Trocken wärs auch ganz schön

Schuhe kaufen – das steht momentan ganz oben auf meiner Liste. Wenn ich zur Zeit nämlich etwas ganz dringend brauchen kann, dann sind es vernünftige Schuhe. Meine Fahrradschuhe haben ja wirklich tapfer durchgehalten – und lange sahs auch wirklich so aus, als würden sie es bis nach Neuseeland und von dort wieder zurück nach Hause schaffen. Aber in Australien war es irgendwann so weit und sie sind mir quasi im Fahren von den Füßen gefallen. Die Stiefel, die ich daraufhin in einer Hippiekommune geschenkt bekommen habe, waren daher ein richtiger Glücksfall. Vor allem auch, weil sie unglaublich bequem sind und wie angegossen passen. Allerdings sind sie nicht wasserdicht, so dass ich tageweise schon mit komplett nassen Schuhen fahren musste. Wasserdicht sollten Schuhe daher hier in Neuseeland auf jeden Fall sein, zumindest, wenn man nur ein Paar besitzt, denn der Winter hat es aktuell ganz schön in sich. Er ist zwar nicht sehr kalt, dafür aber ganz schön nass. Momentan jeden Tag und immer auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Mal ist es eine Art leichter, irischer Sprühregen, bei dem man zunächst kaum merkt, dass es regnet, man aber langsam und fast ebenso unbemerkt immer nasser wird, mal ist es ein typischer Landregen, der über viele Stunden anhält und einen durch das laute Trommeln aufs Zeltdach abends nicht einschlafen lässt, nachts aufweckt und dann lange wach hält und mal sind es kurze kräftige Schauer, bei denen man kaum Zeit hat sich eine Jacke überzuziehen, bevor man völlig durchnässt ist.

Nicht nur tagsüber sondern gerade auch abends bringt mich die aktuelle Wetterlage oftmals zum verzweifeln, da ich, weil der Boden vielerorts nass ist, meist ganz schön lange suchen muss, bis ich ein  halbwegs geeignetes Fleckchen für mein Zelt gefunden habe. Mit meiner Unterlegplane kann ich zwar die gröbste Nässe etwas abhalten, trotzdem wird der Zeltboden, wenn ich lange auf einer Stelle sitze oder liege, nach einer Weile innen einfach nass. Das drückt sich einfach durch. Selbst mit der Plane.  Nachts muss ich daher immer darauf Acht geben mit dem Schlafsack möglichst nicht oder zumindest nicht zu lange auf dem feucht gewordenen Zeltboden zu liegen, da die Feuchtigkeit sonst eben auch langsam in den Schlafsack kriecht. Von oben bin ich nachts bisher aber immer trocken geblieben. Zum Glück. Nicht auszudenken, wenn es zusätzlich zum nassen Zeltboden von oben auch noch zu tropfen anfangen würde.

Morgens ist es bei der Nässe und Kälte immer eine ganz schöne Überwindung aufzustehen. Aber wenn dann mal alles verstaut und in Bewegung ist, geht es wieder. Wichtig ist halt, dass der Oberkörper und vor allem auch die Füße trocken bleiben. Und deswegen geht es die nächsten Tage mal auf Schuhsuche. Das sollte nicht das Problem werden, denn mittlerweile bin ich in Taupo angekommen, einer kleinen Stadt im Zentrum der Nordinsel und einem der Outdoorzentren schlechthin. Wasserdichte Wanderschuhe werde ich wohl am ehesten hier finden. Aber auch so lässt es sich in Taupo ganz gut aushalten, denn man kann hier nämlich so einiges unternehmen. Zum Beispiel viele schöne Wanderungen und Radtouren um den Taupo-See herum oder aber den See mit einem Kanu abpaddeln. Wenn mans etwas gemütlicher mag, kann man auch eine der nahegelegenen Thermalquellen besuchen. Bei der aktuellen Wetterlage vielleicht gar nicht das Schlechteste.

Mein aktueller Favorit wäre allerdings eine Überquerung der Alpen im nicht allzu weit entfernten Tongariro-Nationalpark. Das wäre in einer Tageswanderung möglich und für sich allein ja schon beeindruckend genug, denn die Route führt durch ein Vulkangebiet, vorbei an Bergseen, Kratern und Lavafeldern. Hinzu kommt jetzt allerdings noch, dass der Tongariro-Nationalpark als Kulisse für die Herr-der-Ringe-Filme gedient hat. Und daher würde man bei dieser Wanderung gleichzeitig auch noch mitten durch Mordor und am Mt. Ngauruhoe bzw. dem Schicksalsberg vorbeiwandern und ein atemberaubendes Bergpanorama genießen können. Ich hab die Landschaft ja bisher nur in den Herr-der-Ringe-Filmen oder auf Bildern sehen können, aber diese Wanderung muss wirklich unglaublich beeindruckend sein. Vor allem, wenn das Wetter mitspielt. Denn momentan würde man eigentlich kaum mehr sehen, als Steine, Schnee und dichte Wolken. Daher warte ich mal noch ein paar Tage ab. Zur Not kann ich von Taupo ja auch erstmal weiterfahren, denn es gibt auch noch andere Orte, von denen man zu dieser Tour aufbrechen kann.

Trotzdem kann ich mich bislang aber nicht beklagen. Seit Auckland war ich nämlich hauptsächlich auf verschiedenen Radwanderwegen unterwegs, z. B. dem Hauraki-Rail-Trail und dem Waikato-River-Trail und konnte mich dabei schon mal etwas auf Neuseeland einstellen. Landschaftlich war dieses kurze Stück schon recht facettenreich. So ging es durch hügeliges Farmland, vorbei an kleinen Ortschaften, entlang am Waikato-River und durch verschiedene Wald- und Berglandschaften. Die ganz spektakulären, rauhen, neuseelandtypischen Landschaften (zumindest so wie ich sie mir vorstelle) haben bisher zwar noch gefehlt, sie könnten jetzt aber bald kommen. Eine Gelegenheit wäre in jedem Fall die Alpenüberquerung. Vielleicht hab ich ja Glück und das Wetter bessert sich die Tage mal. Das wär auf jeden Fall genial….

 

 

Einreise mit Hindernissen

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Mein erster Blick auf Neuseeland. Nach knapp drei Stunden Flug taucht unter der Wolkendecke fast wie aus dem Nichts die neuseeländische Küste auf. Ich hätte sie beinahe verpasst, aber auf dem kleinen Bildschirm vor mir hab ich unsere aktuelle Position immer verfolgen können. Daher war natürlich auch klar, wann wir ungefähr auf Land treffen werden. Der allererste Blick aus dem Flugzeugfenster bietet schon jetzt einen kleinen Vorgeschmack auf die Schönheit des Landes, die ich bisher ja nur von Bildern kenne. Ganz schroff und wild sieht Neuseeland von hier oben aus, dunkel und geheimnisvoll. Durch die Wolken hindurch sieht man das Meer, kleine Strände, man kann die Berge erahnen und das tiefe Grün der Landschaft. Ich fühle gleich an die Herr-der-Ringe-Filme erinnert.

Ich freu mich auf Neuseeland und bin schon sehr gespannt. Es fühlt sich aber ganz anders an, als bei meiner Ankunft in Australien. Es ist eine ganz ruhige, leise Freude. Eine, die man vielleicht nur alleine und für sich erleben kann, zumindest, wenn man so lange alleine unterwegs gewesen ist. Schwer zu beschreiben. Neben der Freude, nach all den Monaten nun wirklich in Neuseeland anzukommen, kündigt sich aber auf einmal auch ganz deutlich das Ende meiner Reise an. Das ist zwar immer noch ein paar Wochen entfernt, aber dadurch dass mein Rückflugdatum seit ein paar Tagen feststeht, sind die Tage meiner Reise nun sprichwörtlich gezählt. Das wird mir, jetzt wo Neuseeland da unter den Wolken auftaucht, auf einmal ganz deutlich bewusst. Naja gut, erstmal ankommen.

Das Prozedere am Flughafen kenn ich mittlerweile ja schon. Nach der Passkontrolle geht es Richtung Gepäckförderband, wo ich alle meine Taschen und den Fahrradkarton abhole. Von dort weiter Richtung Zoll und zur Biosecurity, wo sicherlich nochmal mein Fahrrad und das Zelt auf Rückstände von Erde, Gras und ähnlichem untersucht werden. Ich rechne mit etwa einer halben Stunde. Um 14 Uhr könnt ich also fertig sein, vor dem Flughafen mein Fahrrad zusammengebaut haben und auf dem Weg nach Auckland sein. Aber es kommt alles ganz anders.

Am Schalter des Zolls nimmt die Beamtin meinen Pass entgegen und fängt an diesen durchzublättern. Und damit beginnt das mit Abstand anstrengendste, nervenaufreibendste Einreisedrama meiner gesamten Reise. Fragen tauchen auf – viele Fragen, Fragen auf die man an einem neuseeländischen Zollschalter erst mal kommen muss. Ob ich alleine unterwegs bin, will man wissen, was ich im Iran wollte, wie lange ich in Usbekistan war, warum ich so nah an Syrien vorbeigefahren bin, ob ich im Irak war, warum ich mein Rückflugticket so spät gebucht habe, wo ich übernachten werde, warum ich noch nicht weiß, was ich mir in Neuseeland alles anschauen möchte, wie viele Grenzen ich passiert habe, wo genau ich in Australien gewesen bin. Und das war jetzt nur eine winzige Auswahl an Fragen. Mit der Zeit wird die Schlange hinter mir immer länger, so dass ein zweiter Schalter aufgemacht wird.

Ganz am Anfang denk ich mir noch nicht so viel dabei, beantworte geduldig alle Fragen und schieb ab und zu noch ein Witzchen nach. Aber irgendwann fang ich mich dann doch an zu wundern und stell ebenfalls eine Frage. Und zwar, warum sie das denn alles wissen möchte. Eine Antwort darauf bleibt die Beamtin mir jedoch schuldig bzw. weicht gekonnt aus. Nach einer halben Stunde bin ich erlöst. Endlich geht es weiter. Allerdings nur ein paar Meter. Ich werde aufgefordert mein Gepäck an einen Tisch zu schieben, der kurz hinter dem Schalter steht und dort zu warten. Es kommt gleich jemand.

Nach zehn Minuten kommt tatsächlich jemand. Und dann beginnt Fragerunde 2. Wieder Fragen zu meiner Route, zum Grund meiner Reise, zu meinen Ausrüstungsgegenständen etc. Außerdem wird jede meiner Taschen kontrolliert. Also aufs Genaueste. Jedes einzelne Ausrüstungsteil und Kleidungsstück wird ausgepackt und begutachtet, gedreht und gewendet. Auf dem Tisch liegt irgendwann ein Berg aus Taschen, Kleidung, Werkzeug und Kochgeschirr. Meine Tagebücher werden durchblättert und immer wieder werden ähnliche Fragen gestellt. Mit der Zeit kommt mir das alles wie das reinste Verhör vor. Die ganze Situation wirkt auf mich außerdem ziemlich angespannt. So als wäre ich schon fast wegen irgendetwas überführt. Ich mein, die Beamten sind schon, sagen wir mal, distanziert-freundlich. Ich bekomm etwas zu Trinken, werde aber gleichzeitig auch aufgefordert mich nicht so nah an den Tisch zu setzen. Gehört sicher zum Protokoll und wird bestimmt auch immer so gehandhabt, es erzeugt in mir aber ziemlich befremdliches Gefühl.

Und irgendwann nervt es einfach nur noch. Gerade weil es kein Ende zu nehmen scheint. Am Anfang versuch ich ja wie gesagt noch ruhig zu bleiben und sag mir, dass die Leute vom Zoll ja auch nur ihren Job machen. Auch den Drogentest mit speziellen Kontrollstreifen lass ich höchstens mit einem kleinen Stirnrunzeln über meine Taschen ergehen. Aber meine Antworten werden zusehends einsilbiger. Als dann jedoch zum dritten Mal gefragt wird, wo ich in Australien unterwegs gewesen bin, da kann ich einfach nicht mehr an mir halten. Dass er verdammt nochmal zuhören soll, wenn ich etwas erkläre, mache ich meinem Ärger gegenüber dem Beamten ziemlich deutlich Luft. Der ist noch ziemlich jung und wirkt auf mich, als würde er hier Dienst nach Lehrbuch veranstalten. Auf meine erneute Frage, warum ich hier so aufwendig untersucht würde und was die ganzen Fragerei soll, antwortet er, dass dies eben Aufgaben des Zolls sei. Er verschwindet dann irgendwann mit meinem Schlafsack, der Isomatte und meinem Fahrradkarton und meint, dass er das jetzt alles zur Kontrolle röntgen lassen müsse. Also da wusste ich dann wirklich nicht mehr, ob ich weinen oder lachen soll und konnte mein Gesicht nur noch ganz tief in meinen Händen vergraben.

Nach etwa zwei Stunden ist dann auch dieser Teil überstanden. Es geht nun weiter mit dem Mitarbeiter von der Biosecurity. Dieser fängt an mein Campingequipment, meine Schuhe und das Fahrrad zu untersuchen. Da ich in Melbourne aber alles penibel geputzt hatte, war er recht schnell fertig, saugte jedoch am Ende zur Sicherheit noch die letzten Krümel aus meinen Fahrradtaschen.
Und dann ging es weiter zur nächsten Befragung. In den ersten Stock in ein kleines Nebenzimmer. Dort wurden dann von einer dritten Beamtin ähnliche Fragen gestellt, wie in Runde 1 und 2. Wie finanziere ich die Reise? Was möchte ich mir in Neuseeland ansehen? Wo übernachten?

Nach weiteren zwanzig Minuten werde ich dann auch dort entlassen und soll nochmal kurz im Flur warten. Man würde sich jetzt besprechen. Zu diesem Zeitpunkt war es mir jedoch schon vollkommen egal, ob man mich einreisen lassen würde oder nicht. Ich war einfach nur noch total genervt. Eine so penible Kontrolle habe ich wirklich an keiner einzigen Grenze erlebt. Nichtmal im Ansatz. An den meisten Grenzen wurden zwar meine Taschen geröntgt, an der usbekisch-kirgisischen Grenze auch mal stichprobenartig ein Blick hinein geworfen und die Bilder meiner Kamera kontrolliert, die Grenzübertritte selbst haben jedoch nie länger als eine Stunde gedauert. Meistens war es sogar deutlich kürzer. Ich hatte auf jeden Fall immer das Gefühl, dass der Kontrollaufwand vollkommen im Rahmen ist und im Verhältnis steht. Jedoch nicht so in Neuseeland. Vollkommen überzogen war das. Ich mein, ich bin doch sicher nicht der erste Radfahrer, der nach Neuseeland kommt, der durch Zentralasien gefahren ist und noch nicht seine komplette Reiseroute für Neuseeland im Kopf hat. Naja, wie auch immer. Nach etwa fünfminütiger Beratung beschließt man schlussendlich, dass alles in Ordnung ist und ich gehen kann.

Als ich mit meinem Fahrrad und dem Gepäck vor dem Flughafengebäude stehe, ist es schon nach 16 Uhr. Bis ich mein Fahrrad zusammengebaut habe, ist es dunkel. Mittlerweile regnet es auch in Strömen. Ein Wetter passend zu meiner Stimmung. Um eine Nachtfahrt auf den Highways zu vermeiden, entscheide ich mich die 20 Kilometer nach Auckland mit einem Shuttlebus zurückzulegen. Außerdem will ich jetzt einfach nur noch irgendwo ankommen. Die Adresse eines Hostels hab ich mir noch in Melbourne rausgesucht. Hier setzt mich der Fahrer nach halbstündiger Fahrt ab und lädt mein Fahrrad aus dem Anhänger aus. Im Hostel merk ich dann kurze Zeit später, dass meine Regenjacke, die ich auf den Gepäckträger geschnallt hatte und mein kleines Fähnchen aus der Lenkertasche fehlen. Das muss in dem Hänger, in dem wir mein Fahrrad zum Transport hinlegen mussten, irgendwie herausgerutscht und abgefallen sein. Zu allem Übel lag in einer meiner Jackentaschen auch noch meine heißgeliebt Mütze, nach der ich in Vietnam, als ich sie in einem Taxi hab liegen lassen, einmal eine halbe Stadt abtelefoniert habe.

Bilanz des Tages: Mütze weg, Jacke weg, Fahne weg, 40$ für einen Shuttlebus bezahlt und die nervigste Einreise, die ich jemals erlebt habe. Manchmal gibt es Tage, an denen wäre man besser gar nicht aufgestanden… 

 

Unterwegs auf der Great Ocean Road

Stopp. Was war das? Hat sich da nicht gerade eine meiner Taschen bewegt? Hm, alles ruhig, werd mich wohl nur verguckt haben. Ich sitze im Zelt, irgendwo mitten im Wald. Draußen ist es lange schon dunkel und es regnet in Strömen. Die Great Ocean Road hab ich am frühen Nachmittag verlassen, um auf einem abgelegenen Rastplatz im Otway-Nationalpark zu übernachten. Ich bin umgeben von Bergen und Wald und in ein paar Metern Entfernung kann man das Rauschen eines über die Ufer getretenen Baches hören. Außer mir keine Menschenseele hier. Könnt richtig idyllisch sein, wenn das Wetter besser wäre. In den letzten Tagen hat es allerdings oft geregnet. Die Luft ist schwer und nasskalt und der Boden ziemlich aufgeweicht. Aufgrund dessen ist es momentan gar nicht so einfach einen guten Platz fürs Zelt zu finden.

Aber was das betrifft, hatte ich heute Glück. Hab mir ja extra auch eine Unterlegplane besorgt. Daher ist mein Zelt zumindest von unten immer noch schön trocken. Trotz der Nässe draußen ist es irgendwie gemütlich im Zelt. Vor mir brennt mein kleiner Gaskocher vor sich hin und ich sitze dick eingepackt mit Mütze, Schal und Jacke auf meiner Isomatte und rühre im Schein meiner Kopflampe die im Topf dampfenden Nudeln und das Gemüse um. Noch drei Esslöffel Tomatenmark dazu, ein bisschen Salz und Pfeffer und dann kurz ziehen lassen. Hab schon richtig Hunger. Das Abendessen ist immer einer der Höhepunkte des Tages für mich. Und da können dann auch unglaubliche Mengen weggehen. Mein 1,5-Liter-Topf reicht oftmals gerade so aus und ist meist randvoll gefüllt. Radfahrer haben halt immer viel Hunger.

Da! Jetzt hab ichs wieder gesehen. Meine Tasche. Schon wieder hat sie gewackelt. Jetzt muss ich aber mal nachschauen. Vorsichtig gehe ich in die Hocke und beuge mich langsam nach vorne – bloß nicht den Topf mit dem Essen umschmeißen, (wäre nicht das erste Mal). Und tatsächlich…ich hab Besuch. Hinter einer meiner Taschen sitzt eine dicke Ratte und schaut mich aus großen schwarzen Augen an. Wahrscheinlich kann sie mich wegen des grellen Lampenlichts nicht sehen, denn sie schaut vollkommen unbeeindruckt zu mir herauf. Als ich mich bewege, verschwindet sie allerdings sofort nach draußen. Ich muss an Thomas und Jeremy und unsere vier Tage am See denken. Die beiden hatten damals auch eine Ratte im Zelt gehabt. Nachts, als sie mal kurz die Augen aufgemacht haben, haben sie sie entdeckt, wie sie auf der Spitze ihres Innenzeltes saß. So etwas sorgt sicher für bleibende Erinnerungen. Ich habs da ja noch richtig gut erwischt. Und meine Ratte ist ja auch gleich wieder verschwunden.

Die Freude währt allerdings nicht lang – ich bin gerade am essen – da kommt sie schon wieder unter dem Außenzelt durchgekrabbelt. Ganz schön frech. Meine Anwesenheit kümmert sie scheinbar nicht im geringsten. Sie rennt ums Innenzelt herum, verschwindet unter der Unterlegplane, taucht an anderer Stelle wieder und versteckt sich dann zwischen meinen Taschen. Oder ist sie jetzt da irgendwo reingekrabbelt? Oh man… Ich schau nach, kann aber nichts finden. Aber mein gepflegten Abendesssen kann ich für heute wohl vergessen. Ich ess schnell fertig, verstaue das, was ich heute Nacht nicht zwingend brauchen werde in meinen Taschen, schlepp alles raus aufs Plumsklo, wo ich schon mein Fahrrad untergestellt habe und befestige die Taschen an den Gepäckträgern. Sicher sind die dort besser aufgehoben als am Zelt.

Wie erwartet, wird die Nacht unruhig. Um mich herum raschelt es in unregelmäßigen Abständen. Dazu nehme ich immer wieder Nagegeräusche wahr. Mal links, mal rechts, mal dicht neben mir und mal ein paar Meter weiter weg. Ich hör die Ratte unter der Plane verschwinden und merke dann irgendwann auch, wie sie aufs Innenzelt hopst und herunterpurzelt. Ich verzieh mich in die Innenzeltmitte, was bei einem Einmannzelt bedeutet, sich ganz schmal zu machen und zusammengerollt mit angezogenen Beinen zu schlafen. Hab nämlich keine Lust mit einer Ratte auf meinem Gesicht oder auf den Füßen aufzuwachen. Das würde dann bei mir für bleibende Erinnerungen sorgen. Gegen vier oder fünf ist mein Besuch dann endlich verschwunden und ich finde noch ein paar verdiente Stunden Schlaf.

Am nächsten Morgen ein kurzer Zeltcheck. Zum Glück ist nichts angenagt oder dergleichen. Aber ich hab vier kleine Geschenke vor meiner Zelttür liegen. Naja, ich habs ja überlebt.
Nach einem Müslifrühstück geht es über Waldwege und kleine Landstraßen wieder zurück auf die Great Ocean Road. Neben Sydney war die sie ja der Grund, warum ich mich bei meiner Routenplanung für die Ostküste Australiens entschieden haben. Aber selbst wenn ich nicht schon vor meiner Reise von der Great Ocean Road gelesen hätte, so wäre ich doch spätestens hier darauf aufmerksam geworden. Immer wieder wurde nämlich in den vielen Touristen-Informationscentern auf meinem Weg nach Süden von der Great Ocean Road geschwärmt. Die dürfe ich auf gar keinen Fall verpassen. Eher sollte ich weniger Pausen machen, aber Australien ohne die Great Ocean Road geht nicht. Wie oft hab ich das gehört. Und nicht nur in den Infocentern. Oft auch auf der Straße. Es war also klar, dass da kein Weg dran vorbeiführen kann.

Die Great Ocean Road beginnt in der Nähe von Melbourne und ist vor allem erstmal eine ganz normale Landstraße. Sie wurde nach dem Ersten Weltkrieg hauptsächlich von Kriegsheimkehrern als eine Art Arbeitsbeschaffungs- und Wiedereingliederungsmaßnahme errichtet, um die vielen, teilweise nur per Boot zu erreichenden Küstenorte zu verbinden, aber auch um ein Denkmal für die im Krieg gefallenen Kameraden zu schaffen. Die Great Ocean Road gilt daher auch als eines der größten Kriegsdenkmäler der Welt. Was sie so besonders macht, ist zum einen eben dieser Fakt, zum anderen ist es aber ihr Verlauf und ihre Umgebung. Sie beginnt in Torquay, einem kleinen Ort direkt an der Südküste und verläuft dann zum Teil äußerst spektakulär, direkt an der zerklüfteten Meeresküste entlang Richtung Westen. Unglaublich beeindruckend. Sie führt vorbei an Stränden, die wegen ihrer hohen Wellen gerade bei Surfern sehr beliebt sind, über Berge und durch die Regenwälder des Great-Otway-Nationalparks, vorbei an kleinen Ortschaften, Farmen und am Ende dann auch mal an einer eher unbesonderen Agrarlandschaft. Landschaftlich ist die Strecke also sehr abwechslungsreich.

Mit Sicherheit ist die Great Ocean Road eines der touristischen Highlights in Victoria. Man kommt von Melbourne recht einfach hin und kann sie sich selbst dann auch ganz individuell in kleinere Tagesetappen einteilen und abfahren. Kleine Etappen reichen auch vollkommen aus, denn es gibt wieder so viele schöne Ecken, dass man eigentlich alle paar Meter anhalten muss. Vielerorts kann man aber auch Tagestouren buchen und die 241 Kilometer im Minibus an einem Tag abfahren. Ich lass mir aber Zeit. Insgesamt neun Tage brauche im vom Anfang bis zum Ende.

Sie war nochmal ein schöner Abschluss meiner Zeit in Australien, die Great Ocean Road. Nach 3756 Kilometern und fast drei Monaten im Land – die mir im Rückblick aber eher wie zwei kurze Wochen vorkommen – bin ich jetzt zum zweiten Mal in Melbourne angekommen. Die nächsten beiden Tage wird es für mich nochmal einiges zu organisieren geben. Am Donnerstag geht nämlich mein Flug nach Neuseeland. Bis dahin muss ich mir noch einen Karton für mein Fahrrad besorgen, mein Zelt, die Heringe und mein Rad wegen der Quarantänebestimmungen in Neuseeland gründlich putzen, das Rad dann auseinanderbauen und abreisefertig verpacken und mich auch schon um einem Rückflug nach Deutschland kümmern. Ein Rück- oder Weiterflugticket ist nämlich für die Einreise nach Neuseeland zwingend erforderlich. Es gibt also noch einiges zu tun.

Rückblickend kann ich sagen, dass Australien ein absoluter Traum gewesen ist. Sowohl landschaftlich, als auch was die Menschen betrifft, die ich hier getroffen habe, Australier wie Nichtaustralier. Vor allem die freundlich-lockere und unkomplizierte Mentalität der Australier hat es mir irgendwie angetan. Ganz besonders mochte ich immer das euphorische „No worries.“, als Antwort darauf, wenn man sich irgendwo bedankt hat und das „How is it goin‘ mate?“ zur Begrüßung, das immer gleich eine total entspannte Atmosphäre geschaffen hat. Egal ob an einem Rastplatz, an der Kasse oder irgendwo am Strand. Geschwärmt wurde hier in Australien hingegen sehr oft von Neuseeland. Daher bin ich jetzt schon ganz gespannt, was mich da wohl erwarten wird.

Das letzte Land auf meiner Reise. Übermorgen gehts los…..

 

 

 

Fiese Hügel und freundliche Menschen

In einer langgezogenen Kurve führt die Straße den Hügel hinauf. Schon von der Talsohle aus lässt sich das etwa einen Kilometer entfernte Ende der Steigung erkennen. Der vor mir liegende Höhenunterschied kann eigentlich kaum mehr als 30 Meter betragen, aber wegen des sehr flachen Anstiegs wird es jetzt erstmal wieder eine gefühlte Ewigkeit bergauf gehen, so dass ich erneut ordentlich in die Pedale treten muss. Mit dem ganzen Gepäck reicht schon eine geringe Steigung von wenigen Prozent aus, dass ich ein paar Gänge hochschalten muss und bald nur noch im Schritttempo vorankomme. Oben angekommen bleibt dann aber nicht wirklich viel Zeit, um sich auf die Schulter zu klopfen und durchzuatmen. Ziemlich schnell geht es auf der anderen Hügelseite nämlich wieder bergab, nur um dann bald schon dem nächsten Anstieg entgegenzuradeln. Dreißig Höhenmeter bergauf, zwanzig bergab, vierzig bergauf, fünfzig bergab….so geht das in einer Tour. Im Prinzip schon seit den letzten 2300 Kilometern bzw. fast seit Brisbane. Es gab bestimmt auch mal flache Abschnitte zwischendrin. Aber das können nicht wirklich viele gewesen sein.

Die Ostküste Australiens strengt mich ganz schön an. Sowohl körperlich als auch mental. Auf jeden Fall mit der Zeit. Die Anstiege sind eigentlich nie viel länger als zwei, drei Kilometer, aber die Tatsache, dass hinter dem nächsten Berg immer noch ein weiterer und dann noch ein weiterer kommt, ohne dass das irgendwann mal ein Ende zu haben scheint, zehrt ganz schön an der Substanz. Im Auto merkt man das überhaupt gar nicht. Ein, zwei Prozent erscheinen da immer noch total flach. Man schaut einfach aus dem Fenster und kann völlig entspannt die schöne Landschaft genießen. Ganz anders auf dem Fahrrad. Da bemerkt man selbst flache Anstiege sofort und muss sich die nächste Hügelkuppe dann manchmal auch ganz schön hart erkämpfen. Gerade am Abend, wenn es langsam dunkel wird, man endlich am nächsten Rastplatz ankommen möchte – der ja laut Karte auch gar nicht mehr weit entfernt ist –die Fahrtzeit sich durch die ganzen Hügel aber noch eine Stunde in die Länge ziehen wird, kann das ganz schön an die Nerven gehen. Was hab ich da schon umhergeflucht…

Und dennoch: trotz aller Anstrengungen würde ich Australien schon jetzt zu den schönsten Abschnitten meiner Reise zählen. Landschaftlich ist die Ostküste ein absoluter Traum. Tiefe Wälder, ein Nationalpark nach dem anderen, einsame, oft kilometerlange Strände, Felder, Wiesen, Weiden und beschauliche Ortschaften wechseln einander ab. Und überall ist es schön. Anstrengend zu fahren zwar, aber schön. Jeden Tag komm ich mehrmals an Ecken vorbei, wo ich einfach anhalten und eine Pause machen muss. Deswegen wirds dann abends manchmal ganz schön knapp von der Zeit. Oft erreiche ich meinen Lagerplatz erst nach Einbruch der Dunkelheit. Gekocht und gegessen wird daher meist im Schein meiner kleinen Stirnlampe.

Die Tage sind kurz in Australien. Gerade jetzt, wo der Winter begonnen hat. Sonnenaufgang ist erst kurz nach sieben. Die Dämmerung setzt allerdings schon gegen 16:45 Uhr ein. Um sechs ist es bereits stockdunkle Nacht. Und genauso fühlt sich das dann auch an. Als wär es schon zehn oder elf Uhr abends. Im Dunkeln gibts am Zelt dann nicht mehr viel zu tun. Daher lieg ich abends nach dem Essen und dem Abwasch oft schon gegen sieben im Schlafsack, les und schreib manchmal noch ein bissel – so wie jetzt –  hör ein Hörbuch oder dämmer einfach langsam weg. Je nach Anzahl der abgefahrenen Berge. Morgens steh ich, wenn nicht gerade eine längere Etappe ansteht, oft erst gegen sieben auf, frühstücke gemütlich und fahr dann gegen neun, halb zehn los. Morgens Zeit zu vertrödeln, hab ich mir irgendwie nie abgewöhnen können. Aber das macht ja eigentlich auch gar nichts. Es gibt keine Termine und keinen wirklichen Zeitdruck. Höchstens vielleicht die einbrechende Dunkelheit. Unglaublich entspannend, den Tagesablauf nach der Sonne auszurichten. Besonders am Abend, wo man dann eben schon um sieben einfach ungestraft ins Bett gehen kann.

Es ist aber nicht nur die Umgebung und die Natur, wegen der Australien zu einem der Highlights meiner Tour geworden ist. Vor allem sind es die Menschen hier. Es ist immer wieder ganz unglaublich, wie aufgeschlossen die Australier mir begegnen. Hätt ich so nie erwartet. In Asien hab ich mir nämlich auch schon sagen lassen, dass ich hier wieder auf eine eher westlich-reservierte Mentalität treffen werde. Ich erleb das aber ganz anders. Wirklich jeden Tag treffe ich Menschen, die so freundlich und hilfsbereit sind, dass ich das manchmal selbst kaum glauben kann. Es erinnert mich sehr an den Iran.

Australier unterhalten sich unglaublich gerne und sind dazu auch unglaublich offen. Und so passiert es häufig, eigentlich täglich, dass ich, wenn ich bspw. irgendwo sitze und eine Pause mache, mein Zelt trockne oder am Straßenrand einen kurzen Blick auf die Karte werfe, von irgendwem angesprochen werde. Oft sind das dann total interessante Begegnungen mit Menschen, die zum Teil richtig spannende Lebensläufe haben. So lern ich z. B. Peter kennen, einen 82jährigen Waliser, der mit 76 Jahren Haus und Hof in Wales verkauft hat und nach Australien ausgewandert ist, weil sein Sohn hier mit seiner Familie lebt. Jetzt hat er hier ein kleines Häuschen in Strandnähe, ab und zu kommt sein Sohn mit der Familie vorbei und wenn die mal nicht da sind, läuft Peter mit seinem Metalldetektor gerne die Strände ab, um vielleicht eines Tages mal den ganz großen Fang zu machen. Das Meer spült hier ja so einiges an, wie er sagt. Und Peter erzählt auch so einiges von früher, von seiner Zeit als Militärpolizist in West-Berlin, lange vor dem Mauerbau. Gerade für mich als Ossikind total interessant.

Aber auch so erfahre ich immer wieder eine große Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit. Eigentlich wo ich geh und steh. Auf Rastplätzen werd ich zum Abendessen, zum Kuchen und auch immer wieder zum Kaffee trinken eingeladen, bekomm auch schon mal Kohle für meinen kleinen Kocher mit auf den Weg, Schokoladensojamilch oder auch mal Kaffee (wenn die Australier und ich etwas gemeinsam haben, dann ist es eine gewisse Kaffeesucht), einen Polizisten im Ruhestand, der mir ganz stolz seine alte Polizeimarke zeigt, kann ich nicht davon abhalten, während ich einkaufe mein Fahrrad zu bewachen, ein Motorradfahrer, der auf dem Weg nach Norden ist, gibt mir seine Handschuhe für den kalten Süden mit und Billy, ein Rennpferdzüchter, der am Nachmittag mit seinem Pickup an mir vorbeigefahren und kurz gehalten hat, besucht mich abends ganz überraschend mit zwei Dosen Bier am Zelt – nur um zu schauen, ob alles ok ist. Und das sind nur die Beispiele, die mir jetzt gerade auf die Schnelle einfallen.

Und ähnlich wie im Iran, wo es häufig hieß: Welcome to Iran, bekomm ich hier zum Abschied oft ein „Enjoy Australia!“ mit auf den Weg. Und ich muss sagen, sich hier wohlzufühlen, wird einem auf jeden Fall richtig leicht gemacht. Und da ist es dann wirklich auch verschmerzbar sich am Abend noch ein paar Hügel hochzuschimpfen.

Und es ist ja nicht so, dass es kaum vorangeht. Mein zweites Etappenziel Melbourne hab ich jetzt nämlich bald erreicht. Nach nur etwas mehr als drei Wochen. Hätt ich nicht gedacht, dass das so schnell geht. Am Sonnabend müsste ich es eigentlich geschafft haben. Zwei, drei Tage Pause werd ich mir in Melbourne dann gönnen, bevor es mit der Great Ocean Road dann auf die letzte Etappe in Australien gehen wird. 

 

Sydney, ich komm wieder

Fünf Tage Sydney liegen hinter mir. Hab mal wieder leicht überzogen. Aber diesmal musste es wirklich sein. Und es war ja auch nur ein Tag. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten es aber ruhig noch mehr sein können. Bei dieser Stadt wundert das jedoch nicht wirklich. Gerade dann, wenn man zum ersten Mal hier ist. Ich habs ja schon bei der Einfahrt in den Hafen gewusst, dass Sydney mir gefallen wird, aber meine kühnsten Erwartungen wurden nochmal deutlich übertroffen. Sowohl was das Stadtbild selbst betrifft, als auch die nähere Umgebung, das kulturelle Angebot und die unglaublich interessante Geschichte.

1788 fing sie genau hier an, die Geschichte des heutigen Australiens – mit der Ankunft der Ersten Flotte. Die Erste Flotte war ein Schiffsverbund aus England, der Sträflinge, deren Aufseher, Militärangehörige und Verwaltungspersonal hierherbrachte. Anfangs als reine Sträflingskolonie geplant und geführt, siedelten sich aber auch bald freie Siedler hier an. Sydney wuchs und auch andere Landesteile zogen im Laufe der Zeit immer mehr Einwanderer an.

Aber der Ort an dem alles begann, war eben Sydney. Und diese geschichtsträchtige Bedeutung bemerkt man an ganz vielen Orten in der Stadt. Oft anhand von Kleinigkeiten: kleinen Schildern an Hauswänden, in Parks, die eine geschichtliche Besonderheit dieser Stelle beschreiben, Plaketten im Hafenbereich, die die Uferlinie von 1788 nachzeichnen und viele andere liebevolle Details, durch die man als Besucher quasi von selbst anfängt sich für die Stadtgeschichte zu interessieren. Aber natürlich gibt es auch viele Museen, die sich speziell auch diesem Kapitel australischer Geschichte widmen. In einem davon, den Hyde Park Barracks, war ich gleich an zwei Tagen hintereinander, weil es so interessant war und die Zeit am ersten Tag einfach nicht gereicht hat. Obwohl es ja ein recht kleines Museum ist. Sogar das Gebäude selbst ist als Museum gestaltet worden. Man sieht freigelegte Mauer-, Tapeten- und Deckenfragmente aus verschiedenen Epochen, kann Sträflingskleidung oder typische Kleidung aus den Anfangsjahren Sydneys anprobieren und sich in die Hängematten der Sträflinge oder die Betten der Immigrantinnen legen, die dieses Haus über die Jahre hinweg beherbergt hat. Ein Museum zum Anfassen und Mitmachen sozusagen.

Um einen allerersten Eindruck von der Stadt zu bekommen, nehm ich noch vor meinem Museumsbesuch an zwei verschiedenen Stadtrundgängen teil, sogenannte „Free Walking Tours“. Man trifft sich einfach zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Punkt und gibt am Ende das, was man möchte. Diese Touren werden von einer Gruppe ehemaliger Studenten angeboten, allesamt Original-Sydneyer, so dass man auf jeden Fall einen guten Überblick über die Stadt erhält, interessante Ecken und Anekdoten kennenlernt und viele Infos aus erster Hand bekommt. Nicht nur etwas zur Geschichte sondern zum Beispiel auch, wo es die Kneipen mit der größten Auswahl an australischem Bier gibt, wo man Pizzen mit Kängurufleisch bekommt und in welchem Gebäude man, wenn man die 29 $ Eintritt für den 293 Meter hohen Sydney Tower sparen will, kostenlos eine fast genauso gute Aussicht genießen kann. Dank dieser Touren kann man zumindest mal die Innenstadt etwas kennenlernen.

Und die gefällt mir richtig gut. Eine gelungene Mischung aus alter und neuer Architektur, dazu ist es schön grün, es gibt viele Bäume, einige Parks, in denen man sich erholen kann, außerdem viele Pubs und Bars, Märkte, einen Botanischen Garten, den Hafen und nicht zu vergessen das nahe Meer. Und dazu wirkt Sydney richtig idyllisch, obwohl es ja riesige Ausmaße hat und mit seinen knapp 400 Vororten flächenmäßig deutlich größer ist als Berlin oder Paris. Besonders „The Rocks“, das ehemalige Sträflingsviertel im Innenstadtbereich hats mir irgendwie besonders angetan. Direkt am Hafen gelegen findet man hier in den verwinkelten Gassen viele kleine, gemütliche Kneipen, Tante-Emma-Läden und einige, wieder nett hergerichtete Hotels aus Sydneys Anfangstagen.

Aber auch die Umgebung Sydneys hat wiegesagt einiges zu bieten. Zusammen mit Jia aus China und Tatsushi aus Japan, die ich beide im Hostel kennengelernt habe, mache ich eine Küstenwanderung vom Bondi-Beach, einem der bekanntesten Pazifikstrände Australiens, bis zum Coogee-Beach. Das sind zwar nur sechs Kilometer, aber da es dort so viele schöne Ecken gibt und man wieder überall anhalten muss, kann diese kleine Wanderung schon mal fast den ganzen Tag dauern. So wars zumindest bei uns.

Ach, ich bin ja richtig begeistert. Ich könnt mich hier noch seitenlang über Sydney auslassen. Aber wenn ich damit jetzt anfange, würde das vollkommen den Rahmen sprengen. Eigentlich wär ich ja gern noch geblieben, aber ganz am Ende meiner Etappe in Australien wartet ja noch die Great Ocean Road auf mich. Und da ich Richtung Melbourne auf dem etwas längeren Küstenabschnitt unterwegs sein werde, hab ich mich am Montag mal wieder auf den Weg gemacht. Will mich ja nicht abhetzen.

Aber…ganz tolle Stadt. Leider von Deutschland aus gesehen nicht gerade um die Ecke gelegen. Trotzdem aber auf jeden Fall eine Reise wert. Ich komm bestimmt nochmal wieder.