir uns zwei, drei Tage Istanbul anschauen. Ich werd auf jeden Fall bis Sonntag hier bleiben. Und vielleicht hab ich ja dann auch schon mein erstes Visum in der Tasche.